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Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 13) — Nachtbuben und Strolchenfahrten

(reload vom 24.12.05)

  • Wenn Nachtbuben unterwegs sind
  • Die Schweizer bleiben in der Regel in der Nacht daheim, wenn sie nicht „im Ausgang“ unterwegs sind. In der Nacht geht es gefährlich zu in der Schweiz, denn dann sind die „Nachtbuben“ unterwegs. Nein, es sind keine „Nackt-Buben“, dieser Lesefehler ist uns beim ersten Mal auch unterlaufen. Darunter könnten wir uns ja noch etwas vorstellen. Ein Exhibitionist wird das sein, ein „Sittenstrolch“, wie er in Deutschland genannt wird. Aber ein „Nachtbube“? Vielleicht ist das ein sehr junger „Nachtwächter“?

    Unser Duden kennt viele zusammengesetzte Wörter mit „Nacht“, darunter die „Nachtarbeit“, den „Nachtangriff“, das „Nachtmahl“ oder „Nachtlicht“, auch den „Nachtisch“, den wir streng vom „Nachttisch“ zu unterscheiden wissen. Ersteres kann man essen und es ist lecker, weil ein Dessert, letzteres diente früher zur Aufbewahrung des schwäbischen „Potschamberles“ = Pot-de-chambre = „Nachtopf“ (im Norden sagten wir schlicht „Pisspot“ dazu)

  • Nachtbuben und Schulsilvester
  • Umtreiben tun sie sich in der Schweiz, diese „Nachtbuben“, denn so heissen hier die bösen Kerle, die nur Nachts unterwegs und grundsätzlich immer an allem Schuld sind.

    Nachtbuben am Werk
    Im letzten Juli waren wiederum Nachtbuben in der Umgebung des Wild Ma Horstes in Aktion. Neben Verwüstungen wurde auch die Materialkiste aufgebrochen und das sich darin befindliche Material zum Teil verbrannt oder in den Rhein geschmissen.

    Nachtbuben gibt es schon sehr lange in der Schweiz, wie diese Geschichte aus Rüti b. Büren im Seeland belegt:

    Kurz vor der Jahrhundertwende war in Rüti des öfteren eine Gruppe so genannter Nachtbuben unterwegs.

    In Deutschland, zumindest im südlichen Teil, haben sich ähnliche Bräuche zur Walpurgisnacht (= die Nacht zum 1. Mai) und zu Halloween (= Nacht vor dem Feiertag „Allerheiligen“) eingebürgert. Da werden dann in ländlichen Gegenden schon mal Gartentore ausgehängt und verschleppt, oder Briefkästen mit Toilettenpapier verstopft und es passieren andere Scherze mehr.

  • Schul-Silvester gar nicht zu Silvester
  • Die Schweizer haben dafür das „Schulsilvester“ am letzten Schultag vor Weihnachten. Dann ist zwar noch nicht Silvester oder Weihnachten, das Schuljahr ist dann auch noch nicht um, aber die Schweizer Schulkinder stehen freiwillig irre früh auf, ziehen lärmend mit Töpfen und sonstigen Lärminstrumenten durch die Strassen, wecken ihre Lehrer und treiben in aller Herrgottsfrühe allerlei mehr oder weniger lustigen Schabernack im Ort. Später gibt es eine Party um 6.00 Uhr (in der Frühe!) im Schulhaus. Offiziell wird im Kanton Zürich immer wieder versucht, diese Art von Bräuche zu unterbinden, ohne Erfolg. Also wandelte man das Schulsilvester lieber um in eine Art organisiertes Schulfest, um die ausrastenden Kids besser unter Kontrolle halten zu können.

  • Die kleinen Strolche auf grosser Fahrt
  • Und dann sind da noch unsere lustigen Freunde aus der Zeit des amerikanischen Schwarz-Weiss-Films, die kleinen Strolche:
    Die kleinen Strolche kommen aus Amerika
    Denen wurde es in den USA zu langweilig, also machten sie sich auf nach Europa, genauer gesagt in die Schweiz, klauten sich da ab und zu ein Auto, und gingen auf „Strolchenfahrt“.

    885 Einträge verzeichnet Google für dieses Wort. Die sind also verdammt oft unterwegs, die kleinen Strolche. Und nie haben sie einen „Führerausweis“ oder „Führerschein“ dabei, denn der Schein trügt bekanntlich (siehe Blogwiese) .

    Manchmal treffen die kleinen Strolche dann unterwegs die Nachtbuben:

    Teure Strolchenfahrt für Berner Nachtbuben
    Bern – «Parkschaden» von 65 000 Franken haben ein 14- und ein 16-jähriger Jugendlicher auf Strolchenfahrt am Samstag gegen 21.15 Uhr in Bern verursacht. Nach Polizeiangaben entwendete der 16- jährige den Wagen einer verwandten Person und raste durch die Stadt. (klei/sda) (Quelle🙂

    Auch diesmal hilft der Duden weiter:

    Strol|chen|fahrt, die (schweiz.): Fahrt mit einem entwendeten Fahrzeug

    Und schon haben wir als Deutsche zwei neue Wörter gelernt: Die Strolchenfahrt und die Nachtbuben. Wir fragen uns dann: Wenn es diese Wörter in unserem Wortschatz bisher nicht gab, gab es dann die dazugehörigen Personen und Ereignisse in Deutschland auch nicht?

    Kaum vorstellbar. So etwas passiert doch sicher auch in Deutschland. Wie sagt man dann dazu im deutschen Polizei-Jargon? Wir hoffen auf stichhaltige Beispiele von „ennet“ der Grenze und bleiben bis dahin ahnungslos.

    

    9 Responses to “Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 13) — Nachtbuben und Strolchenfahrten”

    1. Mattheff Says:

      In Deutschland sprach man wohl von nächtlichem Vandalismus, oder einfach von kriminellen Jugendgangs. Aber wer kümmert sich in Deutschland eigentlich noch um derartige Vorfälle? Der Werteverfall scheint mir schon so weit fortgeschritten, dass es nicht verwunderlich ist, wenn selbst die Worte für Nachtbuben und Strolchenfahrten schon vergessen sind…

    2. Elli Says:

      Ich war dann halt mal ein Nachtmädel. Ich hab gern Parkverbote umplaziert. die waren vor 40 Jahren oft nur auf so lockeren Ständern. Die haben wir dann hin und her gerollte und nach Belieben neu plaziert. Fanden wir mega lustig. Grenzen haben wir aber gesehen. Wir hätten auch Fahrverbote und Einbahnschilder verschieben können. In weiser Voraussicht hatten wir das aber gelassen. An einem Unfall wollten wir dann doch nicht schuld sein.

      Meine kleine Schwester gehörte zu den Papierkorbanzündern. Irgendwie war aber das Sicherheitsbedürfnis unserer Familie wohl hoch. Sie blieb nämlich immer in der Nähe irgendwo versteckt stehen, um sicher zu sein, dass das Feuer auch brav im Papierkorb blieb.

      Am Schulsilvester haben wir mit Vorliebe Riesenknaller in Treppenhäuser abgelassen und sind dann abgehauen. Das eine oder andere Gartentor haben wir – ja tatsächlich – nicht einfach ausgehängt, sondern vorzugsweise mit anderen, möglichst optisch unpassenden, ausgetauscht.

      Die Kids, die die Dolen (Kanalisationsdeckel?) weggenommen haben, haben wir hingegen gejagt und alle wieder geschlossen. Wir hatten uns mega Sorgen gemacht, dass unser Opa oder andere beim Spazieren reinfallen könnte.

      Solang die Kids keine wirklich gefährlichen Sachen machen, find ich das ok. Die sollen sich auch mal austoben. Erwachsene mit Lärm ärgern dürfen und dergleichen.

    3. Mare Says:

      „Bube – Bubenstück“ – ich meine, das Wort ist (seit Luther?) gebräuchlich als Begriff für „Verbrechen“. Noch Lessing braucht es so im „Nathan“, wo der Tempelherr es durchaus so meint (I, 5). Und Nachtbuben sind durchaus lichtscheue Gesellen.

    4. Nessi Says:

      ach ja…..der Schulsilvester 🙂 damals ging’s haupsächlich um den Lärm. Beim Bäcker gabs dann ein paar Guezli, beim Metztger ein Würstli, beim Milchmann ein bischen Käse usw. usf. auch private gaben uns Zältli oder Guezli.
      Klar haben wir auch Klingeln mit Scotch festgeklebt oder einen Gartenzaun mit Rasierschaum dekoriert, aber niemals etwas kaputt gemacht.
      Das ist aber schon lange passé, darum auch die organisierten Feiern der Schulen.
      Schade, der ursprüngliche Sinn des Schulsilvesters ist schon lange in vergessenheit geraten.

    5. Cocomere Says:

      „Also wandelte man das Schulsilvester lieber um in eine Art organisiertes Schulfest, um die ausrastenden Kids besser unter Kontrolle halten zu können.“ Warum kommen denn in Zürich junge Rehe und Ziegen zu diesem Fest? (und schreibt man auf Deutsch nicht „Kitz“?)

    6. pit vo lissabon Says:

      früher gab es auch die sog. studenten-ulks. etwa die tramgeleise auf bergstrecken mit schmierseife einreiben, haha. da die täter der oberschicht angehörten, passierte ihnen in der regel auch nichts.

    7. Brun(o)egg Says:

      Schon mal einen Fiat Cinquecento auf einem 60cm hohen, mit Granit abgedeckten Gartenmäuerchen gesehen? zu 5 schafft man(n) das locker. Sieht lustig aus. Er lässt die Rädchen hängen. Und der Besitzer am andern Morgen die Mundwinkel. Ach waren das schöne Zeiten!

    8. Blüemli Says:

      Hallo zäme

      Also, in Luzern kommen die Nachtbuben immer in der Nacht auf den 1. Mai (=Tag der Arbeit). Sie legen Sägemehlspuren zwischen den Häusern von zwei Frischverliebten und hängen Velos an den Bäumen auf bzw. verschieben einige Abfallcontainer… nix schlimmes – die Bevölkerung weiss es ja und findet es noch ganz Spassig…;-)

      Grüessli us Lozärn

    9. neuromat Says:

      @ Brun(o)egg

      Ach, Ihr ward das.

      @Blüemli

      ja ein sehr praktischer Brauch im Luzerner Hinterland … vor allem wenn die beiden Frischverliebten jeweils bereits anderweitig verheiratet sind … ganz spassig da kommt Leben in die Bude … heute leider eher sehr selten geworden.Gibt es eine Sägemehlverknappung?