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Das tönt gut – oder – Über den schleichenden Prozess, ein Schweizer zu werden

Hinweis in eigener Sache:
Die Blogwiese war von Freitag 13.07.07 16:30 Uhr bis Samstag 14.07.07 17:28 gesperrt, „wegen Missbrauch“, wie uns der Provider mitteilte. Genaueres erfahren wir erst am Montag.

(zuerst veröffentlich am 17.09.05)

  • Wir leben in einem anderen Kulturkreis
  • Das Leben „in einem anderen Kulturkreis“ (Originalaussage eines Primarschullehrers über die Schweiz!) führt unweigerlich dazu, dass man nach und nach immer mehr Helvetismen übernimmt, ohne es zu merken.

    Bei den folgenden Beispielen merken wir deutlich, dass wir schon sechs Jahre hier sind. Denn langsam aber sicher werden die aufgezeigten Helvetismen Bestandteil unserer Standardsprache:

  • „Es rentiert nicht“, darüber nachzudenken (statt: Es rentiert sich nicht)
  • „Das Wetter ändert morgen“ (statt: Das Wetter ändert sich morgen)
  • Dazumal haben wir in Bern gewohnt“ (statt: damals haben wir in Bern gewohnt)
  • „Ich gehe heute in die Badi“ (statt: ich gehe in die Badeanstalt)
  • „Das können sie kehren“ (statt: Das können sie auch anders herum verwenden, das können sie umdrehen)
  • Ich mache noch ein Telefon“ (statt: ich erledige noch einen Telefonanruf)
  • oder

  • Mach mir doch es Telefon“ (statt: ruf mich doch einfach an).
  • Ich mach‘ Dir gern den Hengst, aber wie mach ich dir’s Telefon?

  • „Sprich mir auf meinen Beantworter“ (statt: … auf meinen Anrufbeantworter)
  • Der „Anrufbeantworter“ wird in Deutschland übrigens gern als „AB“ abgekürzt, was für das Leben in der Schweiz fatale Folgen haben kann, denn hier ist ein „AB“ die Abkürzung für den Abort, das Klo also.
    Sprich mir doch einfach auf’s Klo“ klingt das also in Schweizer Ohren, wenn sie sagen: „Sprich mir auf den AB„.

  • Es „klingt“ nicht in der Schweiz, sondern es „tönt„:

  • Noch so ein häufig verwendetes Verb, dass einem am Anfang sehr lustig vorkommt, bevor man unweigerlich dazu übergeht, es selbst zu verwenden. „Es tönt“ wird von den Deutschen als lustig empfunden, denn sie verwenden dieses Verb nur im Zusammenhang mit dem Volkslied „Es tönen die Lieder, der Frühling kehrt wieder“. In Deutschland tönt es nicht, da „klingt“ es, als ob wir Deutsche ständig mit Klingen aufeinanderdreschen würden. Es ist mit Sicherheit für Schweizer in Deutschland die gefährlichste sprachliche Falle, in die sie unachtsam tappen können. Einmal „es tönt“ gesagt, und sie sind von einem kundigen Deutschen als Schweizer entlarvt. Besonders leicht passiert dies bei der Bestätigungsfloskelt: „Das tönt gut.

    Die Schweizer bevorzugen die direkte, kurze Art der Ausdruckweise. Und weil das so schön praktisch ist und viel schneller geht, werden Sie, werter deutscher Leser in der Schweiz, über kurz oder lang auch anfangen, so zu sprechen! Das garantiere ich Ihnen.

    Dadäzue sage ich jetzt nix“ ist hingegen die Variante, etwas auf Schweizerdeutsch länger und komplizierter auszudrücken. Wir hatten immer „dadazu“ verstanden.

    Und in eigener Sache:
    Ich stelle mich grundsätzlich nur noch wie folgt vor:
    Mein Name ist Wiese, wie die grüne Wiese, ohne Ypsilon und ohne R“.
    Würde ich das nicht betonen, käme automatisch ein „Wyser“ beim Schweizer dabei heraus. In Basel kann ich noch die Erklärung „Wiese wie der Fluss: Die Wiese“ beifügen. Dennoch bin ich schon X-Mal als Herr „Wyser“ angesprochen worden. Warum? Das „R“ am Ende rollt so schön, und das allemanische Ypsilon als I-Ersatz steckt halt in den Genen der Schweizer.

  • Es gab einen Unterbruch (statt: es gab eine Unterbrechung)
  • Obwohl das Wort im Duden als Variante für „Unterbrechung“ aufgeführt wird, würde es ein Deutscher nie im selben Kontext verwenden. Mit „Unterbruch“ assoziiert der Deutsche höchstens Dinge wie den „Schwangerschafts-unterbruch“ oder den „Leisten-bruch„. Doch hier zeigt sich sehr deutlich, dass fast jeder irgendwann der Faszination und Eleganz des knapperen „Unterbruchs“ unterliegt, und anfängt, es selbst zu verwenden. Das tönt halt einfach besser.

    

    9 Responses to “Das tönt gut – oder – Über den schleichenden Prozess, ein Schweizer zu werden”

    1. mare Says:

      Bei „klingen“ gibt’s doch immer die Assoziation zu einer Melodie, bei „tönen“ assoziiert man nur einen Schall, den man vernimmt. Ob der dann hoch, tief, laut, leise, melödiös oder was auch immer sei, ist nebensächlich. „Das tönt gut“ heisst dann einfach „ich hab’s verstanden und es leuchtet mir ein, ich will es mir überlegen“. „Klingt gut“ ist einfach um einige Grade schöner und gefälliger und man denkt vor allem an den sound/Klang, nicht an den Inhalt.

    2. Anna Says:

      “Mach mir doch s’Telefon” – wer sagt denn sowas? Da klingeln bei mir die Alarmglocken, denn das klingt in meinen Schweizer/Aargauer Ohren sehr komisch 😉 Ich kenne nur den Ausdruck „Gib mir doch es Telefon“. Wortwörtlich genommen macht das natürlich auch keinen Sinn… aber ein Telefon „machen“, das können vielldeicht nur die Zürcher 😉 😉

    3. Psalmist Says:

      So, jetzt kann ich den Kommentar doch noch loswerden, den ich am Freitag geschrieben habe! Allerdings gibts ein paar Änderungen; meine Verschriftlichungsmeckereien hab ich dir, Jens, ja bereits vorhin am „Abschiedsbrunch“ mündlich mitgeteilt und habe im Gegenzug eine interessante Anregung bekommen. Du hast den Text nicht korrigiert; Kritik an der Schreibweise bekomme man immer, auch als Schweizer, und es stehe so da, wie du es akustisch verstanden hast.

      Trotzdem zuerst mal meine Verbesserungsvorschläge: Imo sollte es heißen „mach mir doch es Telefon“ (statt „s Telefon“ – ich find, der Witz mit dem Hengst funktioniert auch so noch…), und außerdem dadezue (Oder miraa (=BE meinetwegen) dadäzue), weil darin das wort dezue (oder däzue) vorkommt, das im CH-Deutsch kein a hat. Etymologisch ist deine Schreibweise aber einleuchtend 🙂

      Das Problem der Verschriftlichung von Schweizerdeutsch ist, daß es keine Regeln gibt – bzw. es gibt zwar Regeln, aber die kennt kaum jemand der vielen Schweizerdeutsch Schreibenden; außerdem will man sie gar nicht kennenlernen, weil man ja kein Standardschweizerdeutsch schreiben will, sondern seinen eigenen Dialekt (bzw. Idiolekt). Man verschriftet also nach Gehör. Da kommen halt dann solche Dinge raus wie „mach mir s Telefon“ und „dadazu“, die sich gesprochen absolut gleich anhören wie mit der von mir vorgeschlagenen Schreibweise. Trotzdem nehme ich (und mit mir wohl viele Schweizer) sie als falsch wahr und kann auch begründen, wieso (s.o.). Allerdings sind es keine akustischen, sondern grammatische Argumente, die ich da benutze. Steht also die Grammatik (die ja in dieser Sache sogar explizit als aufgesetzt abgelehnt wird) beim Schreiben von Schweizerdeutsch doch über der Akustik?

      Manchmal schreibe ich allerdings auch bewußt Dinge, die grammatisch falsch sind, weil sie unwesentlich näher am Akustischen sind, etwa „umbedingt“, „korigiere“, „wahrschindli(ch)“, „imfall“ oder „wükli“ (statt „würkli(ch)“). Dies wohl als Abgrenzung von Standards, um zu betonen, daß ich in meinem Idiolekt schreibe und deshalb die Regeln selbst bestimme.

      Manchmal mache ich mir auch den Spaß „d’ecrir de fras o frossä, mäs avec ün ortografii fonetic com si sch’ecrirerä o swiss allmo“. Allen Frankophonen stehen dabei natürlich die Haare zu Berge, und die Verständlichkeit leidet etwas, weil wir keine Buchstaben für Nasallaute haben (leider unterstützen die wenigsten Computersysteme altkirchenslawische Schriftzeichen, mit denen sich das Problem lösen ließe). Ähnlich subversiv ist die phonetisierende Schreibweise von „Ghetto-Englisch“, die vor einigen Jahren mit dem Rap zu uns kam. (Ganz amüsant ist in diesem Zusammenhang übrigens http://www.zedorock.net/.)

      Die Frage nach diesen Überlegungen gar nicht mehr so einfach zu beantworten: Soll ich Jens weiterhin auf Schweizerdeutsche „Orthographie-Fehler“ aufmerksam machen? Wenn sie so „eindeutig“ sind wie die obgenannten, juckt es mich schon in den Fingern. Andrerseits verschriftlicht er nach Gehör; damit ist klar, daß seine Orthographie bewußt subjektiv ist – wie meine Schweizerdeutsche Orthographie ja auch. Warum sollte ich ihm das Recht darauf absprechen, nur weil Schweizerdeutsch für ihn Fremdsprache ist?

      [Anmerkung Admin: Danke für die Tipps, ist schon eingebaut!]

    4. Psalmist Says:

      Und noch meine ebenfalls freitags geschriebene Klugscheißerreplik
      @mare:
      Akustisch ist ein Ton strenggenommen eine völlig trockene Sinusschwingung. Wenn man auf einem Musikinstrument einen „Ton“ spielt, dann ist das eigentlich bereits ein Klang (d.h. ein „Gemisch“ aus mehreren Tönen) – die Obertöne ergeben die charakteristische Klangfarbe eines Instruments.
      Musikalisch ist die Begrifflichkeit leicht anders. Weil man in der Musik (von experimentellen Ausnahmen abgesehen) kaum je reine Töne (im akustischen Sinn) spielt, wird die kleinste auf einem Instrument spielbare Klangeinheit als Ton (jetzt im musikalischen Sinn) bezeichnet. Z.B. ist der Ton „a“ auf einem Klavier der Klang, der sich ergibt, wenn man die „a“-Taste anschlägt, d.h. der Grundklang mit dem Grundton „a“. Als Klang bezeichnet man dann musikalisch die Übereinanderlagerung verschiedener Töne, also etwa Dreiklänge oder andere Akkorde.

      Offenbar hat der Begriff „Sound“, den du verwendest, sowohl akustisch als auch musikalisch die Bedeutung von „Klang“ – scheint mir ein Synonym zu sein (jedenfalls im Deutschen).

      Lange Rede, kurzer Sinn? Ähm,… deine Beschreibung des Unterschieds tönen/klingen ist mit der Fachterminologie vereinbar. (Eine Riesenerkenntnis, geb ich zu. Auch auf meine Beiträge trifft halt zu, was der gute alte Alf Poier weiland sagte: „i kann net jeden Tag n Welthit schreibn“.)

    5. Clina Says:

      Nein, wir ZürcherInnen machen auch keine Telefone. Wir sagen „ich gib Dir es Phone“ oder „ich gib Dir en Funk“. Dafür machen wir Emails „ich mach Dir es Mail“. Man beachte, in der Schweiz ist es das Mail, in Deutschland die Mail.

      [Antwort Admin: Ich hatte einen Kollegen, der hat mir stände „es Telefon“ gemacht. Den muss ich dir mal vorstellen. War ein Züricher]

    6. Thomas W. Says:

      Wer wurde denn von Dir mißbraucht, Jens? Oder ging es um Sprachmißbrauch?

      [Anmerkung Admin: Die Information steht noch aus. Scheint jemand via Blogwiese Spam verschickt zu haben, keine Ahnung wie. Keine weitere Auskunft vom Provider erhalten, ich frage weiter nach]

    7. Marroni Says:

      Lieber „Admin“, war echt nett, euch am Sonntag kennen lernen zu dürfen. Aber aber aber…so ein Fehler darf doch nicht mehr passieren! Es war kein “ Züricher“ sondern ein „Zürcher“, wir sagen ja auch nicht „Münchener“. Gruss.

      [Antwort Admin: Mein Gott, und das mir nach 6 Jahren Schweiz! Ich schwöre hoch und heilig, gesprochen habe ich „Zürcher“, aber beim Schreiben mogelt sich immer wieder so ein Standarddeutsch-I dazwischen, mehr zum Thema siehe hier: http://www.blogwiese.ch/archives/119 ]

    8. Psalmist Says:

      @Marroni und Admin:

      Ich schreibe auch oft versehentlich „Züricher“, obwohl ich selbst ein Zürcher bin! Das kommt davon, daß das Wort „Zürich“ viel häufiger zu tippen ist als „Zürcher“ und der Automatismus einem das i reinschmuggelt.

    9. Phipu Says:

      Auf Psalmist’s Hinweis hin und gegenüber http://www.blogwiese.ch/archives/19 ist es hier ja jetzt korrigiert. Es heisst tatsächlich „Mach mer no ES Telefon“ (mach mir noch EINEN Anruf) im Gegensatz zu „Danke für ’S Telefon“ (Danke für DEN Anruf). Möglicherweise kommt daher der ursprüngliche Fehler. So weit entfernt von der Hochdeutschen Grammatik sind wir also auch nicht. Der Einsatz von bestimmten und unbestimmten Artikeln ist gar nicht so aus der Luft gegriffen.