Heute schon bös geschnitzert? — Neue Schweizer Lieblingswörter
(reload vom 11.5.07)
Ein Schnitzel ist etwas Feines, und dazu etwas extrem Deutsches, auch wenn es „Wiener Schnitzel“ genannt wird. Man kann es in Deutschland als „Zigeunerschnitzel“ oder als „Jägerschnitzel“ bestellen, je nach dem, ob man mehr Paprika aus dem Glas oder lecker Pilze aus der Dose dabei haben möchte.
Das „Schnitzel“ ist laut unserem Variantenwörterbuch Gemeindeutsch, es macht in Deutschland aber gern ein wenig Platz für das Schweizer „Plätzli“. Nein, so heissen keine kleinen Plätze in der Schweiz. Denn solche „Plätzlis“ kann man essen, sie sind ebenfalls aus Fleisch, zu erkennen am Beiwort, nicht an den Pilzen. Wir unterscheiden „Rindsplätzli“, „Schweinsplätzli“ (der wahre Kenner beachte das seltener Fugen-S!), aber auch „Saftplätzli“ (aus Saft gewonnen?) und „Huftplätzli“. Wobei dieses „Huft“ wahrscheinlich die Schweizer Kurzform für alle „Huftiere“ im Allgemeinen sein mag, keine Ahnung.
Mit den Deutschen „Plätzchen“ hat das alles wenig zu tun, die sind süss und heissen in der Schweiz „Guetzli“ oder „Biskuit“. Schnitzel werden geschnitten, und nicht „geschnitzelt“, obwohl diese Verben eng verwandt sind. In Deutschland kannten wir dann noch „Schnitzen“ als entspannende Freizeitbeschäftigung mit Messer und Holz. Dabei fallen „Schnitze“ ab, die können auch aus Obst erstellt werden. Apfelschnitze zum Beispiel. Aus dem Duden lernen wir, was schnitzen mit schneiden zu tun hat. Es ist die „Intensivbildung“:
schnitzen [mhd. snitzen, Intensivbildung zu schneiden]: a) mit einem Messer kleine Stücke, Späne von etw. (bes. Holz) abschneiden, um so eine Figur, einen Gegenstand, eine bestimmte Form herzustellen: sie kann gut s.;
b) schnitzend herstellen: eine Madonna s.; c) durch Schnitzen an einer Sache anbringen: eine Inschrift in eine Holztafel s.
(Quelle: Duden.de)
Doch dann gibt es ja da noch den Tages-Anzeiger mit seiner täglichen Lektion Schweizerdeutsch. In ihm lasen wir neulich:
Dass die Verantwortlichen der Zürcher Kantonalbank bös geschnitzert haben, steht fest. Nur, die ZKB ist eine Bank. Sie hat von Gesetzes wegen den Auftrag, Geld zu verdienen.
(Quelle: Tages-Anzeiger vom 5.5.07)
Eine Erfindung des Journalisten Bruno Schletti? Weit gefehlt, denn „böse“, „arg“ oder „grob geschnitzert“ wird laut Google-CH noch an 915 weiteren Stellen in der Schweiz. Erstaunlich, dass weder Kurt Meyer in seinem Schweizer Wörterbuch noch das Variantenwörterbuch aus dem De Gruyter Verlag diese Verbform erwähnt. Vielleicht haben die auch grob geschnitzert?
Ab sofort, beschliessen wir, werden wir nie wieder Fehler machen sondern nur noch grob schnitzern. Ein Schnitzmesser oder Schnitzermesser braucht es offensichtlich nicht dazu.
April 20th, 2011 at 17:20
Wenn der Duden schon schnitzern nicht kennt, so kennt er doch den Schnitzer im Sinne von Versehen. Es gibt im Dialekt wesentlich mehr Substantive, die sich zu Verben machen lassen, als in der Standardsprache. Bemerkenswert an diesem Beispiel ist der Umstand, dass das Wort Schnitzer in dieser Bedeutung im Dialekt ursprünglich nicht vorkommt. Ein Deutschschweizer hätte demzufolge eigentlich mehr Grund, sich über diese Wortbildung zu wundern, als ein Deutscher.
Stellt sich der Administrator vielleicht unwissend?
April 20th, 2011 at 23:17
Huftplätzli bezeichnen den Teil des Rinds, aus dem die saftigen Schnitzel geschnitten werdne, die Hüfte. Noch etwas feiner ist das Hohrückensteak, edler das Entrecôte (Zwischenrippenstück) und am feinsten das Filet mit der besonders zarten Spitze. Saftplätzli bezeichnen die Zubereitungsart. Sie sind aus einem billigeren Stück vom Rind und werden völlig von Saft (Bouillon, allenfalls mit Wein verfeinert) bedeckt, langsam bei kleiner Hitze geschmort, bis sie weich sind. Erst dann wird der Saft bei hoher Hitze eingekocht oder reduziert, derweil die Plätzli auf dem vorgewärmten Teller warten.
April 21st, 2011 at 8:29
Für alle, die noch Schweizerdeutsch-Nachhilfe brauchen (leider auch zunehmend indemische Sprecher) und solche, die die Blogwiese noch nicht so lange verfolgen:
An dieser Stelle muss ich wieder mal loswerden, dass die Endung „-lis“ (obenstehend in „Plätzlis“ verwendet) in Augen und Ohren etwa so sehr schmerzt, wie die deutschfalsche Mehrzahlbildung mit „-chens“ (Plätzchens, z.B.: „Ich finde die Plätzchens meiner Grussmutter einfach die besten.“). Das ist ganz einfach falsch. Mehr dazu hier, inklusive in den darin verlinkten Links:
http://www.blogwiese.ch/archives/722#comment-184971
http://www.blogwiese.ch/archives/18#comment-2145
http://www.blogwiese.ch/archives/1246#comment-1171086
April 23rd, 2011 at 16:14
Es gibt in der Schweiz keinen Dialekt in dem der Schnitzer im Sinne eines kleinen Fehlers angewandt wird.
Und von wegen Huft: Die Hüfte (Lende). Ganz einfach. Das was man beim Rind rausschneidet und beim Ehegespons scharf im Auge behält, wenns zu fett werden sollte.
April 25th, 2011 at 13:38
Geschnitzert lässt sich ja auch wunderbar mit „geschludert“ gleichsetzen 😉
Mai 5th, 2011 at 10:11
@ Phipu
Vor einiger Zeit kam auf Radio DRS 3, mit dem ich mein Wecker jeweils aus dem Schlaf holt, wochenlang jeden Tag just zur Weckzeit der gleiche Mundartwerbespot: «Autos chauft me bi Autoricardo» (oder ähnlich, jedenfalls mit diesem überflüssigen Plural-s).
Als ob es nicht schon Folter genug wäre, morgens früh aufstehen zu müssen: Nein, irgendein sprachlich unterbelichteter Werbetexter, auf dessen Visitenkarte vermutlich «Creative Director» steht, quält einen obendrein noch mit seinem inkompetenten Pfusch! 1. fordere ich alle auf, dort niemals ein Auto zu kaufen bzw. anzubieten; und
2. werde ich, wenn ich eines Tages Diktator bin, extra für solche Fälle die Prügelstrafe wieder einführen. 😉
Mai 6th, 2011 at 13:52
Plätzchens? Ich kenn nur Plätzchen und hab noch nie jemanden Plätzchens sagen hören.
Mai 8th, 2011 at 9:09
Als ich etwa 7 Jahre alt war, gab es an einem Festchen im Restaurant Fleischkäse, den ich nun gar nicht gerne ass. Da fragte mich die „Serviertochter“ (eine damals noch übliche Bezeichnung), ob ich denn lieber Schnitzel hätte. Nun meinte ich also das seien Apfelschnitze und sagte freudig zu. Als mir dann ein paniertes Plätzli serviert wurde, war mir das mega peinlich, weil das doch etwas extrem Feines und offensichtlich Teureres war. 🙂
Mai 11th, 2011 at 15:07
An Räuber Hotzenklotz:
Zugegeben, meine Zeilen und die dazugehörigen Links, die man eigentlich auch lesen könnte, sind etwas umfangreich. Hier also noch die Zusammenfassung meiner Aussage:
– Bravo an alle, die merken, dass „Plätzchens“ falsch ist, und es deshalb weder sagen noch schreiben.
– Pfui an alle, die nicht merken, dass „Plätzlis“ genauso kreuzfalsch ist, und dass das weder gesprochen noch geschrieben (ist ja sowieso Dialekt, deshalb grundsätzlich eher gesprochen) wird.
An Guggere:
Ich leide mit dir. Eine Zeitlang hörte ich ein Lokalradio, da wurde man, wenn auf den Strassen Action war, im Stundentakt, oder noch häufiger, mit dem Hochdeutschfremdwort-Mehrzahl-S in Dialekt-Wortfluss gequält. Der vermutlich schriftdeutsch notierte Werbetext wurde von der Sprecherin ohne „Schere im Kopf“ auf Dialekt aufgenommen (sinngemäss): „Verchehrsinfos mit der [Marke]-Garage [Familienname] z‘[Dorf]“. Die löst bei so Sprachsensibelchen wie mir einen Werbe-Abwehreffekt aus. Vorläufig strafe ich die Garage, die vermutlich nicht einmal etwas dafür kann, mit kommerziellem Ausweichen – bis ich es dann wieder vergessen habe. Das geschieht wahrscheinlich vor der Wiedereinführung der Diktatur als politisches System in unserem Land.
Mai 12th, 2011 at 8:31
Ein Wiener Schnitzel, so es von einem Restaurant auf der Karte angeboten wird, muss – zumindest in der Schweiz, wohl auch in AT – zwingend aus Kalbfleisch bestehen. Es gibt entsprechende Gerichtsurteile. Alles andere sind hundskommune Schnitzel zur Herstellung des beliebten Kindergerichts Schniposa.
Dezember 2nd, 2011 at 22:01
@Phipu
So umfangreich, dass du dich darin ständig selbst zitierst. 😉 Was ist eigentlich so schlimm daran, dass Menschen ohne gesundes Sprachempfinden zum Angelsachsen mutieren und von würde und Plätzlis sprechen? 😉