Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 4) — Eine glatte Sache
Ziemlich häufig bekommt man in der Schweiz das Wörtchen „glatt“ zu hören. Muss man nun deswegen permanent auf Wollsocken oder mit Spikes unter den Schuhen unterwegs sein, mit dem Salzstreuer oder einem andern Streugut bereit in der Hand (Schweizerdeutsch: „parat“)? Es scheint so, dass die Schweiz, speziell das Zürcher Unterland extrem Glatteis gefährdet ist. Denn hier ist alles glatt:
Der Fluss, der vom Greifensee bis zum Rhein durch das Unterland fliesst, heisst „die Glatt„.
Das Einkaufzentrum bei Wallisellen ist das „Glattzentrum„, und dort gibt es das Restaurant „Glattdörfli„.
Fährt man mit der S-Bahn weiter in Richtung Schaffhausen, kommt man durch „Glattbrugg„, „Oberglatt„, „Niederglatt„, und um die Ecke im Glatttal liegt dann auch noch „Glattfelden„.
Alles in allem eine rutschige Angelegenheit.
Aber „glatt“ kann in der Schweiz vieles heissen. Fragen sie doch mal die Schweizer in ihrer Umgebung, wie sie das übersetzen wüden. „Lustig“ werden sie wahrscheinlich an erster Stelle hören. Also geht es wohl ziemlich lustig zu, hier im Unterland, wenn einfach alles so „glatt“ ist?
Mhd. glat „glänzend, blank; eben; schlüpfrig“, ahd. glat „glänzend“, niederl. glad „glatt, schüpfrig“, engl. glad „fröhlich“ (eigtl. „strahlend, heiter“), schwed. glad „heiter, fröhlich; angeheitert“ gehören zu der vielfach weitergebildeten und erweiterten idg. Wz. „*ghel- „glänzend, schimmernd, blank“ (vgl. gelb). Mit dem altgerm Adjektiv sind z. B. eng verwandt lat. glaber „blank; glatt; kahl“ und russ. gladkij „glatt“. (Quelle Duden 7)
Das erklärt doch alles: Sie waren glücklich und heiter, wahrscheinlich auch ein wenig „angeheitert“, die Schweizer im Glatttal, als sie ihre Dörfer und den Fluss nach diesem hübschen Wörtchen benannten.
Auch im Südbadischen Freiburg im Breisgau, tiefste Allemanische Hochburg, geht es „glatt“ zu. Zum einen, weil dort die „Bächle“ kreuz und quer durch die Stadt fliessen
und wenn man da hineintappt, kommt man nie wieder fort aus Freiburg. So will es die Sage, und so geschieht es jedes Jahr wieder. Als Student kommen sie nach Freiburg, die jungen Norddeutschen, tappen aus Versehen in ein Bächle, und schon ist es passiert. Sie kleben an der Stadt wie die Daunenfeder am frisch geteerten Delinquenten.
Hier fährt die Müllabfuhr mit einem gross aufgedruckten Zitat des allemanischen Dichters Johann Peter Hebbel durch die Gegend: „z’Friburg in der Stadt, wo’s sufer isch un glatt„.
Die Freiburger sind mächtig stolz auf dieses Lob eines Dichters, obwohl das Gedicht noch weitergeht:
Z’Friburg in der Stadt,
sufer ischs und glatt;
richi Here, Geld und Guet,
Jumpfere wie Milch und Bluet,
z’Friburg – z’Friburg –
z’Friburg in der Stadt
Jetzt sind die allemanischen Hobby Linguisten wieder gefragt: Was um alles in der Welt heisst nun „jumpfere„? Hat es was mit dem Englischen „to jump“ zu tun?
November 19th, 2005 at 5:03
😉 nicht viel eher etwas mit „Jungfrau“ ??
November 19th, 2005 at 9:15
Jumpfere sollte wohl das Dialektwort für Junker sein. Ein Junker war ein junger Edelmann (allerdings, gem. Wikipedia gibt es andere, ähnliche Deutungen http://de.wikipedia.org/wiki/Junker ).
Das war mein erster Gedanke. Der zweite war, dass es auch Jungfrauen heissen könnte („Jungferen“ o.ä.), womit also höchstwahrscheinlich also junge schöne Frauen gemeint wären.
November 19th, 2005 at 13:27
also „en aalti jumpfere“ ist schlicht und einfach eine unverheiratete alte frau, die, falls sie sich schön katholisch verhalten hat, eben noch jungfrau (fräulein) ist. „e jumpfere“ ist demnach wohl einfach eine unverheiratete frau, die noch zu haben wäre…
November 19th, 2005 at 14:10
Das Schweizerdeutsche „glatt“ findet seine linguistische Parrallele im englischen „glad“, was je nach Kontext etwa „erfreut/erfreulich“ heisst.
A propos „Fräulein“: Ältere Leute rufen im Restaurant nach der Bedienung, indem sie z.B. „Frölein, zahle!“ rufen. Dieses „Fräulein“ kann sehr wohl die Frau des Wirtes sein und kurz vor Pensionsalter stehen. Also nicht zwungenermassen eine „Jumpfere“ (= Jungfer). Politisch korrekt nach der Bedienung rufen, ist heute schwierig; da haben wir noch eine Lücke gegenüber Deutschland. „Bedienung“ gibt es in der Schweiz nämlich nicht. Jüngere Leute brauchen daher anstelle des „Frölein, …“ eher „Ähem, …“, „Entschuldigung, …“, „Madame/Monsieur, …“, Excuseh, …“, „Äh, chönnti bitte …“ oder so.
November 19th, 2005 at 17:40
Mann, Jens,
Du warst doch lange genug in Freiburg, um die vielen schönen jungen Frauen, Jungfern eben, zu kennen!
Da wird selbst Peter neidisch.
November 19th, 2005 at 20:15
Lieber Jens Wiese
„Glatt“ kann auch zu „sauglatt“ gesteigert werden. Und daraus ist sogar in den letzten Jahren ein Substantiv kreiert worden, das man wohl wirklich nur in der Schweiz kennt: „Sauglattismus“.
Damit ist ein verkrampftes Bemühen um Lustigkeit gemeint, das eher in Peinlichkeit endet.
Man muss nur mal den Gesichtsausdruck von Mitgliedern von Schweizer Ländlerkapellen (Volksmusikgruppen) studieren, dann weiss man in welche Richtung „Sauglattismus“ zielt….
November 21st, 2005 at 20:12
Hallo
Bei “jumpfere“ würde ich auch am ehsten auf „Jungfrau“ tippen, schliesse mich also den vorangegangenen Meinungen an.
„Glatt“ wird hier auch anstelle von „lustig“ genannt.
Wie immer sehr spannend zu lesen. Danke für diesen tollen Blog! 🙂
Liebe Grüsse aus dem Aargau!
November 22nd, 2005 at 16:43
Bei dem Wort „sauglatt“ krieg ich fast das kotzen. Das „tönt“ so dämlich! Das ist noch schlimmer als „mega“ („mega glatt“, Hilfe!)
Für uns Berner „fägts“ (Die bernische Variante von „De Pläusch ha“) übriges immer noch uns über die anti-Raucherkampagne lustig zu machen:
„Er räääucht nööööd, er isch mega!“ = „Das isch de Beni, er räucht nööd, er isch mega! Er sprützt jetz nurno Heroin…“
Muss ich mich als Nichtraucher nun schämen dafür „mega“ zu sein?
April 7th, 2006 at 10:40
Sind definitiv Jungfrauen, und zwar junge. Er schreibt ja, Jungfrauen wie Milch und Blut. Lest mal Schneewittchen und ihr habt den Hinweis.
Der Dichter meint damit, dass die Jungfrauen ausserordentlich schön sind.
Übrigens gibts bei uns ja auch Jungfere. Wie aber oben schon beschrieben, können das auch schon ganz alte und vertr….. lassen wir’s
August 17th, 2006 at 11:12
Wenn schon nach einem schweizerischen Aequivalent zum engl. „to jump“ gefragt wird, dann ist das wohl „gumpen“=hüpfen,
„ume(nand)gumpe“=herumhüpfen
Dezember 30th, 2006 at 9:20
Jumpfere ist „jungfer“ also „junge frau“ – auch bei jeremias gotthelf kommt die bezeichnung vor. Das kann nun je nachdem wirklich eine junge und unverheiratete frau sein, aber es kann auch eine dienstmagd sein, je nachdem in welchem kontext das wort vorkommt.
Februar 25th, 2007 at 15:25
JUMPFERE = Jungfer = Jungfrau
„en alti Jumpfere“ bedeutet auch ältere, unverheiratete Frau im Sinne der engl. „old spinster“