Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 5) — Gluschtig
Da wir nun gelernt haben, dass „glatt“ in Wirklichkeit „lustig“ bedeutet (und anderes mehr), wenden wir uns nun dem Wort „lustig“ zu. Es ist nämlich keinesfalls zu verwechseln mit „gluschtig„. Ich las dieses Wort zum ersten Mal auf der Werbetafel eines Pizza-Stands im Basler SBB Bahnhof: „Gluschtige Pizzastücke“ wurden da angeboten, und prompt riet ich falsch und meinte, es müsse sich hier wohl um besonders schlecht ausgesprochene Variante von „knusprig“ handeln.
Aber weit gefehlt, es hat nix mit Knuspern zu tun, sondern mit Lust. Reine unverholene Lust auf etwas zu Essen. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt, dem Wort „lustig“ wären.
„Ge-lustig“ bedeutet, dass es die Lust im Käufer wecken soll, dass es Appetit macht, nicht auf Sex, sondern auf Pizza. Lustgewinn beim Pizzaschmaus. Denn es steckt natürlich auch das neuhochdeutsche Nomen“Gelüste“ in diesem Wort. Sollte man „geluschtig“ also besser mit „Gelüste habend“ übersetzen? Wie ist dann aber eine „Gelüste habende Pizza“ zu verstehen? Wird sie gleich über mich herfallen und mich vernaschen? Oder doch eher ich die Pizza?
Die Schweizer kennen da ein Zaubermittel, mit dem man aus jeder langweiligen Suppe, aus jedem faden Auflauf und aus jedem noch so laschen Kartoffelchip eine „gluschtige“ Speise machen kann: AROMAT.
Das ist im Prinzip nichts anderes als „Geschmacksverstärker„, in der asiatischen Küche auch als „China-Gewürz“ gehandelt, für die Chemiker unter uns: Es ist reines Natriumglutamat (E621).
Der am häufigsten verwendete Geschmacksverstärker ist Natriumglutamat (E 621). Das Salz der Glutaminsäure (eine Aminosäure) ist in Eiweißstoffen enthalten und kommt in zwei Formen vor: „gebunden“, also zusammen mit anderen Aminosäuren zur Bildung von Proteinen und „ungebunden“, das heißt nicht in Verbindung mit Eiweiß. Nur das ungebundene Glutamat hat die geschmacksverstärkende Wirkung und kommt auch in natürlichen Lebensmitteln wie Getreide, Fleisch, Algen, Käse und Tomaten vor. (Quelle)
Kommt daher wohl das Wort „gluschtig„? Speise mit Glutamat? Würde doch prima passen. Der Wirkstoff Glutamat ist übrigens stark dafür in Verruf geraten, dass er von vielen nicht vertragen wird, und auch Kopfschmerzen auslösen kann. Häufige Besuche beim Chinesen können zur Beweisführung beitragen. Aber wer hat in der Schweiz schon das benötigte Kleingeld, um häufig zum Chinesen zu gehen.
Auf einer Gesundheits-Webseite finde ich dazu:
Chinarestaurant-Syndrom und Glutamataufnahme Es gibt zahlreiche Fallberichte (fast ausschließlich aus USA), in denen Unverträglichkeitsreaktionen nach Essen in Chinarestaurants beschrieben werden. Ein Zusammenhang mit dem Glutamatgehalt der Speisen ist oft vermutet, jedoch nie bewiesen worden. Ob derartige Unverträglichkeitsreaktionen häufiger nach Essen in Chinarestaurants auftreten als nach Mahlzeiten in anderen Restaurants, ist bis heute ungeklärt. Insofern sollte auf den Begriff Chinarestaurant-Syndrom ganz verzichtet werden. (Quelle)(DGE)
Na ja, dann müssen die Kopfschmerzen doch nicht vom Essen beim Chinesen herrühren, sondern vom Blick auf die anschliessende Rechnung und auf das leere Portemonnaie.
November 20th, 2005 at 1:20
super lustig!werde öfters vorbei schauen 🙂
November 20th, 2005 at 10:54
Zitat aus einer privaten Mail zu diesem Post:
„Dein Glutamatbeitrag „weint“ mir grad aus dem Herzen;-) Unser Spezialschweizer, welcher in der Migros arbeitet (nein eigentlich arbeitet er da nicht, vielmehr „schafft“ er dort), bringt das Teufelszeug, welches da Mirador heißt, immer in Hotelpackungen nach Hause. Damit kann man dann ganze Kompanien vergiften. Ich hab schon in Deutschland von Haus aus eine Abneigung gegen Maggi gehabt, hier ist es nicht eben besser geworden. Der gute R. (so heißt das Ende meiner deutschen Nerven übrigens) „würzt“ nämlich einfach alles damit. Nicht weiter verwunderlich, das dann auch absolut alles gleich schmeckt. Und das daß Zeug den Geschmack nur verstärkt, hat er auch eindrücklich widerlegt. Es kann den Geschmack auch restlos versauen. Sh. (der Japaner in unserer Wahnsins-WG) findets dann auch nur bedingt genießbar, was R. so auf den Tisch zaubert. Es hat wohl weniger was mit kochen, denn mit Alchimie zu tun. Aufgefallen war mir auch, das sogar „bessere“ Restaurants das Zeug auf den Tischen stehen haben, wo in Deutschland allenfalls Salz und Pfeffer zu finden wären. „(Zitat Ende)
November 20th, 2005 at 12:02
Hallo Jens
Ein Symbol früherer und zeitgenössischer Schweizer Kindheit fehlt auf der abgebildeten Gewürzdose: der „Knorrli“:
„richtiger“ Aromat-Würzstreuer:
http://www.knorr.ch/ch/de/PromotionsAndProducts/KnorrProducts/ProductsOverview.htm?catalog_name=Knorr+Retail&category_name=Wuerzen&page=1&subcategory_name=Allzweck#
Knorrli als Marketing-Träger:
http://www.knorr.ch/ch/de/Knorrli+Boutique/KidsBoutique_55.htm
Über Sinn und Unsinn des Würzens damit will ich mich gar nicht auslassen. Die Erfahrungen sind wohl zu verschieden. Es gibt sicher sogar in der Schweiz viele Köchinnen und Köche, die komplett auf diese Universalwürze verzichten können. Anderesind froh, damit noch etwas Geschmack zu „retten“.
Ich bräuchte noch ein bisschen Nachhilfe in Wirtschafts-Geographie: Wieso ist wohl Maggi, die im Zürcher Oberland und in Singen (also ganz nahe bei Schaffhausen) ihre Firmen betreibt, und ähnliche Produkte wie Knorr vertreibt, weltbekannt geworden, nicht aber Knorr aus Thayngen SH*. Knorrs Produkte halten offenbar strikt die Landesgrenzen der Schweiz ein.
Knorr (Unilever-Gruppe)
http://www.knorr.ch/ch/de/Servicecenter/ServiceCenter_80.htm
Maggi (Nestlé-Gruppe)
http://www.maggi.ch/de/aboutus/contact.asp
* Thayngen liegt im Kanton Schaffhausen. Anekdote: Dort hat es aber nur einen DB-Bahnhof. Jestetten http://www.blogwiese.ch/archives/60 hat nur einen SBB-Bahnhof (unbedient)
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Zum Thema Kopfweh nach China-Restaurant: Der Grund ist zumindest hierzulande ganz einfach zu finden. Ich bin sicher, dass in der Schweiz wohnhafte Geniesser chinesischer Küche nur Kopfweh haben, weil bei diesem kulinarischen Exzess (vor allem in Franken ausgedrückt) sicher auch genügend Wein konsumiert wird. Man gönnt sich das ja nur einmal im Jahr! Daher schreibe ich dem Weinkonsum die Kopfschmerzen zu.
November 24th, 2005 at 16:44
Moin,
Glutamat kannst Du in Essen in einem chin. Laden Säckeweise kaufen. Also: Koche eine Erbsensuppe, schütte 1/2 Pfund Glutamat hinein – — warten. Kopfschmerzen? Dann war’s Glutamat, wenn nicht – dann eben nicht.
Und bei Magdeburg in Genthin kann man für 4,50 ein chin. Mittagessen mit vorsuppe und Nachtisch bekommen. Dort gewiß keine Rechnungskopfschmerzen. Ob Glutamat drin ist, habe ich noch nicht herausgefunden.
gruss Quassel
April 7th, 2006 at 10:49
Also ich komme aus Thayngen und es ist so, in Thayngen gibt es nur einen DB-Bahnhof. Übrigens sind nur gerade 9 km Eisenbahn im Kt. Schaffhausen wirklich SBB. Alles andere ist DB. Jestetten hat auch einen (unbedienten) Bahnhof der wirklich aussieht wie von der SBB. Aber die Linie dort ist ja auch von der SBB (einfach auf deutschem Boden).
Die Linie zwischen Thayngen und Waldshut ist auch etwas stiefmütterlich behandelt von der DB. Bis 1971 fuhr noch Fahrplanmässig eine Dampfeisenbahn. Danach kam der historische Schienenbus. Dieser wurde erst mit der elektrifizierung in den 80’er Jahren durch die moderneren Nahverkehrszüge abgelöst. Aber auch heute fahren mehrheitlich Dieselbetriebene Züge von Singen über Thayngen/Schaffhausen nach Waldshut.
Übrigens ist der Knorrli leider vom Dach der Knorr verschwunden. Neu heisst das Ding ja auch Unilevel oder so ähnlich.
Dafür „stinkt“ auch nicht mehr das ganze Tal, wenn wieder Suppe oder andere starke (rässe) Lebensmittel hergestellt werden.
März 15th, 2011 at 17:38
liebe Blogwiese
mit Lust und Gewinn lese ich deine Noordischen Beobachtungen zur Schwiiz an sich und im Besonderen. Danke!
Aber, sach ma, Kollege, wie übersetzt ihr denn nun „gluschtig“? Verführerisch, verlockend, reizend etc. passt mir grad gar in dem Zusammenhang, wo ichs brauchen täte — gibtz da nördlich des Mains nicht was schnackiges dazu?
(wobei gleich auch gefragt sei, ob „schnackig“ bloss meine Imagination ist, oder in irgendeinem deutschen Binnensprachraum bentutz wird.
Please? enticing/compelling ist das englische Äquivalent – kann doch nicht sein, dass die Mutter unser aller gemeinsamen Literatur-Sprache nix passendes zu bieten hat?
katrin