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Kein Karneval in Bülach — Aber Zürcher in Venedig

  • Das verbotene Wort
  • Letzten Samstag ist es passiert. Live und vor zahlreichen Bülachern in der katholischen Dreifaltigkeitskirche zu Bülach, während eines Familiengottesdienstes. Plötzlich wurde es genannt, plötzlich hallte es durch den Raum, das verbotene Wort: „Wir feiern an diesem Wochenende zusammen Karneval“, hatte der sympathische Pastoralassistent laut und für alle vernehmbar verkündet. Ein Deutscher, ohne Zweifel. Der Priester ist aus Polen in Bülach, und die Hälfte der Gottestdienste finden auf Italienisch statt. Wir sind eine Multi-Kulti Stadt! Und jetzt dies! Karneval! Die Gemeinde zuckte deutlich zusammen. Dann nochmal: „Karneval ist ein wundervolles Fest.“ Wieder spürte ich, wie ein Raunen durch die Kirche ging bis endlich der erlösende Satz fiel: „Unsere Kinder lieben die Fasnacht“.

  • Fasnacht ohne „t“
  • Genau, hätte er doch gleich sagen können, denn es gibt keinen Karneval in Bülach. Wir sind hier doch nicht in Köln am Rhein! Karneval heisst „Fasnacht“ in Bülach, nicht weil man ein Fass aufmacht, sondern weil es vor dem „Fasten“ kommt. Bei der „Fasnacht“ kam das „t“ leider abhanden. Aber nicht nur das „t“ ging verloren, in diesem Jahr erlitt das gleiche Schicksal die ganze Bülacher Fasnacht. Das „Fasnacht Komitee Bülach“, welches sich kurz und knackig FaKoBüüliabkürzt, verkündete den Ausfall auf seiner Homepage. Als Trost gibt es wenigstens einen Kinderumzug am 1. März um 15:15 Uhr vom Hans Haller Platz durch die Altstadt zum Bahnhof.

  • Fasnacht im März
  • Das wird dann 3,5 Wochen nach Beginn der Fastenzeit sein. Denn die fängt übermorgen an, am Aschermittwoch. Während die Jecken im Rheinland schon lange Busse tun (keine „Cars“) und bis Ostern fasten, wird dann in Bülach noch einmal ordentlich aufgedreht. Erschrecken Sie also nicht über die ausgelassene Musik und das Treiben in der Fussgängerzone von Bülach Anfang März. Das hat alles so seine Richtigkeit. Weihnachten wurde in Bülach im November in der „Voradventszeit“ gefeiert, warum dann nicht Fasnacht in den März verlegen? Ostereier gibt es dann an Pfingsten, und schon haben wir alle Termine wieder auf der Reihe.

  • Zapfenstreich oder Morgenstraich?
  • Selbst die Basler sind mit ihrer Fasnacht am 11. Februar, verglichen mit den Bülachern, früh dran. Eine Hamburgerin wurde bei „Wer wird Millionär“ von Günter Jauch einst gefragt, wie der Beginn der Fasnacht in Basel heisst: „Backenstreich, Zapfenstreich, Morgenstraich oder Dummejungenstreich“. Ich glaube, sie wählte den „Zapfenstreich“, obwohl das ein Signal zur Nachtruhe ist und somit keine Feier eröffnen kann. Von Basel nach Hamburg ist ein weiter Weg, da hat sich offenbar noch keine Clique mit Zuglaterne hingewagt.
    Zürcher in Venedig
    (Quelle Foto: obs/Zuerich Tourismus/Franco Greco

  • Zürcher Karneval in Venedig
  • Die Zürcher, in der Schweiz ebenfalls seit Jahrhunderten bekannt für leidenschaftliches Karnevalsfeiern wie sonst kein Kanton, waren am vergangenen Wochenende schlauer. Sie packten den Böögg und zwanzig kostümierte Zunftmeister nebst Begleitungen ein und reisten nach Venedig, um dort beim Karneval die Sau raus zulassen. Natürlich alles für einen hehren Zweck. Sie wollten Werbung machen für „verführerischen Seiten“ der Stadt Zürich, die Gastgeberin der italienischen Nationalmannschaft an der EURO 2008.

    Zürich (ots) – Eine Delegation von Zürcher Zunftmeistern rührt am diesjährigen Karneval von Venedig für die EURO 2008 Gastgeberstadt Zürich die Werbetrommel. Ein Höhepunkt ist die Lichtkunstbeleuchtung von Gerry Hofstetter: Zehntausende Italienerinnen und Italiener schauen zu, wenn Zürich-Bilder auf den Campanile am Markusplatz projiziert werden und es heisst „Zürich, verführerischer als Casanova“.
    (Quelle: presseportal.ch)

    Ob die Zürcher Zunftmeister die Einwohnern von Venedig auch darüber aufgeklärt haben, dass die weisse „Schneemann-Figur“, die sie da mitführten, ein „Knallkopp“ ist der mächtig geladen hat und am 14. März beim Sächsilüüte in die Luft gejagt wird?

    

    9 Responses to “Kein Karneval in Bülach — Aber Zürcher in Venedig”

    1. Vogelliesi Says:

      Die verspätete Fasnacht hat schon ihre Richtigkeit, wie es der Kirchenkalender des Erzbistums Köln erklärt:

      …Nachdem die Synode von Benevent 1091 (vgl. Fastenzeit, österliche) die Fastenzeit neu geordnet, sich die Fastenzeit deshalb um eine Woche nach vorn verschoben hatte, konnte sich diese Neuordnung vor allem am Oberrhein nicht gegen die ältere Tradition durchsetzen. In Basel, Baden und in Teilen des Markgräflerlandes hielt man an der „alten Fastnacht“ als „Bauernfastnacht“ zum alten Termin gegenüber der „Herrenfastnacht“ am neuen Termin fest. Bis heute beginnt in diesen Gebieten die Fastnachtszeit erst, wenn andernorts bereits die Fastenzeit begonnen hat. Die Alte Fastnacht war oft auch eine protestantische Demonstration gegen die „katholische“ Fastenzeit. Die Alte Fastnacht ist geradezu sprichwörtlich geworden: Wer zu spät kommt, kommt hinterher wie die alte Fastnacht. Wer ein schlechter Zahler ist, weil er immer auf die Zukunft vertröstet, für den fällt die Fastnacht immer spät.

    2. neuromat Says:

      Ja, das Klima wird rauher für die Schweizer in der Schweiz. Jetzt müssen Sie mit den Pastoralassistenten schon Karneval feiern, als ob da Fasnacht nicht ausreicht.

      Und das sind erst die Anfänge: Am Samstag wurde ich im heimischen COOP mit einem Grütziii begrüsst. Gleiche Person rief dann anderen Personen, die hinter mir in meiner Schlange standen noch ein „Hallo – wie geht es Euch“ zu. Dann wünschte Sie mir ein paar tolle Tage und ein schönes Wochenende.

      Die arme Dame direkt hinter mir. Man konnte ihr das Entsetzen ansehen, als diese freundlich lächelnde Person, die wahrscheinlich in ihrer Freizeit Kinder frisst, sie nicht mit einem leicht vorwurfsvoll intonierten Grüe-ätzi begrüzzte, sondern mit gleichem Wackelpeter und Hallo wie bei mir und dann auch noch „ein wirklich schönes Wochenende“ wünschte. Erstaunlich dass hinter den zusammengekniffenen Zähnen noch ein „das wünsche ich Ihnen auch“ hörbar wurde, welches nun aber überhaupt zum Gesichtsausdruck passen wollte.

      Ja, dachte ich laut nach, jetzt müssen wir demnächst schon die Landessprache sprechen, wenn wir im COOP einkaufen wollen. Hoffentlich gibt es da bald einen Kurs in der Migros Clubschule…

    3. Diuk Says:

      „Die Zürcher, in der Schweiz ebenfalls seit Jahrhunderten bekannt für leidenschaftliches Karnevalsfeiern wie sonst kein Kanton, …“

      Die zwinglianischen Zürcher hatten traditionell eben keine Fasnacht. Dafür hatten und haben sie das Sechseläuten.

      [Anmerkung Admin: (Und einen besonders geschärften Blick für Ironie haben sie offensichtlich auch)
      Vielen Dank für diese Richtigstellung! ]

    4. dampfnudle Says:

      Und das Sechseläuten ist nur für die Zünfter aktiv feierbar – die „Meebessere“ – und vor allem ists ein Männerfest.

    5. solanna Says:

      Als ich ein Kind war (60er-Jahre), gab es in Uster (Zürcher Oberland) sehr wohl Fasnacht, natürlich wie oben schon erwähnt im Zwinglikanton natürlich nach der katholischen Fasnacht. Ob es heute noch so ist, weiss ich nicht, aber damals hatten wir am Fasnachtsmäntig schulfrei, denn dann war Kinderstrassenfasnacht und es gab eine Reitschule (Karussell).

      Am Sonntag (vermutlich also tags zuvor) zog alle zwei Jahre ein beachtlicher Fasnachtsumzug mit mehreren kunstvollen Wagen samt Konfettikanone durch den Ortskern. Plaketten gabs gemäss meiner Erinnerung nicht, aber es wurde mit einem schwarzen Sack an einem Stecken bei den Zuschauern Geld gesammelt, auch im ersten Stock. Bei „Giizgnäppern“ (Geizhälsen), vor allemn bei jenen an offenen Fenstern, kam die Konfettikanone zum Einsatz.

      Und am Dienstag (der selben Woche?) war „Schübligziischtig“. Da boten die Metzgereien viele Schüblingssorten an – helle und dunkle, dicke und dünne, rezente und milde – die nur für diesen einen Tag im Jahr produziert wurden. Schüblinge sind Brühwürste.

    6. Flaneur Says:

      Ja… bei mir in der Migros um die Ecke sitzt neuerdings auch schon manchmal einer an der Kasse, der die Leute mit einem freundlichen „Hallo!“ begrüsst (ich habe dann mal schnell die andere bediente Kasse gewählt).

      Ansonsten lebe ich auch das erste Mal in einer Stadt, in der richtig beim Karneval was los ist. Freitag abend auf dem Marktplatz gab es Stände mit Musik. Nicht so ganz verstanden habe ich, warum man auf einem halben Hektar Platz gleich ein halbes Dutzend Musikkapellen musizieren lässt… weil der Musikgenuss dann eher die Freunde der experimentellen Kakophonie ansprechen dürfte. Aber gut… die Wurst, die ich essen konnte, war gut.

    7. g.feikt Says:

      So lange niemand an einer Schweizer Fasnacht nach Kamellen schreit, gehts ja noch.

    8. Jannis Says:

      Lieber Jens, falls die Bülacher Fasnacht auch im nächsten Jahr ausfallen sollte, dann fahr ein paar Kilometer nach Bassersdorf (mit der Bahn). Dort geht so richtig die Post ab, da FaKoBa sorgt dafür. Eine Enklave in der zwinglianischen Wüste. Heuer wars am 3. Februar. Und Würste gibt es auch, die bekannten Bassersdorfer Schüblinge.

    9. viking Says:

      Die Zürcher zelebrieren „leider“ seit einigen Jahren wirklich Carneval und nicht mehr Fasnacht, aktuell wieder dieses Wochenende: http://www.zurichcarneval.ch/