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Schweizer Höflichkeitsrituale — Vom Ihrzen und Euchzen

  • Wenn Sie plötzlich viele sind
  • Kennen Sie das? Sie sind mitten im Gespräch mit einem Schweizer, weit und breit ist niemand Ihrer Familie oder Ihrer Freunde zu sehen, und plötzlich sagt der Schweizer:
    „Ihr müsst das verstehen, das könnt Ihr so nicht machen..“

    Ich drehe mich dann um und suche die anderen Menschen, die hier mit „Ihr“ gemeint sein könnten, denn „Ihr“ ist für mich die 2. Person Plural, die Mehrzahl von „DU“ also.

    Ausserdem frage ich mich, warum ich plötzlich so plump geduzt werde von meinem Gegenüber. „Euch macht das wahrscheinlich nichts aus, aber uns ist es doch arg“ geht die Rede weiter. Das Wörtchen „arg“ kennen wir zum Glück von „Argwohn“, es bedeutet etwas Schlimmes. In der isolierten Form als Variante von „sehr“ ist es im Norden eher ungebräuchlich, aber im Süden „arg“ praktisch, also haben wir es ruckzuck in unser Vokabular aufgenommen.

    In einer Gesprächssituation im nördlichen Teil Deutschlands kann man sich durch Verwendung von „arg“, „gell“ und „hat’s noch Kaffee“ jederzeit als hoffnungslos Süddeutsch eingefärbt zu erkennen geben, und damit auch als Deutscher vom „Jöö-Effekt“ profitieren.

  • Ihrzen und Euchzen
  • Die Schweizer haben diese geschickte Form der Anrede, die grammatikalisch gesehen ein Mittelding zwischen „Du“ und „Sie“ darstellt: Das „Ihrzen“. Ein kleiner Trost für die Schweizer: Sie sind mit dieser Angewohnheit nicht allein im Deutschen Sprachraum, auch im Badischen und Schwäbischen haben wir die „Ihr“ Anrede häufig gehört. So sagte mein Fahrlehrer (ein Schwabe), wenn ich etwas falsch machte:
    „Ihr müsst einfach besser aufpassen, ihr schaut da beim Überholen nicht rechtzeitig in den toten Winkel“, und ich lehnte mich entspannt zurück, denn mich konnte er ja nicht gemeint haben, weil auf Du waren wir nicht.

  • „Ihr“ kommt von „Vous“?
  • Es ist vielleicht ein Überbleibsel aus der Zeit Napoleons? Als die Schweiz und Süddeutschland besetzt waren von Französischen Truppen? Die französische Höflichkeitsform „Vous“ = „Sie“ entspricht der 2. Person Plural, dem deutschen „Ihr“. Ob es daher kommt? Ob man zu Zeiten, als es zum guten Ton gehörte, unter Bildungsbürgern auf Französisch zu parlieren, die „Vous“ Form verwendete und dann beim Rückfall ins eigene Idiom beim „Ihr“ blieb? Bei den Russen im 19. Jahrhundert war es garantiert so, die Romane von Tolstoi hat er nicht allein auf Russisch geschrieben, sondern grosse Passagen auf Französisch, nämlich immer dann, wenn sich die russischen Herrschaften unterhielten und dabei nicht von ihren Diener verstanden werden wollten.

  • Nördlich des Weisswurstäquators
  • „Wer von Euch ist dafür zuständig? Könnt Ihr mir das sagen?“ Geschickt wird hier mit der französischen Höflichkeitsform der Mittelweg zwischen „Du“ und „Sie“ gewählt. Das ist alles gut und schön, wir empfinden das als eine wundervolle Bereicherung. Nur hütet Euch davor, dies irgendwo nördlich des „Weisswurstäquators“ zu verwenden. Das ist die Grenze, die Bayern und den Süden vom Rest Deutschlands abtrennt, das einzige Pendant, was wir in Deutschland zum „Röstigraben“ kennen.

    

    31 Responses to “Schweizer Höflichkeitsrituale — Vom Ihrzen und Euchzen”

    1. Dan Says:

      Das macht der gemeine Rheinländer auch in der Metzgerei zum Beispiel: „Watt darf et denn bei Eusch heute sein? Lammrücken?“, bedeutet quasi man kennt die Person sehr gut, ist aber nicht per Du. Überhaupt sind einige Dialekte nicht für hochdeutsche Höflichkeitsformen geeignet. Mein Eindruck in der Schweiz ist, dass am liebsten alle das „Sie“ abschaffen möchten. Habe es bisher in keiner deutschen Firma erlebt, dass soviel von ganz oben bis ganz unten geduzt wird, wie in meiner Zürcher Firma. Auch bei Diskussionsrunden im Schweizer Fernsehn habe ich oft beobachtet, dass Politiker und Moderatoren, die sich gut kennen auch während der Sendung duzen. Mir gefällt das viel besser. Finde dieses Gesieze unter sich bekannten Gleichaltrigen einfach nur künstlich.

    2. ruth Says:

      Als Schweizerin kann ich nur dazu sagen: werfen Sie doch nicht gleich alle Schweizer in ein und denselben Topf. Das „euch“ und „ihr“ ist stark Dialektabhängig und wird vor allem von Bernern oder Innerschweizern benutzt. Aber eben, wie ich schon mal angemerkt habe; Herr „ichlachmichkrummüberdieschweizer“ Jens- Rainer Wiese nimmts da nicht so genau…mit dem beobachten und recherchieren.

    3. Administrator Says:

      Hallo Ruth,
      Danke für den netten Kommentar.
      Ich zitiere mal aus dem Artikel:

      „Ein kleiner Trost für die Schweizer: Sie sind mit dieser Angewohnheit nicht allein im Deutschen Sprachraum, auch im Badischen und Schwäbischen haben wir die „Ihr“ Anrede häufig gehört.“

      Das Euchzen und Ihrzen ist überall im Alemanischen-Schwäbischen und Elsässischen Sprachraum verbreitet, und wie wir heute im ersten Kommentar lesen können, auch im Rheinland. Ich glaube daher, dass es nicht auf Bern und Innerschweiz reduziert werden kann. Im Zürcher Unterland, im Aargau und im St. Gallener Raum habe ich es auch häufig gehört.

      Ausserdem lach ich mich nicht krumm über die Schweizer, sondern habe gerade in diesem Artikel betont, dass auch mein schwäbischer Fahrlehrer mich ge-„ihrzt“ hat.

      Beim „Ihrzen“ kann man die Verbreitung schlecht recherchieren, sondern nur beobachten. Vielleicht gibt es noch jemand, der belegen kann: „Bei uns wird niemals ge-ihrzt“. Im Norden Deutschlands (Bremen-Hamburg) habe ich es jedenfalls noch nicht gehört.

      Gruss, Jens

    4. krs Says:

      Mich irritiert das „Euch“ und „Ihr“ auch immer wieder, werde ich doch nur höchst selten so angesprochen. Ich persönlich habe nur eine handvoll von Personen – und auch nur flüchtig – gekannt, die so gesprochen haben. Mich hat das seltsamerweise nie wirklich gestört, nur etwas gewundert. Weil das eben nur flüchtige Begegnungen waren, habe ich nie nachgefragt, ich mach‘ mir da nichts grosses draus. Aber es ist doch super, von einem Deutschen da aufgeklärt zu werden 🙂

      Was mir hingegen aufgefallen ist, ist folgendes phänomen: Im Emailverkehr mit einer mir bekannten Deutschen wurde ich mit Vornamen gesiezt – da wusste ich komplett nicht mehr, was ich tun sollte. Ich bat daraufhin eine mir näher bekannte Deutsche um Rat, und die meinte, ich soll einfach genauso beim Vornamen zurücksiezen. Später überging dann die Emailende vom Sie zum Du. Ist das üblich? Kannst Du mich da aufklären?

      Ich liebe diesen Blog nach wie vor! Weiter so! 🙂

    5. viking Says:

      Das Ihr und Euch kommt in der Schweiz wirklich eher aus dem Bernischen (und daher vielleicht aus dem französischen). Es hat sich aber in der gesamten Deutschschweiz als sehr praktisch durchgesetzt. Ich nutze es oft, wenn mir das ‚Sie‘ zu förmlich erscheint, aber sich beide noch nicht zum duzen ‚trauen‘ 😉
      Ich empfinde das sowieso als schwierig, da ich einer Generation entstamme, die sich konsequent geduzt hat und nun auf einmal von jüngeren konsequent gesiezt wird.
      Da bevorzuge ich das Skandinavische System mit der mehrheitlichen Du-Form.

      @krs Ich kenne das beim email mit Sie und Vorname (und manchmal auch zusätzlich Nachname) auch. Vielfach ist es im Zusammenhang mit Leuten, die sich normalerweise per mail duzen und jetzt kommt wer neues dazu und man ist unsicher, ob derjenige geduzt oder gesiezt werden will. Wenn du dann konsequent Siezen würdest, wäre es klar, ansonsten, wie bei dir geschehen, fängt irgendwann einer von euch beiden mit dem konsequenten duzen an.

    6. Dan Says:

      krs,
      wo ich mal davon gehört habe war Hewlett-Packard in Böblingen bei Stuttgart. Das amerikanische Management hatte die Böblinger verdonnert Vornamen zu benutzen wie im Englischen üblich, um siezen und duzen haben sie sich dabei nicht gekümmert. Daher reden sich bei HP nun all mit Vornamen und Sie an, die Formen werden also irgendwo gewahrt. Aber andererseits führt das natürlich zu grosser Verwirrung und ich denke man fällt dann schnell ins „Du“. Vielleicht bist Du an so jemanden geraten?

    7. kblog Says:

      @ Dan
      Nein, es war zwar auch ein geschäftlicher Emailverkehr, aber es hatte auf keinen Fall einen englischen Background wie z.B. HP oder IBM oder so was. Wenn es so gewesen wäre, hätte ich dasselbe wie Du vermutet. Die Person, die mich so ansprach, betreibt eine Einzelfirma und das eigentlich auch mehr in der Freizeit, sie hat ihre Freizeit zum Beruf gemacht, wenn man so will. Konkret handelt es sich um eine Hausfrau, so viel ich weiss.

      @ Viking:

      In meiner Generation duzt man sich auch, aber nur unter gleichaltrigen. Aber es kann auch zu wirklich seltsamen Situationen kommen: Ich war mal an einer Sitzung eingeladen. Eine etwa gleichaltrige Studentin, die eine Studie leitete, fand da offenbar, sie müsse mich Siezen, weil ich nicht als Student dort war, sondern sozusagen als „beruflich“ (auch falsch, weil das nicht mein Beruf ist, aber lassen wir das). Da hat sie mich dann versehentlich geduzt, was ich viel angenehmer fand, sie aber in Verlegenheit brachte *lach*. Ich bot ihr dann das Du an 🙂

    8. Gnarf Says:

      Das kommt mir nun etwas komisch vor. Ich hab das „ihren“ eigentlich immer als eine noch höflichere, order zumindest gleichgestellte, Form des „Sie“ verstanden.
      So wie im Mittelalter…
      „Wie geht es euch, mein König?“
      „Ihr habt Gäste, Sir“

      Auch kann ich mir die Sie-Form im Berndeutschen nicht wirklich vorstellen

      DE: Was tun Sie?
      Zürich: Was machet Sie?
      Bern: Was macheter? (Kurzform von „macht Ihr“ / „machet Dir“)

      Sie wird im Berndeutschen eigentlich konzequent für mehrere Personen oder eine weiblich Person verwendet (1.P mz / 3.P ez;w)

      Aber ich lasse mich natürlich gerne aufklähren. Hab mich auch etwa in der 9. Klasse darüber aufklähren lassen müssen, dass „bissäguet“ = „bis so guet“ = „Sei so gut“ ergo dutzen. Siezen heisst also „sitsoguet“ / „sit so guet“
      Ich bin da aber nicht der Einzige, wie ich erfahren habe 😀
      Ich bin übrigens gebürtiger Berner Oberländer

    9. Administrator Says:

      Hallo Gnarf,
      die wahren Könige sprachen von sich selbst nur in der dritten Person Singular , und liessen sich auch so anreden:
      „Was denkt Er?“ „Wie gefällt es Ihm?“
      „Wie geht es Ihm, dem König“ (selbst wenn man vor ihm stand).

      Gruss, Jens

    10. Rainer aus Krefeld Says:

      @ Dan:
      Ich kann nur bestätigen, dass es diese „Ihrzerei“ im Rheinland auch gibt. Nicht häufig, aber ab und zu hört man es schon mal bzw. wird so angesprochen. Mein Eindruck ist der gleiche: Man traut sich nicht, jemanden einfach zu duzen, aber das Sie wäre in dieser Situation zu förmlich, also wird ein Mittelding gewählt, eben das „Ihr“ und „Euch“.

      @ Jens-Rainer:
      Du hast in einem früheren Artikel festgestellt, dass so ziemlich jedem Schweizer eine eigene Bank gehört. Also ist die Schweiz bei dieser „Ihrzerei“ wahrscheinlich ein Sonderfall des „Pluralis Majestatis“. Achte mal genau darauf, wie du morgen früh von deiner Frau angesprochen wirst. Solltest du folgende Worte hören: „Guten Morgen, Herr Direktor Wiese, habt Ihr gut geschlafen? Was wünscht Ihr Euch zum Frühstück?“ solltest du unauffällig deine Kontoauszüge überprüfen… 🙂

    11. Administrator Says:

      @Rainer,
      bist du sicher das Du mich da nicht verwechselst mit einem Kommentar-Schreiber? Ich kann mich jedenfalls nicht an solch einen Artikel erinnern.
      Ich habe mal darüber geschrieben, dass ein Schweizer seine Konto-Verbindung nicht preis gibt und lieber bei der Post am Monatsende in der Schlange steht, das ja.
      „Plural Majestatis“ ist das „Wirzen“:
      Wir sehen das so, das heisst, ich und mein ego.

      Nee, das „Ihrzen“ kam sicher durch den Welschen-Französischen Einfluss übers Berndeutsch oder Alemanische in den Süden.
      Gruss, Jens

    12. Martin Lohner Says:

      Ich kann die Anmerkung des Administrators bezüglich Herkunft bekräftigen.
      Ausser im Berndeutschen – dem der pluralis majestatis inhärent ist – und Teilen der Innerschweiz wird diese veraltete Form der Anrede – wenn überhaupt – nur noch bei Amtsträgern verwendet. Man sieht hier gut, wie sich der Wandel im Umgang mit Autoritäten in der Umgangssprache niederschlägt. Ich nehme an, dass der p. m. mit dem Ableben der älteren Generation ganz verschwinden wird. Wie jener mir bekannte Kauz, der seinerzeit alle Leute konsequent im Plural anzusprechen pflegte.

    13. Phipu Says:

      An Martin Lohner:

      Mit Ihrem Kommentar bin ich nicht einverstanden. Alle Schüler (also auch junge Leute) im Grossraum Bern, also auch Teile des Kantons Freiburg, Solothurn, Luzern, lernen erst mit Hochdeutsch, dass die korrekte Höflichkeitsform die Sie-Form im 3. Plural ist.

      Im oben genanntem Dialekt (Diese Sprachräume wurden übrigens auch von Ruth angesprochen) ist die Höflichkeit nämlich immer die 2.Pluralform. – Vielleicht habe ich Sie einfach nicht richtig verstanden, und Sie glauben, dass die Ihr-Form überall ausser diesem Grossraum Bern (z.B. zur Anrede von Amtspersonen in anderen Sprachräumen) aussterben wird.

      Da gehe ich einig mit Gnarf:
      In bernischem und verwandtem Dialekt, also nur gesprochener Sprache, gibt es nämlich nur genau diese einzige Höflichkeitsform, der 2. Plural. Alles andere ist
      a) sowieso ein auswärtiger Dialekt (z.B. aus Zürich oder Basel)
      b) ein anderes Deutsch (auf welches in Hochdeutsch geantwortet wird, korrekterweise mit „Sie“)
      c) künstlich in Berndeutsch eingeflochtene Sie-Formen = übertriebene Dienstbeflissenheit, die für mich eher peinlich klingt: „hei Sie grad no nen angere Wunsch? Chan i Ihne häufe?“ Puh, das gibt Gänsehaut (Hüehnerhut)! – Einzige akzeptierte Entschuldigung: Oltner-Dialekt (gehört aber unter Punkt a)

      Drum säg i ÖICH, Herr Lohner, die Öich-Form wird im Bärnbiet nid so schnäu usstärbe, wie DIR (Ihr) meinet! LOSET mau Jugedleche u Ching zue; o die rede mit unbekannte Erwachsene eso. CHÖIT vilech sogar mau em ne Asteuigssgspräch zwüsche me Chef un eme Steuekandidat ganz im 2. Plural zuelose – u zwar o no i zäh oder zwänzg Jahr, da bin i überzügt! Der Mani Matter het vor öppe 35 Jahr so gsunge, wiene Bärner das jitz o ging no würd.

      (= Darum sage ich Ihnen, Herr Lohner, die Euch-Form wird im Raum Bern nicht so schnell aussterben, wie Sie meinen! Hören Sie mal Jugendlichen und Kindern zu; auch die sprechen mit unbekannten Erwachsenen so. Sie können vielleicht sogar mal einem Anstellungsgespräch zwischen einem Chef und einem Stellenkandidaten ganz im 2. Plural zuhören – und zwar noch in zehn oder zwanzig Jahren, da bin ich überzeugt! Mani Matter sang vor etwa 35 Jahren so, wie ein Berner das jetzt auch immer noch [tun] würde)

      Ich weiss, dass selbst Zürcher oft kaum Berndeutsch verstehen http://www.blogwiese.ch/archives/36 (vielleicht u.a. wegen dieser seltenen Höflichkeitsform). Deshalb habe ich diese Passage übersetzt.

    14. Phipu Says:

      Ich vergass noch diesen Link:

      Mutige Nicht-Berner klicken sich durch diese Homepage:

      http://www.edimuster.ch/baernduetsch/

      Zweifler stellen fest, dass im grün markierten Satz das „Der“ (Ihr) gross geschrieben ist und mit „Sie“ übersetzt wird.

    15. ichbins Says:

      Es gibt Firmen, die haben es so geregelt, dass Lehrlinge mit dem Vornamen und „Sie“ angesprochen werden.
      Für mich als Lehrling war das das mühsamste überhaupt. Standardmässig musste ich also allen „Grüezi Herr X“ sagen, während ich von allen mit Grüezi Markus angesprochen wurde….
      Mir persönlich wäre es da lieber gewesen halt komplett geduzt zu werden, aber mit der Zeit ergab es sich, dass ich mit fast allen „Duzies“ war… Und die meisten internen Kunden, die mich selten sahen sietzen mich sowieso, weil ich älter aussah als die anderen Lehrlinge…

    16. HalbCH/HalbD Says:

      Bei uns in der Mittelschule ist es normal, dass die Lehrperson einen mit „Sie“ und Vorname anspricht. Am Anfang fand ich dies seltsam, aber man gewöhnt sich daran.

    17. Gudrun Says:

      Auch im Ruhrgebiet wird häufig dieses „Euch“ verwendet, und zwar dann, wenn der Anredende es mit mehreren Angesprochenen zu tun hat, die er eigentlich „Siezt“, aber weil es eben mehrere sind, kommt ihm wohl das „Sie“ ungeeignet vor, weil man ja die Großschreibung nicht sehen kann und die Adressaten so vielleicht denken könnten, nur einer von ihnen sei gemeint.

    18. Berner Says:

      @ Phipu

      So wie du sprichst, das ist eher Konktraproduktiv. Es klingt beinahe, als wolltest du eine „gefährdete“ Komponente des Dialekts verteidigen, in dem du die „düstere Wahrheit“ verzweifelt leugnest oder verfälschst.
      Dem ist ja aber nicht so, wie du selbst weisst.
      Diese Anrede sich weder noch 35 Jahre „halten“, noch 100. Was ich damit sagen will, ist dass es sich überhaupt nicht zu „halten“ braucht, da es ewig existieren wird, solange Berndeutsch besteht.
      Durch übermässiges Beteuern kann man einen falchen Eindurck kriegen …

      Und mit einer Stufe zwischen „Du“ und „Sie“ hat das übrigens ebenso wenig zu tun. Es ersetzt hier schlchtweg das Siezen.

    19. Gufechüssi Says:

      Genau so gut wie man, resp. der Blogowner sich über die Höflichkeitsform im Berndeutschen lustig macht, könnte man sich darüber lustig machen, wie die Hamburger das ST und SP aussprechen. Nice try, Jens …. wir sehens Dir nach – jedem geht mal was in die Hose …. Das Ihr/Euch ist nicht eine Variante der Höflichkeitsform in diesem (und ähnlichen Dialekten) sondern es ist schlichtweg DIE Höflichkeitsform, ohne wenn und aber. Und ich vermute jetzt mal, sie ist älter als die Höflichkeitsform im Hochdeutschen …. dies aber nur noch nebenbei. Wie dem auch sei: Happy Hogmanay!

    20. Administrator Says:

      @Gufechüssi
      Ich möchte einfach zu gern wissen, an welcher Stelle des „Ihrzen“ Artikels herauszulesen ist, dass ich mich „über die Höflichkeitsform im Berndeutschen lustig“ mache. Ich habe Berndeutsch gar nicht erwähnt im Artikel, diese Deutung kam erst in den Kommentaren hinzu. Ich habe sogar den Sprachraum, in dem „Ihrzen und Euchen“ vorkommt auf einen grossen Teil Süddeutschlands ausgeweitet. Ich wollte lediglich feststellen, dass mich (als aus dem Nordwesten Deutschland stammend) diese Höflichkeitsform immer noch ziemlich irritiert und verwundert. Es gibt ein paar Erklärungsansätze woher es kommen könnte, das „Ihrzen“, aber ich glaube wir sind ins darin einig, dass die Verwendung von „Ihr und „Euch“ absolut nicht auf das Berndeutsche beschränkt ist.

      Ich zitieren nochmal aus dem Artikel:

      Die Schweizer haben diese geschickte Form der Anrede, die grammatikalisch gesehen ein Mittelding zwischen „Du“ und „Sie“ darstellt: Das „Ihrzen“.

      Mache ich mich bei „geschichte Form der Anrede“ ein lustig über die Berner?
      So langsam muss ich nachdenken über einen Artikel: „Warum die Schweizer stets meinen, das man sich über sie lustig macht…“

      Und jetzt bitte nochmal ganz deutlich: Zitiere mal den Absatz oder Ausschnitt, an dem Du, Gufechüssi, das Gefühl gehabt hast, ich würde mich lustig machen über das Berndeutsche. Ich komme sonst nicht draus…

      Und was die Hamburger mit ihrem „ssspitzen Sssstein“ angeht, das ist die Aufgabe von Geissenpeter sie in Heidiswelt zu beschreiben.
      Darüber würde ich mich auch nicht lustig machen, es ist nicht mein Dialekt. Bei mir kannst Du dafür die „Rs“ suchen, in Wuuast, Buuarch und Kiiache…. (Wurst, Burg, Kirche) kein Problem damit, oder doch: Ein Problem damit, ich kann sie nicht aussprechen!

      Gruss, Jens

    21. Administrator Says:

      @Gufechüssi
      Du schreibst: „Und ich vermute jetzt mal, sie ist älter als die Höflichkeitsform im Hochdeutschen“

      So mehr ich darüber nachdenke, desto eher glaube ich, dass Du hierbei recht hast. Nix Franzosen, nix Napoleon, ein Blick in die Mittelhochdeutsche Literatur und Grammatik müsste reichen, um festzustellen, dass das „Ihrzen“ und „Euchen“ schon seit 1156 in der höfischen Minnelyrik unverändert im Gebrauch ist. Werde es mal bei Gelegenheit nachschauen.
      Gruss, Jens

    22. Martin Lohner Says:

      An Phipu:
      Ja, Ihr habt mich wirklich falsch verstanden. Der pluralis majestatis ist ein fester Bestandteil des Berndeutschen und wird somit wahrscheinlich nicht aussterben. Die einzige Gefahr besteht in der Sprachbastardierung durch nichtnative Sprecher.
      Allgemein kann gesagt werden, dass die Dialektkompetenz je länger je mehr sinkt. Was man heutzutage nicht alles zu Ohren bekommt: Futur I, Partizip I, Genetiv.

    23. Phipu Says:

      an Martin Lohner und Berner

      Ich bin erleichtert, dass das Berndeutsch mit seiner aktuellen Höflichkeitsform nicht aussterben wird, und dass sich herausgestellt hat, dass wir eigentlich alle dieser Meinung sind. Ich glaubte wirklich, mich gegen diese Bedrohung verteidigen zu müssen.

      Ja, die Akzeptanz von neuen Einflüssen in jeder Sprache wird wohl noch lange die Gemüter erregen. Das Feld zwischen „Ballenberg*“-Dialekt und blinder Globalisierung ist weit.

      * der Ballenberg ist ein Freilichtmuseum, wo alles so aufgebaut wurde, wie es vor etwa 100 Jahren in verschiedenen Regionen des Landes war. http://www.ballenberg.ch/d/index_bb_500.html

    24. clarissa Says:

      Hmmm…

      Ich kenne eigentlich auch nur Berner bzw. Leute die im Bernbiet wohnen, die das „Ihr“ und „Euch“ in der Einzahl brauchen. In den anderen Regionen habe ich das eigentlich noch nie gehört.

      Was das Duzen betrifft sind wir Schweizer doch eher kompliziert. Ich würde es nie „wagen“, jemanden einfach so mit „Du“ anzusprechen, ausser es handelt sich um ein Kind, ich bin im Ausgang oder werde selber mit Du angesprochen.

      In der Lehre und in der Berufsschule wurden wir übrigens auch mit Vorname aber per Sie angesprochen.

      @Gnarf: Es gibt totaaaaaal viele Menschen, die in der Höflichkeitsform das „bissoguet“ statt „sindsiesoguet“ benützen. Eigentlich lustig, oder?! Ich kenne übrigens ein paar Leute, für die „bissoguet“ eher als unfreundlich empfunden wird… da wird „bitte“ besser akzeptiert.

    25. Phipu Says:

      Zu „Bissoguet“: Dieser Ausdruck bringt meinen Gedankensprung zum immer seltener werdenden „Sä da!“ (wenn man jemandem etwas überreicht). Dies ist absolut nur für duzende Verbindungen gedacht. Heute hört man eher „voilà!“ oder „bitte sehr“, was alles auch in der Höflichkeitsform geeignet ist. Weiss wohl jemand , woher dieses „sä“ kommt? Mir ist überhaupt kein Dialekt-Verb bekannt, das so lautet und etwa „halt/nimm/pack (das)“ bedeutet.

    26. Sandra-Lia Says:

      wird ich aber trotzdem mache..

    27. Peter Gloor Says:

      Ob Ihr von Vous kommt??? Könnte es nicht einfach eine althergebrachte
      Form sein, die sich erhalten hat, und das „Sie“ aus dem Hochdeutschen sich langsam breit machte, ABER, nicht überall.
      Im Berner Dialekt und auch in Teilen von Luzern, Aargau, Solothurn, im Oberwallis, ist Ihr die Anrede für Einzelpersonen, mit denen man nicht auf Du ist. Sie gälte als Hochdeutsch oder gestelzt.
      Im Italienischen gibt es auch VOI oder LEI, also zwei Formen, die beide angewendet werden.

    28. Peter Gloor Says:

      Phipu!
      Das ist es ja – den Dialekt lieben wir doch, weil er sich eben durch solche Dinge von der (ungeliebten) Hochsprache unterscheidet.
      Wir sagen sogar: „Sä do.“

    29. myl Says:

      Ich sehe beim „sä da/do“ das „sä“ nicht als Verb sondern das Ganze als verkürztes „so, da häsch“.

      Ich selber verwende als Ostschweizer das Ihrzen nicht, obwohl ich es hie und da auch hierzulande verbreitet höre. Mir gefällt es nicht und passt irgendiwe auch nicht zu meinem Sprachempfinden.
      Als ich jedoch längere Zeit im Seeland zu tun hatte (Region Bern/Grenchen/Biel/Solothurn), habe ich mir das Ihrzen und die manchmal umgestellte Syntax derart verinnerlicht, dass ich es anschliessend fast nicht mehr losgeworden bin… 🙂

    30. Bettina Says:

      Ich habe den Blog erst gestern abend entdeckt, und habe eine fast schlaflose Nacht hinter mir, und habe einige Male laut loslachen müssen. Kompliment! Ich habe in Bern studiert, und da ist „Dihr“ und „Eu“ die korrekte Höflichkeitsform, wie schon erwähnt wurde. In den anderen Kantonen wird es als herablassend empfunden. „Müend er no öppis ha gueti Frau“ in einem Geschäft gehört als krasses Beispiel, wobei sich über die „Gute Frau“ ein separates Blog-Thema lohnen könnte; sie ist gottseidank am Aussterben.

    31. Munggl Says:

      dies ist keine redewendung die vom französischen kommt und ist auch kein duzen.
      es ist eine alte höflichkeitsform, die noch von den herrenhäusern kommt, wo die „rangniederen“ personen ihre herrschaften mit euch, ihr und so weiter angesprochen habt.

      hier im thurgau ist dies bei den alten leuten noch weit verbreitet, auch mein vater benutzt diese form noch oft.

      was am rande, ich finde diesen blog herrlich! amüsant und interessant.