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Nichts wie raus hier — Die Schweizer und ihr Schulsystem

  • Einschulung erst mit sieben Jahren
  • Das Schweizer Schulsystem als Deutscher verstehen zu wollen, ist ein schwieriges Unterfangen. Es beginnt mit der Einschulung. Kein Land in Europa schult so spät ein, wie die Schweiz. Erst mit sieben Jahren beginnt hier die Schulpflicht. Die Grundschule heisst Primarschule und geht fast überall 6 Jahre. In Deutschland dauert sie 4 Jahre. Danach kommen die Kinder in der Schweiz auf die dreijährige „Sekundarschule“, kurz „Sek.“

    In Deutschland verteilt sich der Schülerstrom im fünften Jahr auf die Hauptschule, Realschule und das Gymnasium. Viele (ex-)sozialdemokratisch regierten Bundesländer haben zusätzlich die Gesamtschule eingeführt und das vorhandene „dreigliedrige“ Schulsystem teilweise dadurch abgelöst. In der Schweiz gab es die Varianten „Oberstufenschule“, „Realschule“, „Bezirksschule“, die Bedeutungen variieren von Kanton zu Kanton.

  • Kanti, die Schule des Philosophen
  • Das Pendant zum deutsche Gymnasium wird in der Schweiz meist „Kanti“ genannt, nach dem berühmten Deutschen Philosoph Immanuel Kant. Je nach Kanton existiert auch die Bezeichnung „Mittelschule“ oder „Gymi“ (was wie „Gimmi Shelter“, einer Platte der Rolling Stones, ausgesprochen wird). Das Kanti wird vom Kanton finanziert.
    Das Kanti in Bülach

  • Die Hefte und Stifte werden bezahlt
  • Anders als in Deutschland, wo sich die „Lehrmittelfreiheit“ nur auf die vom Staat gestellten Bücher bezieht, werden in der Schweiz auch das Schreibzeug, die Füller und Hefte von der Schule gestellt. In Deutschland müssen die Eltern eines Erstklässlers vor Schulbeginn mit einer detaillierten Einkaufsliste in ein Schreibwarengeschäft gehen und Schreibhefte und Schulmaterial im Wert von locker 80 CHF einkaufen, selbstverständlich aus eigener Tasche zu bezahlen. Die Liste wird von der zukünftigen Klassenlehrerin (in der Grundschule sind männliche Lehrer immer noch die absolute Minderheit) per Post zugeschickt. Schulbücher werden nur ausgeliehen und müssen in Deutschland immer länger verwendet werden. So kann es passieren, dass in Erdkunde Kartenmaterial verwendet wird, auf dem noch das geteilte Deutschland zu bewundern ist. Aber auch in der Schweiz brachte unsere Tochter Schulbücher mit nach Hause, die schon 12 Jahre alt waren und in denen noch die alte Rechtschreibung gelehrt wurde.

  • Schule ist Pflicht
  • Die Schweizer sprechen vom „Schulobligatorium“. Die Deutschen nennen es „Schulpflicht“. Die Pflicht ist also obligatorisch. Wer nicht zur Schule geht, und ihr fernbleibt, hat eine Absenz. Im Zivildienst in Deutschland lernte ich diesen Begriff kennen für den kurzen „Bewusstseins-Aussetzer“ eines Epileptikers, das vorübergehende Wegdämmern auf Grund von zu starker Dosierung von Antiepileptika. Hier haben sie alle Absenzen, sowohl in der Schule als auch bei der Arbeit.

  • Schulhoheit bei den Ländern

  • Es gibt in Deutschland nur ein sehr schwaches „Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur“, denn die wahre Macht über das Schulwesen hat die Kultusminister-Konferenz. Hier wird darüber entschieden, ob das mit nur einer Fremdsprache abgelegte Abitur aus Nordrhein-Westfalen ausreichend ist, um damit an einer Universität in Bayern zu studieren, oder ob und wann die Rechtschreibreform verbindlich wird. Das jeweilige Bundesland zahlt die Gehälter der Lehrer, während die Stadt oder der Kreis für den Unterhalt der Gebäude und Räumlichkeiten aufkommen muss. In Baden-Württemberg werden 52% des Staatshaushaltes für Gehälter von Lehrern, Ministern, Polizisten etc. verwendet.

    Der Bund und die Kantone teilen sich die Verantwortung für das Bildungswesen, wobei die Kantone weitgehend grosse Autonomie haben. Im Bezug auf die obligatorische Schule (Primarstufe und Sekundarstufe I) ist auf nationaler Ebene seit Ende der 1980er-Jahre der Schulbeginn auf Mitte August harmonisiert worden. Die Bundesverfassung garantiert zudem einen freien Grundschulunterricht. Es ist damit durchaus üblich, dass Gymnasiasten die Kosten für ihre Lehrmittel selber tragen müssen. Auch erheben manche Kantone eine Gebühr für den Besuch eines Gymnasiums in Form eines Schulgelds, welches aber bei weitem nicht die wahren Kosten der Ausbildung deckt. Diese trägt das Gemeinwesen. Ausserdem stellt der Bund sicher, dass die Schulen den Qualitätsanforderungen genügen. (Quelle)

  • Die Flucht der Schüler aus der Schule
  • In der Schweiz beobachten wir als Deutsche ein ganz anderes Phänomen, das uns unerklärlich ist: Die hohe Anzahl von Schulabgängern nach der Sek-Stufe, also der 9. Klasse. Ich habe vor einiger Zeit eine solche 9. Klasse unterrichten dürfen. Es waren aufgeweckte und intelligente Jugendliche, sicherlich 25 % von ihnen hätte ohne Probleme die Kantonschule besuchen und die Matura (das Schweizer Abitur) ablegen können. Aber nur einer von 25 Schülern strebte dies an.
    Wie kommen junge Menschen dazu, bereits mit 14-15 Jahren genau zu wissen, dass sie nicht mehr zur Schule gehen wollen und stattdessen einen Berufsausbildung beginnen? Die meisten hatten schon in der 8. Klasse, in Sek 2. also, den Ausbildungsplatz gefunden und zugesagt, und mussten nun das letzte Jahr der Sekundarschule nur noch „absitzen“, dementsprechend gering motiviert.
    Oberstufenschule Mettmenriet Bülach

    Woher kommt dieser für Deutsche so ungewöhnlich frühe Wunsch, die Schule zu verlassen? Ist das System so schlecht, so wenig motivierend, so uninteressant, dass die Kids schulmüde werden und sich sagen: „Nichts wie raus hier“? Sind die Anforderung auf der Kantonsschule wirklich so viel höher als auf einem Gymnasium in Deutschland, dass sich so wenig Jugendliche eines Jahrgangs zutrauen, weiter die Schule zu besuchen? Schliesslich muss man dort ständig Hochdeutsch sprechen, nicht nur im Deutschunterricht. Oder liegt es an der so ganz anderen Sozialisation, die Schweizer Kinder durchlaufen. Bekommen sie unbewusst durch die Gesellschaft, das Elternhaus und das ganze soziale Umfeld beigebracht: „Nur wer schnell einen Beruf hat, zählt etwas im Leben“?

  • In Deutschland wollen alle das Abi machen und studieren
  • Wir können nur aus Deutschland berichten, wo der Abbruch der Schule vor dem von allen angestrebten Abitur immer irgendwie ein Scheitern bedeutet. Niemand hört freiwillig auf mit der Schule, bevor nicht das Abitur erlangt ist. Wenn es denn nicht anders geht, wird eben nur ein „Fachabitur“ daraus, oder die „Fachhochschulreife“ (= ein Jahr kürzer als das Abi). Schule ist cool, denn sie bedeutet viel Freizeit, viele Ferien, und wenn es wegen des verdienten Geldes ist: Einen guten Nebenjob kriegt man als Schüler auch. Dann wird erstmal studiert, egal was, denn wenn die Eltern es nicht finanzieren können, dann gibt es günstig das Ausbildungsdarlehen vom Staat, das „Bafög“ (nach dem Bundes-Ausbildungsförderungs-Gesetz), oder man findet als Student leicht einen Job, weil die Arbeitgeber da keine Sozialabgaben zahlen müssen, solange du an einer Uni eingeschrieben bist. Die zukünftigen Arbeitgeber haben sich darauf eingestellt. Eine Banklehre in Deutschland ist zwar bereits mit der „Mittleren Reife“ möglich (Abschluss nach der 10. Klasse Realschule mit einer zweiten Fremdsprache), in der Praxis werden aber nur Abiturienten genommen.

    Das Resultat ist natürlich eine Studentenschwemme, gefolgt von einer „Akademikerschwemme“. Viele dieser hochqualifizierten Deutschen flüchten dann ins Ausland, z. B. in die Schweiz, wo immer noch ein hoher Bedarf auf dem Arbeitsmarkt vorhanden ist. Oder sie werden Taxifahrer, wie einst der (noch) Aussenminister Joschka Fischer in Frankfurt.

    Natürlich gibt es auch in Deutschland Jugendliche, die nach der 10. Klasse eine Lehre beginnen wollen. Dennoch gibt es einen grossen Ansturm auf die Gymnasien. Jeder versucht es, jeder möchte so lange wie möglich weiter zur Schule gehen. Als eingeführt wurde, dass man nur mit einer „Empfehlung der Grundschule“ (d. h. sehr guten Noten) auf das Gymnasium kommen kann, habe viele Eltern über den Rechtsweg und dem Argument des „Grundrechts auf freie Schulwahl“ versucht, ihre Kinder dennoch in ein Gymnasium unterzubringen.

  • In der Schweiz machen sie am liebsten „das KV“
  • KV steht in Deutschland für „kriegsverwendungsfähig“, so wird man eingestuft, wenn man nicht mehr verletzt genug ist, um zurück an die Front zu müssen.
    Die Musiker kennen es als „Köchel-Verzeichnis“, dem Verzeichnis der Mozart-Werke, und die Ärzte gehören zwangsweise zur Kassenärztlichen Vereinigung um mit den Krankenkassen die Behandlungen der Patienten abrechnen zu können.
    In der Schweiz wollen alle ins KV, das steht für „Kaufmännischer Verband“, um eine KV-Lehre zu absolvieren. Das ist eine solide Ausbildung, vielseitig verwendbar. Man macht sich dabei die Finger nicht schmutzig, holt sich keinen Schnupfen, und an Computern darf man obendrein noch arbeiten.

  • Mit 19 schon erwachsen?
  • Mit 19 sind diese jungen Schweizer dann fertig mit der Ausbildung und beginnen ihr Leben allein zu gestalten. Ein Alter, in dem viele Deutsche gerade mal mit der Schule fertig sind und mit der Bundeswehr beginnen, ein freiwilliges soziales Jahr ablegen, Zivildienst machen oder als Au Pair ins Ausland gehen, bevor sie darüber nachzudenken beginnen, was sie denn eigentlich werden möchten.

    

    58 Responses to “Nichts wie raus hier — Die Schweizer und ihr Schulsystem”

    1. Liebe die Schweiz Says:

      Wir waren in der Pisa-Studie besser als die Deutschen – und das in Deutsch! Würden noch die Fremdsprachen getestet, wären wir den Deutschen haushoch überlegen. Wenn ich Deutsch im Ausland Französisch oder Italienisch sprechen höre, muss ich mir ein Lächeln auf den Stockzähnen verkneifen – es tönt richtig Deutsch.

    2. Mirakulix Says:

      Studieren in Deutschland ?

      In meiner Firma spricht man von Fachidioten, die in der Theorie klasse, in der Praxis einfach ungebildet sind. Auch der Grund warum jene kaum / oder nie den Meisterabschluss für technischen Werkstätten machen, sondern die Qualitätsmanagement anstreben. Der Grund liegt auf der Hand. Qualitätsmanagemant hat einen höheren Stellenwert als jeder Beruf in der Fertigung (Meister eingeschlossen!) und können Ihren ganzen theoretischen erlernten Mist anwenden, wobei auch noch manch Hilfsarbeiter nur mit dem Kopf schütteln kann. Das sind einfach alles Fachidioten. „Oh guck mal da, son Studierter schon wieder“, „Das kann doch nur ein hoch Studierter verzapft haben“ und solche Sprüche kann man in Deutschlands Firmen hören.

      Von daher: Obs nun gut ist, ob mehr schüler ein Studium anstreben, darf man an der Stelle doch bezweifeln!

      In einigen Bundesländern ists nun schon so weit, dass man für ganz normale kaufmännische Berufe am besten ein Abi mitbringt. Zum Schluss darf man dann die Ablage machen.

      Der Grund warum die Schweiz nicht genügend medizinischen Studienabgänger hat und Ärzte massenhaft aus Deutschland holt, liegt wohl nicht daran, dass der Schweizer zu blöd, „falsch“ erzogen oder sonstewas ist, sondern aus dem einfachen Grund, dass nie Bedarf auf Schweizer Seite bestand. Seit dem aber die Deutschen die Schweiz erstürmen, ist auch der Bedarf so hoch.

      Seit bloß froh, dass alles so ist wie es ist. Hier in Deutschland verdienen nun sogar die Abiturienten einen Hungerlohn für Arbeiten die auch ein ungelernter machen kann.

      Außerdem ist es immer besser einen schnelleren Draht zur Praxis zu bekommen, als nach 10-20 Jahren festzustellen, dass die Theorie ja wunderschön ist, man selber aber zu blöd ist diese auch im wirklichen Leben anzuwenden.

      Gruß

    3. Franco Says:

      Schweiz? No and never, thank you!

    4. Peter Says:

      Nervig ist für mich diese Überzeugung, dass Deutschland die deutsche Sprache gepachtet hat und dass darum alle Helvetismen bestenfalls süß, aber eigentlich falsch, sind.

    5. Livi Says:

      Hallo

      Ich finde es auch schlauer, zuerst einen Brotberuf zu erlernen, erst danach zu studieren oder einen weiteren Beruf oder Weiterbidlung anzugehen.

      LG Livi

    6. Feby Says:

      Tz. Was ist das denn für eine einseitige Meinungspublizierung.
      Abgesehen davon dass falsche Tatsachen verbreitet werden, ist dieser Bericht absolut unzulässig. Wenn dir die Schweiz oder unser Schulsystem nicht passt, wieso nutzt du es denn, indem du hier wohnst?
      Muss ja so sein, oder wieso befasst du dich mit einem Land, über welches du ohnehin nur negatives berichtest? Da verarbeitet jemand wohl einfach negative Erfahrungen…

    7. Dominic Says:

      Hier werden die Schweizer ja als Idioten dargestellt!
      Der Vorteil des schweizer Systems ist doch, dass man nach 9 Jahren direkt arbeiten kann, und auch im nachhinein noch eine Universität/Gymnasium besuchen kann, wenn man es denn immer noch will!
      Der grösste Vorteil ist aber der Berufsbegleitende Maturaabschluss.
      Arbeiten + Gymnasium in einem bei nur zwei Tagen Schule pro Woche!
      Geld verdienen und gleichzeitig einen Hochschulabschluss machen!

      Somit liebe Deutsche, ich bin doch froh, dass ich in der Schweiz lebe und vom hervorragenden Schulsystem profitieren darf!

    8. Mia Says:

      Der Thread ist zwar schon älter, aber am letzten Kommentar sieht man ganz eindeutig, dass die Schweizer das deutsche Bildungssystem nicht wirklich kennen. In diversen Bundesländern habe ich nämlich auch die Möglichkeit von derartigen dualen Ausbildungswegen. Man sollte nur über etwas negativ reden, was man auch wirklich kennt.
      Aber die schweizerische Arroganz ist ja wichtiger.