Wie sagen denn Sie zum Brotanschnitt? — Wenn es nur noch Varianten gibt
(reload vom 18.6.06)
Geschriebene und gesprochene Sprache sind zwei unterschiedliche Dinge. Die aussersprachliche Wirklichkeit ist zu gross und ungenau, um bis in die letzte Kleinigkeit erfasst und exakt durch die Sprache abgebildet werden zu können. Bei manchen Begriffen ist es einfach. Ein „Tisch“ ist ziemlich genau definiert, solange wir uns in der gleichen Sprache bewegen. Gehen wir über Sprachgrenzen hinaus, wird es schon schwieriger. Warum ist „Die Sonne“ im Deutschen weiblich, „le soleil“ hingegen männlich, „der Mond“ auf Deutsch ein Mann und auf Französisch mit „la lune“ eine Frau? Immerhin haben sich für „Sonne“ im Deutschen nicht 20 Varianten erhalten, nur ein paar Dialektvarianten.
Anders ist es beim „Brotanschnitt„. Schon dies allein ist ein Kunstwort, dass sich nur mühsam mit „Das Endstück oder Anfangsstück eines Brotlaibs“ umschreiben lässt. Es gibt für dieses Ding, was doch überall Teil unseres Alltags ist, im deutschsprachigen Raum keine allgemeingültige Bezeichnung. Wir fanden im Duden den
Knust, der; -[e]s, -e u. Knüste
[mniederd. knust = Knorren, zu einer umfangreichen Gruppe germ. Wörter, die mit kn- anlauten u. von einer Bed. „zusammendrücken, ballen, pressen, klemmen“ ausgehen; vgl. (landsch.):
Anfangs- bzw. Endstück eines Brotlaibs: ich mag am liebsten den Knust
(Quelle: Duden.de)
aber der Zusatz „landschaftlich“ verweist darauf: Das Wort wird garantiert nur von einem Teil der Deutschsprecher verstanden! Eine andere Variante dafür ist die „Kappe“, aber das ist noch lange nicht alles.
Ist das ein Knust?
Das Variantenwörterbuch nennt diese Bezeichnungen für den deutschen Sprachraum:
Den Scherz (A-D-südost)
Das Scherzel (A)
Den Kanten (D-nord/mittel)
Den Kipf (D-südost)
Das Knäpppchen (D-mittelwest)
Den Knäusel (D-südwest)
Den Knust (D-nord)
Das Krüstchen (D-mittelwest)
Den Ranft (D-ost)
Das Riebele (D-südwest)
und das sind jetzt nur die dort gelisteten Bezeichnungen. Allesamt aus den verschiedenen Regionen Deutschlands und Österreichs. Sollten die Schweizer hierfür etwa keine eigene Bezeichnung haben, oder warum werden sie im Variantenwörterbuch nicht erwähnt?
Uns war schon lange aufgefallen, dass die Schweizer Brotkultur mehr der Französisch/Welschen Tradition ähnelt, lieber kleinere (max 500 Gr.) und hell gebackene Brote zu backen als 1 Kg schwere Vollkorn-Kastenbrote oder Schwarzbrote.
Oder ist das ein Knäuschen?
Aber angeschnitten werden muss das Brot doch trotzdem. Also machen wir uns auf die Suche und finden eine umfangreiche Liste mit vielen Schweizer Zitaten hier:
Wir zitieren (nicht vollständig!) mal ein paar Schweizer
bei Yves Suter aus Wollerau (CH) heisst es Aaschnitt
bei Markus aus Uster heisst es Ahau
bei Andi aus Zürich heisst es Ahäuel
bei Franziska aus Aarau heisst es Ahäuli
bei Nicole aus St. Gallen (CH) heisst es Bödel
bei Andreas aus Leissigen (CH) heisst es Chäppi
bei S.Vogt-Tanner aus dem Gürbetal, CH heisst es Gröibschi
bei Martin aus Olten (Schweiz) heisst es Gupf
Wir haben beim Buchstaben G aufgehört, es geht noch seitenlang so weiter.
Warum gibt es für dieses Wort so viele Varianten? Warum keinen allgemeingültigen Begriff in der Standardsprache? Vielleicht, weil es immer nur lokal und im Familienkreis gebraucht wird, weil es in keinem Roman vor kommt, in keinem Derrick-Krimi („Harry, reich mir mal den Knust rüber?!„), weil es keine Notwendigkeit zwischen Norddeutschen, Süddeutschen oder Schweizern gab, über dieses Ding Korrespondenz zu führen:
„Bestellen wir gemäss Angebot zum nächsten Monatsende drei Paletten mit Knust / Knäusschen / Kappen / Gup / Gröibischi“
Würde dieser Satz je geschrieben? Sicher nicht. Wenn wir noch ein bisschen abwarten (Schweizer dürfen derweil „zuwarten“), gibt es sicher irgendwann eine EU-Norm die festlegt, wie dieses Ding denn zu heissen hat. Aber die Schweiz ist ja nicht in der EU. Nun, dann wird das Idiotikon (vgl. Blogwiese) in der Schweiz wohl doch ein Band länger als geplant…
Und glauben Sie bloss nicht, dass dieses „Ende vom Brotlaib“ ein absoluter Sonderfall in der Sprache darstellt. Wir könnten den ganzen Artikel auch zum Thema „Rest eines gegessenen Apfels“ schreiben. Der heisst „Apfelbutzen“ oder „Apfelkitsche“ oder oder oder.
Juni 22nd, 2009 at 8:10
Rest des gegessenen Apfels heisst bei mir (AG/ZH) Bütschgi 🙂
Juni 22nd, 2009 at 9:28
„Köschken“ könnt‘ ich noch beisteuern. Und dann ist da noch die Sache, dass auch klar definierte Worte nicht für jeden dasselbe bedeuten – zu „Milch“ hat jeder andere Assoziationen, zum Beispiel.
Juni 22nd, 2009 at 15:21
Ich kenne den Anschnitt als „Knäuzchen“.
Juni 23rd, 2009 at 19:46
In Augsburg ist’s das Giggele (nicht mit dem Goggele, dem „Hähnchen“, zu verwechseln).
Juni 25th, 2009 at 14:19
Bei uns in Bern sagen wir auch „Mürggu“…wenn einer einen griesgrämigen Kopf macht, nennt man ihn dann auch einen „Mürggu“
Juni 27th, 2009 at 19:59
in basel hat man dem brotanschnitt seit jeher „gröpfli“ gesagt.