Kann man Haferkäse essen? — Etymologie eines Schweizerdeutschen Ausdrucks
Juli 25th, 2011(Reload vom 4.5.07)
Wer kennen „Haferflocken“, vor allem die aus Köln. Als Kind waren sie für mich eine frühe Art von „Müesli“, denn diese Schweizer Erfindung mit dem zusätzlichen „e“ nach dem „ü“ gab es erst ab den 80ern in den ersten Bioläden im Ruhrgebiet zu kaufen, und zwar als „Müsli“ ohne „e“. Vom Herrn Bircher-Benner und seinem kleinen Mus bzw. kleinen Mäusen hatten wir nichts mitbekommen, so hoch im Norden. Es gab ausschliesslich Kölnflocken mit Rosinen oder Nüssen, und natürlich viel Zucker. Damit es nicht so dröge schmeckt und die alkoholische Gärung im Darm so richtig in Gang kommt. Besagte „Kölnflocken“ kamen aber überhaupt nicht aus Köln am Rhein, sondern schrieben sich aber mit „ll“ und wurden von Peter „Kölln“ in Elmshorn hergestellt.
Der Legende nach reiste der Firmengründer Peter Kölln Anfang des letzten Jahrhunderts nach München. Ihm gefiel das blau-weiße Rautenmuster der bayerischen Flagge so gut, dass er auch seine Flocken aus Elmshorn in blau-weiße Packungen füllen wollte. Aber BMW war schneller und hatte die blau-weißen Rauten in seinem Logo schon verwendet. Peter Kölln wählte stattdessen die Farben Dunkelblau und Hellblau. Die Packung sieht seitdem viel schöner aus als der Inhalt, der gekochte.
(Quelle: goethe.de)
Sind das Haferflocken mit Käse? Das Wort entdeckten wir neulich in der City-Regionalausgabe Stadt Zürich des Tages-Anzeigers:
Die Stadt bewilligt nicht jeden Haferkäse
(Quelle: Tages-Anzeiger 02.06.07)
Das Wort findet sich in diversen Schweizer Beiträgen, Artikeln und Leserbriefen. Hier eine kleine Auswahl von Fundstellen:
„für jeden haferkäse wollt ihr gesetze und in einer anderen diskussion beschwert ihr euch über die drangsalierung des staates !!!“
(Quelle: www.baz.ch)
Ich wähle schon gar nicht mehr, weil der Kantonsrat mittlerweile überflüssig ist und wir über jeden Haferkäse abstimmen.
(Quelle: evp.nzzvotum.ch)
Sie müssen schon einen argen Haferkäse bringen und ein anderes Land etwas Bombastisches, um mich umzustimmen
(Quelle: hitparade.ch)
Dem Kontext nach muss es sich bei „Haferkäse“ um ein Synonym für „Mist“ oder „Unsinn“ handeln. Aber kann das schon alles sein? „Haferkäse“ wird vom Deutschen Rechtswörterbuch so erklärt:
Haferkäse:
Wohl eine Abgabe
(Quelle: lehre.hki.uni-koeln.de)
Doch bei der weiteren Suche tun sich plötzlich etymologische Abgründe auf, ungeahnte Querverbindungen zu Wörtern, die so gar nichts mit „Hafer“ aber mit „Hafen“ zu tun haben. Denn „Haferkäse“ steht nahe bei „Hafengeld“, das ist abgeleitet aus „Havarie“, ein Wort mit abenteuerlicher Geschichte:
Havarie […v…] die; -, …ien (über niederl. averij, fr. avarie aus gleichbed. it. avaria, dies aus arab. ‚awārīya „durch Seewasser beschädigte Ware“ zu ‚awār „Fehler, Schaden“;Bed. 2 wohl nach russ. avarija›
(Quelle: duden.de)
Der Fehler, der Schaden, das Schadensgeld, der Unsinn, der Mist. Passt doch alles wunderbar zum Schweizer „Haferkäse“, oder? Natürlich ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit, aber einmal mehr sehen wir, wie eng verzahnt die europäischen Sprachen und das Arabische sind. Auch das englische „Average“ ist unmittelbar aus dem „Hafengeld“ und der „Havarie“ abzuleiten:
average ‹engl.; : mittelmäßig, durchschnittlich (Bez. für Warenqualität mittlerer Güte).
Average der; – ‹aus gleichbed. engl. average, dies über mittelfr. avarie „Seeschäden,Hafengeld
(Quelle: duden.de)
Ist nun alles geklärt? Dann essen wir weiter Haferflocken und lassen die Finger vom Haferkäse, denn das Wort schmeckt uns zu sehr nach Seewasser.
Nachtrag:
Die ersten Kommentare erwähnen, dass neben „Haferkäse“ auch „Hafenkäse“ gebräuchlich ist. Ein „Hafen“ oder „Haferl“ ist im alemannischen-süddeutschen Sprachraum die Variante für „Topf“ (im Norden „Pott„). Die Verwendung bleibt sich ansonsten gleich, die Verwandtschaft zu „Hafengeld“ liegt ebenfalls nahe.