Es besammeln sich die Genossamen
Wir kannten bisher die „Genossen“, mit ihren Genossenschaften. Wir amüsierten uns schon früh über die Verfechter der totalen Kleinschreibung, wenn sie den Satz schrieben: wir haben in moskau liebe genossen.
Nun lernten wir eine neue Spezies von Genossen in der Schweiz kennen: „Die Genossamen“. Im Kanton Schwyz gibt es heute noch 70 davon (Quelle:).
In unseren Ohren klingt das Wort wie eine Kreuzung aus „Genesis“ und „Samenspende“, wobei wir natürlich nicht die gleichnamige Rockgruppe meinen, sondern das erste Buch Mose.
Oder kommt „Genossamen“ von „Genossen und -sinnen, Tach z’saamen!“, etwas schneller ausgesprochen? Das wäre der Niederrheinische Deutungsversuch, doch der ist sicher falsch. In der Schweiz wird nicht „gespeist“, sondern „gespiesen“, vielleicht wird dann bei Schnupfen nicht „geniest“, sondern „genossen“? In einer Genossam?
Jedenfalls muss auch unser armer Duden „für einmal“ passen, er kennt die Genossamen nicht. Aber Google-Schweiz weiss Bescheid, und zwar an 132 Orten.
Wir stiessen bei der Lektüre des Tages-Anzeiger auf die Erklärung für dieses Wort.
Tages-Anzeiger vom 11.02.06 S. 2:
Die Tradition der Schwyzer Genossamen geht zurück ins 5. Jahrhundert. Sie ist also bedeutend älter als die Eidgenossenschaft. Damals besiedelten alemannische Bauern das Gebiet des heutigen Kantons Schwyz. Sie gründeten die Korporation Oberallmeind, um jenes Land zu verwalten, das nicht einem einzigen Bauern gehörte sondern der Allgemeinheit. Zu diesem gemeinsamen Land gehörten vor allem Alpen, aber auch Weiden und Wald. Wer Anteil an der Allmeind haben wollte, musste Landmann sein und aus freiem, altem Schwyzer Geschlecht stammen. Im Jahr 1882 stimmten die Bürger einer Teilung der Korporation zu. So entstanden die heutigen Dorfgenossamen.
Also wirklich nichts Neues. Warum schaffen die es dann plötzlich auf die zweite Seite des Tages-Anzeigers? Nun, weil etwas Sensationelles passiert ist. Dieses Bürgerrecht konnte im Kanton Schwyz nur von seinen Vorfahren erben, wer einen alteingesessenen Namen trug wie Feusi, Hiestand, Jäger oder Türkyilmaz.
Wenn ein bestehendes weibliches Mitglied einen Mann mit einem fremden Namen heiratete, war es aus und vorbei mit der Clubmitgliedschaft für die Kinder. Kein eingesessener Name, keine Genossamen-Mitgliedschaft:
Das ist ein herber Rückschlag für die Korporation Pfäffikon, deren Präsident Ueli Feusi im Tages-Anzeiger zitiert wird:
„Schon zum zweiten Mal ändert ein Gericht von oben herab unsere Tradition“. Vor dreizehn Jahren habe man hinnehmen müssen, dass auch die Frauen einer Korporation beitreten können. „Nun hat das Bundesgericht entschieden, dass auch der Name nichts mehr zählt“.
Die „Steuerrevue“ sieht in den Genossamen „Privilegierte Gesellschaften“:
Steuerbefreiung von Genossamen
Schwyzer Genossamen und Korporationen unterscheiden sich wesentlich von den Walliser Burgergemeinden, welche gemäss Bundesgerichtsurteil von der direkten Bundessteuer befreit sind. (…) Es wird eine erhebliche wirtschaftliche Betätigung ausgeübt. Diese dient den eigennützigen Interessen ihrer Mitglieder und nicht gemeinnützigen oder öffentlichen Zwecken. Schwyzer Genossamen und Korporationen schütten ihre Gewinne in der Regel in Form eines Genossennutzens aus und erbringen genossen- schaftliche Leistungen an ihre Mitglieder, was den Anforderungen des Bundesgerichts zuwiderläuft. Eine Steuerbefreiung ist sachlich nicht gerechtfertigt, (…)
(Quelle: Steuerrevue.ch)
Hören wir da nicht irgendwie so etwas wie Neid heraus? Hinein durfte nur, wer den richtigen Namen trug, und bis vor 13 Jahren mussten neben dem X-Chromsomen auch noch ein anständiges Y-Chromosom vorhanden sein. Doch das ist leider vorbei. Wie meint Präsident Feusi noch so schön laut Tages-Anzeiger:
„Es lohne sich nicht, allzu viele Tränen zu vergiessen. Der Zeitgeist habe sich geändert“
Wir werden jetzt gleich die kleinste Geige der Welt auspacken und ein wirklich trauriges Lied spielen, um eine Träne zu vergiessen. Vielleicht kommt ja der Zeitgeist kurz vorbei und übernimmt die zweite Stimme? Wir fänden es schön.
Februar 27th, 2006 at 12:35
Eine Frage,
hat die Schweiz überhaupt eine eigene Geschichte!? Denn viele Schweizer sind stolz auf eine andere Nationalität – aber Ihr eigene nicht.
Hinzu kommt noch, dass in der Schule nichts darüber unterrichtet wird.
Markus M.
Februar 27th, 2006 at 13:23
Ist vermutlich die gleiche Situation wie in irgeneiner frisischen Gemeinde wenn man nicht Petersen, Ketelsen oder Knutsen heisst und gar noch ein Weib ist, nur halt nicht legalisiert und sanktioniert wie im Kanton Schwyz. Wenn die Bayern das wüssten, sie träten der Eidgenossenschaft noch morgen bei (sofern man ihnen einen König gönnt).
Februar 27th, 2006 at 13:45
@Dan
wieso, kennst Du das Prinzip der Genossamen und Allemend Güter auch von Deutschland? Wie denn? Wo denn? Wann denn?
Gruss, Jens
Februar 27th, 2006 at 15:01
@Markus M.: Ich kann deine Worte nicht nachvollziehen. Welche Schweizer sind stolz auf eine andere Nationalität und nicht auf ihre eigene? Die Schweizer sind doch in Wahrheit sehr patriotisch und überzeugt von ihrem Land.
Und dass in der Schule angeblich keine Schweizer Geschichte unterrichtet wird, ist völliger Blödsinn.
Februar 27th, 2006 at 15:56
Lieber Geissenpeter,
anscheinend wohnen Sie ausserhalb der Stadt. Jedenfalls werden meine Kinder in Basel-Stadt höchstens von der WK2 unterrichtet, von Schweizer Geschichte keine Spur.
Und eines noch, Schweizer T-Shirts ist in den Schulen Basel-Stadt strikt untersagt – wegen angeblicher Provokation auf die Einwanderer.
Viele Grüsse,
Markus M.
PS.
Schweizer Patrioten werden in den Schulen Basel-Stadt mit Nazis gleichgesetzt, jedenfalls die Einwanderer tun es.
März 22nd, 2006 at 16:03
Das Thema der Woche. Sozusagen das Fundament unserer Confoederatio Helvetica. 320 auf 200 Millimeter Papyrus. Packender Inhalt. Kenne ihn. Hab ihn im Rahmen meiner umfangreichen Recherchen sogar gelesen. Der Bundesbrief. Ein Mix von heldenhafter Musketier-Rhetorik und Strafgesetzbuch. Und das alles auf einem Blatt. Nicht schlecht. Sich trotz der früheren komplizierten Sprache so kurz zu halten. Das muss man erst einmal nachmachen. Uns den Eidgenossen. Bei solch meisterhaften Leistungen ist es auch nur verständlich, dass wir da kräftig protestieren wenn man uns diesen Brief wegnehmen will. Wir wollen ihn doch auch mal sehen und lesen bevor das die Amerikaner können. Wir hatten ja nicht wirklich Zeit dazu. So die letzten 715 Jahre seit er geschrieben worden ist. Auch verständlich, dass sich vor allem die, allgemein konservativen, Kräfte der Talschaft Schwyz im Widerstand profilieren. Der Kanton Schwyz gehört ja immerhin zu den Verfassern des Bundesbriefes. Und offizieller Ausstellungs- oder besser Konservierungsort ist er auch. Sie haben auch eine begründete Angst vor der temporären Auslagerung. Gemäss unbestätigten Quellen wird der fehlende Brief jeden Monat Einbussen in ungenannter Höhe generieren. Zudem ist das Bundesbriefmuseum ohne Bundesbrief was der Emmentaler ohne Löcher ist. Einfach Käse. Auch will man nicht noch weitere Verluste riskieren. Denn dem Brief sind die drei Siegel, eine Art Fingerabdruck, der Stände Unterwalden, Uri und Schwyz angehängt. Oder waren. Derjenige des Kantons Schwyz fehlt. Ist fehlen gegangen über die Jahre. Sozusagen. An dieser Stelle können Sie ungeniert bestätigend mit dem Kopf nicken. Das wussten Sie. Man hat ja in der Schule aufgepasst. Man kennt natürlich den Bundesbrief. Wer nicht. Man ist schliesslich Schweizer und seiner Geschichte bewusst. Dass das ausgestellte Objekt nicht der Originalbrief ist wissen Sie sicher auch. Der wurde ja im Jahre 1303 von den Habsburgern beschlagnahmt und später in einem Rausch von Macht und Überheblichkeit spöttisch verbrannt. Auf dem Schwyzer Gemeindeplatz. Ja so ging das früher zu und her. Im Spätmittelalter. Auch bei uns in der Schweiz. Übrigens alles nachzulesen auf tell.ch. Tolle Seite. Gut zugegeben, das mit den Habsburgern war jetzt erfunden. Wollte lediglich Emotionen schüren. Einen gemeinsamen Gegner finden. Einen gemeinsamen Feind. Egal für was. Hauptsache gemeinsam. Ist immer gut so was zu haben. Verbindet. Lenkt ab.