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Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 16) — „plafonieren“ und „zurückbinden“

(reload vom 16.01.08)

  • Plafonieren ist nicht plattmachen
  • Wir lasen am 07.01.05 in Fachblatt für die Schweizerdeutsche Gegenwartssprache, dem Tages-Anzeiger:

    „Die Zahl der Lärmbelästigungen soll plafoniert werden“

    Plafonieren

    In der Schweiz wird häufig plafoniert. Google-Schweiz findet 980 Belege, deutlich mehr als Google-Deutschland.

    Da wir in Deutschland nicht so stark unter französischen Einfluss stehen wie die Schweizer mit ihrer Romandie, bzw. uns schon zur Wilhelminischen Zeit alles übersetzten liessen, was nur entfernt nach Frankreich roch, müssen wir nun nachschauen im Französisch- wörterbuch „Le Petit Robert“, das ist der kleinen Bruder vom „Grand Robert“. „Petit“=klein finden wir eigentlich masslos untertrieben, denn das Buch wiegt mindestens 2 Kg und ist 10 cm dick.

    „Le plafond“ wird dort mit „die Zimmerdecke“ übersetzt, und „plafonieren“ finden wir zusätzlich sogar im Online Fremdwörter-Duden:

    plafonieren : (schweiz.) nach oben hin begrenzen, beschränken
    (Quelle: Online-Duden)

  • Bindet den Flughafen zurück, sonst läuft er fort
  • Ganz am Ende unserer Tages-Anzeiger Lektüre werden wir noch mal stutzig, denn wieder entdecken wir eine Formulierung, die uns zunächst unverständlich vorkommt:

    „Fluglärmgegner halten an ihrem Ziel fest, den Flughafen zurückzubinden“.
    (Quelle: Tages-Anzeiger 07.01.06)

    Zurueckbinden
    Wir können uns vorstellen, wie man einen Zopf „zurückbindet“, oder ein „Pferd anbindet“. Aber wie geht das mit so einer grossen Sache wie einem Flughafen?

    Es ist nicht wörtlich gemeint, das verstehen wir schon, und auch keine ungewöhnliche Sache, wenn die Schweizer etwas „zurückbinden“. Google-Schweiz findet 411 Belege

    Da werden Risiken, Massnahmen oder auch Exportkredite zurückgebunden, als ob sie alle mit Hanfseilen am Boden befestigt sind. Im Duden gibt es über 100 Verben die mit „zurück-„ beginnen. Das Verb „zurückbinden“ ist erstaunlicher Weise nicht darunter, hingegen spielt es bei der „Religion“ eine grosse Rolle:

    Lactantius (Divinae Institutiones 4, 28) führt das Wort zurück auf religare: „an-, zurückbinden“. Mögliche ursprüngliche Bedeutungen von „Religion“ sind demnach „frommes Bedenken“ oder die „Rückbindung“ an einen von Gläubigen an- bzw. wahrgenommenen universellen göttlichen Ursprung oder an sonstiges Höheres.
    (Quelle: Wiki)

    Also halten wir uns ganz fest an dem Wörtchen „zurückbinden“ in der Schweiz! Wir nehmen es in unseren Sprachschatz auf und machen es einfach zu unserer Religio = Religion.

    

    4 Responses to “Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 16) — „plafonieren“ und „zurückbinden“”

    1. alex Says:

      Ich finde das schon ein starkes Stück an Ungenauigkeit, ich vermute mal, es ist der Tages-Anzeiger, der hier nicht aufgepasst hat. Denn immerhin ist es ein nicht ungerheblicher Unterschied, ob die Zahl der LärbelästigUNGEN oder die Zahl der LärmbelästigTEN plafoniert werden soll. Wie die Zahl der sich vom Flughafenkrach belästigten Menschen nach oben begrenzt werden soll, mag ich mir lieber nicht vorstellen…

    2. AnFra Says:

      Das mit dem nicht gefundenen „zurückbinden“ im Duden hat mich etwas durcheinander gebracht.
      In meinem nicht alemannischen Sprachumfeld in D habe ich dieses „zurückbinden“ gehört und verwendet, jedoch sehr selten. Als Beispiel: …..den Vorhang zurückbinden. Oder: ….das Fischnetz zurückbinden. Der Sinn dieser Aussage war: Bringe den Vorhang oder das Netz in die alte, bisherige Lage zurück und sichere es durch „zurückbinden“.

      Habe im Duden „Das große Wörterbuch der dt. Sprache von 1981“ tatsächlich „zurückbinden“ gefunden.
      Auch im Grimm WB ist es zu finden. Dem Sinne nach ist also der ursprüngliche, ehem. festgemachte, festgelegte oder vereinbarte Zustand durch „zurückbinden“ zu sichern oder wieder zu erreichen.

      Das „Band“ hatte in der Vergangenheit eine stärkere Bedeutung als es uns bewusst ist. Die althergebrachte etymologische Ableitung vom „religio“ als das „An-oder Zurück-Gebundene an Gott“ deutet an: Hier in diesem „zurückgebundenem“ Zustand des Menschen an seinen Gott erhält er eine absolute Sicherheit. Durch solch ein „Band“ wird man an die göttliche Weisheit „eingebunden“ und somit innig mit Gott verwoben. Sollten einmal „Häretiker, Sektierer, Neuerer, Protestanten oder Neuerer“ auftauchen, wird der Zweifler durch „richtige und gottgefällige“ Maßnahmen wieder in den Kreis der wahren Gläubigen „zurückgebunden“!
      Deshalb könnte der Begriff der „Religion“ (als das An- bzw. Zurückgebundene) nach der religiösen Aufbegehrung im 15. / 16. JH diese Bedeutung aus der „Bindung“ des Menschen zum Gott erhalten haben.

      Weitere „Bindungen“ lassen sich noch in anderen Bereichen auffinden. Die Flagge im span. „Bandera“ signalisiert die richtige Zugehörigkeit im Militärhaufen, die „banda“ im roman. Sprachbereich benennt die Musikergruppe, das „Band der Melodien“ umschließt die mittelalter. dt. Musikergruppen nicht nur musikalisch sondern auch als ein wirkliches „Band“ in der Umrandung des Musiker auf dem Festplatz.
      Über die Ableitung der engl. „band“ brachen wir wohl nichts mehr zu schreiben.
      Und über das „Anbandeln“ schweigen wir lieber diskret.

    3. Simone Says:

      Ist die Kurzform von „zurückbinden“ denn „Zbinden“?

    4. helza Says:

      Zurückbinden gibt es auch in der Reiterei. Ein Pferd wird ‚zurückgebunden‘, das heisst, die Zügel werden durch zusätzliche Schlaufen geführt, damit es den Hals gebeugt halten muss und nicht in den ‚gestreckten‘ Galopp verfallen kann, bei dem der Hals durchgestreckt ist. Alle Pferde in Dressurprüfungen sind zurückgebunden. Auch die meisten Pferde im Zirkus. Achtet mal auf die Zügel, die nicht direkt vom Pferdemaul zur Hand des Reiters verlaufen, sondern durch Ringe, die in Riemen stecken, die unten am Bauch des Pferdes enden und den Kopf nach unten ziehen. Dieses in einer vorgegebenen Haltung/Form Festbinden nennt man eben zurückbinden. Was natürlich auch auf die Religion passt, auch dort ist niemand wirklich frei, sondern wird in feste Formen gepresst oder gezwungen. Nicht nur in der Schweiz. Dass man den Ausdruck jetzt auch auf den Fluglärm anwendet, ist schon etwas gewagt, die Metapher ist jedoch verständlich. Und was die Zahl der Fluglärmgegner angeht: die wird weiter anwachsen, solange es in diesem Gebiet noch preiswerten Wohnraum gibt. Die Leute ziehen in diese Wohnungen, weil sie günstig sind und beginnen dann flugs auf den Fluglärm zu schimpfen, der für diese tiefen Mieten verantwortlich ist.