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Wer sollte Schweizerdeutsch lernen? — Sprachen lassen sich schlecht vorschreiben

  • Sollte man als Deutscher in der Schweiz anfangen Schweizerdeutsch zu lernen?
  • Wir meinen, man sollte sein „Hörverständnis“ trainieren, in dem man aufmerksam Radio hört, den Wetterbericht bei Meteo oder Tele-Züri (mit der bezaubernden Jeannette Eggenschwiler, sie moderiert derzeit übrigens hochschwanger) anschaut und sich die ein oder andere CD von Mani Matter und anderen Sprachakrobaten auf Mundart reinzieht. Als Deutscher in der Schweiz sollte man gleichzeitig die sprachlichen Varianten verstehen lernen, die es im Deutschen Sprachraum gibt, und sie als Bereicherung annehmen. Wer als Deutscher sowieso aus dem alemannischen Sprachraum stammt, wird auch mühelos eine lokale Variante des Höchstalemannischen lernen können.

  • Lässt sich der Gebrauch von Dialekt gesetzlich regeln?
  • Der letzte Nationalstaat, der sich in aktiver „Sprachpolitik“ und „Bereinigung des Vokabulars“ versuchte, war Frankreich zur Zeit der Klassik. Radikal wurden alle Dialekte unterdrückt und aus dem offiziellen Wortschatz der „Académie française“ verbannt. Was hat es genützt? In allen Gegenden Frankreich werden weiterhin lokale „Patois“ gesprochen. Diese Dialekte sind vielleicht nicht so ausdifferenziert wie in der Schweiz, aber dennoch existent.

    Zum Glück lässt sich Sprache nicht normieren, und auch nicht politisch steuern. Dialekt wird auch nicht aussterben, wenn Kinder Hochdeutsch als zweite Sprachvariante lernen und praktizieren. Dialekt hat 1.000 Jahre überlebt und wird weiterbestehen, vielleicht nicht mehr in der ganzen Vielfalt an Ausdrücken, aber mit dem gleichen Lautstand wie vor 1.000 Jahren.

  • Sprachpolitik ist sehr selten erfolgreich

  • Ein ganz seltenes Beispiel für Sprachpolitik, die tatsächlich erfolgreich war, fand nach der Reichsgründung 1871 statt:

    Die deutschnationale Euphorie der Reichsgründung 1871 bietet die Gelegenheit, staatliche Hoheitsgebiete auch sprachlich neu zu regeln. So feiert die Ersetzung von Fremdwörtern im Post- und Eisenbahnwesen Erfolge auf breiter Front. Aus Kuvert wird Briefumschlag, aus Telephon Fernsprecher, aus Velo Fahrrad, aus Korridor Gang, aus Billet Fahrkarte, aus Automobil Kraftfahrzeug, aus Coupé Abteil oder aus Perron Bahnsteig. Die Kopie wird zur Abschrift, die Pension zum Ruhegehalt. Insgesamt 1.300 Fachbegriffe werden allein im Bau- und Verkehrswesen eingedeutscht, behördlich angeordnet.
    (Quelle: tu-chemnitz.de)

    Das ist bis heute der Grund, warum man in der Schweiz „Velo“ und nicht Fahrrad sagt! Natürlich gab es zahlreiche weitere Anstrengungen in Deutschland, die sogenannten „Fremdwörter“ einzudeutschen. Die zitierte Quelle bietet einen guten geschichtlichen Überblick über Erfolg und Misserfolg dieser Bemühungen. Nur wir Deutsche sprechen auf der Welt von „Fremdwörtern“, für die Engländer und Amerikaner sind dies einfach „hard words“, die schwer zu verstehen sind, aber niemals „fremd“.

    Da die Schweizer also um 1871 diese Sprachpolitik des Deutschen Reiches nicht mitmachten, hielten sich so viele französische Lehnwörter im Alltag. Auch der Süddeutsche Raum mit Schwaben und Baden tat sich schwer mit diesen Eindeutschungen. Dort ist bis heute das „Billetle“ und das „Portemonnaie“ üblicher Teil des Dialekts.

    

    6 Responses to “Wer sollte Schweizerdeutsch lernen? — Sprachen lassen sich schlecht vorschreiben”

    1. Frank Says:

      Portemonnaie (mit e!), Kuvert (CH:Couvert) und Korridor sind doch auch in D ganz normal??? Außerdem gebräuchlich (in Pforzheim, also nicht soooo weit südlich) Trottoir, Plafont, Parapluie, Chaiselongue (Schäßlong), DAS Tunnel (Betonung auf letzter Silbe). Und Bitte: Billettle hört sich genauso bescheuert an wie Fränkli oder Trämli!

    2. Peter Says:

      Aus meiner Sicht genügt es, wenn ihr Deutsche die Mundart verstehen lernt, sprechen müsst ihr sie nicht, denn das tönt oft sehr holperig. Ok, ich muss zugeben, dass ich automatisch auf Schweizerisches Hochdeutsch umschalte, wenn mein Gegenüber Hochdeutsch spricht auch wenn dieses noch so beteuert, das Schweizerdeutsche zu verstehen.

      Hochdeutsche, die schon länger in der Schweiz sind, sagen dann irgendeinmal am Kaffeetisch, dass sie eigentlich Schweizerdeutsch schon ganz gut verstehen würden, ausser mich. Das hat damit zu tun, dass ich eben nicht diesen Allerweltsquasel von der Stadt Zürich spreche.

      Russland hat übrigens die in Deutschland reformierten französischen Wörter in seiner Sprache auch belassen. Dinge wie Portmonnaie, Trottoir, Station etc. haben sie behalten oder leicht angepasst. Ausserdem gibt es auch noch einige Deutsche Wörter wie z.B. Landschaft, Rucksack und Schlagbaum.

      Zum Thema Velo: Eine Schweizer Familie buchte eine Ferienwohnung auf Fehmarn und erzählte der Vermieterin, dass sie ihre Velos mitnehmen würden. Die Vermieterin rechnete mit dem Schlimmsten, war dann aber ganz schön erleichtert als die Familie mit ihren Rädern anrückte und nicht Hunde mitbrachte, wie sie das zuerst vermutet hatte.

      @Frank
      Fränkli ist tatsächlich nicht erlaubt, Trämli oder vielleicht eher Drämli ist in Basel erlaubt, nicht aber in Zürich.

    3. Phipu Says:

      Das unveränderte französischen Wort „Parapluie“, welches hier manchmal verwendet wird, führt mich zum noch viel schöneren eingedeutschten Wort „Paraplü“, welches in erster Linie in Oesterreich gehört werden kann http://www.google.de/search?hl=de&q=parapl%C3%BC&btnG=Suche&meta=lr%3Dlang_de .

      Dazu noch eine Spezialität im Freiburger „Senselerdialekt“ (mehr dazu hier: http://als.wikipedia.org/wiki/Senslerisch ). Was ist wohl „der Bärisou“? Wer nun an eine Mischung aus Tieren (Bär/Berner Sennenhund/Sau) denkt, liegt falsch. Wer den Abschnitt über „Parapluie“ nicht schon vergessen hat, könnte es erraten: „der (le) Parasol“ (frz. für Sonnenschirm) wird für „der (Regen-)Schirm“ gebraucht!

      An Frank:
      „Trämli“ kann durchaus richtig sein! Aber bitte, bitte nur in Basel: (eher „Drämmli“ ausgesprochen). Siehe z.B. hier: http://www.google.ch/search?hl=de&q=basler+dr%C3%A4mmli&meta=
      und hier: http://www.blogwiese.ch/archives/79

    4. Simu Says:

      @Peter
      Stimmt das wirklich, dass Fränkli nicht erlaubt ist? Ich höre das immer wieder, obwohl ich diesen Ausdruck selber eher nicht brauche. Meistens im Sinn von „Wäg dene paar Fränkli…“ wenn es jetzt nicht mehr drauf ankommt, wenn es noch ein bisschen mehr kostet. Und ja, ich komme aus Bern und höre diesen Ausdruck von anderen Bernern.

      Im Zusammenhang mit Trämli (auch schon in Bern gehört) möchte ich natürlich an das berühmte blaue Bähnli erinnern. Beispielsweise hier: Dr Schnäuscht Wäg Nach Worb http://www.bruwo.ch/wegworb.htm

    5. Administrator Says:

      @Simu
      Ja, das stimmt, nur Emil darf das. Vergleiche Blogwiese:
      „Bitte keine Törlis und Fränklis“
      http://www.blogwiese.ch/archives/35
      Gruss, Jens

    6. Branitar Says:

      Es stimmt nicht ganz, dass Frankreich der letzte Natianolstaat war, der sich in der „Sprachbereinigung“ versuchte. In der DDR gab es keine Sendungen in Dialekt, es gab Anweisungen, dass bei der Arbeit nur Hochdeutsch zu sprechen sei (auch in Gegenden in denn z.B. Platt weiter verbreitet nzw Hauptsprache war), in der Schule wurde der Unterricht nur auf Hochdeutsch gegeben und den Kindern wurden bereits im Kindergarten das Platt abtrainiert (so sie es denn überhaupt gelernt hatten). Damit war man auch weitgehend erfolgreich. Meine Mutter spricht mit meinen Großeltern nur Hochdeutsch. Die wiederum sprechen nur untereinander und mit ihren (älteren) Nachbarn Platt, mit den „Kindern“ aber auch nur noch Hochdeutsch. Ich selber verstehe Platt recht gut, kann es aber (bis auf ganz wenige Brocken) nicht selber sprechen…
      Mittlerweile wird es aber zumindest in MeckPomm wieder als Unterrichtsfach angeboten, auch wenn ich bezweifle, dass es den Dialekt vor dem Aussterben retten wird, da er im Alltag schon fast vollständig verschwunden ist…