Zum Frühstück einen Schweizer anknabbern — Was frisst Sie an?
Wenn in Deutschland ein Kind etwas Dummes angestellt hat, dann sagt man von ihm, es habe „etwas ausgefressen“. Niemand denkt an Kuchen oder andere Leckereien, die vielleicht ursprünglich „aufgefressen“ wurden, als der Hunger besonders gross war. Essen kann man in Deutschland eine ganze Menge Menschen. So den bekannten „Berliner“, den „Hamburger“, den Bremer bei der Nordsee, den „Amerikaner“ in schwarzer oder weisser Version, aber auch die in Freiburg im Breisgau offerierte „Studentenschnitte“.
(Quelle Foto: das-rezeptbuch.de)
Altmeister und Chaos-Comix Zeichner Gerhard Seyfried erfand dann noch in den wilden 80ern die „Bulletten“ neben der „Freakadelle“ ( „Freakadellen und Bulletten, Elefanten Press, Berlin 1979).
(Quelle Foto: Poster aus Seyfrieds Cannabis Collection 2003)
Die Schweizer brauchen das nicht. Wenn sie Hunger verspüren oder eine sonstige Leidenschaft an ihnen nagt, werden sie zu Kannibalen. Sie nagen sich dann selbst an oder werden von anderen Dingen angenagt und sind dann einfach „angefressen“.
So lasen wir im Tages-Anzeiger vom 03.02.07:
«Ich denke, man muss bei dieser Arbeit regelrecht vom Schnee angefressen sein.»
(Quelle: Tages-Anzeiger)
Oder hier, ebenfalls im Tagi in einem Artikel über Mädchenfussball:
Désirée Stäbler bleibt noch ein Jahr. Sie ist die Jüngste im Ausbildungszentrum, 14-jährig. Und fussballhungrig. «Ich bin total angefressen», sagt sie. Fussball sei cool, und die, die Fussball spielten, «sind eben coole Mädchen».
(Quelle: Tages-Anzeiger)
Auch im Migros-Magazin, das schon lange keine Brücken baut aber aus traditionellen Gründen von vielen immer noch „Der Brückenbauer“ genannt wird, lasen wir:
Das «Highlight des Tages» sei jedoch die
Fahrt mit dem Snowboard gemeinsam mit den
Kollegen hinunter ins Tal. Die freien Tage,
nutzt der mittlerweile angefressene Boarder
natürlich ebenso für seinen Sport.
(Quelle Migros-Magazin 05-2007, S. 8)
Beim zweitliebsten Nachbarland der Schweizer in Österreich ist das hübsche Wort eher mit einer negativen Bedeutung bekannt. Wir fanden in einem Wörterbuch:
(Quelle: osterarrichi.org)
„Ich bin total angefressen“ kann man laut Google sein von Hunden, von einem Verhalten, von RPGs, von Unihockey u. v. m, aber man sollte immer schön in der Schweiz bleiben dabei. Dieses eidgenössische Fressverhalten hat sich bisher offenbar nicht über den Rhein fortgepflanzt. Anstatt sich von Trendsportarten anfressen zu lassen klagt man dort eher über zuviel angefressene Kilos.
Februar 22nd, 2007 at 0:26
„Angefressen sein“ im positiven Sinne, so etwas war mir bis dato auch neu!
Hat man eigentlich in der Schweiz auch „jemanden zum Fressen gern“, oder ist diese Redensart dort unüblich?
Februar 22nd, 2007 at 0:57
„Was frißt Sie an?“ Lustige Frage, weil sie nie ernsthaft so gestellt würde. Der stehende Ausdruck existiert nur im Partizip Perfekt passiv. Mit solchen Stilblüten deckst Du schonungslos die Absurdität und Komik von Redensarten auf. Ist immer wieder ein Vergnügen!
Februar 22nd, 2007 at 1:20
ANGEFRESSEN SEIN, IST ETWA DAS GLEICHE WIE „ES HAT MIR DEN ÄRMEL INNEGNO“, ICH BIN FAN VON ÖBIS, DAS MACHT MICH AN.
Februar 22nd, 2007 at 2:24
Die Kilos hat man angefressen (übrigens im Perfekt verwendet 😉 , obwohl die Kilos meist andauern
Vom Schnee oder Snöben (Snowboard-Fahren) oder Tschutten (Fussball-Spielen) ist man angefressen (Präsens, denn die Begeisterung dauert an).
Zudem: wenn man von etwas angefressen ist, hat man schon eine Ecke weg, und ist eigentlich nicht mehr ganz 100 vor Begeisterung.
Februar 22nd, 2007 at 2:56
hallo herr zischtigsclub. als bekennender freund von deutschen (und das als schweizer) musste ich früher oder später ja auf ihrer seite landen. guten stoff gibts hier…
naja, wir schweizer fressen ja auch so das eine oder andere, z.b. „das wienerli“, die „luxemburgerli“ oder wir trinken locker mal nen „römer“ weg… so gesehen, absolut verfressen!
gruss
Februar 22nd, 2007 at 8:22
Das war auch einen der ersten „Aha“-Erlebnisse für mich als Österreicher in der Schweiz: Ich meinte mit „ich bin angefressen“ – es regt mich total auf, macht mich wütend – während mein Gegenüber dachte ich habe es gerne 🙂 Ja so kann man aneinander vorbeireden. So sind vielleicht schon Kriege entstanden?!
Also wie gesagt in Richtung Balkan (*achtung ironie – nochdazu von einem Österreicher selbst!*) ist „angefressen sein“ äusserst negativ besetzt und drückt einen sehr „unbefriedigenden“ Ist-Zustand gegenüber Personen, Ämter, kaputten VW Touran, verpassten Zug, Loch in der Unterhose etc aus.
Schönen Tag
Peter
Februar 22nd, 2007 at 9:14
Ab nächsten Montag früh, 4h, sind fast alle Basler ¨“fir die drey scheenste Däg“ angefressen. Der Frass hört am Donnerstagmorgen um 2 h wieder auf.
E agfrässene.
Februar 22nd, 2007 at 9:43
Bis zu diesem Beitrag wusste ich ebenfalls nicht, dass diese Redensart auch einen negativen Umstand beschreiben kann. (Gekränkt, entäuscht.)
Im Netzt fand ich dann tatsächlich beide Erklärungen für „angefressen sein“.
Beispiel auf http://www.redensarten-index.de: http://www.redensarten-index.de/suche.php?suchbegriff=angefressen+sein&bool=and&suchspalte%5B%5D=rart_ou
Jedenfalls kann man von einer Sache so angefressen sein (jetzt im schweizerischen Sinn), dass man die Schattenseiten schon mal bis über die Schmerzgrenze ignoriert.
Beispiel hierzu: Andy Rhis und sein ehemaliges Phonak Team.
O-Ton:“Natürlich ist unser grosses Ziel, mehr Hörgeräte zu verkaufen. Andererseits bin ich halt einfach «angefressen» vom Radrennsport.“
(Quelle: http://www.weltwoche.ch/artikel/?AssetID=8188&CategoryID=63)
Februar 22nd, 2007 at 13:28
Also, ich bin von Golf angefressen, nicht vom Golf 🙂
Ich kannte auch nur die positive „Ärmel rein“ Variante. So lernt man ständig dazu. Wieder mal Super Blog heute.
Februar 22nd, 2007 at 17:42
„Beim zweitliebsten Nachbarland der Schweizer in Österreich“
HUAHAHAHAHAHA 😀
Und das liebste ist dann wohl Deutschland 😉
Februar 22nd, 2007 at 17:47
Also bei uns im Luzernerischen kennen wir den Ausdruck:Ich hab dich zum fressen gern( i ha di zum fresse gärn).
Wie es in anderen Gegenden der Schweiz ist,weiss ich nicht.
Februar 22nd, 2007 at 18:57
Also ich muss ganz ehrlich sagen, ich bin sähhhr Pferde angefressen.
Aber was „ausgefressen“ hab ich noch NIE! (=
Februar 22nd, 2007 at 19:07
Die Redewendung war mir jetzt auch völlig neu.
@ Jens
Du benutzt doch immer das Variantenwörterbuch um Helvetismen nachzuschlagen. Ich bin heute mal spasseshalber durch die UB geturnt und bei den Mundart-Wörterbüchern hängengeblieben. Da war ein bestimmt 7- bändiges „Schweizer Idioticon“ (dachte zuerst das wär ein Druckfehler). Ich denke aus den 20ern oder so. Kanntest du das bisher?
[Antwort Admin: Das federleichte Idiotikon wird u. a. in diesem Beitrag besprochen Die fünf Fettnäpfe, in die Sie als Deutscher in der Schweiz nicht hineintappen sollten ]