Wie wird man eine Kirmes-Bratwurst in Bern? — Nur per Ufnahmeverfahre
(reload vom 29.06.07)
Die Berner gründen gern Vereine wenn sie nicht in Bern verweilen, darüber hatten wir schon berichtet: Was machen die Berner im Zürcher Unterland? Einen Verein gründen. bzw. hier Was machen die Berner in Zürich? Auch einen Verein gründen.
Die in Bern verbliebenen Berner lieben die Bratwurst und gründen daher den „Verein Bärner Chiubigigle“, der sich statt mit „u“ am Ende mit einem „le“ schreibt. Wir haben ja inzwischen gelernt, dass das die übliche Mehrzahl ist. Ein Verein der Bratwürste also? Oder doch der „Kirmes-Deppen“?
(Quelle Foto: chiubigigle.ch)
Was genau dieser Verein eigentlich macht, war auf der lehrreichen und informativen Homepage, die ziemlich komplett auf Berndeutsch geschrieben ist, erst nach langem Suchen und Berndeutsch Entziffern zu lesen. Genau gesagt war der entsprechende Passus merkwürdiger Weise in der Katastrophensprache Hochdeutsch verfasst. Krisenanweisungen und Vereins-Statuten bitte nicht auf Bärndütsch? So lasen wir:
„Sinn und Zweck des Vereins ist die Erhaltung einer guten Freundschaft, das Erleben von gemeinsamer Freizeit und das Pflegen sozialer Aspekte.“
(Quelle: chiubigigle.ch )
Die „Erhaltung“, nicht der „Erhalt“, so wie „die Betreibung“ und nicht „der Betrieb“ oder „die Entscheidung“ und nicht „der Entscheid“, ach nee, das war ja anders herum.
Das „Ufnahmeverfahre“ (Titel auf Schweizerdeutsch) enthält einen interessanten Absatz, der wiederum auf Hochdeutsch geschrieben wurde:
Im November des laufenden Jahres werden alle Neubewerber zu einem Altstadtkehr eingeladen. Während dem Altstadtkehr muss jeder Neubewerber mindestens 10 Müntschis von verschiedenen Serviertöchtern der Altstadtkneipen einsammeln.
(Quelle: Ufnahmeverfahren)
Trotz der betont lässigen Verwendung des Schriftdeutschen hier rätselten wir doch über den „Altstadtkehr“ und die „Müntschis“. Sind das unter Umständen „Münzensammler“, die in der Altstadt mit Besen für den Kehraus sorgen? Vielleicht weil so viel Kleingeld im Trubel auf die Strasse fällt, dass sich der Einsatz von Kehrbesen lohnt.
Oder ist das Einsammeln von „Müntschis“ eben dieses „Pflegen sozialer Aspekte“, welches in den Statuten so deutlich als Vereinszweck bezeichnet wird? Fragen über Fragen. Gäste aus München werden die „Müntschis“ auch kaum sein, und „Schiss münt“ sie auch keinen haben, die „Müntschis“, so hoffen wir wenigstens.
Gönner-Werbung liest sich auf Berndeutsch übrigens so:
O das Jahr si mir wider uf dr Suechi nach Lüt, wo üs miteme chline finanzielle Bitrag unger d’Arme griife u üs mit däm z’einte oder angere Feschtli tüe ermögleche. Säubschtverschtändlech tüe mir üs o wider revangschiere, idäm mir o hür wider e Gönnerevent wärde organisiere. Mir fröie üs über jede u jedi, wo üs, sigs zum erschte oder aber o zum widerhoute Mau, tuet ungerschtütze. Im Gönner-Beriich finget dir aui nötige Ahgabe wo dr bruchit, zum Gönner wärde.
(Quelle: chiubigigle.ch)
Säubtschtverschtändlech braucht man auf Berndeutsch ein paar Buchstaben mehr, um sich auszudrücken. Auch die „üs“ und „ös“ sollten locker vom Hocker aus dem Handgelenk kommen.
Singen können diese lustigen Brodwurst-Fans übrigens auch, hören Sie selbst: Mir si d’Bärner Chiubigigle (189kb)
P. S.: Obwohl „Die Bratwurst“ weiblich ist, dürfen in diesen Bärner Verein nur Männer eintreten.
P. P.S: Falls sich genügend Mitglieder finden wollen wir uns demnächst als die „Verein der Unterländer Currywürste“ eintragen lassen gründen, aber bitte mit scharfer Sosse.
November 3rd, 2011 at 12:16
In der Zwischenzeit dürfte es sich herumgesprochen haben, dass das berndeutsche „Müntschi“ Kuss oder Küsschen bedeutet. Wörtlich verstanden ist es die Verkleinerungsform von „Muu(l)“, also von Mund. Man gibt sich im Bernerland nämlich Mündchen anstelle von Küsschen…
Hierzu noch zwei Anekdoten:
• Ein Bekannter von mir hatte vor längerer Zeit Kontakt mit einer Gruppe deutscher Germanisten. Sie stellten ihm Fragen zu Originaltexten von Gotthelf, mit dem sie sich damals gerade befassten. Da in diesen Texten, wie schon einmal erwähnt, sehr viele Dialektausdrücke und Helvetismen vorkommen, konnte er ihnen verschiedene nützliche Hinweise geben. In diesem Zusammenhang machte er sie auf einen Fehler in ihrer Untersuchung aufmerksam. Sie hatten das Wort „Müntschi“ in einer Fussnote als süsses Gebäck bezeichnet. Ob es zu jener Zeit schon Ferrero-Küsschen gab, weiss ich nicht. Jedenfalls war die Deutschen über diese Aufklärung dermassen erfreut, dass sie meinem Bekannten zum Dank einen ganzen Laib Emmentalerkäse schenkten!
• Eine ehemalige Kollegin von mir ist im Zürcher Unterland aufgewachsen. Als sie eines Tages von ihrer Taufpatin, einer Bernerin, Besuch bekam, gab das etwas schüchterne Mädchen der Frau zur Begrüssung bloss die Hand, worauf diese das Patenkind erstaunt fragte: Gibst Du mir denn kein Müntschi? Darauf machte das Mädchen rechtsumkehrt, holte in ihrem Zimmer ein Portemonnaie, kam zurück und übergab der Patin freudestrahlend ein Zwanzigrappenstück. Das gute Kind hatte die Bernerin missverstanden. Sie hielt das Müntschi für eine Münze …