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Wie lautet die Parole? — Freie Abstimmung in der Schweiz

  • Wie lautet die Parole?
  • Die Schweizer sind ein Volk mit besonderen Geheimnissen. Allen voran lieben sie selbstverständlich ihr „Bankgeheimnis“. Dies preiszugeben hiesse, ein Stück Identität zu verlieren, darum verteidigen sie diese letzte geheime Bastion wie ihren Augapfel vor der umgebenden, immer bedrohlich näher rückenden EU.

    Von der „geheimen Landesverteidigung“ mit clever versteckten Bunkern, und Panzersperren berichteten wir hier bereits.

    Bei all dem ist es von besonderer Wichtigkeit, trotz notwendiger Geheimhaltung den Kommunikationsfluss zwischen den Eidgenossen nicht abreissen zu lassen. Dazu dienen zum einen clever gezogene Telefonleitungen
    Telefonleitungen ohne Anfang und Ende
    in der freien Landschaft platziert, ohne Anfang, ohne Ziel, wie hier bei der Panzerpiste am Flughafen Kloten, und natürlich die geheimnisumwobenen „Parolen“, die mehrmals jährlich, meistens im Zusammenhang mit anstehenden Abstimmungen, im Tages-Anzeiger veröffentlicht werden:
    Parolen zur Abstimmung am 21. Mai 2006
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 13. Mai 2006 Seite 3)

    Da diese Parolen im Tages-Anzeiger für jeden zu lesen sind, können sie nicht ganz so schrecklich geheimnisvoll sein, wie wir uns das in unserer blühenden Fantasie ausgemalt haben:
    Ja: und Nein: und Stimmfreigabe:
    Das lässt sich ja leicht merken.

    Falls Sie sich als Deutscher nun fragen, was solche „Parolen“ in der Zeitung zu suchen haben, und das auch noch genau eine Woche vor einem Abstimmungssonntag, dann wollen wir das Geheimnis jetzt lüften: Am 21. Mai 2006 erfolgt die „Abstimmung über den Bildungsartikel“. Diese Abstimmung ist selbstverständlich frei, für alle gleich und geheim, wie sich das für die „ältesten Demokratien“ Europas ziemt. Diese Demokratie verdankt die Schweiz ganz nebenbei einem französischen Despoten namens Napoleon:

    Die 1798 von Napoleon ausgerufene Helvetische Republik schaffte sämtliche Untertanenverhältnisse ab und stellte alle Gemeinden einander gleich. Zudem führte Napoleon das Stimm- und Wahlrecht für alle Schweizer Männer ein. Mit der Bundesverfassung von 1848 wurde die direkte Mitbestimmung auf gesamtschweizerischer Ebene eingeführt. Neben der Landsgemeinde konnten die Stimmbürger nun über die Wahl ihrer Vertreter ins Parlament sowie über die direktdemokratischen Rechte mitbestimmen.
    (Quelle: virtor.bar.admin.ch)

    Vergessen Sie also mal ganz schnell ihre Vorstellung, die wunderbare Schweizer Demokratie sei sozusagen schon beim Rütlischwur von den Eidgenossen selbst erdacht worden. Nein, sie wurde einfach von diesem Franzosen von oben befohlen. Ein Grund mehr, heute an der Grenze zu Frankreich besonders wachsam zu sein und keine Franzosen ohne Papier mehr ins Land zu lassen. Man hat da so seine eigenen Erfahrungen in der Schweiz.

  • Freie, gleiche und geheime Abstimmungen
  • Frei“, denn sie findet am Sonntag statt, da haben alle frei.
    „Gleich“, jeder Schweizer hat eine Stimme, egal ob Mann oder Frau, wichtig ist nur der Schweizerpass, der sie etwas „gleicher als gleich“ macht, als einer von 5,8 Millionen Schweizern im Land der 7,4 Millionen Einwohner. Ach ja, das mit der „Gleichheit“ für Männer und Frauen, das hat in der Schweiz auch noch etwas länger gedauert als anderswo. Ein kleiner Vergleich dazu aus Wikipedia zum Thema „Frauenwahlrecht“:

    1906 dann Finnland als erstes europäisches Land. In Deutschland erlangten Frauen am 30. November 1918 mit der „Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung (Reichswahlgesetz)“ das aktive und passive Wahlrecht. Seit 12. November 1918 besteht auch in Österreich das allgemeine Wahlrecht für Frauen. US-Frauen erhielten 1920 mit der Verabschiedung des 19. Verfassungszusatzes das vollständige Wahlrecht. Großbritannien kam am 2. Juli 1928 hinzu. In der Türkei haben die Frauen seit 1934 (nach einigen Quellen auch erst 1935) das Wahlrecht. Als Frankreich sich im Sommer 1944 mit Hilfe der Alliierten von der deutschen Besatzung befreit hatte, erhielten die französischen Frauen, 1946 dann die Belgierinnen und die Italienerinnen ihre vollen Bürgerrechte. Die Schweizerinnen mussten bis zum 7. Februar 1971 warten. Der Kanton Appenzell Innerrhoden führte das Recht sogar erst 1990 ein.
    (Quelle: Wikipedia)

    Kleine Nebensächlichkeiten in der ältesten Demokratie Europas eben.

    Und „geheim“? Da sind wir wieder bei unseren „geheimen Parolen“. Damit alles schön geheim bleibt, kann der Schweizer nämlich vor einer Abstimmung lesen, wie die anderen so abstimmen werden. Besser gesagt, was die grossen Parteien, Verbände und Organisationen empfehlen, wie man abstimmen sollte. Wenn Sie also im Lehrerdachverband, im Arbeitgeberverband oder im Gewerkschaftsbund sind, dann ist das mit der freien und geheimen Wahl für Sie ganz einfach, denn die haben JA gesagt zum Bildungsartikel. Sind sie im „centre patronal“, dann heisst es NEIN für Sie.

  • Was ist eine Parole für die Deutschen?
  • Für die Deutschen ist eine „Parole“ etwas, dass sie aus dem Kinderbuch „Emil und die Detektive“ kennen. Dort war „Parole Emil“ das Stichwort für die gemeinsame Aktion aller Kinder

    Der Duden meint dazu:

    Parole, die; -, -n [frz. parole, eigtl. = Wort, Spruch, über das Vlat. zu lat. parabola, Parabel]: Kennwort (2 a):
    die Parole kennen, sagen, ausgeben; wie heißt die Parole?; am Tor will ein Posten nach der Parole fragen, sein Kiefer klappt töricht herab, als er in die Pistolenmündung starrt (Loest, Pistole 14).

    Aber das Wort „Parole“ hat noch mehr Bedeutungen:

    in einem Satz, Spruch einprägsam formulierte Vorstellungen, Zielsetzungen o. Ä. [politisch] Gleichgesinnter; motivierender Leitspruch: politische, kommunistische Parolen; die Parole lautet: …; Überall in Orgosolo und den Nachbardörfern stehen Parolen an den Hauswänden: Sardinien den Sarden (Chotjewitz, Friede 192); einen Spruch als Parole zum 1. Mai ausgeben; Parolen rufen, skandieren; der Parteitag stand unter der Parole: …; das war schon immer meine Parole (Motto).

    Aber es kommt noch schlimmer! Als letztes führt der Duden eine Bedeutung an, die uns in Zusammenhang mit der Abstimmung und den Parolen in der Schweiz arg zu denken gibt:

    3. [unwahre] Meldung, Behauptung:
    aufwieglerische Parolen verbreiten; den -n des Gegners keinen Glauben schenken.
    (Quelle: duden.de)

    Sollten die Schweizer sich durch solche „aufwieglerischen Parolen“ etwa bei der Abstimmung beeinflussen lassen? Fragen Sie doch einfach in den nächsten Tagen mal einen Schweizer oder eine Schweizerin in Ihrer Umgebung, worum es im Detail bei diesem Bildungsartikel eigentlich geht und wie er oder sie ganz geheim abstimmen wird. Sie werden verblüfft sein über den ausgezeichneten Bildungsstand der Eidgenossen in dieser Frage. Und falls Sie selbst nach Ihrer Meinung gefragt werden, antworten Sie doch einfach mit geheimnisvoller leiser Stimme: „Parole Emil!“.

    

    7 Responses to “Wie lautet die Parole? — Freie Abstimmung in der Schweiz”

    1. petra Says:

      Danke für diesen informativen und unterhaltsamen Beitrag!
      Falls du dich einmal einbürgern lässt, weiss ich schon jetzt wer da ins schwitzen kommt.

    2. Christian Says:

      Na ja, wenn Jens dann eingebürgert ist, wird er merken, dass es mit der „geheimen“ Wahl bzw. Abstimmung in der Schweiz nicht so weit her ist.

      Zwar heißt es im einschlägigen „Bundesgesetz über die politischen Rechte“ Art. 5, Abs. 7 lakonisch „Das Stimmgeheimnis ist zu wahren“, aber eben: wenn’s nicht geht, dann geht’s nicht.

      Der Schweizer bekommt seine Abstimmungs- und Wahlunterlagen nach Hause geschickt – und dort werden die Stimmzettel auch ausgefüllt, und zwar nicht erst, seitdem es die briefliche Stimmabgabe gibt.

      Die Institution einer Wahlzelle, wo man unbeobachtet sein Kreuzchen macht, ist hier zu Lande unüblich; das macht man zu Hause am Familientisch. Und jeder Schweizer kann dir Beispiele aufzählen, wo dieses Geschäft dann von *einem* für alle ausgeführt wird, z.B. vom Ehemann oder vom Papa, damit die Frau bzw. die erwachsenen Söhne keinen Blödsinn machen und „falsch“ wählen…

    3. Videoman Says:

      Kann mich noch an einem Beitrag im Frazösischen Fernsehen gesehen habe, als die Reporter erstaunt waren, dass ohne Wahlzelle abgestimmt wird. Die hatten halt vergessen zu sagen, dass man das Zeug zuhause erhält. Darin ist auch Literatur enthalten, die ich mit meinem ETH-Abschuss auch nicht verstehe.
      Bei uns zu hause wählen wir alle gleich, weil wir der selben Meinung sind. Bei den Abstimmungen ist es egal, dann schreibt jeder andere Namen drauf.

    4. viking Says:

      Mal abgesehen davon, dass meine Frau und ich keine Probleme haben, die Zettel voreinander auszufüllen (meist in Kombination mit einer letzten Abstimmungsdiskussion), gibt es ja noch die Verschärfung, dass ich die Abstimmungs- oder Wahlunterlagen der ganzen im gleichen Haushalt wohnenden Familienmitglieder mitnehmen und einwerfen darf. (Ob ich das tue, bleibt dem Vertrauen der restlichen Familie überlassen ;))

    5. Dan Says:

      Als mein Tessiner Mitbewohner für ein halbes Jahr die Schweiz verliess, habe ich ihm die ersten Wahlunterlagen, die während seiner Abwesenheit kamen, per Express nachgeschickt. In Deutschland wähle ich theoretisch einmal im Jahr (Kommune, Land, Bund, Europa) und das darf man nicht verpassen. Nun ja, die nächsten schweizer Wahlbriefe habe ihm per A-Post geschickt, nach paar Wochen habe ich die Sendungen zusammengefasst, da waren mehr Wahlbriefe als Cablecom-Werbung. Hat mich beeindruckt!

      Weil in Deutschland so selten gewählt wird, gehen wir auch immer gerne in die Wahlkabine (auch wenn es Briefwahl gibt). Man hat das Gefühl an einem kleinen Staatsakt teilzunehmen und trifft bei der Gelegenheit auch noch die Nachbarn. Zwischen den Wahlen lassen sich unsinnige politische Entscheidungen wie Abholzen von 70 Bäumen für ein überflüssiges Tiefbauprojekt nur durch Anketten an die Bäume eventuell verhindern. In der Regel muss man noch die Justiz bemühen, weshalb die in Deutschland vermutlich so gross gewachsen ist.

    6. Peter Gloor Says:

      Die geheimnisvollen Telefonstangen, die nirgends hin führen, gehören ziemlich sicher zur dortigen Kaserne der Übermittlungstruppen, deren Angehörige (ADA = Angehörige der Armee) daran üben können, sie zu besteigen und temporäre Anschlüsse anzuhängen.

    7. Weiacher Geschichte(n) Says:

      Die oben abgebildeten Stangen sind keine Telefonstangen, wie dies Peter Gloor und Jens-Rainer Wiese annehmen. Wären es Telefonstangen hätten sie die Isolatoren auf gleicher Höhe. Das hier sind STROMLEITUNGEN und jeder Armeeangehörige ist gut beraten, diesen Leitungen nicht näher zu kommen – denn da können schon einige tausend Volt drauf sein. Als alter Übermittler würde ich die Stange zwar besteigen um sie mittels Kabelträger als bequemes Trassee für eine Truppenleitung zu nutzen. Aber Leitungen anschliessen? Niemals! Das ist nur etwas für Profi-Stromer.