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Think positiv! — Die lateinische Schweiz und ihre Dispositive

(reload vom 21.03.07)

  • Wer spricht eigentlich Latein in der lateinischen Schweiz?
  • Die Schweiz ist offiziell ein viersprachiges Land. Der Einfachheit halber werden drei dieser vier Teile der Schweiz oft zusammengefasst und als die „lateinische Schweiz“ bezeichnet. Eine durchaus gängige Wortkombination, die sich bei Google-CH 3’650 Mal belegt findet:

    In der lateinischen Schweiz war man sich einig: Was die Schweiz verbindet, ist nicht das Militär, sondern die AHV. Darum wollte die lateinische Schweiz die Armee halbieren und mit dem Eingesparten das Rentenalter auf 62 senken.
    (Quelle: uvek.admin.ch)

    Sprechen die Schweizer dort denn alle Latein? Nein, aber sie sprechen Sprachen, die auf das gesprochene Latein der Römer zurückgehen. Schon zu Zeiten Julius Cäsars sprachen in Rom nur die die gebildeten Senatoren und Schriftsteller das „klassische Latein“, wie wir es heute aus der Schule und durch die Asterix-Lektüre kennen. Es existierte in Rom eine ähnliche Zweisprachigkeit, wie sie heute in der deutschsprachigen Schweiz üblich ist. Für die öffentlichen Anlässe, für Reden im Senat, für Theateraufführungen und jede Art von offiziellem Schriftverkehr wurde das klassische Latein gesprochen und geschrieben, im Alltag sprachen die Menschen aber das sogenannte „Vulgärlatein“, eine Sprache, die sich vom klassischen Latein bereits früh unterschied:

    Mit Vulgärlatein wird das gesprochene im Unterschied zum literarischen Latein bezeichnet. Die Bezeichnung geht auf das lateinische Adjektiv vulgaris („zum Volke gehörig, gemein“) zurück (sermo vulgaris „Volkssprache“) und steht in klassischer Zeit im Gegensatz zum sermo urbanus, der literarisch kultivierten Hochsprache der römischen Oberschicht. Aufgrund der negativen Bedeutungsaspekte des Ausdrucks vulgär ist der neutralere Ausdruck Volkslatein oder gesprochenes Latein oder Sprechlatein vorzuziehen. Das Vulgärlatein ist nicht einfach mit „spätem“ Latein gleichzusetzen und als historische Sprachstufe aufzufassen, da es als Varietät des Lateinischen schon in den frühen Komödien des Plautus und des Terentius bezeugt ist und somit von einer frühen, bereits in altlateinischer Zeit einsetzenden Trennung von gesprochenem und geschriebenem Latein auszugehen ist, (…)
    (Quelle: Wikipedia)

    Ab dem Zeitpunkt, an dem das klassische Latein festgelegt und zur Schriftsprache wurde, entwickelte sich die gesprochene Volkssprache von diesem Sprachstand weg. Die heutigen romanischen Sprachen, darunter auch das Rätoromanische in der Schweiz, gehen alle auf Varianten dieses Vulgärlateins zurück, und damit nur indirekt auf das klassische Latein der Römerzeit.

  • Wir sistieren den Sukkurs
  • Dennoch finden sich in der Schweiz lateinische Begriffe in der Alltagssprache, die hier jeder zu kennen scheint. Wir hatten uns schon früher über die Begriffe „sistieren“ , „rekurrieren“ und den „Sukkurs“ gewundert, die in der Schweiz gängiges Alltagsvokabular sind. Jetzt stiessen wir bei der Lektüre der NZZ am Sonntag gleich zweimal auf das „Dispostiv“. Eine kleine Google-CH Suche brachte weitere Fundstellen:

    Die Gründe dafür sind noch nicht bekannt, da der Entscheid erst im Dispositiv vorliegt.
    (Quelle: www.tagesanzeiger.ch)

    «Unsere Polizei schützt die Wahllokale, die Amerikaner werden unsichtbar bleiben und nur auf unsere Anfrage hin einschreiten», erklärte Abdulrahman Mustafa Fatah, der Gouverneur von Kirkuk, im Gespräch sein Dispositiv.
    (Quelle: www.tagesanzeiger.ch)

    Ich würde mich nie wie die Fussballer getrauen, mich auf das Dispositiv anderer zu verlassen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

  • Think postiv, äussere ein Dispositiv
  • Nun, wir müssen zugeben, dass uns aus dem Lateinunterricht vor etlichen Jahren zwar noch ein „Dia-Postiv“ in Erinnerung ist, uns auch gelegentlich nicht alle Mittel zur „Dispostion“ stehen, aber was zum Geier ist ein Dispositiv?
    Der Duden hilft verlässlich weiter:

    Dispositiv das; -s, -e : (besonders schweizerisch)
    a) Absichts-, Willenserklärung;
    b) Gesamtheit aller Personen und Mittel, die für eine bestimmte Aufgabe eingesetzt werden können, zur Disposition stehen.
    (Quelle: Duden.de)

  • Verlassen sie sich auch auf das Dispostiv anderer?
  • Gleich morgen werden wir die freundlichen Schweizer in der S-Bahn befragen, ob sie sich eigentlich grundsätzlich auf das Dispostiv anderer verlassen würden oder eher nicht. Wenn der Ausdruck, wie im Duden bezeugt, wirklich so schweizerisch ist, dass ihn jeder versteht, müssen wir ihn uns als Bereicherung unser (Schweizer)-Weltwissens hinter die Ohren schreiben.

    

    2 Responses to “Think positiv! — Die lateinische Schweiz und ihre Dispositive”

    1. Brenno Says:

      Dispositiv ist vermutlich ein Import aus Frankreich. Das Wort „dispositif“ bedeutet laut Larousse „Anordnung eines Urteils“, „Gliederung bzw. Aufstellung von Truppen“ ,“Ein- und Vorrichtung“. Höchstwahrscheinlich wurde das Wort in seiner militärischen Bedeutung ins Schweizerdeutsche übernommen. Schweizer Militärs, vor allem solche aus der Westschweiz, pflegten früher vielfältige Kontakte mit dem französischen Offizierkorps. Diese Verbindungen habe eine sehr lange Vorgeschichte, standen doch im Laufe der Jahrhunderte ganze Regimenter von Schweizer Söldnern im Dienste der Könige von Frankreich.

      Es ist daher kein Zufall, dass die Google-Rercherche im Tagesanzeiger Belege in einem Artikeln über ein Kriegsgebiet und eben auch über Sport zu Tage gefördert hat. Auf dem Fussballfeld wird ja auch gekämpft und es kommen Taktiken zur Anwendung.

    2. Zeitungsjunge Says:

      Wow, da lernt man ja noch was. Und das von einem Deutschen! 😉

      Die 1. Bedeutung von „Dispositiv“ war mir ehrlich gesagt nicht bekannt. Und dass dieser Ausdruck nur in der Schweiz eingesetzt wird, erstaunlich!

      Schon wieder was gelern heute. Zurück zum Büroschlaf 🙂