Wenn ein Schweizer in Berlin immer so „herzig“ ist — Beat Marti bei Aeschbacher
Der Schweizer Schauspieler Beat Marti spielt in der erfolgreichen Telenovela „Tessa – Ein Leben für die Liebe“ eine Nebenhauptrolle. Mit ihm sind es bereits drei Schauspieler aus der Schweiz, die in dieser Serie mitspielen. Am 23.03.06 war er zu Gast bei Aeschbacher im Schweizer Fernsehen. Das Interview wurde von Aeschbacher natürlich auf Schweizerdeutsch geführt, ich habe mir erlaubt, einen Teil daraus hier auf Schriftdeutsch wiederzugeben.
Aeschbacher: Hat man als Schweizer den Exotenbonus in Deutschland als Schauspieler?
Marti: Ja, es ist mühsam, man ist immer so herzig, ja wir sind Schweizer und so, sie schaffen immer mit den Klischees, vom langsam sein, ich kann es manchmal nicht mehr hören, unterdessen bin ich soweit, dass ich zum Schweizersein steh, dann sage ich halt einmal „Ich geb Dir ein Telefon“. Dort lachen sie eben, weil in Deutschland „macht man einen Anruf“, oder so, aber man gibt nicht das Telefon, die denken immer, du würdest mir das Telefon geben,
Aeschbacher „Danke fürs Geschenk“
Marti: Also so ja, es ist mühsam manchmal, ich find’s auch so.
Aeschbacher: Hat man denn manchmal das Gefühl, man hat Nachteile in der Besetzung, weil man sagt, man tut die Sprache so „hudeln“?
Marti: Nein, das nicht, es gibt einen Nachteil dort, wenn ein Kinofilm gemacht wird, wo richtig Berliner „berlinern“, dann haben sie natürlich vom Produzenten das Risiko, dass sie sagen „Sollen wir jetzt einmal einem Schweizer die Möglichkeit geben?“, aber nachdem der Bruno Ganz den Hitler gespielt hat, glaube ich das so.
Nun stellt sich uns die Frage, was angenehmer ist: Immer als „herzig“ beurteilt zu werden, oder mit dem Vorurteil „arroganter Grosskotz“ leben zu müssen. Den „Jööö-Faktor“ in Berlin richtig auszuspielen, dass ist die Kunst um die Gunst der Stunde als Schweizer in der Bundeshauptstadt zu nutzen.
Wir finden diese Formulierung sehr elegant und werden Werbung machen, dass sie auch im Standarddeutschen populär wird. Mit ein bisschen Sprachgefühl und Spitzfindigkeit liesse sich auch die hochdeutsche Formulierung „Einen Anruf machen“ falsch verstehen als Götzenanbetung oder „Anrufen der Götter“. Was uns mehr irritiert, ist die Formulierung „Mach mir doch s’Telefon„, denn das klingt schon sehr nach „Mach mir doch den Hengst“ (vlg. Blogwiese)
Als guter Schauspieler muss man in Berlin also auch „Berlinern“ können, um eine Chance zu haben. Ob es dazu bald an der Volkshochschule Kurse gibt für Schweizer Zugezogene? So wie die Migros-Clubschule in Zürich, die „Schwiizerdütsch für Ausländer“ anbietet, wie wir es in der Sendung QUER sehen konnten?
Wer „Berlinerisch“ lernen will, muss vor allem Vokabeln lernen, denn die Berliner haben für fast alles hübsche Spitznamen erfunden. Hier eine kleine Auswahl.
* Eierwärmer – Das Reichstagsgebäude mit der neuen Glaskuppel.
* Erichs Lampenladen – Spottname für den Palast der Republik bis zur Wende.
* Hohler Zahn – Spitzname der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Breitscheidplatz.
* Horch und Guck – Flüsterbezeichnung für die Stasi im allgemeinen und für das Gebäude des MfS in der Normannenstraße.
* Langer Lulatsch – Spitzname des Berliner Funkturms am Messegelände, der an einen langen schlaksigen Kerl erinnert.
* Sing-Sing – scherzhafte Bezeichnung für den Neubau der Deutschen Oper in der Bismarckstraße, doppeldeutig für „singen“ (in der Oper), und da die fensterlose Fassade angeblich an das New Yorker Staatsgefängnis „Sing-Sing“ bei Ossining erinnerte.
* Schwangere Auster – Spitzname der Kongreßhalle/Haus der Kulturen der Welt im Tiergarten.
* Tränenpalast – das Abfertigungsgebäude des ehemaligen Grenzübergangs Friedrichstraße
(Quelle und weitere Beispiele)
Das sind wir ja froh, dass wir in Zürich leben und wissen, dass man hier „das Tram“ sagt und niemals der „Züricher See„. Wir vermuten mal, dass das „Hallenstadion“ auch nur ein Spitzname ist, weil es da drin so furchtbar hallt, wenn ein Rockkonzert stattfindet. Oder nicht?
März 26th, 2006 at 11:09
Ich bin in Deutschland immer wieder dankbar für den Jööh-Bonus. Es ist manchmal so einfach, diesem Klischee zu entsprechen, aber doch nicht ganz – und damit Sympathie-Boni einzuheimsen. Ich versuche auch gar nicht, die Sprache völlig zu imitieren. Mir genügt folgendes Ergebnis vollauf:
Wenn ich ein Glacé kaufe (ich bestelle dann allerdings ein „Eis“), dann wird der Verkäufer jeweils ob meines Akzents neugierig und fragt mich: „Sie sind aber nicht von hier? Kommen Sie aus Bayern?“ Nein, noch etwas südlicher. Aus der Schweiz. „Ja, det geht!“
Deine Übersetzung scheint mir noch etwas holperiger zu sein, als das Gespräch lief (gesehen von mir in der Wiederholung). Mir ist etwas sprachlich neutrales aufgefallen (mindestens oral neutral): Warum kann ein Schauspieler seinem Gesprächspartner nicht häufiger in die Augen schauen, vor allem wenn er welche hat, die so ausdrucksstark sein können?
März 26th, 2006 at 12:23
@Thinkabout
Es ist fast ein Ding der Unmöglichkeit, dieses wörtliche Gespräch auf Hochdeutsch zu verschriften, das kann nur „holprig“ rauskommen. Die Sätze waren zum Teil nicht vollständig, die Betonung lässt sich nicht wiedergeben, meine Kommasetzung ist also immer auch eine Interpretation. Wer will, kann sich ja den Videostream ansehen. Mir ging es um die Kernaussage: Beat Marti ist es ein bisschen leid, immer „so herzig“ gesehen zu werden als Schweizer in Berlin.
März 26th, 2006 at 19:39
Nicht: Mach mir doch s’Telefon, sondern: „Mach mir doch ES Telefon“. Gleich wie „gib mir no-n-ES Telefon“ ( mach mir noch einen Anruf). „Es“ heisst nicht nur „es“ (ES isch schöns Wätter hüt), sondern ist auch der sächliche unbestimmte Artikel (ein), für Nominativ und Akkusativ. (Dativ: „em“, = einem) In diesem Satz ist es also nicht der bestimmte Artikel „`s“ (das). Das deutsche „es“ kann auch im Dialekt abgekürzt werden (z.B. „macht’s“). das Dialekt-„es“ (welches deutsch „ein“ bedeutet) nicht.
„Uf em See hät’S ES Schiff – Wie mängs? – ÄIS! – Es isch `S äinzige Schiff uf dem See.“ = Auf dem See hat ES EIN Schiff. – Wieviele? – EINES! – Es ist DAS einzige Schiff auf diesem See.
Bei männlichen Nomen, wie z.B. „der Hengst“ scheint es ja keine Verständnisprobleme zu geben.
Vor über 20 Jahren hatte die damalige PTT-Telecom einen Werbeslogan: „Sag’s doch schnell per Telefon“. Phantsievolle Hobbytexter passten diesen Satz schon damals an in: „mach mir’s doch schn…“
März 26th, 2006 at 20:38
Also zum Thema „Telefon“:
Ich habe eigentlich am meisten Probleme gesehen, wenn wir Schweizer in Deutschland jemandem „aalütä wänd“. Bei diesem Begriff haben die Deutschen dann nicht mal gemekrt, dass das etwas mit einem Telefon zu tun hat.
März 27th, 2006 at 22:33
noch eine wahre Geschichte von einer missverstandenen Schweizerin in D:
Die CH-Bürgerin ist mit zwei Deutschen im Frühling in einer deutschen Stadt am Spazieren. Die drei wollen in einem Restaurant was trinken und die CH schlägt vor: „gehn wir doch dort was trinken, die haben draussen gestuhlt“. Zuerst Stirnrunzeln und dann Gelächter bei den Deutschen.
Noch ein Wunsch an den Admin:
Sammle doch mal ein paar Akusativfehler. Man findet sie täglich im Tagi, am Tv und sogar ab und zu in der NZZ (zB. „in der Affäre sah Diana einer der Gründe für das Scheitern ihrer Ehe“ am 10.2.05 in 10vor10)
Ich kenne sogar einen Schweizer, der ohne mit der Wimper zu zucken sagt: „Dann nehmen Sie der Hammer und schlagen damit auf der Nagel“.
März 28th, 2006 at 10:12
Mir wurde gestern mein Natel und mein Portemonnaie geklaut. Als ich heute bei der Bank anrief, wurde mir gesagt, es müssten zuerst noch Abklärungen gemacht werden und man gebe mir dann ein Telefon. Das nenn ich Service. Hoffe, es ist so gut wie mein altes…
März 28th, 2006 at 20:44
„Wir vermuten mal, dass das “Hallenstadion” auch nur ein Spitzname ist, weil es da drin so furchtbar hallt, wenn ein Rockkonzert stattfindet. Oder nicht? “
Da musste ich schmunzeln beim Lesen …. An so eine Erklärung habe ich noch nie gedacht – für mich ist es ja klar, dass es so heisst, weil das Stadion in einer „Halle“ ist… : )
April 14th, 2006 at 17:29
Es gibt Schweizer die wundern sich wenn im Ausland die Bezeichnung NATEL nicht verstanden wird. Wieviele Schweizer wissen noch was das heisst? Wenige vermutlich. (Nationales Auto TELefon). Das war seinerzeit ein sperriger Holzkasten im Kofferraum. Zum telefonieren musste man auf einen Rastplatz. Zu der Zeit gabs in Deutschland allerdings noch fast gar nichts. Schon gar kein „Händy“.
Darum find ich’s eigentlich ganz gut, dass die immer denken wir sind langsam und wir diesen Bonus voll ausnutzen können. Wir überholen die „Doitschen“ immer wieder links. Wir sind nämlich „Haimlifaiss“. (Baseldeutsch: Heimlich Feist. Feist im Sinne von etwas haben, „dick“ sein, das man nicht teilt, nicht weitergibt.)
Ihr dürft uns „Doitschschweizer“ via Clichée-Pflege ruhig annektieren. Macht ja sonst keinen Spass mehr.
April 15th, 2006 at 14:17
@Bruno
Das hiess in Deutschland damals (zu NATEL-Zeiten) einfach C-Netz und danach D-Netz. Daher auch der Name e-plus für eine der ersten deutschen Mobile-Firmen auf dem E-Netz.
Da viele der C-Netz Telefone von SIEMENS waren, nehme ich mal an, dass Deutschland da nicht sehr hinterhergehinkt ist.
April 17th, 2006 at 14:48
Ohne Deutschland kein kofferraum
März 21st, 2007 at 11:21
Die genannten Beispiele für Berliner Namen/Bezeichnungen existieren wohl. Jedoch muss ich all Urberlinerin bemerken, dass sie im alltäglichen Sprachgebrauch kaum Verwendung finden (abgesehen vielleicht von ‚Erichs Lampenladen‘ und ‚Schwangere Auster‘, aber diese auch nur gelegentlich) und wohl auch nicht von jedem Berliner geschweigedenn Deutschem verstanden würden.