Kein Geld überweisen, aber Postulate
Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 14.09.06, Seite 15:
Der Zürcher Gemeinderat möchte, dass in öffentlichen Gebäuden nicht mehr geraucht wird. Ein Postulat der Grünen wurde klar überwiesen.
Ein Postulat, dazu meint unser Duden:
Postulat, das; -[e]s, -e [lat. postulatum]:
1. (bildungsspr.) etw., was von einem bestimmten Standpunkt aus od. aufgrund bestimmter Umstände erforderlich, unabdingbar erscheint; Forderung: ein ethisches, moralisches, politisches Postulat; ein Postulat der Vernunft; Eine weitere Pressekonzentration ist demnach unausweichlich. Fragt sich nur, ob diese Entwicklung mit dem Postulat Pressevielfalt vereinbar ist (Tages Anzeiger 19. 11. 91, 5); Ebenso deutlich war ein Postulat für die Erstellung einer Kunsteisbahn … abgelehnt worden (NZZ 1./2. 5. 83, 22); das Postulat von der welthistorischen Sonderrolle des deutschen Volkes (Fraenkel, Staat 209).
(Quelle: Duden.de)
Haben Sie auch bemerkt, dass die Belegstellen allesamt aus der Schweiz stammt? Dem Heimatland des gelben „Postautos“, dass erst kürzlich seinen 100sten Geburtstag feiern durfte? Postulate gibt es also häufig in der Schweiz, und wenn, dann werden sie stets „überwiesen“.
Die Kombination „Postulat überweisen“ findet sich bei Google-CH 513 Mal, bei Google-DE überhaupt nicht. Dabei tun sich doch die Schweizer sonst so schwer mit den Überweisungen, jedenfalls, wenn es ums Geld und ums Bezahlen von Rechnungen geht, und stellen sich lieber jeder Monat bei der „POST“ hinten an. (vgl. Blogwiese)
Doch unser Duden ist schlau. Er kennt das Postulat auch noch als bildungssprachlich und philosophisch:
2. (bildungsspr.) Gebot, in dem von jmdm. ein bestimmtes Handeln, Verhalten verlangt, gefordert wird: ein Postulat befolgen.
3. (Philos.) als Ausgangspunkt, als notwendige, unentbehrliche Voraussetzung einer Theorie, eines Gedankenganges dienende Annahme, These, die nicht bewiesen od. nicht beweisbar ist:
ein Postulat aufstellen; die Existenz Gottes ist ein Postulat der praktischen Vernunft.
Dann erst, wenn wir schon klein beigeben wollen, rückt er mit der eigentlich interessanten Information heraus:
4. (schweiz. Verfassungsw.) vom schweizerischen Parlament ausgehender Auftrag an den Bundesrat, die Notwendigkeit eines Gesetzentwurfs, einer bestimmten Maßnahme zu prüfen.
Jetzt ist der Zürcher Gemeinderat kein Parlament, aber die Verfahrensweise ist sicher ähnlich dort. Wenn also die Grünen ein „Postulat überweisen“, dann erteilen sie einen Auftrag, die Notwendigkeit einer bestimmten Massnahme zu prüfen.
Der letzte Satz des Artikels im Tages-Anzeiger lautet:
Das Postulat wurde mit 75 zu 19 überwiesen.
Also hat man darüber abgestimmt, dass die Zürcher Exekutive prüfen soll, ob das Rauchen in öffentlichen Gebäuden verboten werden soll. So eine Art „Eintretensdebatte“, bzw. die Abstimmung über die Aufnahme der Eintretensdebatte. Wenn wir das jetzt noch alles richtig auf die Reihe kriegen, wird über so eine Sache mindestens dreimal abgestimmt. Beim Postulat, das überwiesen werden soll, wird entschieden, ob sich die Exekutive damit befasst. Bei der Eintretensdebatte wird entschieden, ob darüber diskutiert wird, und dann kommt noch die Vernehmlassung, in der die beteiligen Tabakonzerne und Pro-Rauchen-Lobbys ihren Senf bzw. Rauch beisteuern dürfen. Dann stimmt das Parlament ab, und dann kommt das ganze nochmals zur Abstimmung vor das Volk. In der Zwischenzeit vergehen ein paar Jährchen. Demokratie kann ganz schön kompliziert sein in der Schweiz.
Wir fragten heute gleich die freundliche Nachbarin in der S-Bahn, was denn „ein Postulat überweisen“ eigentlich bedeutet. Ihre Antwort:
„Wie soll ich das wissen, das Frauenwahlrecht gibt es noch nicht so lange in meinem Heimatkanton..“
September 21st, 2006 at 8:18
Hallo Jens,
selbstverständlich ist der Zürcher Gemeinderat ein Parlament. Nämlich ein Kommunal-Parlament.
September 21st, 2006 at 9:26
„Jetzt ist der Züricher Gemeinderat kein Parlament, aber die Verfahrensweise ist sicher ähnlich dort.“ Doch, lieber Jens. Der Zürcher Gemeinderat ist die Legislative, also das Parlament der Stadt Zürich. Der Stadtrat ist die Exekutive, die Regierung der Stadt Zürich. Grüessli us Züri.
September 21st, 2006 at 10:24
Hier ein paar kurze Erklärungen, was ein Postulat ist. Man muss sich in den folgenden Fällen weniger mutig durch den Texte-Dschungel schlagen, bis man zu den richtigen Begriffen gelangt, als im Duden. (Eignet sich daher auch für S-Bahn-PendlerInnen)
http://de.wikipedia.org/wiki/Postulat_(Schweiz)
http://www.kantonsrat.zh.ch/Internet/fs1_main.asp?MNID=312
September 21st, 2006 at 10:31
@Jens
Bitte, nach so langer Zeit…. Zürcher Gemeinderat und nicht Züricher!
Und was ist der Zürcher Gemeinderat sonst, wenn nicht ein (Gemeinde- bzw. Stadt-)Parlament?
[Anmerkung Admin: Das war nicht Absicht und ist schon korrigiert, im gleichen Artikel habe ich schon ein paarmal „Zürcher“ geschrieben. Danke für den Hinweis]
September 21st, 2006 at 11:08
Nebst dem Züricher Gemeinderat ist die Sache auch sonst noch einiges komplizierter. Der Stadtrat verfasst einen Vernehmlassungsentwurf, der in die Vernehmlassung geht. Da dürfen alle Lobbies ihre Meinungen kundtun. Erst danach wird das Gesetz formuliert. Nun kommt es in die zustündige gemeinderätliche Kommission, wo nochmals darüber gefeilt wird. Erst danach ist das Parlament dran, und am Schluss das Stimmvolk.
Dies jedoch nur, falls die Gesetzesänderung dem obligatorischen Referendum unterliegt. Falls es nur ein fakulatives Referendum wäre, müssten zuerst Unterschriften gesammelt werden.
Und das alles auch nur, falls der Gemeinderat überhaut was dazu zu sagen hat. Das ist nämlich nur bei einer Gesetzesänderung der Fall. Ein Rauchverbot in Gebäuden, die der Stadt gehören wäre auch über interne Weisungen durchsetzbar, dann kann das der Stadtrat in eigener Kompetenz entscheiden.
Fazit: Die Legiferierung ist ein Kompliziertes.
September 21st, 2006 at 11:21
Wegen der Anzahl Abstimmungen: Da wird gar nicht mehr drüber abgestimmt.
Rauchfreie öffentliche Gebäude sind eine rein Verwaltungsinterne Sache und daher kann der Stadtrat das ohne weitere Rückfrage umsetzen. Kurz: Er hätte das auch ohne Postulat machen können.
Ausserdem „bittet“ ein Postulat nur darum etwas zu „prüfen“. Zu Deutsch, der Stadtrat kann druchaus das überwiesene Posulat im „Rundordner“ ablegen. Was übrigens fast der Normalfall ist…
September 21st, 2006 at 12:45
Gemeinderat: In Zürich ist dies die Legislative, in vielen Kantonan existieren in den Gemeinden die Gemeinderäte als Exekutive (die Zürcher müssen immer alles anders machen :-)). Die Gemeindeversammlung ersetzt in den kleineren Gemeinden das Parlament.
Im Gegensatz zur Motion ist das Postulat eher eine Bitte. Die Motion ist die härtere Variante, etwas zu erreichen.
September 21st, 2006 at 13:28
Ausserdem “bittet” ein Postulat nur darum etwas zu “prüfen”. Zu Deutsch, der Stadtrat kann druchaus das überwiesene Posulat im “Rundordner” ablegen. Was übrigens fast der Normalfall ist…
ist das tatsächlich so in züri?! eidgenössisch ginge das im fall nicht. überweisung ist ein prüfungsauftrag, auch wenn er als bitte formuliert wird. und wenn die exekutive zu lange schlampt, muss sie alljährlich in einem unsäglichen verfahren vor dem parlament erklären, weshalb sie nichts tut…
September 21st, 2006 at 13:29
Und ob dieses Verfahren so viel komplizierter ist als die drei Lesungen allein im Bundestag nach GOBT sei auch dahingestellt… (link siehe hier)
September 21st, 2006 at 13:52
Ups, wollte Original Michael nicht den Nick klauen 🙂
> ist das tatsächlich so in züri?!
Naja, natürlich muss der Stadtrat erklären, warum etwas (noch) nicht geht. Allerdings hier auf dem schriftlichen Weg und daher auch nicht sonderlich peinlich. Allerdings darf der Gemeinderat dann auch dazu sagen, ob er das auch so sieht. Falls nein wiederholt sich das ganze ein Jahr später. Nur interessiert das die Medien bei ca. 500 Geschäften logischerweise nicht sonderlich.
Drum hats in Zürich unerledigte Postulate aus dem Jahr 1991…
September 21st, 2006 at 14:15
aha, dann nähern wir uns verfahrensmässig wieder etwas. der bundesrat nimmt auch schriftlich stellung zu den eingereichten vorstössen und empfiehlt sie zur annahme oder ablehnung. danach muss „er“ aber schon liefern, wenn sie überwiesen werden (:-)). aber so wie du jetzt schreibst, ists wohl ähnlich. ich dachte bloss, wir müssten ein komitee zum schutz der politischen rechte im staate züri gründen;-)