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Beschweren tun sich nur die Deutschen — Beobachtungen in einem Café am Zürichsee

(reload vom 12.3.07)

  • Eine Ovo für sechs Franken
  • Der Tages-Anzeiger brachte einen Artikel über den schlechten Service den Restaurants am Zürcher Mythenquai:

    „Der in Wetterberichten angekündigte Sonnentag hatte, wie zu erwarten war, Tausende an den See gelockt. Bloss: Das Acqua war geschlossen, ebenso die Yuppie-Insel auf dem Dach. Serviert wurde lediglich an die Tische in der Gartenwirtschaft. Hunderte lauerten, um sich auf frei werdende Plätze zu stürzen. Ihre Mütter sollten endlich zu Kaffee und Kuchen kommen. Einmal einen Platz ergattert, folgt die nächste Enttäuschung: Beim Versuch eine Bestellung aufzugeben, stellt der Kellner klar, dass er zuerst acht andere Tisch zu bedienen habe. Eine weitere halbe Stunde vergeht, dann gibt es wieder Kuchen noch Irish Coffee – und auch nicht „etwas Ähnliche“. In der Verlegenheit wird eine heisse Ovo bestellt, obwohl eigentlich niemand eine heisse Ovo will. Die kostet dann sechs Franken. Die Milch ist handgemolken, bestimmt.“
    (Quelle: Tages-Anzeiger 08.03.07)

    Mythenquai in Zürich
    (Am Mythenquai in Zürich. Quelle Foto: Zueri.ch)

    So weit, so gut bzw. schlecht. Typisches Beispiel für eine Servicewüste und Abzocke, wie sie in touristischen Gegenden weltweit passieren könnte, egal ob am Titisee im Hochschwarzwald, auf den Pariser Champs-Elysees oder hier in Zürich. Ob der Kellner nun Deutscher, Jugoslawe oder Schweizer war, wird nicht geschildert. Aber dann wird es spannend:

  • Schweizer Gäste schweigen etwas lauter
  • „Die meisten Gäste schweigen. Nur zwei deutsche Damen empören sich lautstark. In Bern, wo die eine wohnt, sei sowas undenkbar. Und die Berner seien ja wirklich nicht die Schnellsten. Die Schweizer Gäste schweigen weiter – aber etwas lauter: Recht hat sie – obwohl sie Deutsche ist, ist in ihren Gesichtern zu lesen.“

  • Die Deutschen, die sich beschweren
  • Es ist nicht die erste Geschichte dieser Art, von der wir hören, oder die wir so ähnlich miterlebt haben. Wenn es um miesen Service geht, wird in der Schweiz eher geschwiegen. Wenn sich dann jemand laut äussert, können sie darauf wetten, dass es sich um einen Deutschen handelt. Und die Schweizer? Sie sagen lautlos, wie im Tagi zu lesen, „Recht hat sie“. Obwohl sie Deutsche ist. Die haben sonst nämlich nie Recht. Als Gäste haben sie auch zu schweigen und stumm mitzuleiden.

  • Die Deutsche Dame auf dem Berner Perron
  • Von einer Situation am Bahnhof Bern schrieb uns ein Schweizer Freund:

    In Bern dauerte es schon eine Ewigkeit bis alle gemächlich ausgestiegen waren. Dann stiegen „erst noch“ viele Rekruten nur aus, um auf dem Perron in Türnähe in den fahrplanmässigen 4 Minuten Aufenthalt Zigaretten zu rauchen. So wurde das Einsteigen immer schwieriger. So eine mühsame Einsteigerei habe ich tatsächlich auch noch nicht oft erlebt. Die Einsteigenden hatten aber „für einmal“ eine ungefähre Einerkolonne gebildet.
    Eine etwa 50jährige Dame stand hingegen neben mir und war sichtbar um einiges nervöser als die anderen Reisenden. Vor lauter Nervosität begann sie ihren Radkoffer unkontrolliert hin- und her zu wippen.

    Irgendwann konnte sie sich nicht mehr zurückhalten, und, sich als Deutsche outend, ein „das gib’s doch nich!“ ausstossen. Sie suchte, wie mir schien, unter den Umstehenden nach ins gleiche Horn stossenden Meckereien. Aber es kam einfach nichts. Alle anderen warteten einfach wie eine Schafherde. Das hat sicher u.a. auch mit der teilweisen welschen Kundschaft zu tun, die ihren Kommentar sowieso nicht verstanden hatte, bzw. die nichts Deutsches antworten wollten/konnten. Ich zuckte dann auch nur demonstrativ schweigsam mit den Achseln. Mit motzen wäre auch ich ja nicht schneller im Zug gewesen.
    (Quelle: private E-Mail)

  • Wer organisiert den Nachschub am Frühstückbuffet?
  • Andere Geschichten erzählen von Hotelanlagen, bei denen das Frühstücksbüffet so rasch leergefuttert war, dass die Spätankömmlinge schon um 9.30 Uhr nichts mehr vorfanden. Wer beschwerte sich und bat um Nachschub? Die Deutschen Gäste.

    Sind das alles urbane Legenden? Sind das alles Mythen um die vorhandenen Klischees, die in der Schweiz lieber französisch als „Clichés“ geschrieben werden, zu belegen und zu untermauern? Ist es Ablehnung, der aus den Schweizer Berichten über diese „sich beschwerenden Deutschen“ spricht, oder ist es es Frust und Resignation über die eigene Unfähigkeit, in solchen Situationen seinen Unwillen auszudrücken?

    ICE in Deutschland
    (Quelle Foto: o-keating.com)

  • Auch in Deutschland wird stumm gelitten und eine Verspätungsbescheinigung ausgestellt
  • Um das Klischee nicht unnötig zu strapazieren, zum Schluss eine Geschichte aus Deutschland, die uns eine Schweizerin erzählte. Sie war erstaunt darüber, mit wieviel stoischer Gelassenheit und Duldungsvermögen die Fahrgäste eines völlig überfüllten ICEs auf dem Weg von Frankfurt nach Köln akzeptierten, dass ihr Zug bereits 40 Minuten Verspätung hatten. Wohlgemerkt, das ist die besonders schnelle und darum teure Neubaustrecke. Die Fahrgäste waren diese Verspätungen gewohnt, und auch die Überfüllung. Alte Bahnfahrer lassen sich in Deutschland vom Schaffner eine „Verspätungsbescheinigung“ ausstellen, vom „beteiligten Beförderer“. Die folgende Passage aus dem Passagierrecht der DB sollten Sie sich passend dazu einmal schön langsam vorlesen lassen und für die nächste Fahrt mit der DB am besten gleich auswendig lernen:

    26.6 Der Reisende macht seinen Anspruch innerhalb von zwei Monaten nach Abschluss der Reise mit dem Original des gültigen und entwerteten Fahrausweises und der Verspätungsbescheinigung bei einem beteiligten Beförderer geltend. Wenn vom Beförderer vorgesehen, kann an Stelle der Verspätungsbescheinigung eine Reservierung treten 2. Ist die DB ausführender Beförderer, dann erhält der Reisende zur Geltendmachung des Anspruchs auf Entschädigung nach den Nummern 26.2 bzw. 26.3 eine Gutscheinkarte entweder (i) je nach Verfügbarkeit im verspäteten Zug der Produktklassen ICE, IC/EC oder im IR oder (ii) am Tag der verspäteten Reise einschließlich der 2 Folgetage am DB ServicePoint im Bahnhof. Die mit Zangen- oder Stempelabdruck versehene Gutscheinkarte der DB steht einer entsprechend markierten Verspätungsbescheinigung gleich.
    (Quelle: bahn.de)

    Alles klar? Liesse sich „ServicePoint“ nicht auch als „Dienstleistungspunkt“ vermarkten? Wenn der Zangenabdruck (klingt wie eine „Zangengeburt“) bei der Bahn überlebt hat, warum dann nicht die „Dienstleistung nach Punkten„?

    

    11 Responses to “Beschweren tun sich nur die Deutschen — Beobachtungen in einem Café am Zürichsee”

    1. Leser Says:

      Dieser Blog hat seinen Zenith überschritten.

      [Anmerkung Admin: Dieser Blog hat vor 12 Tagen unbemerkt seinen fünften Geburtstag gefeiert. Man kann nicht immer im Zenit stehen bleiben, das gibt ein heisses Hirn und Sonnenbrand auf den Schultern. Vielleicht besten fängst du jetzt einen Blog an der länger als 5 Jahre im Zenit bleibt, ich komme dann auch zum Lesen, versprochen. ]

    2. YOGI-TheBear Says:

      CONGRATZ! Mein Lieber! Du bist NICHT „auf verlorenem Posten“! Weiter so….

      Äs Grüessli uus’m „Grossen Kanton“

      von

      YOGI-TheBear
      aka
      Günter“Yogi“Lauke

    3. gäbiger Says:

      Zenit schreibt man im Deutschen übrigens ohne th.
      Naja, beschweren tun sich halt immer nur die Deutschen….

    4. AnFra Says:

      Administrator: Nachträglich Gratulation zum 5.

      @Leser

      Man kann nicht dauernd ein erreichtes sehr hohes Niveau immer halten. Es gibt nun mal natürliche Abschwächungen und Einschleifungen. Aber dies liegt nicht allein am Betreiber Jens, sondern auch an uns, den manchmal blutrünstigen und blogigen Hound dogs oder kuscheligen Lap dogs.
      Ein neumalschlauer Nachtrag: Es ist sicherlich hier der „Hochpunkt“ einer Kurvenfunktion gemeint. Denn jeder Mensch hat über sich seinen jeweils nur für ihn geltenden Zenit. Diesen hierbei gemeinten „Hochpunkt“ bitte nicht mit einem „Höhenpunkt“ verwechseln. Näheres in den einschlägigen Fachblogs „64u“. Erinnerung an eine mündliche Prüfung einer jungen Dame bei der Kurvendiskussion: „… und hier ist der Punkt G, mein ermittelter Höhepunkt ….“

      @gäbiger

      Gäbiger, dem Namen nach wohl ein Schweizerbloger. Um diese Voraburteilung etwas zu entkräften hier ne kleine sozialgeschichtliche Lehrstunde, um dann die Meinung eventuell etwas zu relativieren.
      In der Zeit ab 1947 für die Dauer von ca. 10 bis 15 Jahren hat die US-amerikanische Militärverwaltung in den besetzten deutschen Territorien Unmengen von gelehrter, belehrender, sozialhygienischer, erbaulicher, gut gemeinter und natürlich sehr, sehr blauäugiger Literatur auf die Deutschen geworfen, um die letzten nationalsozialistischen Gedanken und Regungen auszumerzen!
      Der Haupttenor war dieser: Deutscher, sei kritisch, überlege, vergleiche, hinterfrage, sei skeptisch, relativiere und überprüfe all diese Anweisungen und Entscheidungen auf Richtigkeit und Berechtigung und wenn du nicht das passende und gerechte Gefühl empfindest, so sage oder schreie deine Meinung heraus. Laut und unmissverständlich. Die 12 Jahr NS-Vergangenheit sollten durch dieses angestrebte Verhalten entgültig und dauerhaft ausgelöscht werden. Deutscher, sei ein freier Mensch, stelle Fragen, sage deine Meinung. Mache keine Faust in deiner Hosentasche! Die Nachwirkungen gits bis ins 2010.
      Da die Schweiz diesbezüglich wohl keine Erfahrung gemacht hat, also mit der gemeinten NS-Diktatur und der folgenden Demokratisierung a la US, kann der Schweizer hier möglicherweise diese Inhaltlichkeit nicht nachvollziehen und leider wohl kein gerechtes Urteil abgeben. Dessen Maßstab ist eventuell zu klein und ohne entsprechenden Hintergrund und kann deshalb so ein dt. Verhalten nicht richtig goutieren und macht seinerseits die etwas auf viele Deutsche betrüblich wirkende, sehr frustrierend sowie untertänig und demütig scheinende „Fast im Sack“. Und natürlich all seine unreflektierten Aussagen, welche augenfällig sich auf sein Unwissen, Unkenntnis, unterstelltes Desinteresse für seine Nachbarschaft und der Verweigerung mit der Beschäftigung mit dem historisch-europäischen Gang der Dinge ableiten lassen.

      Fazit: Beschweren tun sich halt nur die Deutschen…. weil die Schweizer (ängstlich ?) schweigen!
      Da bleibt noch die letzte Frage offen: Ob da der Gessler-Hut noch in den Hirnen rumgeistert? Der Willi, der Tell, war ein Zuwanderer aus Sachsen. Der hatte sein Maul aufgemacht.

    5. Guggeere Says:

      @ AnFra
      Gäbiger kann nur ein Deutscher sein: Er hat sich ja beschwert – über die falsche Schreibweise von «Zenit». Oder ist er zwar Schweizer, aber mit deutschem Migrationshintergrund, wie z.B. die Hochleistungsbeschwerer C. Blocher und J. Kachelmann? 😉

    6. AnFra Says:

      @guggeere

      Danke für den Hinweis.

      Oh Gott, wenn ein schweizerisch scheinender Beschwerdeführer sich über deutsche Beschwerdeführer beschwert, dann scheint es sich um einen möglichen deutschstämmigen Beschwerdeführer zu handeln.

      Da greife ich zu meinem Beschwerer (Pflasterstein aus dem Klosterhof), den für Briefe. Der ist aus dem St.-Katharinen-Kloster auf Sinai, mir von einem Kunden zur ewigen Erinnerung übergeben.
      Nun gibst nach deiner obigen Aussage bei mir ein Problem: Was ist das für ein Beschwerer? Ist das ein Jude, modern oder streng oder gar orthodox, ein Moslem mit allen Varianten, ein Christ- welcher, ein orthodoxer, altkatholischer, römisch-katholischer oder etwa ein arianischer, protestantischer oder gar anglikanischer?
      Du siehst, nicht nur die Schweizer erzeugen einem ungeheuerliche Kopfschmerzen sondern auch so ein abgelatschter Pflasterstein, denn man ob dieser wirklich scheinrealer Probleme einfach in ein Glashaus werfen möchte!
      Die Frage bleibt wieder: In was für eins? In ein………….?
      Der Auslöser für unsere Probleme ist wohl die Globalisierung. 😉

    7. neuromat Says:

      Verrückt. Die Zürcher haben ein Problem und schnell kann man seine geballte Dienstleistungsmuffeligkeit noch auf ein paar zwei deutsche Damen abladen, die „empören sich lautstark. In Bern, wo die eine wohnt, sei sowas undenkbar.“

      Nicht nur in Bern! Genau so ist das nämlich. Gestern – Super Abend in Basel. Nette freundliche Leute, unaufdringlich und können auch noch lachen. Weiss nicht wie der Laden hiess, man konnte dort ein wenig Salami, Schinken, Käse, Gschwellti ein feines Glas Wein nehmen – angenehm serviert.

      Werde sicherlich irgendwann einmal auf das Angebot von Brun(o)egg zurückkommen.

    8. nurich Says:

      Der Blog hat m. E. seinen Zenit noch lange nicht überschritten!

      Selbst wenn die „reloads“ natürlich verraten, dass hier ständig in Wirklichkeit 3 Jahre Altes nochmal aufgekocht wird.
      „Echte“ 2010er Artikel hab ich bislang beim flüchtig (!) durchstöbern noch nicht gefunden – die existieren wohl auch nicht.

    9. VC Says:

      @Nurich

      Wie auch, Wiese,&Co schwafeln doch seit Jahren nur die gleiche Leier, die Ihnen kaum einer glaubt, nur ihresgleichen. Dieser Blog kann gar nicht einen Zenit erreichen, denn ein Zenit ist für so ein Machwerk gar nicht vorgesehen. Der Blogbetreiber, sowie der grösste Teil der Schreiberlinge hier, mögen zwar die Absicht haben zum Mond zu fliegen und unterdessen sich als sozio-kulturellen Beacon inmitten der von Volkstümlichkeit trunkenen CH-Gesellschaft zu verkaufen; quasi von einer übergeordneten Instanz dazu verpflichtet, die „CH mit intelligentem Leben zu kultivieren“. Daran teil haben will aber keiner. Fremdbestimmt und wehrlos dagegen, waren sie ja schon immer, bis ins Jahr 2010 und weiter hinein. Leben müssen sie nun in einem gesellschaftlichen Entwicklungsland, weil sie ja gerufen wurden. Gehen kann man nicht, denn wer man denn sonst die Arbeit?

    10. AnFra Says:

      @VC

      Na, hat man den Frust wohl nach einem großen Schluck Absinth und unterm Pixy-light niedergeschrieben?
      Da z. Z. Vollmond vorherrscht wollmer mal sein lassen.

      Ein großdeutscher Co-Schreiberling.

    11. Guggeere Says:

      @ VC

      1. Was ist ein «sozio-kultureller Beacon»?
      2. Woher weisst du, wer zum Mond fliegen will? Bist du allwissend?
      3. Wie kommst du zur Behauptung, die «CH-Gesellschaft» (wer immer das sein möge) sei «von Volkstümlichkeit trunken» (was immer das sein könnte)?
      4. Ich möchte auch so schön auf Denglisch-Lateinisch klugscheissen können. Gibts dafür Kurse?

      Falls ich wirklich mal losfliege, werde ich dich bestimmt hinter dem Mond besuchen.