Das Phänomen „Reiche Schweiz“ — Kommt ZURICH doch von „zu reich“?
Viele Jahre konnte man bei der Einfahrt in den Zürcher Hauptbahnhof dieses Wandgemälde an einem Stellwerk lesen: „Zureich“.
Wir hielten es erst für ein Überbleibsel aus den wilden 80ern, als die sonst so beschauliche Limmatstadt Schauplatz von Jugendunruhen wurde:
Krawalle mehrerer hundert Jugendlicher vor dem Opernhaus Zürich am 30./31. Mai 1980 lösten Jugendunruhen in der Schweiz aus, die mehr als zwei Jahre dauerten. Im Mai 1980 genehmigte der Stadtrat 60 Millionen Franken für die Renovation des Opernhauses. Gleichzeitig lehnte er die Forderungen nach einem autonomen Jugendzentrum ab. Daraufhin folgte eine in der Schweiz einzigartige Gewaltspirale zwischen den „Bewegten“ und der Polizei, so etwa nach der ersten Schliessung des Autonomen Jugendzentrums (AJZ) in der Nähe des Zürcher Bahnhofs. Sie forderte insgesamt mehrere hundert Verletzte auf beiden Seiten und Sachschäden in Millionenhöhe.
(Quelle: Wikipedia)
Aber nein, es war nur die Werbung des Netzanbieters Sunrise.
Das Thema taucht mit schöner Regelmässigkeit immer wieder in den Medien auf, meistens dann, wenn das statistische Bundesamt der Schweiz aktuelle Zahlen dazu bekannt gibt. So auch in der Nachrichtensendung „10 vor 10“ vom 14.09.2006:
Das statistische Bundesamt gibt bekannt, dass der durchschnittliche Schweizer Haushalt 8‘506 Franken zur Verfügung hat.
(Quelle: SF1, Beitrag als Real-Stream )
Für unsere Leser aus Deutschland: 8‘506 Franken sind 5‘335 Euro im Monat.
Ein Schweizer Banker, der als Anlageberater in Zürich tätig ist, erzählte uns einmal:
„Wegen ausgebliebener Wertvernichtung durch Kriege im Zusammenspiel mit Pensionskassen und alemannischem Spartrieb haben die meisten Schweizer gehörig was auf der hohen Kante. Die Mustersteuererklärung des Kantons Zürich hat ein Ehepaar mit 90’000/50’000 CHF Jahreseinkommen, aber einem Sparkonto von 800’000 CHF. In Deutschland müsste der Finanzminister zurücktreten wenn er eine solche Musterfamilie abdruckte.“
(Quelle: Private E-Mail)
In der Schweiz wurde, anders als in Deutschland, nach dem zweiten Weltkrieg nicht „von Null“ angefangen. Hausbesitz wurde nicht zerbombt und es gab keine „Währungsreform“ wie in Deutschland, bei der alle Deutschen mit 40 Mark auf der Hand neu anfangen mussten:
In Deutschland wird mit dem Begriff meist die Einführung der Deutschen Mark (DM) in „Westdeutschland“ (d. h. in der Englischen, Amerikanischen und Französischen Besatzungszone) am 21. Juni 1948 verbunden. Hier wurden jeder Person in zwei Schritten sofort 40,- DM und etwas später 20,- DM bar ausgezahlt;
• Schulden wurden umgerechnet mit dem Kurs 10 Reichsmark (RM) zu 1 DM (10:1) umgestellt;
• Löhne und Mieten jedoch mit dem Kurs 1:1;
• Bargeld wurde zum Kurs 100 Reichsmark zu 6,50 DM umgetauscht. (…)
Diese Währungsreform war das im positiven Sinne markanteste kollektive Erlebnis der westdeutschen Nachkriegszeit nach 1945, vor allem, weil Ludwig Erhard sie mit der fast völligen Aufhebung der „Bewirtschaftung“ (Rationierung) der Güter des Alltagsbedarfes verband: „Auf ein Mal gab es Alles!“
(Quelle: Wikipedia)
In der Schweiz hingegen ist das Geld alt und wurde nie entwertet. Schon die Münzen sind alt. Wir haben einmal versucht, ein 20-Rappen-Stück in einen Getränkeautomaten zu bekommen. Es fiel immer wieder durch. Als wir drauf schauten trug es eine Stempelprägung von 1938. Kein Land in Europa hat heute noch die gleichen Münzen wie vor dem Zweiten Weltkrieg im Einsatz.
Unser Banker-Freund schreibt:
Der Sage nach soll das hier ein armes Land gewesen sein, dass durch offshoring im banking (sorry fürs swinglisch) und ausbleibender Wertvernichtung reich geworden sein soll. Aber vielleicht sind die Leute im Schnitt gar nicht so reich, ich nur von so vielen umgeben.
(Quelle: Private E-Mail)
Die Deutsche Musterfamilie hat hingegen im Durchschnitt 10.000 Franken und mehr Konsumentenschulden. Woran liegt das? Ganz einfach: Während es in der Schweiz immer schwieriger ist, einen Konsumentenkredit zu bekommen (ausser bei windigen Kredithaien mit dubiosen Geldeintreibermethoden) bekam man in Deutschland, regelmässigen Gehaltseingang vorausgesetzt, ohne Probleme das 2-3fache des monatlichen Gehaltseingangs als Dispositionskredit von seiner Bank. Die Banken verdienten genug an den horrenden Überziehungszinsen von 12-14 Prozent um damit die gelegentlichen „Abschreibung“ von Privatinsolvenzen gegenfinanzieren zu können.
In der Schweiz müssen sie mit ihrer Bank feilschen, wenn sie mehr als 1000-2000 Franken Dispositionskredit möchten. Und wehe, sie überziehen am Monatsende tatsächlich mal ein paar Tage um 150 Franken! Dann bekommen Sie unter Garantie einen doppelt unterschriebenen Brief ihrer Bank mit der Anfrage, wann sie denn denken diese horrenden Schulden wieder zu begleichen.
Daran dass das Durchschnittseinkommen zu hoch ist, mögen die vielen Millionäre mit Schuld sein, die es nach wie vor nach Zürich zieht:
In Zürich gibt es immer mehr Millionäre. Die 7300 besten Steuerzahler bringen rund einen Viertel der gesamten Steuereinnahmen. Und 13 Prozent der Zürcher bezahlen überhaupt keine Steuern. Wie der «Tages Anzeiger» (…) berichtet, gibt es im Kanton Zürich weit mehr Millionäre als bislang angenommen. Auch Multimillionäre gibt es immer mehr. Wohnten 1991 erst 2900 Personen mit mehr als 5 Millionen Franken auf dem Bankkonto im Kanton, waren es zur Steuerperiode 2003 schon 5114 Personen.
(Quelle: 20min.ch vom 11.10.06)
Ob das den Durchschnitt so weit nach oben treibt? Tatsächlich gibt es natürlich auch das Problem der Armut in der Schweiz. Doch Armut wird versteckt, darüber wird nicht gesprochen:
Ohne Geld ist man in der Schweiz ein Nichts
Es ist ein Leichtes, Arme zu übersehen, auch in Winterthur. Dennoch gibt es sie. Wer betroffen ist, hat das Gefühl, von einer ansteckenden Krankheit befallen zu sein. Die Frage ist simpel. Doch Ernst Schedler kann nicht beantworten, wie viele Menschen in Winterthur, wo er Leiter des Sozialamtes ist, arm sind. Im Bericht, in dem er blättert, ist aufgelistet, dass im vergangenen Jahr 4400 Menschen Sozialhilfe bekamen, was fast 14 Prozent mehr sind als im Vorjahr – nicht alle aber empfänden sich deswegen als arm. Sich arm fühlen, sagt Schedler, sei etwas «sehr Individuelles».
(Quelle: Tagesanzeiger.ch 12.10.04)
November 13th, 2006 at 9:17
Ich glaube, die meisten Schweizer haben nicht soviel Geld zur Verfügung wie die Statistiken und Durchschnittsangaben suggerieren. Da von Haushaltseinkommen gesprochen wird, sind Doppelverdiener und Supperreiche die Hauptverantwortlichen.
Dass der Grund in der restriktiven Kleinkreditpolitik liegt, bezweifle ich stark. Ausserdem kann man mittlerweile fast alles auf Kredit kaufen (Ratenkauf bei elektronischen Geräten oder Leasing z.B. bei Autos).
Reiche Schweiz: noch vor 100 Jahren war die Schweiz ein armes Bauernland. Der Reichtum kam 1906 u.a. mit der Gründung der Nationalbank (Geldstabilität) sowie dank dem Bankengesetz. Das viel zitierte Bankgeheimnis war die Folge davon.
Ich mache aber auch auf die Entwicklung der Staatsquote seit 1990 aufmerksam. Statt BIP Wachstum verzeichnete die Schweiz in den neunziger Jahren ein starkes Wachstum der Staatsquote. Darunter leiden vorallem die einkommensschwachen Haushalte.
November 13th, 2006 at 9:18
Morgen Jens!
Der Erste Satz des heutigen Artikels: „Viele Jahre konnte man bei der Einfahrt in den Zürcher Hauptbahnhof diese Gemälde zu lesen: „Zureich“.“ Erscheint mir auch nach mehrmaligem Durchlesen weder mit der Deutschen, noch mit der Schweizer lokalen Ausprägung der Sprache kompatibel.
;-))
Gruß
Peter
November 13th, 2006 at 9:28
Nochwas – was ist denn das „Durchschnittseingaben“ ???
ich glaub heut kreierst Du wohl Deine eigenen Schweizerdeutschen Ausdrücke, he?
Viele Grüße
Peter
[Anmerkung Admin: Merci vielmals für den Hinweis. Bereits ist es korrigiert. Für einmal kein Helvetismus. Allfällige Umtriebe bitten wir zu entschuldigen. Wir entschlagen uns jeder Verantwortung. ]
November 13th, 2006 at 9:36
……wenns ums Geld geht verstummen die Schweizer! um 09.36 hats noch keinen Kommentar im blog. ;)))
November 13th, 2006 at 10:08
mich würde mal interessieren, wer eigentlich millionär ist: ab fünf millionen franken auf dem konto? oder erst wenn man 1 millionen pro jahr verdient? und zählt nur das bargeld? wer 10 grundstücke am zürisee hat, aber „nur“ 800’000 auf dem sparbuch ist kein millionär? oder wie?
danke für eure aufklärung.
November 13th, 2006 at 10:43
Die hohen Duchschnittswerte sind sicher nicht zuletzt auf die hohen Immobilienpreise zurückzuführen: Fast jeder Haus- oder Wohnungseigentümer ist ja – mindestens gemäss Steuererklärung – Millionär. Auch nimmt uns – im Gegensatz etwa zu Deutschland – der Fiskus (bisher) höchstens die Hälfte des Einkommens weg. Unsere Linken (und Netten) bleiben aber sicher dran, sodass davon auszugehen ist, dass es uns bis in einigen Jahren gleich schlecht geht wie den Deutschen, wo bereits 41% der Bevölkerung unter irgendeinem Titel am Tropf des Staates hängen.
November 13th, 2006 at 11:06
@urseli
doch doch ich wollte kommentieren,nur hat es mir die Sprache zwischenzeitlich verschlagen. Diese Durschnittsannahme macht mich hässig,denn sie stimmt hinten und vorne nicht.Wir haben in unserem persönlichen Umfeld gerade mal eine Familie die soviel ‚durchschnittlich‘ verdient und da sind beide in Kaderpositionen…………
In den meisten Fällen wo solche Durchschnittswerte angenommen werden, werden diese von weltfremden,selber reichen Bürogummis errechnet,die keine Ahnung haben was das NORMALE Leben ( ohne Ferien und solchem Luxus ) wirklich kostet
Wir haben gerade mal knapp 6 mille brutto zur verfügung und sind zu fünft……und ich weiss das wir da noch zu den ‚besser gstrählten‘ gehören!
November 13th, 2006 at 11:12
Heute ist dank des Blogwiesen-Artikels ein grosser Tag für die Deutsch-/Schweizerische „Begriffshygiene“ (ein furchtbares Wort das im wirtschaftlichen Bereich Einzug gehalten hat). Mir sind im obigen Beitrag ein paar Müsterchen aufgefallen:
Im Fernseh-Ausschnitt wird der Name für das Amt korrekt ausgesprochen: Es heisst „Bundesamt für Statistik“ (BFS) http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index.html und nicht „statistisches Bundesamt“. (Es heisst übrigens auch [noch] nicht „Statisticswiss“ oder so ähnlich, siehe: http://www.blogwiese.ch/archives/433 )
Dies ist nicht nur ein Kommentar von/für Tüpflischiisser (= Erbsenzähler) sondern beinhaltet auch eine Verständnisnuance: Als „statistisches Bundesamt“ würde nämlich das Amt nur statistisch existieren, und nicht in Realität.
Noch ein Detail zu: „der Banker“ [Bänker]; der wird in der Schweiz viel häufiger „der Bankier“ [Bãkieh] genannt vom frz. Wort „le banquier“.
In der Wirtschaftslehre hatte ich das Wort „Konsumkredit“ (oder Kleinkredit) gelernt. Ich bin nicht vom Fach. Deshalb die Frage: Sagt man in Deutschland eher „Konsumentenkredit“?
Wie es Urseli schon suggeriert: „Geld hat man, darüber spricht man nicht“. Vielleicht ist genau wegen dieser Haltung „arm sein“ eine Schande. Dass natürlich dennoch fast alle – auch reiche – über irgendwelche hohen Preise jammern, gehört zum normalen Prozess der sozialen Integration. Und dass man „etwas auf der Seite hat“, wird meist auch unter Freunden verschwiegen. Gerade für die Steuererklärung ist es besser, mit Schulden dazustehen – und ausserdem würde man ja aufgefordert, den Kumpeln die nächste Trinkrunde zu zahlen. Es soll übrigens in der Schweiz viele Familien geben, die aufgrund ihres ungenügenden Einkommens Anrecht auf soziale Fürsorge hätten, die sich aber genieren, diese zu beziehen (sonst wüssten ja andere Leute wie z.B. Sozialarbeiter über ihre missliche Lage Bescheid). Sie schlagen sich lieber „ehrenvoll“ selbständig „häb, chläb“ (= gerade mal so knapp) durch, als irgendwo Geld zu betteln. Geht wohl auch ein wenig in Richtung dieses Themas: http://www.blogwiese.ch/archives/425
Deshalb, auch zusammenfassend: was/wer „ZuReich“ aussieht, ist es längst nicht immer. Die Mode der letzten Jahrzehnte, alles sofort zu besitzen, und Sparen als rückständig und brav zu betrachten, führt zu mehr Problemen, als gemeinhin zugegeben wird. Dieses Konsumleben auf grossen Fuss wird ja auch heute noch von Fernseh- und Werbbildern idealisiert. Nach meiner Einschätzung leben viel mehr Leute auf Pump beziehungsweise haben mit Kreditschulden zu kämpfen, als man offenkundig sieht. Soviel ich der Presse entnehmen kann (ich bin glücklicherweise davon nicht betroffen), war es Ende 1980er und Anfang 1990er Jahre besonders einfach, zu einem Konsumkredit zu kommen. Die damals viel aufdringlichere Werbung für schnelles Geld in Zeitungen und Heftli (= Zeitschriften) widerspiegelte das sehr deutlich. Es gab in der Folge, Ende 1990er Jahre, viele auch junge Leute (z.B. mit 25 Jahren), die plötzlich keinen Kredit mehr bekamen – logischerweise, da sie bereits einen Schuldenberg von mehreren 100’000 CHF hatten. Diese Schulden resultierten u.a. aus Krediten, die dazu dienten, die Monatsraten der vorausgehenden Kredite abzuzahlen. Nach „Verschuldung“ und „Überschuldung“ googeln bringt die Thematik zum Vorschein.
November 13th, 2006 at 11:26
Für die hohen Sparguthaben gibt es einen einfachen Grund: im Gegensatz zu Deutschland sind in CH Baukredite in der Regel endfällig, d.h. heißt der Schweizer spart über Jahrzehnte, um seine Hypothek auf einen Schlag zurückzuzahlen (oder er läßt es bleiben und vererbt die Hypothek), während der Deutsche kein Sparguthaben aufbaut, weil der Kredit während der Laufzeit getilgt wird.
November 13th, 2006 at 11:32
Die Wortschöpfung „Zureich“ geht, wenn ich mich nicht irre, nicht auf die 80er-Bewegung zurück, sondern ist eine Erfindung der „Wohlgtothianer“, eine Szene autonomer Jugendlicher, die anfangs der 90er-Jahre auf dem Areal der ehemaligen Wolgroth-Fabrik in der Nähe des Hauptbahnhofes eine Zeit lang Liegenschaften besetzt hielten. Legendär ist die geplatzte „Arena“, die zu diesem Thema hätte über die TV-Bühne gehen sollen.
November 13th, 2006 at 11:43
@sylv
Dir ist aber schon bewusst, was Durchschnittseinkommen bedeutet und dass dies nichts mit den Kosten des wahren Lebens für den „Normalbürger“ zu tun hat?
November 13th, 2006 at 11:45
Die Schweiz muss auch endlich der EU beitreten. Es wird kommen; über kurz oder lang…
Wir brauchen dringend das Geld! 🙂
November 13th, 2006 at 12:37
Da gibt es auch noch die statistisch relevanten wohlhabenden Alten. Neben den AHV-Beiträgen gibt es ja auch noch die obligatorische 2.Säule, die sich sehr viele verheiratete „Ruheständler“ ausbezahlen lassen, da beim Wegsterben des einen Ehepartners die Rente des anderen reduziert wird. Das heisst, dass manche Ehepaare sich beim Eintritt in den Ruehestand ein paar 100’000 Franken der 2. Säule auszahlen lassen, oftmals auch noch zusammen mit der 3. Säule, die ebenfalls noch einen schönen Betrag ergeben kann, wenn man immer das Maximum einbezahlt hat. Man lebt dann als Ehepaar von den etwa 3’000.- Franken AHV und schustert dann von Fall zu Fall noch etwas aus dem Vermögen dazu. Ich kenne verschiedene solche Situationen bei denen locker mehr als eine halbe Million auf diese Weise zusammenkam, das nebenbei ersparte Haus oder Ferienhaus nicht eingeschlossen. In der Steuerstatistik erscheint dieses Altersguthaben, über das eigentlich alle Arbeitnehmer in der Schweiz verfügen. erst wenn sie sich pensionieren und diese Guthaben auszahlen lassen.
November 13th, 2006 at 12:49
Mir fällt immer wieder auf, dass der allgemeinen Schweizer und Zureicher Mentalität ein besonderer Charakterzug zu Grunde liegt:
1. Man würde nie zugeben, dass man global gesehen in einem unvergleichbaren materiellen Wohlstand lebt.
2. Eine grosse, meist unterschwellig vorhandene Angst vor Verlust. Das äussert sich gemäss meiner Beobachtung in den Stellungnahmen zum Bankgeheimnis und Finanzplatz Schweiz und zur Haltung grosser Bevölkerungsteile zur EU, in der man eine Wohlstandsvernichtungsmaschinerie wittert und sich deshalb äusserst skeptisch gibt.
Was die Sunrise-Werbung mit ZUREICH betrifft:
Listige Werbeagenturen frönen zurzeit dem Trend der Guerilla-Werbung und vereinnahmen die Taktiken der Kommunikations-Guerilla (Botschaften unterwandern oder für eigene Zwecke ummünzen) schamlos:
Die Karikatur eines SBB-Ortsschildes hiess einen zu Wohlgroth-Zeiten im kapitalistischen Zürich willkommen. Sunrise hat sich das Graffiti angeeignet und ein riesiges Plakat unweit des Original- Standorts tapeziert. Auch Che Guevara wirbt unfreiwillig auf grossformatigen Plakaten für eine Online-Börse. Wahrscheinlich würde er sich im Grabe umdrehen, käme ihm solches zu Ohren.
Neulich prangte auch auf der Weltwoche-Titelseite das Bild des legendären „Alles wird gut“-Graffitis auf dem Wohlgroth-Haus. Aber in der Weltwoche ging es dabei nicht etwa um mehr soziale und ökonomische Gerechtigkeit, sondern um die Zukunft der Schweizer Wirtschaft, damit wir in Zureich noch etwas reicher werden. So schön ist Zureich! 😉
November 13th, 2006 at 12:55
Mir war bis vor kurzem nicht bewusst, wie stark dieses Klischee (alle Schweizer sind reich) in unseren Nachbarländern verankert ist. Aber vor einigen Wochen war ich in Österreich und da wollte mir einer ein blödes, überteuertes Souvenir andrehen mit dem Argument, ich sei ja offensichtlich Schweizer und könne mir dies somit ja problemlos leisten. Darauf erwiederte ich nur, ich sei natürlich – wie alle Schweizer – unvorstellbar reich, aber nur deshalb, weil ich kein Geld für solchen Schund ausgeben würde 🙂
November 13th, 2006 at 13:37
@Viktor Korf
diese blöde Bezeichnung „Linke und Nette“ geht mir wirklich auf den Geist, meist kommt ein paar Zeilen später auch noch der „Gutmensch“. Diese sarkastische Unterstellung, dass soziales Denken sowieso nur für weltfremde Idioten sei, die noch nicht verstanden haben, dass man nur mit Egoismus durchkommt: ich kotze gutmenschlich an die nächste Ecke.
November 13th, 2006 at 14:31
@ viking
ja es ist mit klar,noch schlimmer ist ja das da noch Vermögen dazugerechnet wird………entweder mit Immobilien oder auf der Bank…
November 13th, 2006 at 15:20
Das „Zureich“-Schild der Sunrise geht auf das „Zureich“-Schild des besetzten Hauses „Wohlgroth“ zurück, welches in den 90ern geräumt und abgerissen wurde. Es hat also tatsächlich politischen Hintergrund.
November 13th, 2006 at 15:35
Gold!!!
Jeder Schweizer hat (oder hatte) Gold gern als Geldanlage (20 Prozent der Ersparnisse sollte in Gold angelegt sein, so empfehlen die Schweizer Banken). Da der Goldpreis lange Zeit auf USD36/oz fixiert war, und erst 1967 (?) in den USA freigegeben wurde, stieg der Preis unaufhaltsam ab 1967 bis USD600 (sechs hundert) / oz. (ca. 1977?).
November 13th, 2006 at 16:03
Natürlich sind alle Schweizer reich! Auch die Leute in Zürich-Grünau, oder Zürich-Hard haben alle Millionen gebunkert….
November 13th, 2006 at 16:40
@Patrick: Lol. Ja da ist was dran. Aber wehe den letzten Satz hätte ein Deutsche in einem Schweizer Lebensmittelgeschäft gesagt. Also teuer Schund usw. Na ich glaube Du weisst auf welches Stereotyp wieder zurückgegriffen worden wäre. Souvenirs sind übrigens immer überteuert und nirgendwo mehr als in der Schweiz (Kuhglockenanhänger für 15 Franken) 😉
Aber besser zu reich als zu arm. Z.B. ist Neapel ärmer und schöner, im reichen Zürich lebt es sich aber wesentlich sicherer. Allerdings hat man immer irgendwie das Gefühl ausgebeutet zu werden, dass andere noch ne Mio. mehr haben. Aber ok, dass ist wohl eher Psychologie.
November 13th, 2006 at 17:48
8506.- Durchschnitts Gehalt? Sicher brutto. verrechnet, noch ein paar Vasellas druntergemischt und das ganze mal 2 hochgeOspelt. Also so reich sind wir sicher nicht.
Das andere Ende der Skala: gibts auch arme, ungeOspelte Schweizer? Es gibt sie. Allerdings sind sie im Vergleich zu einem armen Sizilianer oder Griechen (beide Länder verfügen über kein soziales Auffangnetz) auf sehr hohem Niveau „arm“, – @coolman-, was die netten linken Gutmenschen, welche immer Geld verteilen wollen, welches sie nicht selber verdienen, bestreiten.
Die machen nämlich Ferien auf Mallorca, weils in der Schweiz zu teuer ist.
Bisschen krass und ketzerisch, ist aber halt schon so.
Wie hiess, schon vor 40 Jahren, das wichtigste Fach in einer ländlichen Schule mit Bauernkindern? „Singe, Heue, Jomere“. (Jammern, Jens) Die Bauern machens immer noch. Und je länger je mehr auch andere. (s.Staatsquote und Verschuldung.)
November 13th, 2006 at 18:49
@ Viktor Korf
Was hat das durchschnittliche Haushaltseinkommen von Fr. 8506.- mit den hohen Immobilienpreisen zu tun ?
Und der böse Fiskus nimmt uns nicht einfach etwas weg, sondern der Staat stellt uns dafür eine gut funktionierende Infrastruktur bereit.
Das mit den Linken und Netten geht mir auch langsam auf den Geist. Lieber link und nett, als egoistisch, unsozial und geldgierig.
November 13th, 2006 at 21:35
Hier ist das Original aus den Neunzigern:
http://www.alleswirdgut.ch/wohlgroth_large.cfm
November 13th, 2006 at 23:23
Zwanziger von 1938 ‚ Mein ältester -.20 er von 1883, 2.- von 1875
-.05 von 1885 ( neben anderen etwas jüngeren Münzen ) fand ich im normalen Umlauf, jetzt sind sie halt bei mir in der Sammlung.
November 14th, 2006 at 1:12
to Georges:
Oh, vielen Dank, das wieder einmal sichtbar zu machen! Mich packt fast die Nostalgie, obwohls damals mein noch ziemlich junger Filius war, der fasziniert ins Wohlgroth durchbrannte.
to Jean:
„Lieber link und nett, als egoistisch, unsozial und geldgierig.“ Das muss ich mir als adäquate Antwort merken, danke!
Übrigens fällt mir immer wieder auf, wie sich Geiz – auch mit sich selber – durch Generationen der seit Generationen Wohlhabenden (also nicht der Neureichen, die müssens ja oft zeigen) zieht. Das beginnt beim Kübelsack (den man überfüllt wegen der Sackgebühr) über den Kaffee (den man sich auswärts niemals leistet), das Austragen uralter, seit Jahrzehnten aus der Mode geratener Kleider (wenn man nicht gerade in stinkfeiner Gesellschaft doch standesgemäss auftritt) und das Vermeiden aller Situationen, die ein Trinkgeld erfordern könnten bis zum Verzicht auf allerlei Haushalt- oder Transportkomfort.
Und weil mans sich selber nicht gönnt, sind alle andern Geldverschleuderer und verachtenswert inkompetent in Finanzsachen, wenn nicht sogar liederlich.
Gerne zitieren diese Sparer dann den Spruch: „Ume suscht wird niemer riich!“ (umsonst wird niemand reich) oder noch lieber: „Vo de Riiche mues me leere spare“ (frei übersetzt: Richtiges Sparen kann man nur bei den Reichen abgucken). Und tatsächlich: Wenn man nur zehn Briefe nur mit 85 Rappen (=B-Post) frankiert statt mit 1 Fr. (= schnellere A-Post), so hat man in der Tat spielend Fr. 1.50 gespart (und wundert sich, dass man bei Kontakt nach 4 Tagen noch keinen Dank bekommt für den „lieben Brief“, für den man am Sonntag doch noch extra zum Bahnhof-Briefkasten marschiert war, damit er schnell ankomme).
So, fertig Gift gespritzt! Reiche sind auch nur Menschen.
November 14th, 2006 at 7:44
Jean und Coolman:
Doch, doch der Ausdruck „Linke und Nette“ finde ich sehr treffend! Ich habe auch schon die Konsequenzen gezogen und bin aus der Kirche ausgetreten: Schliesslich sagen uns ja jetzt die Gutmenschen was wir nicht dürfen (z.B nicht rauchen, nicht Neger sagen, etc.) und wann die Welt untergeht (z.B wenn wir die Abstimmungsparolen der Gutmenschen nicht befolgen, etc.). Folgerichtig überweise ich nun einen meiner Kirchensteuer entsprechenden Betrag an die SP! Ist doch nett, oder?
Juni 30th, 2007 at 15:26
Nun, sich einfach der EU anschliessen löst unsere Probleme bezüglich Arbeitslosigkeit und Ungerechtigkeit auch nicht! Es kann keine Lösung sein, wenn man sich einfach Finanziell und Gesellschaftlich an andere Länder hängt. Die Lösung des Problems liegt darin, dass die Mehrheit in diesem Land endlich umdenken sollte. Bevor es zu spät ist. Die Doppelverdiener schüren Hass und Gewalt. Das hat auch vieles mit dem übertriebenen Feminismus in diesem Land zu tun! Was heute diese Karriereweiber abziehen ist ekelhaft und zutiefst asozial. Die Mehrheit in diesem Land sollte über diesen Änderungsvorschlag doch dankbar sein.
Was ich ausser dem nicht verstehe, warum haben so viele Leute grosse Angst davor, ihren Reichtum mit Wenigerbesitzenden zu teilen? Warum haben solche Personen Angst etwas zu tun, das völlig normal und selbstverständlich ist! Ich denke viele Leute haben auch Minderwertigkeitskomplexe oder andere Probleme und versuchen mit Geld und Sachen, die sie eigentlich gar nicht benötigen, diese zu kompensieren und verheimlichen.
April 8th, 2008 at 13:16
ach… dieses plakat ist eine werbung von sunrise, ein schweizer mobilfunkanbieter ^^ einfach mal genauer schauen… hahahha
September 10th, 2010 at 11:38
Zuerich heisst auf Raetoromanisch auch Turitsch