Sydney 47 — Ein neuer Geheimcode im Radio?
Morgens in der S-Bahn unterwegs in der zusammenklebenden „Agglo“ von Zürich höre ich Radio 24 via Handy. Eins der netten Dinge, die ich mit meinem aktuellen Handy tun kann, ausser Spielen, Termine verwalten, Surfen, E-Mails lesen, die Himmelsrichtung bestimmen, einen Alarm konfigurieren, die Aussentemperatur bestimmen, die aktuelle Position auf Mutter Erde bestimmen, den Blutdruck messen, Kalorien zählen, und, ach ja, sogar telefonieren kann ich mit dem Ding, wenn es dann noch Saft hat.
Das eine Lied im Radio war gerade beendet, der nächste Song hatte noch nicht angefangen, als der Moderator deutlich vernehmbar „Sydney 47“ in mein Ohr flüsterte. War das der Name der Gruppe, von der der letzte Song stammt? So etwas wie die „Gruppe 47“, das berühmte Schriftstellertreffen in der Nachkriegszeit, mit Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki in vielen Diskussionen vor dem grossen Zerwürfnis? Aber die schrieben keine Musik, sondern vergaben Literaturpreise. Wahrscheinlich war „Sydney 47“ bereits der Name des nächsten Stücks, welches nun erklang? Oder war es vielleicht wieder ein geheimes Code-Wort, so wie „Zurigo Zurigo Zurigo“ im Glattzentrum. „Sydney 47“ bedeutet wohlmöglich, dass es in einem Tunnel brennt, oder dass gleich Zürich evakuiert werden muss, weil sich ein vollgetanktes Flugzeug von Kloten her im Tiefflug nähert und die Kurve über Wallisellen nicht geschafft hat?
Ich schaute auf die Uhr, um mir diesen wichtigen Zeitpunkt zu merken. Da wurde mir alles klar. Es war genau 7:47 Uhr. Nix mit Sidney oder geheimes Codewort, das war eine hundsgemeine Zeitansage, allerdings auf Schweizerdeutsch. Kontext ist alles, ein Uhrzeit auf Schweizerdeutsch ohne Kontext, und schon beginnen die Verschwörungstheorien und Katastrophenszenarien im Kopf eines Deutschen ganz von allein zu arbeiten. Auch nach sieben Jahren in der Schweiz. Man hört immer das, was man hören möchte. Das Gehirn versucht die Lautfolge einem Sinn zuzuordnen, und das ist ohne Kontext manchmal schwer.
Wenn Hollywood-Stars „out of context“ gezeigt werden, sieht das mitunter ebenfalls recht merkwüdig aus:
März 6th, 2008 at 15:34
Sieb nie zwänzg!
Wer braucht eigentlich solche Anweisungen? Und was sind zwänzg und warum sollte man sie nicht durchs Sieb schütteln. Wer aber vor allem braucht Zeitansagen im Radio, jede/r in diesem Land hat eine Uhr oder auch zwei, ja selbst die in Zürich jetzt überrepräsentierten Deutschen, die sich hier einer Beliebtheit erfreuen wie Schwarzafrikaner in Magdeburg und die Fast-Food Ketten bevölkern, sollen ja schon welche haben. Ja sie gehört ihm es ist siini und nicht sidnie. Was für ein Ferienziel, eigentlich heisst es Urlaub, da kommst Du nicht mit dem Auto hin, so wie auf Deutschland, in den Schwarzwald, da musst Du weit in das Exotische fliegen. Was für eine Assimilation nach nur sieben Jahren Aufenthalt schon an nichts anders mehr als an Ferien in Australien denken zu können. Reicht das für die vorgezogene Einbürgerung, sonst wären es ja noch so sibni an weiteren Jahren mit allen Anträgen, Abstimmungen und da wird ordentlich gesiebt. Das soll ja jetzt immer schwerer werden, Schweizer zu werden. Einen geheimen Dossier der SVP zufolge wird das Bügerrecht auch bei Schweizern überprüft, die länger als vier Wochen im Usland waren. Was hat es eigentlich auf sich mit diesem Usland. Das ist einem keinem Atlas, auf keinem Globus. Aber, einer, wo um sibnisibnvyrzg , noch nicht am Arbeitsplatz ist, kann eh nicht auf Einbürgerung hoffen
März 6th, 2008 at 18:33
Immerhin: Betreffend Argwohn und Angst vor Verschwörungen punktet unser Sidney-Träumer weit vorne!
Und die Rechnung des Spamfilters verlangt auch noch gerade eine 7.
März 6th, 2008 at 18:36
also gut, verhören ist menschlich….
http://www.youtube.com/watch?v=5OAgCBlzDng
aber nach 7 jahren schweiz erwarte ich schon, dass du die sprache endlich „lebst“ und auch endlich anfangst sie zu sprechen, jens. 😉
in diesem sinne, bis neulich
der wolfi
März 6th, 2008 at 18:52
Die Seitenhiebe gegen die SVP verwundern mich manchmal schon. Schliesslich zieht es ja trotzdem (oder eben deswegen) sehr viele von Norden hierher in ein bürgerlich regiertes Land, wo offenbar die Arbeits- und Lebensbedingungen besser sind als ‚ennet‘ dem Rhein, wo die Kommunisten mittlerweile wieder an die Macht kommen. (Mit der dankbaren Hilfe einer Regierungspartei). Doppelt interessant ist dies weil in dem Land viel Geld in die von den Kommunisten heruntergewirtschafteten Gebiete floss und weiter fliesst, was durchaus eine Belastung darstellt. Manchmal begreife das alles nicht so ganz. Die bürgerliche Politik verteufeln, aber die Frucht dieser Haltung ernten?
März 6th, 2008 at 20:26
@neuromat
ach, ist das wieder ein schöner Kommentar! 🙂
Ja, einer der um sydney 47 noch nicht schafft, kann wahrlich kaum darauf hoffen, jemals eingbürgert zu werden.
Wenn ich morgens noch im Halbschlaf Radio DRS drü höre, meine ich immer noch wie früher daheim den holländischen Sender drin zu haben. Es klingt genauso nett und ich verstehe ebenso wenig. Erst wenn ich realiert habe, dass das ja Schweizer sind, die mich so charmant aus dem Schlaf plaudern, weiß ich, dass ich jetzt wach genug bin, um aufzustehen. Und so ganz allmählich verstehe ich dann auch die Moderatoren.
März 6th, 2008 at 21:59
Natürlich sollte man das nicht zu ernst nehmen, zumal sich der Kontext ja auf Herrn Wiese bezieht, der nach sieben Jahren Schweiz uns hier glauben machen will, dass er sibni nicht versteht. Wenn man ernsthafter werden möchte, lässt sich vielleicht aiuch einmal die andere Postion einnehmen und dann lässt sich „das“ recht einfach erklären:
Die Seitenhiebe gegen die Deutschen verwundern uns manchmal schon. Schliesslich zieht man ja trotzdem (oder eben deswegen) sehr viele vom Norden in ein bürgerlich regiertes Land und nutzt deren hohe Arbeitskraft und das sich hieraus ergebende Steueraufkommen, die IV- und weiteren Sozialbeiträge. Doppelt interessant ist dies, da ausgerechnet unter der Pauschalisierung „Ausländer“ gerade die Population am meisten auf den Deckel bekommt, die am meisten Geld in die (auch ohne Kommunisten)heruntergewirtschafteten Sozialsysteme steckt und am wenigsten von diesen Systemen in Anspruch nimmt, was durchaus eine enorme Entlastung darstellt. Manchmal begreife ich das alles nicht so ganz. Es ist auch nicht leicht zu verstehen, wie einzelne Persönlichkeiten dabei aufkippen können, wie sie genau das tun, wofür sie andere anklagen. Die Sozialpolitik verteufeln, aber deren Früchte jahrelang ernten. Benimmkurse empfehlen, mangelnden Integrationswillen unterstellen, aber die faktische Integration versuchen zu erschweren. Das will alles nicht zusammen passen. Es darf auch offen bleiben, ob diese Haltung eine freiheitlich-bürgerliche Haltung ist und ob dies ueberhaupt irgendwelche zu erntende Früchte trägt.
Dann noch ein Verständnisproblem. Tellerrand, der irgendwie von der Bildfläche verschwunden ist, hat einmal ungefähr geschrieben der Ton in der Schweizer Politik sei ihm zu kriegerisch, martialisch, kämpferisch oder so – das erscheint in dem Begriff Seitenhieb wieder. Es ist aber gar kein Hieb. Es ist ein ironischer Text mit einem kritisch ueberspitzten Hinweis und keine Kampfansage. Aehnliches drückt sich auch zum Beispiel in Darstellungen(Weltwoche) wie: Der von Deutschland vom Zaun gebrochene Steuerkrieg aus. Krieg. Was für ein Krieg?
Noch eins, noch ernster (obwohl man dies eigentlich ja gar nicht sagen sollte, tue ich es trotzdem wieder):
Es gibt einzelne Stimmen auch in der SVP, die es nicht unproblematisch finden, wie mit bestimmten Einbürgerungsanträgen Leistungswilliger umgegangen wird im Vergleich zu anderen Verfahren. Hingegen gibt es auch in der SP isolationistische Haltungen und „ewig Gestrige“.
von mir wollte er jetzt 7+1 wissen …, na ja, mein Handy hat auch einen Rechner
März 6th, 2008 at 23:29
Die bedeutung von „Sydney 47“ habe ich blamablerweise nicht auf Anhieb verstanden, aber dann ist „de Zwanzger abegheit“. Ich muss schon sagen: gut zugehört, Jens! Es stimmt, einige Deutschschweizer sprechen das Wort „Sibni“ zuweilen auf eine seltsam schlampige Art aus; nämlich so, dass das „b“ irgendwie verschwindet („Si’ni“). Dass beim Zuhörer dann etwas Ähnliches wie „Sidni“ ankommt, ist gar nicht so abwegig. Manche erinnern sich dann wohl auch an jenen Seeräuber mit dem „r“-Sprachfehler in den Asterix-Comics, der z.B. aus dem Mastkorb aufs Schiff hinunterruft: „‚öme‘! Eno’m viele ‚öme‘!“
März 7th, 2008 at 8:51
Es ist tatsächlich wahr, es handelt sich hier um eine Verschwörungsmeldung, und einige haben sie sogar schon richtig interpretiert oder zumindest richtige Spuren (wie z.B. Comics) eingeschlagen. Die Botschaft lautet ganz einfach. „Deutscher, geh früher zur Arbeit!“
Was, nicht verstanden, weshalb?
Ist doch ganz einfach:
Fangen wir mit dem schrittweisen Aufschlüsseln an:
1) Alle, die erst um 7.47 Uhr Radio hören, sind sowieso Zürcher und Genfer, denn in den anderen Städten ist „man“ vorher in den Büros. Die Mitteilung war garantiert an einem Montag gestreut worden. Denn der Code 747 heisst, dass man schon spät dran ist. Nicht verstanden?
Logisch, es geht doch, um den Songtext der Bangles. Im Lied „Manic monday“ singt Susanna Hoffs, dass sie (erst) um 9 im Büro sein müsse. Und wie sie singt, würde ihr eine Boeing (Achtung auf die Zahl:) 747 (oder ähnlich) auch nicht mehr reichen, um es rechtzeitig zu schaffen.
http://www.sing365.com/music/lyric.nsf/Manic-Monday-lyrics-The-Bangles/9ED9658EEEDA61FC4825697D003210D0
Wer schon soweit verstanden hat, entdeckt auch den klaren Hinweis, auf den „early train“. Davon haben wir in der Schweiz mit meistens Halbstundentakt zwar eine andere Vorstellung, als etwas, das vor neun ankommt.
2.) Es ist ausserdem Absicht, dass „sibni“ wie „Sydney“ ausgesprochen wird. Damit lernen aufmerksame Hörer auch gleich die Zeit kennen, zu der sie eigentlich unterwegs sein sollten. Nicht begriffen, weshalb?
Ist doch klar. Welche Gedankenassoziationen kommen euch zu Sydney? Noch nie was von Tim und Struppi gehört? Nun, das kann heute auf Französisch oder Berndeutsch auch [Täntän & Milou] heissen. Und wie heisst der Flug, der nach Sydney geht? Nr. 714!
http://www.thalia.ch/shop/home/artikeldetails/taentaen_flug_714_uf_sydney/herg/ISBN3-85654-903-X/ID10622017.html
Also, um 7.14 sollte man eigentlich unterwegs sein.
3.) Wieso komme ich aber auf Deutsche?
Das ist doch auch ganz „klar wie Kloßbrühe“ (durchsichtig wie Fleischchügelibouillon). Alle Deutschen in der Schweiz kennen die Blogwiese. Und was fällt diesen aufmerksamen Lesern auf, wenn sie den Buchtitel „Flug 714 uf Sydney“ (auf Bärndütsch übrigens [Ssid-nèii]) lesen? Eben, es heisst „uf“ und nicht „nach“ vor der Zielangabe. Kommt ihr jetzt „draus“? In welchem Zusammenhang steht „auf“ statt „nach“? Natürlich mit „auf Deutschland“.
http://www.blogwiese.ch/archives/761
Ist doch nicht so schwer, ein leichter Anflug von Paranoia reicht, und man versteht jede Verschwörung „richtig“. Noch richtiger versteht man Komplotte, wenn man der „noch richtigeren“ Partei angehört (bravo, auch diese zum Ziel führende Spur wurde hier schon ansatzweise aufgenommen).