Kaffee zum Fortlaufen — Ostern in Oslo

April 6th, 2009
  • Schlange stehen für den Pappbecher
  • In der Passage des Zürcher Hauptbahnhofs genauso wie am Gleis 3 in Bülach lässt sich Morgen für Morgen ein interessantes Phänomen beobachten: Die Pendler, auf Neu-Deutsch auch “Commuter” genannt, stehen an für eine Ware, wie weiland in der DDR wenn neue Schuhe im Geschäft zu haben waren. Sie kaufen Kaffee in Bechern. Nicht um ihn gleich zu trinken, wenn er frisch und voller Aroma ist, nein, sie wollen ihn mit sich tragen, sich daran festhalten, die Hände erwärmen und die Schnauze, die in der Schweiz höflicher als „Muul“ bezeichnet wird, daran verbrennen. Was sie dort in der Frühe kaufen, ist ein „Café-to-go“ oder „Kaffee-zum-Mitnehmen“. Was signalisiert uns der moderne Pendler mit diesem Becher in der Hand? Vielleicht: „Ich bin so wichtig und beschäftigt, ich kann unmöglich daheim in Ruhe frühstücken, das Büro würde ohne mich nicht anfangen können“, oder „mit einem Plastikbecher in der Hand habe ich was zum dran festhalten und muss nicht an meine aufgegebene Nikotinsucht denken“?

  • Prêt-à-manger aber nicht prêt-à-café
  • Keine Ahnung. In Frankreich, so erzählte mir ein französischer Freund, genauer gesagt in Paris, da hat sich diese Kultur nicht durchgesetzt. „Prêt-à-porter“, das ist Mode von der Stange, zum Mitnehmen und gleich Tragen, aber „Café-à-porter“? Wer will den mitnehmen, wenn es überall in Paris Bars mit Theken für den schnellen Kaffeegenuss oder mit Tischchen auf dem Trottoir für die gemütlichere Version gibt? „Prêt-à-manger“, die schnelle Küche, die gibt es mittlerweile auch bei den gestressten Franzosen, aber doch keinen Kaffeebecher zum Rumlaufen!

  • Immer schön fest den Pott in der Hand
  • Das Festhalten eines Kaffeebechers, genauer gesagt eines „Potts“ ist eine typisch amerikanische Erfindung. Es gehört zu jeder Lagebesprechung dazu, dass der Boss möglichst relaxt einen Pott Kaffee umklammert, während er sich den Rapport der Mitarbeiter anhört. Sogar in Science Fiction Filmen wie „Alien“ oder „Startreck“ wird dieses Utensil als Gemeinplatz in Zukunftsgeschichten eingebaut. Hast du eine Krise zu besprechen, dann mildere den Ernst der Situation und demonstrierte deine entspannte Aufmerksamkeit bzw. Fähigkeit zum Multitasking, in dem du beim Zuhören Kaffee aus einem Becher schlürfst. Macht mächtig Eindruck. Eine typische Geschäftsverhandlung in Deutschland oder in der Schweiz wird hingegen mit sehr förmlichem Kaffee-Anbieten eröffnet. Eine Untertasse und Crème aus einem Portionspäckchen mit lustigem Sammelmotiv sind dabei Pflicht, Smalltalk beim Eingiessen und Umrühren ebenso. Bloss nicht gleich zur Sache kommen. Ist man erst mal in der Verhandlung, bleibt für den Kaffeegenuss eh keine Minute mehr Zeit. Also brav vorher trinken.

  • Kaffee zum Schuheausziehen
  • Ich arbeite momentan immer noch in Norwegen. Dort ist es mir auf einem Geschäftstreffen passieren, dass der offerierte Kaffee schon 2-3 Stunden alt ist und so schmeckt, wie man sich eine aufgegossene schwarze Herrensocke, was man sich lieber nicht vorstellen möchte. Das Geschmackserlebnis bleibt gleich: es zieht Ihnen einfach die Schuhe aus. Die leeren Becher von Starbucks, Costa-Café oder wie die internationalen Anbieterketten sonst heissen, sind sehr beliebt bei den zahlreichen Bettlern auf der Strasse, die im Abstand von 100 Metern immer dort zu finden sind, wo reger Publikumsverkehr herrscht.

  • Kaffeebecher zum Betteln
  • Norwegen ist das laut Statistik das reichste Land er Welt, mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen, und doch sieht man viele Bettler. Der Kontrast könnte in der Hauptstadt Oslo nicht grösser sein, zwischen dem hübschen Schloss, in dem der norwegische König wohnt, und den Obdachlosen, die in Sichtweite des Schlosses vor dem Nationaltheater auf dem Gehsteig wohnen.

    Was man beim „Café-to-go“ in Oslo nicht sieht, in der Schweiz aber sehr wohl, ist das Gipfeli zum Kaffee in der anderen Hand. Als „Croissant“ hat es in Deutschland längst Einzug erhalten, doch bis nach Skandinavien ist der Siegeszug noch nicht fortgeschritten. Die Norweger essen lieber frische Waffeln zum Frühstück, und das dann doch lieber im Sitzen. Das finden sie „hyggelig“, wie überhaupt fast alles oft als „hyggelig“ bezeichnet wird. Nein, nicht hügelig, sondern „angenehm, bequem, gemütlich, nett“. All das kann „hyggelig“ heissen. Ostern feiern die Norweger übrigens gern eine ganze Woche. Von Palmsonntag bis Ostermontag ist fast niemand im Geschäft. Gründonnerstag ist ebenso wie Karfreitag ein offizieller Feiertag. Na dann „god påske“ oder „Frohe Ostern“!

    Mittagessen um 11.00 Uhr — Arbeiten in Norwegen (Teil 1 von 2)

    Februar 10th, 2009
  • Schuhe wechseln an der Garderobe
  • Zurzeit bin ich beruflich unter der Woche in Norwegen. Ich „commute“, wie man im angelsächsischen Sprachraum für „pendeln“ sagt. Montags früh mit dem Flieger nach Oslo, und am Freitagabend wieder zurück nach Zürich. Da Bülach gleich beim Flughafen Kloten liegt, beträgt die Reisezeit von Haus zu Haus nicht mehr als zu einem Kunden nach Genf, auch wenn es 1‘400 KM weiter sind als bis ans andere Ende der Westschweiz. „To commute“ heisst auch „umwandeln“, und ich fühle mich stets wie umgewandelt, wenn die Arbeit in Oslo beginnt. Viele Kollegen fahren dort auch bei Schnee und Eis mit dem Velo zur Arbeit, und lassen die sperrigen Fahrradschlösser gleich am überdachten Fahrradständer, anstatt sie täglich mit nach Hause zu schleppen, denn dort kommt das Velo in die Garage und muss nicht abgeschlossen werden. An der Garderobe werden die Schuhe gewechselt. Viele Paare von warmen Winterstiefeln werden in bequeme Büro-Schuhe umgetauscht, aber in Pantoffeln habe ich dennoch niemanden dort rumlaufen sehen.

    Schuhe an der Garderobe wechseln

  • Trinken Sie lieber keinen Kaffee in Norwegen
  • Während in Deutschland Punkt 9:30 Uhr der gemeine Beamte den Stift fallen lässt, sich die Kaffetasse schnappt um zur Kantine zu schlurfen, und in der Schweiz das „z’Nüni“ pünktlich um 10:00 Uhr ansteht, fällt diese kleine Frühstückspause in Norwegen aus, denn dazu ist morgens keine Zeit. Vielleicht liegt der Ausfall der Kaffeepause ja auch an der grausam schlechten Qualität des norwegischen Büro-Kaffees, der wahrscheinlich noch in Amerika besser schmecken dürfte. So etwas wie eine Saeco, Jura oder Lavazza Espresso Kaffemaschine scheint es nicht zu geben.

  • Wer hat um 11:00 Uhr schon Hunger?
  • Um Punkt 11:00 Uhr hören alle auf zu arbeiten und gehen zum Mittagessen in die preisgünstige Kantine. Haben Sie schon mal um 11:00 Uhr zu Mittag gegessen? Selbst im Krankenhaus oder im Altersheim ist 11:30 Uhr die frühste Zeit, und in der Westschweiz öffnet keine Kantine vor 12:00 Uhr. In Oslo öffnet die Mittagskantine bereits um 10:00 Uhr ihre Kassen. Um 11:30 Uhr ist das Essen schon wieder vorbei, und es wird fleissig und konzentriert weitergearbeitet. Allerdings nur bis um 16:00 Uhr, denn dann ist Feierabend und die meisten brechen auf nach Hause, oder gehen noch ins Fitnesscenter, wo die Kurse um 16:15 Uhr beginnen, zu einem Zeitpunkt, an dem man sich in der Schweiz noch lange nicht traut, an die Heimfahrt zu denken. In der Schweiz muss ein schlechtes Gewissen oder eine gute Ausrede haben, wer sich schon vor 18:00 Uhr auf den Heimweg macht. Wer in der Schweiz um 17:00 Uhr geht hat dafür sicher auch um 7:30 Uhr oder noch früher zu arbeiten begonnen.

    (2. Teil morgen: Beim „MageRygg“ Training wird der Magen trainiert)

    Oslo ist nicht in Finnland — Vergleich zweier Nachbarländer

    Januar 13th, 2009
  • Oslo liegt nicht in Finnland
  • Kurz vor Weihnachten erfuhr ich, dass ich im Januar beruflich nach Oslo reisen darf. Eine kurze Umfrage bei den Kollegen im Zürcher Büro ergab: 50 % meinten „Oslo liegt in Norwegen“, die andere Hälfte sagte „Oslo liegt in Finnland“. Ja, aber wenn Oslo in Finnland liegt, wo liegt dann eigentlich Helsinki? Eben. Oslo ist die Hauptstadt von Norwegen, bekannt durch die Nobelpreisverleihung und … Ja, durch was eigentlich? Eine grosse Unbekannte, diese Stadt genau wie dieses Land. Es gibt viele Berge mit Schnee, genau wie in der Schweiz.

  • Der grosse Nachbar erdrückt
  • Der Wirtschaft ging es bisher gut, wie in der Schweiz, jedoch nicht wegen der Banken sondern wegen der Erdölvorkommen in der Nordsee. Nebenan gibt es einen einwohnerstarken und kulturell fast erdrückend grossen Nachbarn, der fast die gleiche Sprache spricht. Eine Situation ähnlich wie in der Schweiz, nur das hier Schweden die Rolle von Deutschland spielt. Die Schweden kommen en masse nach Norwegen zum Arbeiten, wie die Deutschen in die Schweiz, und machen all die Jobs im Gastgewerbe und im Hotelfach, für die sich keine Norweger mehr finden. Nur was das Selbstbewusstsein gegenüber den Nachbarn angeht, da könnten die Schweizer noch etwas von den Norwegern lernen. Kommt vielleicht einfach daher, dass Norwegen grösser als Schweden ist.

    Norwegisch ist sehr schwierig
    (Norwegisch ist gar nicht so kompliziert, wie man hier sieht)

  • Fast jeder spricht Englisch
  • Norweger verstehen Schwedisch sehr gut, auch weil sie schwedischen Fernsehen empfangen können. Andersherum müssen sich Schweden in die norwegischen Dialekte erst einhören. Norwegisch wird oftmals völlig anders geschrieben als gesprochen, die Dialekte weichen stark von der Schriftsprache ab, auch das ist eine Parallele zur Situation in der Schweiz. Betritt ein Ausländer einen Raum, sprechen die anwesenden Norweger untereinander sofort auf Englisch weiter, aus Höflichkeit und mit grosser Leichtigkeit. Oftmals sprechen sie auch weiterhin Englisch, wenn die nicht norwegisch sprechenden Ausländer den Raum wieder verlassen haben, weil sie nicht mehr dran denken die Sprache zu wechseln.

  • Ein Bier für 12 Franken
  • Den modernen Airport-Train „Flytoget“ (Zug = „tog“, oder „fly-to-get“) zum Flughafen von Oslo können sie beim Verlassen des Bahnsteigs mit einer Kreditkarte in Sekundenschnelle bezahlen, gleiches gilt für ein Taxi. Oslo hat übrigens gleich drei internationale Flughäfen. Geflogen wird im Land viel, denn bis zum Nordkap im Norden sind es auf der Strasse 1969 Kilometer, ungefähr genauso weit wie bis nach Mailand, nur in die andere Richtung.

    Schwierig ist es in Norwegen nur, sich mal eben eine Dose Bier zu kaufen. Kein Kiosk und kein Supermarkt verkauft Alkohol. Den gibt es nur in staatlichen Monopolgeschäften, die früh am Abend schliessen, zu sehr hohen Preisen. Wer nach Ladenschluss noch Lust auf ein Bier hat, muss in eine Bar oder Kneipe gehen und bezahlt dort 12 Franken für ein Glas. Was glauben Sie, wie langsam Sie das austrinken werden.

  • Ohne Kronen keinen in der Krone
  • Angetrunkene Jugendliche am Samstagabend in der Stadt sieht man bei 17 Grad minus sowieso wenig, und anders als in Finnland haben die Norweger keine ausgeprägte Sauna-Kultur, um sich auf diese Art aufzuwärmen. Bezahlt wird in Norwegen nicht in Euro sondern in Kronen, und wenn Sie für die erste Taxifahrt ein paar Hundert Kronen gezückt haben (eine Krone = 16 Rappen), verlieren sie jedes Gefühl für Geldmengen, so wie früher in Italien, als es die Lira noch gab.
    Gewöhnungsbedürftig ist die durch die Nähe des Polarkreises verkürzte Tageszeit. Jetzt im Januar geht die Sonne gegen 10:00 Uhr auf und ab 14:00 Uhr können sie bereits wieder einen wunderbaren Sonnenuntergang über dem Fjord bewundern. Norweger schauen täglich in der Zeitung nach, um wieviele Minuten die Sonne früher aufgeht. Im Sommer dann sehnen sie sich nach der Dunkelheit, wenn es auch um Mitternacht hell genug ist zum Zeitunglesen.

  • Whü are Yü?
  • Zeitunglesen macht Spass, denn meistens lassen sich mit Deutschkenntnissen 60 % der Artikel erschliessen. Norddeutsche mit Niederdeutschkenntnissen sind dabei im Vorteil. Ein Feuerwehrschlauch ist eine „Brannslange“ und „ledig“ kann ein unbesetztes Zimmer genauso wie ein arbeitsloser Mensch sein, nur die unverheiratete Frau ist es nicht. Probleme haben Norweger mit Vokal „u“, der wird immer zu „ü“. Der Satz „Who are you?“ wird dann leicht zu „Hü are yü“. Ausgang heisst „Utgang“ und Sicherheit = „Sikkerhet“. Noch Fragen? Die Frage, warum Norweger zum Skifahren in die Schweiz kommen, wo sie doch selbst ausgezeichnete Skigebiete haben, blieb ungeklärt. Wahrscheinlich weil es hier wärmer ist und länger hell. Der Preis für Alkoholika spielt ganz bestimmt keine Rolle bei dieser Wahl des Ferienortes.