Enjoy your trip — Über die Zugansagen in Deutschland und in der Schweiz
(reload vom 10.5.07)
Ich sitze in einem Waggon der SBB und geniesse die Aussicht auf den Walensee. Soeben wurde ich von einer freundlichen weiblichen Lautsprecherstimme in drei Sprachen aufgefordert, die Fahrt zu geniessen. Besonders sexy finde ich die britische Aussprache. Oder ist das doch Amerikanisch? „Enjoy your trip!“ wäre in den 60ern noch als eine Aufforderung zum intensiven LSD-Genuss gewertet worden.
Die perfekte Aussprache der SBB Ansagen ist einerseits ein Hörgenuss, andersseits aber auch schrecklich langweilig und nervtötend, weil es immer exakt der gleiche Wortlaut ist, den man als Vielfahrer zu hören bekommt. Vielleicht bedeutet das blaue „Lautsprecher“ Lämpchen in Schweizer Zügen, dass man sich jetzt intensiv die Ohren zuhalten soll, um die Ansage nicht erneut zu hören? Nein, dieses blaue Lämpchen ist für Gehörlose. Sie wissen nun, dass sie soeben eine Ansage verpasst haben. Oder sollten sie sich nun auf die Suche nach einem Gebärdendolmetscher machen, der den angesagten Text für sie übersetzt? Was soll dieses Signal?
Dann schon lieber die stammelnde Wortakrobatik des Deutschen Schaffners auf der ICE Strecke von Zürich nach Stuttgart. Unglaublich, wie da die Phrasen geübt wurden und das beste Schulenglisch herhalten muss, um garantiert jede Haltstation der schwäbischen Eisenbahn zunächst auf Deutsch und dann auf Englisch vorzulesen. Haben diese Schaffner eigentlich eine Werbevertrag mit einer Sprachschule? So nach der Devise: „Wenn sie nicht auch so enden wollen, dann besuchen Sie jetzt unseren Kurs!“
Die Deutschen Schaffner müssen jetzt auch nicht mehr zu irgendeiner Sprechstelle im Zug laufen und einen Hörer mit Kabel aus einem abgeschlossenen Fach kramen. Nein, seit einiger Zeit geht das kabellos, Verzeihung, „wireless“ natürlich. Mitten im Abteil, während der Fahrkartentrolle, zückt so ein Bahn-Schaffner ein Handy ähnliches Gerät, sagt kurz den nächsten Bahnhof an und setzt dann die Kontrolle fort, als sei nichts gewesen. Wow! Soviel Mobilität ist im Jahr 2007 also möglich für das Zugpersonal, an ein PWLAN für alle Fahrgäste haben sie allerdings immer noch nicht gedacht.
Es fragte mich im Zug von Chur nach Zürich der Schweizer Schaffner, der sich lieber „Kondukteur“ nennt, beim Betreten des Zugabteils: „Alle Billette vorweisen bitte“, worauf ich ihm sagte: „Alle kann ich ihnen nicht vorweisen, ich habe nur eins“. Gleich wurde ich belehrt: „Ja, das ist weil sie sind nicht allein in diesem Abteil, es gibt noch anderen Fahrgäste.“
Was war passiert? Ich versuchte eine ironischen-flapsige Bemerkung loszuwerden und geriet an den knallharten Realitätssinn des Zugbegleiters. Er dachte sich wohl: „Dieser Fahrgast hat nicht verstanden, dass er mir nicht alle Billette im Abteil vorzeigen soll, sondern nur sein persönliches, also muss ich ihm meine Aussage doch erklären.“
Ironie im Alltag, als Deutscher in der Schweiz? Ein äusserst diffiziles und risikoreiches Unterfangen, wie dieses kleine Erlebnis beweist. Vielleicht hätte ich mit einem deutlich artikulierten „ho ho ho“ zum Ausdruck bringen sollen, dass meine Bemerkung als Scherz gemeint war. Lächeln allein genügt nicht.
Hatte ich schon den Duden-Eintrag zum Kondukteur erwähnt?
Kondukteur der; -s, -e fr. conducteur zu conduire „lenken, führen“, dies aus lat. conducere>: (schweiz., sonst veraltet) [Straßen-, Eisenbahn]schaffner.
(Quelle: duden.de)
Wie so häufig bewertet der Duden ein Wort aus der Schweiz als im übrigen deutschen Sprachraum „veraltet“.
Die Deutsche Bahn ist da kreativer und entwickelt, laut Wikipedia, ständig neue Abkürzungen und Bezeichnungen für die Herren und Damen Zugführer:
Im Regionalverkehr der DB AG wird der Zugführer intern auch als Kundenbetreuer im Nahverkehr/Bahnbetrieb (KiN B) bezeichnet. Er trägt das rote Zugführer-Armband auch hier, wenn ihm Zugschaffner (KiN) zugeteilt sind. Die Kundenbetreuer im Nahverkehr sind in kleinen Gruppen zusammengefasst; deren Leiter ist der Gruppenchef (KiN C). Der KiN S ist sein Stellvertreter
(Quelle: Wikipedia)
Den nächsten KiN B oder KiN C oder KiN S werde ich gleich befragen, ob ihm all diese Abkürzungen wirklich bekannt sind. Wahrscheinlich demonstriert mir der Gefragte dann gleich die hohe Kunst des „SABVA“. Das kennen Sie nicht? Das ist die oberste Direktive für Mitarbeiter im Support, wenn sie Angesichts eines schwierigen Problems vor dem Kunden keine Lösung wissen. Es steht für „Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit“.
April 13th, 2011 at 21:48
Hm, ich glaube der Vorfall im Zug ist tatsächlich gut geeignet für die Verdeutlichung des Mentalitätsunterschiedes Deutschschweiz/Deutschland. „Flapsige Bemerkungen“ werden oft nicht als Humor verstanden, weil der Schweizer Humor im allgemeinen nicht „flapsig“ ist. Das Wort „flapsig“ ist in der Schweiz kaum bekannt, und mir fällt auch keine präzise Übersetung auf Schweizerdeutsch dazu ein, am ehesten noch „blöd“ aber das trifft es nicht ganz. Wir Schweizer sind also in der Regel nicht flapsig, und eine flapsige Bemerkung eines Deutschen löst dann eher Reflexe aus wie: „Will der mich jetzt verarschen oder ist der so blöd?“ Ein Lächeln ist deshalb nicht klar genug weil sich die meisten Schweizer immer bemühen zu Lächeln oder zumindest ein freundliches Gesicht zu machen, wenn sie mit jemandem sprechen den sie nicht kennen. Der Schaffner hat das Lächeln wahrscheinlich eher als Verlegenheitsgeste gedeutet, weil er dachte es sei diesem Fahrgast peinlich, nur eine Fahrkarte zu besitzen, also erklärte er freundlich den vermeindlich doofen Touri den Sachverhalt.
April 15th, 2011 at 18:30
Wenn die Unterhaltung im Zugabteil auf Schriftdeutsch geführt wurde, ist die eher humorlose Reaktion des Kondukteurs erklärbar. Auch wenn man oft den gegenteiligen Eindruck bekommt, ist Schriftdeutsch hierzulande im Prinzip immer noch eine ernsthafte Angelegenheit. Der biedere Schaffner konnte sich ganz einfach nicht vorstellen, dass ein deutscher Fahrgast ihn in dieser Sprache auf den Arm zu nehmen versuchte. Dass das Wort „flapsig“ hierzulande nahezu unbekannt ist, tut in diesem Falle nichts zur Sache. Es ist aber durchaus denkbar, dass es sich irgendeinmal doch noch durchzusetzen vermag, wie z. B. die vor nicht allzu langer Zeit in der Schweiz noch unbekannten Wörter aufmotzen/aufgemotzt, frotzeln, Schnäppchen, tschüss und das meines Wissens aus Österreich importierte „eh“, im Sinne von sowieso.
April 16th, 2011 at 18:15
Komischerweise sagt man in BS/BL „tschüss“ zur Begrüssung, wahr- scheinlich an Stelle von Ciao/Tschau, obwohl tschüss eine Verballhornung von adieu ist. Ein sich ebenfalls breit machender und störender Import ist das Wort „insbesondere“.
April 17th, 2011 at 20:16
Das blaue Signal ist durchaus hilfreich, wenn man Musik über Kopfhörer hört und noch nicht mit den Ansagen und Haltestellen vertraut ist.
„Oh, da leuchtets – oh spricht wer!“
April 18th, 2011 at 10:15
Und wenns rot leuchtet: „Im Oberdeck dieses……….SBB Minibar…….“ ,-franz./-engl….). Unter dem Kopfhörer sitzend, setzt bei Vielfahrern dann schon beim roten Signal der Pawlowsche Reflex ein. 🙂
April 18th, 2011 at 19:35
@pfuss: höhö, das will ich sehen!
April 19th, 2011 at 7:52
An Pfuus:
Als Vielfahrer (allerdings meist im um einige Ansage ärmeren oberen Stock) und nicht Kopfhörerträger (und daher auch unfreiwilliger Zuhörer der Ansagen) erlaube ich mir die Bemerkung, dass auch bei der Ankündigung der Minibar die Lampe blau blinkt. Der Pawolowsche Reflex des Speichelflusses sollte also ebenfalls bei blau blinkender Lampe einsetzen. Rot leuchtet die Lampe, die eher das Nervensystem der Blase und Gedärme anregt. Das ist die, die ein besetztes WC anzeigt. Einige Leute erinnert das daran, dass sie ja eigentlich genau jetzt an ein Örtchen könnten müssen wollen.
April 19th, 2011 at 8:58
Eigentlich ist das ziemlich wurscht. Aber wenn ich den ersten Schweizer höre der „Mahlzeit!“ statt „E Guete“ sagt wander ich aus.
April 19th, 2011 at 20:16
@Bruno
Nach Deutschland?
April 19th, 2011 at 22:33
@Phipu
Doch blau? Ich war mir sicher, dass das Minibar Symbol rötlich erscheint…..
Aber ich gebs zu, bei mir setzt der Pawlowsche R. beim Brezel König ein.
@Brun(o)egg
Als Kind war mir das Wort Mahlzeit ein Rätsel, weil ich es mit einem guten Mittagessen einfach nicht in Verbindung bringen konnte. Obwohl wir bei Tisch auch „E Guete“ sagten, hörte ich es doch ausser Haus.
Sollte es wider erwarten je ein Schweizer aussprechen, dann wanderst du eben nach D aus. Und wenn du dann zurückkommst fällt es dir nicht mehr auf…..
So etwas nennt man dann eine systematische Desensibilisierung 😉
April 22nd, 2011 at 8:01
@ AnFra
Nur ein bisschen. Ins Tessin. Und dort meide ich die Mahlezeit und Lecker verseuchten Gegenden um Ascona.