-->

Was alles so passiert beim Tempelbau — Neues aus der Schweizer Politiksprache

  • Was passiert? Was geht?
  • “Qu’est-ce qui se passe?“ fragen die Westschweizer, wenn Sie wissen wollen, was abgeht. Wörtlich: „Was ist das was sich passiert?„. Kommen Sie dann nach Zürich oder Deutschland, wird schnell die Frage „Was passiert?“ daraus. Ein korrekter Satz des Deutschen, der doch so nie gesagt werden würde: „Was IST passiert?“ oder „Ist was passiert?“ sind okay, Letzteres dann meinetwegen auch in Kurzform „ (ist) was passiert?

  • Was in der Schweiz passiert

  • Anders in der Schweiz. Da passiert eine ganze Menge. Für uns war das nur möglich in der Kombination mit „ist passiert“. Bisher kannten wir „passieren“ an sich nur noch aus der Küche, wenn wir in Frankreich erleben durften, wie das leckerste Gemüse gnadenlos gleich gemacht wurde, in dem es der „chef de cuisine“ durch ein Sieb „passierte“, so dass nur noch Babybrei und grüner Gemüseschleim unten dabei heraus kam.

    Die Franzosen kaufen sich solch „passiertes Gemüse“ auch in Dosen, fertig gekocht, muss man nur noch aufwärmen. An sich lecker, wenn da nicht diese grüne Farbe und die sämige Konsistenz zu bemängeln wären.

  • Bau mir noch ne Säule
  • Wir hörten in der Nachrichtensendung „10 vor 10“ im Schweizer Fernsehen am 19.09.06 einen Bericht über die „dritte Säule“. Die Schweizer sind nämlich passionierte Tempelbauern, und so ein richtiger Tempel wäre nicht vollständig ohne ein paar anständige Säulen. Zwei Säulen hat jeder, für die „dritte Säule“ muss man selbst Vorsorge tragen, in der Schweiz gern als „Sorge heben“ bezeichnet. Nicht „Säule(n) heben“, das können nur Gewichtsheber oder Schweinezüchter. Die drei Säulen meinen die Altersvorsorge:

    Drei Säulen braucht der Mensch
    (Quelle Grafik: bankcoop.ch)

    Wikipedia meint dazu:

    Die Vorsorge in der Schweiz basiert auf drei Säulen, dem sogenannten „Drei-Säulen-System“. Die Darstellung des 3-Säulenprinzips erfolgt in der Praxis unterschiedlich, insbesondere können die Meinungen betreffend der unter der 2. Säule zu erwähnenden Versicherungen divergieren. In der Bundesverfassung Art. 111 wird bei der Verwendung des Ausdruckes „…drei Säulen…“ für eine der Säulen nur die „Berufliche Vorsorge“ (Pensionskasse) erwähnt. Vielfach werden jedoch bei der Darstellung eines umfassenden Drei-Säulensystems alle Versicherungen im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit (obligatorische und freiwillige) als 2. Säule bezeichnet, resp. dargestellt
    (Quelle: Wikipedia)

    Und jetzt wurde die dritte Säule Thema im Ständerat. Erika Forster aus St. Gallen hat den Vorstoss beigebracht, eine Säule „3C“ einzuführen. Im dem Beitrag auf „10 vor 10“ heisst es dann:


    „Forsters Idee
    passierte im Ständerat mit grossem Mehr“
    (Real-Stream Video bei 2:03)

    Es geht uns hier nicht um das „Mehr“, die Schweizer Variante von „Mehrheit“ (vgl. Blogwiese). Es geht ums „passieren“.

    Da ist „es passiert“, genauer gesagt „passierte die Idee“. Kennen wir vom Schachspielen, dort gibt es den besonderen Zug „en passant“ = „im Vorbeigehen“.

    Mal schauen, ob das öfters passiert in der Schweiz:

    Der Gestaltungsplan passierte in der Schlussabstimmung mit 201:3 Stimmen.
    (Quelle: zuonline.ch)

    Es sind also Pläne, Vorschläge oder Motionen die durch eine Abstimmung müssen, wenn sie „passieren“.

    Kennt der Duden das eigentlich?

    passieren (aus gleichbed. fr. passer, dies über das Roman. zu lat. passus „Schritt, Tritt“, Bed. 2 aus fr. se passer):
    1.
    a) durchreisen, durch-, überqueren; vorüber-, durchgehen;
    b) durchlaufen (z. B. von einem Schriftstück).

  • Ja wo laufen sie denn durch, die Schriftstücke?
  • Aber es durchläuft doch nicht, sondern es wird in einer Abstimmung besprochen. Egal, wir sind grundsätzlich gern dabei, wenn irgendwo was los ist. Und hier passiert ganz offensichtlich häufig mal was. Wieder ein kleines Stückchen Schweizer Politiksprache gelernt.

    

    12 Responses to “Was alles so passiert beim Tempelbau — Neues aus der Schweizer Politiksprache”

    1. Urs von T. Says:

      ist was passiert-noch kürzer-„wie?

    2. Johnny Says:

      „Zwei Säulen hat jeder, für die „dritte Säule“ muss man selbst Vorsorge tragen“

      Selbständige haben nur eine Säule. Zwei Säulen hat jeder im Angestelltenverhältnis, müsste es korrekt heissen. Selbständigerwerbende können sich natürlich freiwillig versichern. Auch Leute mit geringem Einkommen, z.B. Studenten sind nicht versichert.

    3. Phipu Says:

      Die Übersetzung nach Duden von „durchlaufen“ (für 1b) ist etwas schwierig abzuleiten, wenn man der entsprechenden französischen Kenntnisse ermangelt. Nach Abstimmungen heisst es oft „L’initiative n’a pas PASSÉ le cap des 50% de votes favorables“ („Die Initiative hat die Hürde von 50% Ja-Stimmen nicht ÜBERSCHRITTEN“) oder vor den Abstimmungen: „Si la nouvelle loi PASSE, elle aura des influences sur notre politigue étrangère“ („Wenn das neue Gesetz DURCHKOMMT, wird es Einfluss auf unsere Aussenpolitik haben“) oder ähnliche Sätze mit „passer“. Deshalb hat Forsters Idee auch … mit einem Mehr passiert. Sie ist eben durchgekommen. Sie wurde nicht „abgelehnt, abgeschmettert, zurückgewisesen, vom Tisch gefegt“ oder eine Vielfalt anderer blumiger Ausdrücke für „nicht passiert haben“.

      Offenbar heisst „passieren“ im deutschen Sinn doch nicht nur „geschehen“. Wenn ich die Google-Belege anschaue, scheint „passiert“ wenigstens im Duden-Sinn 1a auch in Deutschland bekannt zu sein. (wird im Blogtext nicht erwähnt). z.B. „Nachdem der LKW (CH: Lastwagen) die Brücke endlich passiert hatte, musste er an der Ampel (CH: am Lichtsignal) schon wieder halten.“

      Kein Wunder heisst es „passiertes“ Gemüse in der Küchensprache. Dieses wird schliesslich durch CH: „‘s Passwit“ gelassen. Dieser Ausdruck ist nichts mehr als französisch mit dem Schweiz-typischen sächlichen Artikel. (le passe-vite). Bild für dieses Gerät hier:
      http://www.gourmetstore.be/CookingMarket/Pictures/passevite.JPG
      Dieser mechanische Apparat ist neben den elektrisch betriebenen Küchengeräten (z.B. Mixer) etwas in Vergessenheit geraten.
      Beim Googeln bin ich darauf gestossen, dass man in D: „die Flotte Lotte“ zum oben erwähnten Kurbelgreät „das Passevite“ sagt.
      Quelle: http://de.nntp2http.com/rec/mampf/2006/09/f58df8ce058a08cfa5e490d6165fa655.html

    4. Michael Says:

      @Johnny: Selbständige können auch eine Säule 3c einrichten. Deren Beitrag kann dann jährlich bis zu CHF 30’960.00 betragen. Angestellte können nur bis CHF 6’192.00 einzahlen (und von Einkommen abziehen).

      Gelder aus der Säule 3a können auch vor der Pensionierung verbraucht werden. z.B. für Wohnungskauf. Die Besteuerung fällt beim Herauslösen des Geldes an (zu einem reduzierten Satz). Die Säule 3c soll den selben Mechanismus kennen, jedoch wird die Verwendung anders sein (Deckung der Pflegekosten im Alter anstelle eines frei verfügbaren Kapitals nach der Pensionierung oder Kauf eines Eigenheims). Insgesamt eine gute Idee, fehlt nur noch das Instrument der Bausparens (Säule 3d?).

    5. Züpf Says:

      Ich glaube das passieren steht hier im Gegensatz zur Zurückweisung, man lässt es eben durchgehen.
      Die schweizer Tempelbauern haben übrigens verschiedene Baustellen. So ruht die Drogenpolitik sogar auf vier Säulen.

    6. Fiona Says:

      „Der Gestaltungsplan passierte in der Schlussabstimmung mit 201:3 Stimmen“.
      „Passieren“ im Sinne von „durchlaufen“ – genau wie in der englischen Sprache – „got through“, oder „went through“.

      Was ich an der Mundart mag: Schweizerdeutsch ist ultra-flexibel, da gesprochen und nur sehr selten geschrieben. Es steht jedem beinahe frei, seine Schweizertüütschkenntnisse zu gestalten…..je nach Heimatkanton. Das fördert „freedom of expression“ sozusagen. Deutschschweizer kennen keine „hang-ups“ was „Engleutsch“ betrifft. Oder?

      Fiona

    7. Administrator Says:

      @Fiona
      Ich weiss nicht, was Du mit „hang-ups“ und „Engleutsch“ meinst.
      Geschriebenes und Gesprochenes Schweizerdeutsch ist eine Variante der grossen Sprachmenge Deutsch. Und Deutsch ist eine Sprache, die sehr schnell andere Wörter übernimmt, aufsaugt, neu bildet, anpasst, „eindeutscht“ oder auch nicht.
      Die Bestrebungen sogenannte „Fremdwörter“ einzudeutschen waren in der Vergangenheit recht erfolgreich, in der Neuzeit hat sich das erübrigt. Die Sprache entwickelt sich zu schnell weiter, um da irgendetwas staatlich oder sonstwie kontrolliert in den Griff zu bekommen. Auch der viel zitierte Duden beschreibt nur den Zustand, den eine Mehrheit von Sprechern als „Standard“ empfindet. Wenn wir lange genug „chillen“, „phonen“, unsere Daten „saven“ etc, dann sind diese Wörter bald auch im Duden.

      Den einzigen Unterschied, den ich zur Schweiz sehe, ist die Tatsache, dass hier eher die Orignialaussprache beibehalten wird. Siehe die Diskussion über „Garage“ (Deutsche vs. Franz. Aussprache in Deutschland und in der Schweiz), aber auch das wird nicht konsequent durchgehalten.

      Hinsichtlich „Freedom of expression“ sehe ich keinen Unterschied zwischen CH und DE. Wenn Schweizer von der Deutschen Sprache nur den „Standard“ kennen, dann heisst das noch lange nicht, dass nicht auch zahlreiche Varianten zusätzlich in den andern deutschen Dialekten existieren. Denk an das Beispiel vom „Brotanschnitt“ und vom „Rest des gegessenen Apfels“, diese Varianten sind von der Grenze zu Dänemarks bis zum Tessin gleichmässig verteilt. „Freedom of expression“ ist überall gleich vorhanden, meiner Meinung nach. Vielleicht in einer verzweigten Berglandschaft stärker als in einem menschenleeren ostdeutschen Landstrich, das mag sein.

    8. Fiona Says:

      @ Administrator

      Es gibt keinen CH-Duden – ergo, die Deutschschweizer geniessen mehr „sprachliche Freiheit“, imo.
      „Hang-ups“ : schau mal in „The Urban Dictionary“.
      Engleutsch – eine Mischung aus Deutsch und English. Auch Franglais.

      Es gibt keinen „Standard“ Schweizerdeutsch, ABER:

      Zitat aus „Schwyzertüütsch“ (Arthur Bauer):
      >>Die Sprache dieses Buches hat Geltung in der Region Zürich, wobei dies kein präziser geographischer Begriff ist. Das hier gebräuchliche Idiom strahlt weit über die Grenzen des Kantons Zürich hinaus, bis es im Westen auf den Einflussbereich der ebenfalls expandierenden berndeutschen Koine stösst. ….. Was heute Geltung hat, hört man im Regionaljournal von DRS 1, bei den Lokalredios und es sollte in diesem Buch zu finden sein“.

      P.S. Ich persönlich habe alle Schweizerdeutsch-Varianten auf SF1 & 2 mehr order weniger verstanden, ausser
      – Pirmin Zurbriggen (Waliser, Saas-Fee)
      – Fritz Leutwiler (Berner, ehem Präsident der SNB)

      MfG
      Fiona

    9. Urs von T. Says:

      engleutsch hat sich in deutschland nicht eingebürgert.
      es heisst umgangssprachlich „denglisch“
      z.b.
      -morgen findet das Kick-Off-Meeting des neuen Workshops zum Thema „Baselining und Benchmarking“ statt.-
      @fiona
      der schacher sepp ist auch sehr mühsam zu verstehen.

    10. ichbins Says:

      Bei der Zürcher Drogenpolitik hat man soagr 4 Säulen! Ein richtig schöner Tempel 😉

    11. Fiona Says:

      @ Urs von T. (wenn er noch da ist).

      Auch die Briten wollen ein bisschen deutsch lernen. Aus der der FT London
      in den letzten Wochen
      „Uebermanager“, „Mergermeister“ (re a takeover), „Ueberconfectioner“
      (Meisterkonditor!), überdimensional…. also habe ich „Don’t go über-the top“ gehört!!

      Fiona

    12. roger Says:

      Fiona,

      ja richtig, es steht jedem frei wie er Dialekt quatschen soll, fördert die „freedom of expression“, auch gut. Nur, wenn man dann plötzlich nicht mehr versteht was einem gesagt wird, dann ist die Flexibilität auch am Ende. Dann wird es komisch, vielleicht sogar etwas lächerlich. Diesen Eindruck habe ich manchmal hier, also ein gewisser sprachlicher Standart wäre doch nicht schlecht. Klar die Sprache ändert sich fortwährend, ist auch in Ordnung so. Aber eben, wenn es zuviel wird, dann beginnt man vielleicht das Gesprochene nicht mehr ernst zu nehmen, dann ist man „fed up“