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Schlägerei, Meuterei, Zwängerei — Neue alte Schweizer Lieblingswörter

  • Keine Zwängerei bitte
  • Die Schweizer kennen keinen Zwang, sind aber sehr allergisch gegen jede Art von „Zwängerei“. Das Wort trafen wir erst kürzlich wieder, im Rahmen der grossen Abstimmung zur Frage des Rauchverbots in öffentlichen Kneipen. Beispiel:

    Zwängerei
    (Quelle Foto: derbaslerweg.ch )

    Laut Duden ist „Zwängerei“ kein Synonym für Zwang, sondern für das „Zwängen“:

    Zwängerei, die; -, -en (schweiz. abwertend): 1. das →Zwängen: hör auf mit der Z.! 2. eigensinniges (…)

  • Wer wertet denn da ab?
  • Hübsch ist die Erläuterung, das Wort sei „schweizerisch abwertend“. Kann Zwang auch etwas aufwertendes haben? Da gibt sich der Duden geradezu philosophisch angehaucht. Und ob man sich dann auch nur mit viel „Zwängerei“ in eine enge Jeans zwängt in der Schweiz, bleibt eindeutig ungeklärt.

    Wir entdecken 3‘890 Fundstellen von „Zwängerei“ bei Google-CH, 100 Mal in der Kombination mit „keine Zwängerei“. Die 961 Fundstellen bei Google-DE stammen zumeist aus Wörterbüchern oder Schweizer Quellen. Uns Deutschen fehlt also dieses hübsche Wort noch im täglichen Wortschatz. Wie kann man überhaupt ohne auskommen? Schlägerei, Meuterei, Bettelei und Einerlei, alles das kennen wir, aber keine Zwängerei.

    Noch ein aktuelles Beispiel aus dem Schweizer Tagblatt:
    Schweizer Tagblatt Zwängerei
    (Quelle Foto: tagblatt.ch)

  • Es zischt in Luzern
  • Wiederum im Zusammenhang mit einer Abstimmung, gefunden in der Neuen Luzerern Zeitung Online, welche wunderschön mit „Zisch“ lautmalerisch abgekürzt wird:

    Zwängerei im ZISCH
    (Quelle Foto: Zisch.ch)

    Wie kommt es, dass wir in Deutschland dieses Wort und seine Synonyma nicht verwenden? Ganz einfach: Es gibt dort nichts abzustimmen vier Mal im Jahr, und Zwang kennen wir nur in Form der gleichnamigen Jacke. Sonst gibt man sich zwanglos in Deutschland, nicht „zwangslos“. Obwohl „zwangslos“ im Duden nicht existiert, finden sich 4‘700 Belegstellen bei Google , kann also nicht mehr lange dauern und die Dudenredaktion akzeptiert auch diese Kreation als eine gebräuchliche Variante der deutschen Sprache. So wie Zwängerei heute schon.

    

    14 Responses to “Schlägerei, Meuterei, Zwängerei — Neue alte Schweizer Lieblingswörter”

    1. Notker Says:

      Die Politiker beherrschen die Zwängerei Effeff, besonders nach verlorenen Abstimmungem.

    2. Thomas Says:

      dr Zwängeli und dr Bängeli… wer kennt es nicht…

    3. Phipu Says:

      Das Wort „Zwängerei“ ist längst nicht nur für politische Vorlagen geeignet. Alles, was zumindest aus dem Blickwinkel des Kommentierenden als nicht notwendig betrachtet wird, und dennoch unbedingt erreicht werden soll, ist eine Zwängerei. Das kann also wirtschaftliche, familiäre, und viele andere Bereiche betreffen. Dazu passt übrigens das Verb „durchstieren“ (steht nicht im Duden, verstehen das auch Deutsche?).

      In Grimms Wörterbuch entdeckt man das Wort „zwängen“, in seiner 2. Bedeutung, nämlich „einen anderen belästigen, nötigen“ (ich vermute darunter heutiges standarddeutsches „zwingen“). Bei kleinen Kindern spricht man auch davon, dass „es zwängt“. Das heisst, unter Zwang weinen, um einem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Das dürfte wohl das hochdeutsche „quengeln“ sein. Weiter steht im Duden unter „zwängen“: … 2: (schweiz.) drängeln“. Auch bei „drängeln“ soll der 2. Wortsinn gemeint sein (= insistieren), nicht undiszipliniertes Schlangestehen ( http://www.blogwiese.ch/archives/941 )

      Man braucht also beim hier angegebenen Beispiel „Zwängerei“ viel weniger an räumliches „Zwängen“ zu denken. Es geht mehr um „erzwingen“. Die Mutter eines Teenie-Mädchens betrachtet also eher den Willen ihrer Tochter, ausgerechnet diese engen Jeans zum Familienfest anziehen zu müssen, als Zwängerei, als die Tatsache, dass man diese engen Hosen immer zu zweit anziehen muss.

    4. neuromat Says:

      @ phipu

      durchstiere wirkt auf mich komisch. Stieren kennen auch die Deutschen im Sinne von starr blicken. Die zweite Bedeutung „mit dem Kopf durch die Wand“, wäre zumindest weiter nördlich ungewöhnlich.

      Bin gespannt, was der Alpenraum meldet. Oder unsere spanische Provinz Mallorca.

      Nur, ich wuerde doch eher von einem Dialektbegriff ausgehen und dann dürestiere erwarten.

      Quengeln, finde ich, ist nicht unter Zwang weinen, sondern umschreibt eher das kindliche Verhalten, welches bei anderer Gelegenheit von Deiner Seite wiederum als G’stürm gewertet wurde, womit ich mich jedoch nicht anfreunden konnte. Also ein nicht enden wollendes Genöle und Getue und Gemache in lautlicher Form.

      Fazit: Genau, erzwingen ist die Übersetzung von dürestiere. Viel lästiger bei den Jeans fand ich in meinen jüngeren Jahren, das man unendlich dran rum reissen musste um sie dann gemeinsam runter zu bekommen.

    5. neuromat Says:

      da habe ich wieder mit dem erst markieren, dann kopieren einiges gelöscht. Kurz: „…. in lautlicher Form. Auch wenn „quengeln“ tatsächlich eignetlich „zwängeln“ hiess. So nimmt das eben im Laufe der Jahre für jeden eine etwas andere Bedeutung an.“

    6. Phipu Says:

      Neuromat

      Das Wort „dürestiere“, ist für mich sehr wohl Dialekt, findet sich aber ganz selten bei Google.DE aus Deutschland auch in hochdeutschen Texten. Daher der Zweifel in meinem Kommentar. Wenn es schon im Duden fehlt, habe ich doch immerhin Grimms Wörterbuch konsultiert. Das Verb „stieren“ ist dort in allen Farben und Formen vorhanden. Z.B. in der von dir geschilderten Variante für „starren“, und sogar für „steuern“. Es ist jedoch kaum denkbar, das mit „durchstieren“ „durchsteuern“ gemeint ist. Das wäre wohl zu elegant für etwas gegen allen Widerstand Erzwungenes (hochdeutsches Pendant zum Substantiv „Zwängerei“?). Der „Stier durch den Matador“ – pardon „… neben der Autobahnausfahrt“, nein nochmals falsch, „Stier durch die Wand“ – passt besser. Ich war wohl eben in Gedanken in der Nähe eurer Kolonie Mallorca.

      Bei quengeln magst du recht haben. Gibt es doch dieses Wort im Dialekt nicht. Das müssen wir immer wieder aus der Schublade „aufgeschnappt bei Funk, Fernsehen und Ferien im Norden“ hervorziehen.

    7. neuromat Says:

      @ phipu

      wahrscheinlich habe ich bei quengeln gar nicht „recht“. Aus zw zu qu dafür gibt es sicher etymologische Erklärungen. Interessant war für mich, dass sich aber auch die Bedeutung oder noch vorsichtiger die „empfundene Bedeutung“ über die Zeit geändert hat. Ich denke, dass „quengeln“ heute überwiegend in Zusammenhang mit Kindern gebraucht wird.

      wenn der von Jens vermittelte Eindruck stimmt wird „zwängen“ mehr im Politikalltag gebraucht. Vielleicht auch das durchstieren …
      Aufgrund noch heute bekannter deutscher Politiker müsste „stieren“ dann mit „sitzen“ verwandt sein. Da die Deutschen dieser Zunft gerne etwas aussitzen oder auch durchsetzen (nicht selten sich selbst). Nicht ganz ernst gemeint: Aber ziehe einfach das t nach hinten und mach aus dem z ein e.

      [Anmerkung Admin: Q, G und W sind eng verwandt. Schau dir allein die Wörter für Wespe = Guêpe an. Solche Paare (germanisch „w“, romanisch „g“ oder „k=q“ gibt es viele). Kann also auch bei „Zwä“ und „quen“ der Fall sein. ]

    8. spielmaus Says:

      Im Schwäbischen kennt man „durchstieren“ im Sinne von „durchstöbern, durchsuchen“.

    9. solanna Says:

      „schtiere“ im Sinne von glotzen kenn ich nur als „aaschtiere“ (anstarren). Hingegen hat jemand plötzlich „en schtiere Blick“, etwa, wenn er wie weggetreten an etwas anderes denkt oder gar nichts denkt (leerer Blick).

      „schtier“ heisst auch pleite, vor allem „chnopfchnüppelschtier“. Dann hat man wirklich gar kein Geld mehr.

      „zwänge“ kenne ich vor allem als „zwängele“ oder „töibele“. Warum eine Diminutivform verwendet wird, ist mir nicht klar, vermutlich weil dies meist Kleinkinder tun, denn beides erzeugt oft massiven Druck (akustische oder gewalttätige Erpressung) auf die Erwachsenen, v.a. in der Öffentlichkeit.

      Allerdings sind die Kleinkinder dabei oft kaum mehr bei Sinnen und kommen kaum mehr aus dem „Töibeli-Aafall“ raus.

      Der „Zwängigrind“ Erwachsener oder grösserer Kinder ist allerdings bei klarem Bewusstsein, wenn diese etwas „dureschtiered“ (durchstieren).

    10. solanna Says:

      Gerade läuft auf der Website der BZ ein Inserat:
      Vorurteil Nr. 235 – „D‘ Bulle si schtier.“ Dann die Aufforderung, das Vorurteil zu überprüfen und die Site http://www.polizei-job.ch zu besuchen. Schön schtier die!

    11. Phipu Says:

      Fällt mir erst jetzt auf:

      Jens,
      Hast du im Titel absichtlich „Lieblingwörter“ (ohne Genitiv-S) geschrieben? Es würde durchaus zum Thema passen. Nach Duden ist zwar auch das falsch. Solange du es nicht korrigierst, hast du aber wenigstens einen Google-Eintrag auf sicher.

      [Antwort Admin: Merci für den Hinweis. Nö, hatte ich einfach nur vergessen. Auf Google-Einträge bin ich nicht so scharf. Die wird man nie wieder los]

    12. Helza Says:

      Durestiere hat meiner Meinung nach durchaus etwas mit dem Stier zu tun, der mit dem Kopf durch jede Wand rennt, wenn er wütend ist. Also mit Kraft etwas durchdrücken, das man unbedingt erreichen oder haben will. Wie sagte unsere Anita Weyermann einst so schön: „Gring ache u seckle“. Zwänge tut jedes Kleinkind im sogenannten Trotzalter. Bei Erwachsenen, meistens Politikern, spricht man wohl gerade deshalb von Zwängerei, weil kleine Kinder, die zwängen, keinem logischen Argument mehr zugänglich sind, sondern in ihrer Wut nur noch wild um sich schlagen, bis sie erreicht haben, was sie wollen. Dann stellen sie das Geheul ab, wie wenn sie einen Schalter umlegen wüden und strahlen einen glücklich an.

    13. Phipu Says:

      An Helza
      Für „alte“ Blogwieseler ist sogar „Gring ache u secke“ schon bekannt. Allerdings ist der Interpretationsspielraum über diesen Satz (siehe auch Kommentare) recht breit. Siehe hier:
      http://www.blogwiese.ch/archives/488

    14. lis Says:

      Da gibt’s den berndeutschen „Zwänggring“, der sonst zum „Zwänggrind“ wird und hochdeutsch am besten mir Trotzkopf zu übersetzen ist. Und „zwänge“ und „Zwängerei“ hat auch mit „ertrotzen“ zu tun: Etwas gegen den Willen der anderen erreichen (wollen).