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Nur nicht an Schwellkörper denken — Gschwellti in der Schweiz

  • Was schwillt denn da?
  • Im heissen Sommer 2006 konnten wir in einer Zürcher Kantine zur Mittagszeit unseren kulinarischen Schweizerdeutschen Grundwortschatz (vgl. Schweizer Essen) um eine weitere Vokabel ergänzen, die sich, nur so vom Lesen, ohne praktisches Beispiel oder Foto, einem Deutschen nicht leicht erschliesst. Die Rede ist von „Geschwellti“.
    Gschwellti sind Pellkartoffeln in der Schweiz
    Nein, geschwollen brauchen wir jetzt nicht daher reden, und auf die Pelle rücke ich Ihnen jetzt nicht, auch wenn die Dinger in Deutschland „Pellkartoffel“ heissen. Unser Variantenwörterbuch hilft weiter:

    Gschwellti CH nur Plur. (Grenzfall des Standards):
    Erdapfel: Erdapfel in der Schale / Montur A
    Schelfeler A-West(Tir.)
    Kartoffel: Geschwellte Kartoffel CH;
    Gekochte Kartoffel D-mittelost/süd;
    Gesottene Kartoffel D-südost
    Pellkartoffel D-nord/mittel „ in der Schale gekochte Kartoffel als Speise“. Vorgestern gab’s Gschwellti mit selbst gemachter Mayonnaise (Blick 28.1.1998,7)
    (Quelle: Variantenwörterbuch DeGruyter Verlag)

    Dennoch haben wir keine Ahnung, was „geschwellen“ mit Kochen zu tun haben könnte, oder mit „schwellen“. Eine Eisenbahnschwelle heisst der Holzbalken, über den die Tür gebaut wird, oder über den man Schienen verlegt.

    Der Duden meint:

    schwellen (st. V.; ist) [mhd. swellen, ahd. swellan, H. u.]:
    1. [in einem krankhaften Prozess] an Umfang zunehmen, sich [durch Ansammlung, Stauung von Wasser od. Blut im Gewebe] vergrößern: ihre Füße, Beine s.; die Adern auf der Stirn schwollen ihm; die Mandeln sind geschwollen; sie hat eine geschwollene Backe, geschwollene Gelenke; Übertragung: die Knospen der Rosen schwellen; die Herbstsonne ließ die Früchte s.; schwellende (volle) Lippen, Formen, Moospolster.
    2. (geh.) bedrohlich wachsen, an Ausmaß, Stärke o. Ä. zunehmen:
    der Fluss, das Wasser, die Flut schwillt; der Lärm schwoll (steigerte sich) zu einem Dröhnen; während der Donner … verhallte, schwoll (steigerte sich) der Wind zum Sturm (Schneider, Erdbeben 105).

  • Ist es schwelen und nicht schwellen?
  • Ob die Kartoffeln in der Schweiz anschwellen, wenn sie in heissem Dampf gegart werden? Oder hat es gar nichts mit diesem Wort zu tun, sondern kommt von „schwelen„:

    schwelen (sw. V.; hat) [aus dem Niederd. < mniederd. swelen = schwelen; dörren; Heu machen, verw. mit schwül]:
    1. langsam, ohne offene Flamme [unter starker Rauchentwicklung] brennen:

    Ob man in der Schweiz die Pellkartoffeln nicht gekocht, sondern über „schwelendem Feuer“ gedörrt hat?
    Aber das dauert doch viel länger als kochen über dem Feuer.

    Auf jeden Fall bringt es das Wort auf 734 Erwähnungen bei Google-CH, das meiste sind Rezepte.

    Die Lösung des Geheimnisses verdanken wir, wie so oft, dem alten Wörterbuch der Brüder Grimm, denn darin steht:

    im oberdeutschen ist schwellen sehr gewöhnlich in der bedeutung ‚etwas im wasser sieden, bis es weich wird, in siedendem wasser kochen,‘ bes. erdäpfel (kartoffeln), s. STALDER 2, 363. HUNZIKER 235. SEILER 267a. SCHM. 2, 630: o sprach Bruno, du wirst sie (die frau) swellen und essen mit dein czen. STEINHÖWEL decam. s. 565 Keller (9, 5); (man soll einer mastgans) trei mal im tage gersten, und inn wasser geschwöllten weytzen … zuessen geben. SEBIZ feldbau 111; er hat viel tag nichts dann einen geschwelten weitzen zu essen gehabt. RIVANDER 2, 222b. so auch (?): sawer und murrecht sehen, gleich als wann er ein pfann voller geschwelter teuffel gefressen hett. HÖNIGER narrensch. 30b.

    7) in Nürnberg bedeutet schwellen (schwach) auch fest schlafen und schnarchen. SCHM. 2, 630.
    (Quelle: Grimm)

    Dann wollen wir mal tun, was Bruno verlangt und unsere Frau essen, bzw wie in Nürnberg einfach tief schwellen.

    Na dann: En Guete!

    

    11 Responses to “Nur nicht an Schwellkörper denken — Gschwellti in der Schweiz”

    1. Guido Says:

      „Schwellen“ existiert auch nördlich des Rheins, in zwar in Form von „überwellen“, also etwas kurz in siedendes Wasser geben. Da die Schweiz kulinarisch kaum von Deutschland beeinflusst wurde, sagt aber hierzulande niemand überwellen; man spricht vielmehr von „blanchieren“.

    2. vorgestern Says:

      Überwellen habe ich in der Ostschweiz schon gehört, aber etwas abgewandelt. „En Wall gä“ = überwellen oder blanchieren.

    3. Christa Says:

      „Abwelle“ kenne ich vom Pilzen. Da rät mir die Pilz-Kontrolleurin jeweils bei einzelnen Sorten, die Pilze vor dem Verzehren kurz „abzuwellen“. Gemeint ist, die Pilze kurz in siedendem Wasser zu kochen.

    4. Barbara Says:

      Vollschock, Gschwellti mit Wienerli ! Wo , um alles in der Welt ,hat man Ihnen sowas aufgetischt ? Zu Gschwellti gehört zwingend eine schöne Auswahl an Käse sowie Butter.
      Ein schöner Znacht, ist schnell aufgetischt ( allerdings nicht billig, des Käses wegen ) und mit den restlichen gedämpften Kartoffeln gibt’s am nächsten Tag Rösti.

    5. Schwarzbueb Says:

      „e Wall gä“ sagt(e) man auch in der Nordwestschweiz.

    6. Says:

      Wienerli mit Gschwellti ist wirklich: 🙁

      Barbara hat absolut recht. Und Aromat gehört natürlich auch noch dazu… 🙂

    7. Bruno Says:

      Ob geschwellt oder gepellt (heisst doch so bei Euch?) ist Wurscht, -aber nicht mit Wienerli. Aber wie Barbara schreibt mit Käse und „Anken“. (Nicht Butter, liebe Barbara. Aber Aromat? Echt nein, – lieber ein Zieger.
      Kleines Kapitel zur Verarmung der Sprache in der Schweiz:
      Die Brötchen die heute in der ganzen Schweiz „Bürli“ heissen (weiss der Kukuck woher der Name kommt und was er bedeutet!?), hiessen in früher in Basel „Batzelaibli“. (Brot-Laib, nicht T-Shirt! das wär dann ein Liibli) Ein Batzen sind 10 Rappen. Und dafür gabs Brot satt. Das Geld war immer weniger wert, die Grossverteiler kamen und für 10 Rappen gabs fast nichts mehr. Zuerst liessen sie die Brötchen schrumpfen, aber als die Dinger so klein waren, das es lachhaft war und der Preis erhöht werden musste, wars geschehen ums „Batzelaibli“.

    8. Gufechüssi Says:

      @Bruno … so entstehen Gerüchte … bei uns heissen die Bürli immer noch Mütschli, die Semmeli sind Weggli und no ni lang här habe ich in Basel e Schwöbli erstanden …. Wenn Du im (Gross-)Bernbiet, d.h. inkl. Solothurn und Fribourg ein Bürli kaufen willst, outest Du Dich da unweigerlich als Zürihegel.

      @ Jens: Die vielen Namen der kleinen Brötchen wären vermutlich fast einen eigenen Eintrag in Deinem Tagebuch wert. Und wenn Du noch die Namensmöglichkeiten für den Anschnitt eines Brotlaibs dazunehmen würdest …

    9. Administrator Says:

      @Gufeschuessi
      Die Sache mit dem Brotanschnitt wurde hier schon ausfuerlich diskutiert
      http://www.blogwiese.ch/archives/310
      Gruss, Jens

    10. Bürli Says:

      Also in und um Züri gits Semelli und Bürli und das isch dän nöd ’s gliche.
      ’s Bürli ich hät die dünkler, dicker kruschte und isch us dünklerem mehl gmacht und ziemlich grossi löcher
      ’s Semmeli dägäge isch us wysmehl und finer.

    11. myl Says:

      @Bruno:
      geschwellt und gepellt ist definitiv nicht dasselbe:

      geschwellt = gekocht/gedämpft
      gepellt = geschält auf Schriftdeutsch (SD: gschellt)