Wenn der Jöö-Effekt versagt — Ressentiments gegenüber Schweizer
Oktober 3rd, 2006Wir möchten heute von Franzi erzählen. Franzi stammt aus der Schweiz und lebt in Berlin. Sie bemüht sich sehr, ein fehlerloses und akzentfreies Hochdeutsch zu sprechen um nicht als Schweizerin erkannt zu werden, doch gerade diese „Hyperkorrektheit“, das Fehlen von Verschleifungen, die makellose Verwendung von Perfekt und Genitiv verrät sie als Schweizerin.
Franzi hat das nicht immer so toll erlebt, wenn Sie als Schweizerin in Berlin erkannt wurde. Sie musste sich des Öfteren ziemlich harsche Vorwürfe anhören. „Wie, Sie kommen aus der Schweiz und arbeiten jetzt in Deutschland?“ Im Kopf geht der Satz dann weiter mit „… und nehmen hier einem Deutschen den Job weg, wo es doch wirklich genug Jobs in der Schweiz gibt.“
Mehrfach muss sie sich rechtfertigen und erklären, dass nicht alle Schweizer automatisch sehr wohlhabend sind, nur weil sie aus der Schweiz kommen. Ausserdem wurde ihr vorgeworfen, mit dafür verantwortlich zu sein, dass Deutsche wie Boris Becker oder Michael Schumacher in die Schweiz vor den hohen deutschen Steuern geflohen sind. Ja tatsächlich, das bekam sie von, sagen wir „einfachen deutschen Gemütern“ das ein oder andere Mal zu hören. So von einem Handwerker, den sie in ihre Wohnung bestellt hatte, um etwas zu reparieren. Da war nichts mehr zu spüren von „ach die Schweizer, wie süss und niedlich“, das waren blanke Eifersucht und Neid, aber auch starke Vorwürfe konnte sie herauszuhören. Wir hatten sie schon früher gewarnt, auf keinen Fall Michael Schumacher oder Boris Becker in die Schweiz einzuladen. Jetzt war es passiert, sie sind einfach geblieben. Und Franzi hatte Schuld.
Die Deutschen lieben die Schweiz und die Schweizer, sagt man und wir haben neulich noch darüber geschrieben. Dass dies bei weitem nicht für alle Deutsche gilt, erzählte uns Franzi aus Berlin. Den Vorwurf der „Rosinenpicker“ bekam sie genauso zu hören wie die „persönliche Schuld am Bankengeheimnis“ und am „Geldwaschplatz Schweiz“. War waren gelinde gesagt ziemlich erstaunt, für das die arme Franzi in Berlin alles verantwortlich ist. Aber irgendeiner muss ja schuld sein, warum also nicht sie.
Sie hat auch bisher noch nicht positiv ihren Schweizer Akzent einsetzen können, im Gegenteil. Weil sie auch für den Rundfunk arbeitet, musste sie oft gegen das Vorurteil ankämpfen, dass sie als Schweizerin ja unmöglich auf Deutsch Reportagen machen könnte. Von einem Meteo-Hochdeutsch eines Herrn Kachelmann oder der perfekten Schauspielerstimme eines Bruno Ganz‘ schienen die Leute beim Radio in Berlin bisher weniger gehört zu haben. Emil Steinberger und sein Pseudo-Schweizer-Hochdeutsch ist nach wie vor in alle Köpfen fest verankert, wenn man versucht, sich die Aussprache von Schweizern vorzustellen.
Kürzlich erzählte uns ein Bekannter aus Deutschland, dass er beschlossen habe, aus Prinzip auf dem Weg von Süddeutschland in die Provence nicht mehr durch die Schweiz zu fahren, weil seine Ressentiments und Hassgefühle gegenüber der Schweiz einfach zu stark geworden sind. Er mag diesen Hort der Kapitalflucht und Rosinenpicker nicht mehr besuchen. Wir waren baff. Bis jetzt gingen wir immer nur von dieser permanenten „Wir lieben die Schweiz“ Haltung der Deutschen aus. Es gibt also doch auch andere Sichtweisen der Schweiz. Ob die Holsteinische Schweiz und die Sächsische Schweiz auch unter diesen Kollektivbann unseres Bekannten fällt, das haben wir uns nicht mehr getraut zu fragen, bei so viel feiner Fähigkeit zur Differenzierung.