Schweizerpass und Schweizergrenze — Wenn alles „Schweizer-“ ist
(reload vom 27.12.05)
Der Schweizer Filmemacher Peter K. Wehrli brachte auf SF1 und auf 3SAT einen wundervollen Film mit dem Titel „Kniefall & Karneval“, in dem er einen Schweizer Blick auf die Deutschen wirft und viele Schweizer Schriftsteller dabei zu Wort kommen lässt. Oder sollte ich schreiben „Schweizerblick“ und „Schweizerschriftsteller„? Er stellt nämlich fest:
Screenshot aus dem Film:
Peter Bieri (Philosoph)
Vielleicht kann man darin etwas erkennen, wie dass man bestimmte Dinge der Schweiz einverleibt. Also wenn man etwas einen „Schweizerpass“ nennt, so ist es, als sei der Pass jetzt eine Eigenschaft des grossen Wesens Schweiz, und nicht nur ein Pass, der unter anderem die Eigenschaft hat, ein Pass eines Schweizers zu sein.
„Reisepass“ steht auf den Pässen der Deutschen:
Was dieser Unterschied wohl bedeutet?
Nun, wir haben selbst mal gegooglet und fanden diesen „Schweizerpass“ nicht mehr. Heute sieht das Ding so aus:
Und da sind deutlich die beiden Wörter „Schweizer Pass“ getrennt zu lesen. Vielleicht war es ja früher so.
Die Fahne der Schweiz wird in einem Wort „Schweizerfahne“ genannt.
Die Grenze, an der sie weht, „Schweizergrenze“, in einem Wort.
Als ob die Schweizergrenze etwas anderes wäre als die Grenze der Schweiz. Wahrscheinlich ist es eher Bequemlichkeit, aus „Schweizer Grenze“ die „Schweizergrenze“ zu machen. Und diesemal ist sie ja wirklich ein Teil der Schweiz, zumindestens bis zur Hälfte.
Der Schriftsteller Hugo Loetscher meint dazu:
Das hat natürlich mit einem Nationalismus zu tun, der sehr hartnäckig ist. Aber den man insofern verstehen kann, aus der Geschichte heraus, es war eine Selbstbehauptung, nicht, vor allem war das eben doch in den Dreissigern und dem Zweiten Weltkrieg, das man sich gegenüber Deutschland, also dem Nationalsozialismus behaupten musste, also behauptet man sich eben per „schweizerisch“, und plötzlich hat man eben Sachen als schweizerisch bezeichnet, die Schweiz als „Qualitätsbegriff“ und nicht als Eigenschaft, ja eben als Eigenschaft genommen.
Nun, das ist ein wörtliches Zitat, so ganz begriffen habe ich es ehrlich gesagt nicht.
Peter Bichsel (Schweizerschriftsteller):
Es gibt in diesem kleinen reichen Land ja wirklich alles, was es auf der Welt gibt. Und wenn wir von allem was wir haben, Schweizer Wein, Schweizer Aschenbecher, Schweizer Tisch, Schweizer Haare, ich hab Schweizer Finger, und Schweizer Fingernägel, wenn alles Schweizer ist was wir haben, dann sind wir die ganze Welt. Das ist ein Problem der Kleinen.
Und wenn dann ein so Kleiner einen grossen Bruder hat, ist das schon ein bisschen schwierig.
Nix „grosser Kanton“ also, sondern „grosser Bruder„. Normalerweise ist das doch etwas Positives? So einen grossen Bruder kann man holen, wenn es Ärger gibt, z. B. mit den Chaos-Demonstranten am Flughafen von Genf, während des G8 Gipfels 2003 (vergleiche🙂
Thomas Hürlimann (auch Schweizerschriftsteller):
Wer so auf den Putz haut dass er das Wort „Schweiz“ mit der Grenze zusammen ziehen muss, der hat natürlich immer auch eine gewisse Angst, dass diese Grenze geschleift werden könnte, dass sie verschwindet. Also zwischen diesen Wörter durfte man durchaus manchmal etwas Luft lassen.
Sehen wir es also als eine postive Entwicklung an: Der Name wird heute zumindestens auf dem Pass in zwei Teilen geschrieben, da ist wieder Luft dazwischen.
Alle Zitate der Schriftsteller sind wörtliche Mitschriebe aus dem Film „Kniefall & Karneval“ von Peter K. Wehrli.
Mai 20th, 2008 at 10:46
Herr Loetscher und Herr Bichsel erklären das Phänomen m. E. sehr treffen. Zunächst zu Loetscher: Die Schweiz steht für Qualität, sie wird dadurch nicht nur Qualitätsbegriff, sondern eine Marke. „Schweizerpass“ wird somit als Marke eingetragen und wir bei vielen Markenartikeln geht es weniger um den Artikel selbst als um die Marke als Statussymbol. Warum sonst interessieren sich so viele Menschen für einen Schweizerpass? Für Non-EU-Citizens mag das interessant sein, wenn sie in der Schweiz sesshaft werden wollen, aber mir kann kein Mensch erklären, warum sich so viele EU-Bürger, die sich entschieden haben, in der Schweiz zu arbeiten, darum reissen. Wenn ich mir die Wahlbeteiligung in Deutschland ansehe, kann ich nicht glauben, dass Leute, die im Heimatland auf ihr Wahlrecht verzichten, sich plötzlich in der Fremde so sehr darum reissen. Es geht also mehr um das Produkt „Schweizerpass“ als Statussymbol.
Auf meinen deutschen EU-Reisepass habe ich mir nie viel eingebildet, sondern lediglich darauf geachtet, dass er regelmässig verlängert wird und dass das Foto darin nicht zu schlimm ist. Vielleicht ist das bei CH-Bürgern anders. Und da kommt die Theorie von Bichsel zum Zug. Wenn der Blick zum „grossen Bruder“ (warum eigentlich nicht zur Schwester???) soviel Angst verursacht, muss man die Grenzen etwas dichter machen und notfalls Worte zusammen schreiben, die eigentlich getrennt sind. Sicherheitsbedürfnis? Ich glaube schon.
Mai 20th, 2008 at 10:53
Hochintressant! Mir war gar nicht bewusst, dass so viele Dinge mit „Schweizer“ in einem Wort genannt werden.
Mir scheint, das ganze „riecht“ stark nach dem Versuch eines kleinen Landes, sich gegen die Grossen abzugrenzen um sich besser behaupten zu können.
Mai 20th, 2008 at 19:50
@Simone
Grosser Bruder passt schon. Die grosse Schwester ist möglicherweise kleiner als der kleine Bruder
@All
Wie würden Sie „deutsche Grenze“ oder „deutscher Pass“ in einem Wort schreiben? Die Deutschen sind doch bekannt für Ihre Effizienz im Umgang mit der Sprache: Mallorca = Malle
Möglicherweise passt es einfach nicht.
Mai 22nd, 2008 at 22:31
I find it somewhat ironic to read a German complaining about people sticking words together to make big long words…
🙂
[Anmerkung Admin: Es geht nicht um das Zusammenfügen irgendwelcher Wörter, sondern nur um die Kombination von „Schweizer…“ 🙂 ]
Mai 26th, 2008 at 7:59
Auf meinem Pass steht „Schweizer Pass“ (nicht zusammen). Ist dein Bild etwa eine Fälschung *lol*
[Anmerkung Admin: Wie im Artikel erklärt ist das Foto aus einem Dok-Film, der im SF zu diesem Thema lief. Vielleicht gab es mal früher diesen Pass, wie im Artikel erklärt, ist das Wort auf heutigen Schweizpässen getrennt geschrieben ]
Mai 26th, 2008 at 8:17
Ob mit oder ohne Wortzwischenraum. Es ist unser Pass, das ist alles. Und er sieht ganz nett aus. Deshalb möchten ihn wohl alle. Sie haben dann ja noch ihren EU-Pass, damit sie am Flughafen nicht mit dem Gesindel aus der Dritten Welt am Schalter mit der extralangen Schlange anstehen müssen. Nehme ich für meinen roten Pass aber gerne in Kauf. Und brauche keinen zweiten.