Zugfahren in der Schweiz — Der allmorgendliche Schwarzfahrerzug in Basel
(reload vom 26.10.05)
Durch Bülach fuhr lange Zeit der „Cisalpino“, ein direkter Zug von Mailand nach Stuttgart. Der Name war Programm bei diesem Zug, denn es roch empfindlich nach Chemieklo. In der Schweiz riecht es übrigens nicht, es „schmeckt“. Wenn etwas ein „Geschmäckle“ hat, dann weiss man nicht, ob es nun gut schmeckt oder eher gemein stinkt.
Es fahren auch ICEs von Zürich nach Stuttgart, einer davon heisst „Rudolf-Steiner“, nach dem Begründer der Anthroposophie, bekannt durch die Waldorfschulen, die in der Schweiz passend „Rudolf-Steiner-Schulen“ genannt werden. Es ist ein Zug mit Neigetechnik, der sich auf seinem Weg durch den Schwarzwald und die Täler der Schwäbischen Alb mächtig schräg legen kann. Dem Lokführer an der Spitze des Zuges kann man, nur durch eine Glasscheibe getrennt, bei der Arbeit zuschauen. Es ist jedoch wie im Zoo-Aquarium verboten, an die Scheibe zu klopfen, um den guten Mann nicht davon abzulenken, jede Minute einmal das „Tote-Mann-Pedal“ zu betätigen. (genannt SIFA = Sicherheitsfahrschaltung)
Die Schaffner auf dieser Strecke arbeiten seit Jahren grenzüberschreitend. Ein Schweizer Schaffner beginnt in Stuttgart und fährt bis Zürich, das Team wird unterwegs nicht gewechselt. Fährt der Zug durch das Schwabenland, so heisst es nach jedem Halt: „Zugestiegene die Fahrausweise bitte“, genau ab Schaffhausen wird dann umgestellt auf: „Alle Billette ab Schaffhuuse bitte vorwiise.“ Meine ich da nicht auch herauszuhören, dass der Ton ein ganz klitzeklein wenig höflicher wird?
In beiden Ländern kann man die Fahrkarte billig im Internet kaufen und gleich daheim ausdrucken. Wer von der Schweiz aus über die Grenze zu einem Ziel nach Deutschland fahren will, kann so sein Schweizer Halbtax-Abonnement nutzen und zahlt in Deutschland 25% weniger. Kinder, die in der Schweiz mit dem Junior-Ticket umsonst mitreisen, können dies auch in Deutschland tun, sofern die Fahrkarte in der Schweiz gekauft wurde und die Fahrt auch dort beginnt.
Das Rauchen auf dem Tiefbahnhof in Zürich wurde vor einiger Zeit verboten. In Lyon und auf deutschen Bahnhöfen ist es das schon seit Jahren. Mit der Einführung des Winterfahrplans am 10.12.2005 wurde das Rauchen übrigens in allen Zügen der SBB verboten. Wann war dazu eigentlich das Referendum? Wann wurde dieser „Entscheid“ im Tages-Anzeiger begrüsst mit dem rituellen Bekenntnis:
„Die Meinung des Tages-Anzeigers: Der Tages-Anzeiger ist dafür„
Haben wir da irgendetwas verpasst? Wurde da vielleicht eine Regelung getroffen, ohne zuvor „den Souverän“ zu befragen? Kaum zu glauben, es geht ja „für einmal“ richtig diktatorisch zu in der Schweiz!
Jeden morgen um 07:01 fährt ein ICE mit Berufspendlern von der Uni-Stadt Freiburg im Breisgau, die eine hohe Lebensqualität aber wenig Arbeitsplätze aufweist, zur Chemie-Metropole Basel. Es sind sicher 500-700 Pendler, die in den Bereichen Medizin, EDV, Chemie, aber auch an Schulen und in Verlagen in Basel arbeiten und mit einem Monatsabonnement der Deutschen Bahn AG ganz legal bis zum deutschen „Badischen Bahnhof“ in Basel fahren.
Und dann passiert es: Anstatt auszusteigen, die Grenzkontrolle zu passieren und legal mit einer Tram oder dem Velo weiter zum Zielort in Basel zu fahren (es gibt auch ein paar hundert Leute, die das tun), entschliessen sich die übrigen Berufspendler jeden Morgen wieder spontan, doch nur an diesem Morgen „für einmal“ sitzen zu bleiben und bis zum Schweizer Bahnhof SBB weiterzufahren. Die Schaffner freuen sich, denn nun gilt es, „Anschlussbillette“ zu verkaufen. Die ersten 2-3 kontrollierten Pendler werden so zur Kasse gebeten. Dann sind 5 Minuten rum, der Zug kommt im Bahnhof SBB an, und alle Fahrgäste sind ruck-zuck ausgestiegen. Ein Anschlussbillett kann jeder lösen, der im Besitz eines gültigen Fahrausweises ist und sich spontan entschliesst, doch weiter als geplant zu fahren. Er muss dazu nicht den Schaffner im Zug suchen sondern kann warten, bis dieser auf seiner Kontrollrunde vorbeikommt. Dann muss sich der Fahrgast sofort direkt beim Schaffner mit seinem Wunsch melden.
Auf der Rückfahrt am Nachmittag geht dieses Spielchen dann anders rum. Diesmal wissen die Pendler, dass der Zug bis zum Badischen Bahnhof praktisch ohne Zugbegleiter fährt, denn erst dort steigt das Deutsche ICE-Team ein und beginnt kurz darauf mit der Kontrolle. Für alle Fälle haben die Pendler aber dann eine Basler Mehrfahrtenkarte für das Stadtgebiet dabei, die sich im Bedarfsfall abstempeln lässt. Falls man schon im Zug sitzt, wird sie einfach von Hand mit einem Kugelschreiber ausgefüllt, denn es kann ja immer mal vorkommen, dass so ein Abstempelautomat ausser Betrieb war oder das Papier zu weich, um den Stempel auszulösen, speziell wenn man die Dinge im „Hosensack“ trägt (was schüttelt es mich vor Wohlgefallen, wenn ich diese Wort nur schreibe!).
Alle paar Wochen werden die Fahrgäste statistisch erfasst, emsige SBB-Damen mit Taschencomputern wollen wissen, wer alles keine Fahrkarte hat. Das sind ziemlich viele, denn das Monatsabo für die kurze Strecke in Basel kostet soviel, wie die Monatskarte von Freiburg nach Basel. Na zum Glück sitzen die da alle und warten ganz spontan darauf, dass der Schaffner endlich das Anschlussbillett verkaufen kommt!
September 17th, 2007 at 9:00
„schmöcke“ betrifft hier in der zentralschweiz ausschliesslich den geruch. wir sagen nur „s ässe isch fein“, aber niemals würde es uns „schmöcke“. das tönt nämlich urkomisch!
September 17th, 2007 at 10:49
Sehr guter Artikel..Der trifft es genau auf den Punkt 😉
September 17th, 2007 at 12:53
Wenn etwas „äs Gschmäckli“ hät, ist das ganz bestimmt etwas Unangenehmes. Gut, also lobend gemeint, heisst es „feine Guu“ (Goût).
Das Verb schmecken existiert für den Geschmackssinn in der Deutschschweiz nicht. „Schmöcke“ richtet sich ausschliesslich an den Geruchssinn.
Dazu kann man wiederum nicht „rüüche“ (riechen) sagen, denn das bedeutet rauchen. Dies im Sinne von Rauch verursachen/Rauch abgeben, denn Zigaretten oder Pfeifen „raucht“ man auch in der Schweiz.
September 17th, 2007 at 14:02
@Jens […In Lyon und auf deutschen Bahnhöfen ist es das schon seit Jahren…] Allerdings bis 1.9.2007 _nur_ auf 3800 der 5700 deutschen Bahnhöfen, dafür seit 1.9. flächendeckend und auch _in allen_ Zügen -> http://www.db.de/site/bahn/de/unternehmen/presse/presseinformationen/ubh/h20070830a.html
[Anmerkung Admin: Vielen Dank für die präzise Ergänzung. Ich hatte nur Freiburg (brsg) und Stuttgart gesehen, und wusste nicht, dass die DB das nicht einheitlich handhabt in Deutschland]
September 17th, 2007 at 21:16
Gut, dass sie diesen Cisalpino endlich nicht mehr in Deutschland fahren lassen.
Der ICE oder auch schweizerische IC/EC-Wagen sind ein Genuss an Komfort dagegen.
Das letzte Mal, als ich von Schaffhausen nach Zürich fuhr, da bediente sich der nette Herr „Zugbegleiter“ in der Schweiz aber auch eines freundlichen:
„Grüzi! Ab Schaffhausen noch zugestiegen – die Fahrkarten bitte.“
Das fand ich schon hinreichend freundlich.
Noch freundlicher war nur der Schweizer Kollege beim vorletzten Mal.
Mit dem habe ich im freundlichen Small Talk ein bisschen über die Deutsche Bahn gelästert, und er hat mir erklärt, wie und warum in der Schweiz alles besser sei.
Als Belohnung durfte ich dann von Singen nach Schaffhausen ohne Billett „schwarz“ mitfahren.
September 17th, 2007 at 21:29
Auch ein Anekdötchen wert wären die Bahnfahrerlebnisse von Emil Normalschweizer in Deutschland.
So letztens wieder erlebt: Ein älteres Ehepaar, das aus „Kaff irgendwo in Deutschland“ über Tuttlingen nach Schaffhausen wollte. Ich habe vergessen, warum sie den ursprünglich geplanten früheren Zug nicht mehr geschafft haben. Stattdessen sassen sie im ICE – und der kostet bekanntlich immer einen Spezialpreis in Deutschland.
Ich habe – ungelogen – noch nie einen so alten, seriös und harmlos aussehenden Herren so aufgeregt über „Bschiss“ fluchen hören, als er erstens den ICE-Zuschlag zahlen musste und zweitens nach Fortgang des Zugbegleiters bemerkte, dass der Zuschlag nicht nur für die Strecke „Singen – Schaffhausen“ ausgestellt war (übrigens korrekterweise)
September 4th, 2008 at 23:58
„Uni-Stadt Freiburg im Breisgau, die eine hohe Lebensqualität aber wenig Arbeitsplätze aufweist…“
Das kann ich als Freiburger so nicht stehen lassen. Für deutsche Verhältnisse ist die Beschäftigungsrate in Freiburg hoch.
Ich pendle auch häufig zwischen Freiburg und Basel BB. Die Schaffner haben einen schweren Job, um den ich sie nicht beneide.
Grüße aus Freiburg
[Anmerkung Admin: Aber der grösste Arbeitgeber am Ort (ausser der Uni und der Stadtverwaltung) bietet 4000 Plätze. Das ist nichts, im Vergleich zu Städten wie Karlsruhe, Stuttgart oder Basel. Freiburg ist eine Dienstleistungsstadt mit relativ wenig Industrie]
Dezember 21st, 2008 at 22:51
Achje, des häat si schee o. Sowas schees könnt ma übr d deutsche Bahn gar it nimmer sage. Hier passieren ja in der Bahn immer solche Dinge neuerdings: http://www.derwesten.de/nachrichten/2008/12/21/news-99846142/detail.html Kinder rausschmeißen, Mütter rausschmeißen, am Ende geht noch wer verloren… Da fahr ich lieber Auto oder in der Schweiz, wenn ich mal bei der Schwiegerfamilie bin die paar Mal im Jahr…
März 29th, 2009 at 22:07
funktioniert das heute noch immer so?
Wieiviel kostet das Pendeln? was kostet und wo bekomme ich
das monatsticket für freiburg-basel?
besten dank schonmal.