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Ohne Gedächtnisverlust auf der Suche nach der Chuchichäschtli-Identity — Dialog mit Patrik Etschmayer

(reload vom 27.02.07)

  • Wenn Zürich plötzlich in Prag liegt
  • Wir lasen mit grossem Vergnügen die geniale Kolumne von Patrik Etschmayer vom 09.02.07 auf www.nachrichten.ch mit dem Titel:
    The Chuchichäschtli-Identity“. Das erinnert an „The Bourne-Identity“, jener Geschichte vom Superagenten mit Gedächtnisverlust, dargestellt von Matt Damon, der mit der von Franka Potente gespielten Freundin nach Zürich fährt, das in Prag gedreht wurde. Für die Zuschauer ohne Gedächtnisverlust sei daran erinnert: Das Ganze ist ein Remake eines Films von 1988.

    Haben auch die Schweizer Gedächtnisverlust erlitten? Schauen wir mal was Patrik Etschmayer so schreibt:
    (Quelle für alle Zitate: nachrichten.ch)

    Deutschschweizer und Deutsche. Seit Jahrzehnten schon ein Quell der abstrusen Freude. Zumindest für Geniesser menschlicher Absurditäten. Und dieses Verhältnis ist – seit unsere nördlichen Nachbarn zu den zahlreichsten Einwanderern der Schweiz geworden sind – noch um einiges komplizierter geworden.

    Wow, was für eine Eröffnung! Wir haben ja schon lange Freude am Kontrast zwischen den Schweizern und den Deutschen, speziell was die Sprache angeht. Aber „Abstruses“ oder „menschliche Absurditäten“ haben wir bislang noch nicht beschrieben.

  • Wenn die Politiker das Deutsche misshandeln
  • Bisher war es ja so, dass wir Deutschschweizer jene Schweizer waren, die ohne geringste Selbstzweifel die eigene Amtssprache nicht beherrschen durften. Schwiizerdütsch war in praktisch jeder Situation genug gut. Selbst in Führungsetagen der Wirtschaft war es nur erforderlich, Englisch und Französisch fehlerfrei zu sprechen. Das Deutsche hingegen wurde da in Pressekonferenzen und offiziellen Verlautbarungen in einer Art misshandelt, die bei Kindern den Einsatz der Polizei erfordern würde.

    Das war doch jetzt sicherlich ironisch gemeint, oder? Wir lieben nichts mehr als „offizielle Verlautbarungen“ zu lesen und darin längst verschollen geglaubte sprachliche Juwelen zu finden. Und was haben die Deutschschweizer nur immer für Probleme mit den Pressekonferenzen oder Politikeransprachen. „Emil-Hochdeutsch“ ist das nicht, was man da zu hören kriegt. So lange die Verständigung klappt würde es niemand von den Zuhörern aus Deutschland wagen, sich über die andere Sprachmelodie, die Schweizerische Betonung oder Wortwahl zu mokieren. Ein klassischer Fall von Schweizer „understatement“ oder unterdrücktem Minderwertigkeitskomplex, diese offiziellen „Hochdeutsch-Sprechanlässe“ so zu verdammen. Wir haben noch keinen Politiker oder Wirtschaftsboss im Schweizer Fernsehen Hochdeutsch so reden hören, dass wir diese Sprache als „misshandelt“ bezeichnen würden, ganz im Gegenteil.

  • Böse Menschen können nicht Chuchichäschtli sagen
  • Diese Identifikation über den Dialekt war an irgendeinem Punkt für sehr viele Schweizer, der Punkt, mit dem sie sich noch von den «Schwaben» abgrenzten (kommt dazu, dass die echten Schwaben doch die schweizerischsten aller Deutschen sind!). Eine darüber hinaus gehende Differenzierung fand dabei gar nicht mehr statt: Einfacher lässt sich eine Identität kaum etablieren. Wer «Chuchichäschtli» sagen kann, ist kein böser Mensch.

    Viel mehr trennt sie also nicht von den Deutschen, als diese Identifikation über den Dialekt. Darum also auch die vehemente Ablehnung von Deutschen, die hier die Migros Clubschule besuchen um Schweizerdeutsch zu lernen. Wohlmöglich sind sie bald nicht mehr von den eigenen Landsleuten zu unterscheiden?

  • Der Chuchichäschtli-Verkaufstrick in Tunesien
  • In Tunesien lernte ich Strassenhändler und Teppichverkäufer kennen, die bei jedem entlarvten und entdeckten Urlauber aus der Schweiz sofort vorführten, wie gut sie „Chuchichäschtli“ sagen können. Für Arabisch sprechende „Krachlaut-Experten“ aus dem Maghreb eine ziemlich leichte Übung, mit der sie ihre potentiellen Kunden aus der Schweiz schnell emotional und verkaufstechnisch über den Tisch ziehen konnten.

    Diese Discount-Identität hat natürlich einen ernsteren Hintergrund. Vor einem Jahrhundert wäre es nämlich kaum einem gebildeten Schweizer eingefallen, sich über seinen Dialekt auszuweisen. Hochdeutsch zu sprechen war in der gebildeten Gesellschaft ein Muss, die Mundart für den Plebs. Mit der Deutschen Niederlage im ersten Weltkrieg und der totalitären Drohung durch das dritte Reich entstand eine kulturelle Kluft, die ziemlich genau am Rheingraben entlang verlief. Eine plakative Methode, diesen Unterschied zu betonen, den Kontrast zu stärken, war der Dialekt. Während in Deutschland vom Völkischen die Rede war, wurden die Schweizer volkstümlich. Und haben sich seither nicht mehr davon erholt.

    In Russland sprach der Adel unter sich Französisch, und mit den Dienstboten Russisch. Der Schweizer General Wille, in Hamburg geboren, soll Schweizerdeutsch nur mit seinem Hund gesprochen haben. Das „Völkische“ wurde in Deutschland ins historische Museum verbannt. Wer sich nicht belehren lässt oder beherrschen kann, und weiterhin mit völkischen Emblemen herumläuft, muss mit Strafverfolgung rechnen. Da verstehen die Deutschen keinen Spass.

  • Zeige nie dass Du Hochdeutsch kannst
  • Immer wenn es um das Verhältnis mit Deutschland und den Deutschen geht, werden wir Deutschschweizer von einem Abwehrreflex wie von einem Stromschlag durchzuckt. Wie heftig dieser und wie schwach unser Vertrauen in unsere kulturelle Identität ist, zeigt sich schon daran, wie unsere Politiker sprechen. Natürlich KÖNNEN viele kein richtiges, halbwegs akzentfreies Hochdeutsch. Doch selbst jene die es beherrschen, dürfen sich den Faux-Pas nicht erlauben, dies auch zu zeigen.

    Eine heisse Hypothese, vielleicht als Schutzbehauptung ins Leben gerufen? Obwohl uns auch schon Schweizer berichteten, dass z. B. in der Schule ein akzentfreies Hochdeutsch keinesfalls das Lernziel aller Lehrer war.

    Keinem Repräsentanten aus der Romandie käme es in den Sinn, in Bauernfranzösisch zu parlieren. Würde ein Schweizer Politiker hingegen mit korrekter hochdeutscher Diktion eine Rede halten, es wäre sein Tod als Volksvertreter.

    Dann hat sich Herr Mörgeli ja gewaltig auf ein Minenfeld begeben, als er im CLUB, davor und danach fast lupenreines Hochdeutsch sprach. Ich kann die Mär von der „korrekten hochdeutschen Diktion“ bald nicht mehr hören. Es gibt sie nicht, es sei denn in der Theaterschule als „Bühnendeutsch“. Kein Deutscher spricht „korrekt“, überall ist Dialekt herauszuhören, und wenn es der Hannoveraner Dialekt ist.

  • Das Ende der Identitätsfindung
  • Nun funktionierte diese Art der Identitätsfindung durchaus, solange die Schweiz eine geschützte Werkstatt zwischen den Machtblöcken war. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Vereinigung Europas veränderte sich dies aber alles – vor allem, als sich die Schweiz – nach erbitterter Gegenwehr vor allem der Deutschschweizer – auch langsam den Tatsachen stellen und sich öffnen musste. Und damit kamen auch die Deutschen zu uns. Hochqualifiziert, vielfach durch die eigene Bürokratie frustriert und mit einer Ausbildung im Gepäck, die sie zu begehrten Arbeitnehmern in der Schweiz machte, da viele Stellen sonst gar nicht besetzt werden könnten.

    Der meint doch nicht etwa mit „sich den Tatsachen stellen und sich öffnen“ die offenherzige Begegnung mit der EU, die bilaterale Verträge usw? Womöglich gar ein weiteres Paktieren mit dieser Teufelsbrut? Das waren mir jetzt zu viele versteckte Anspielungen und höfliche Umschreibungen. Geht es nicht eine Spur direkter bitte?

  • Wahre Fussballmeister können verlieren
  • Das neue an diesen Immigranten war vor allem, dass sie sich auf Augenhöhe mit den Schweizern befinden. Keine Italiener, Jugoslawen und Türken, auf die man mit leiser Verachtung hinunter blickt und die erst akzeptiert werden, wenn sie für die Fussballnati spielen. Und, das ist der Hammer: Sie können Hochdeutsch sprechen, jene Sprache, die in jedem gestandenen Eidgenossen östlich des Röstigrabens tiefste Ängste aufsteigen und Animositäten hervorbrechen lässt, die sich mitunter in rassistischen Gemeinheiten die Bahn brechen. Dass die Deutschen die Schweizer zudem nicht mal beim Fussball gewinnen lassen, ist da nur noch das Tüpfelchem auf dem «i».

    Also für den letzten Satz muss ich mich jetzt echt im Namen meiner Landsleute entschuldigen. Es wäre wirklich fair gewesen, einfach mal zu verlieren. Die Schweizer spielen ja auch nicht permanent auf Sieg. Sollten sich die Deutschen wirklich mal zum Vorbild nehmen. In der Schweiz ist das Gewinnen nicht so wichtig. Hauptsache das Spiel macht Spass. Vielleicht klappt es dann beim nächsten Match. Die Deutschen Fussballer sollten sich das echt mal hinter die Ohren schreiben. Auch verlieren kann Spass machen.

  • Lasst uns „Chuchichäschtli“ aussprechen üben!
  • Würden sich die Schweizer statt auf alberne Urängste aus der Kriegszeit auf die Tatsachen verlassen, würden sie realisieren, dass hier keine bösen Eroberer kommen, denen man mit verknorztem Hass begegnen muss. Im Gegenteil. Diese Deutschen sind hier, weil die Schweiz scheinbar etwas besser gemacht hat – politisch und gesellschaftlich. Wer sich diese Tatsachen bewusst macht und unsere liberalen und humanen Werte selbstbewusst vertritt, findet zum einen die wahre Identität der Schweiz und realisiert zum anderen, dass sich ein Mensch nicht primär übers ‚Chuchichäschtli‘ definiert.

    Schade ist nur, dass die zugezogenen Deutschen an diesen besseren liberalen und humanen Wert nur teilhaben dürfen, wenn sie zuvor ihre eigene Identität an der Garderobe abgegeben haben und das Schweizer Bürgerrecht beantragen. Bis dahin möchten sie bitte als „Gast“ funktionieren und ihren Job stumm erledigen. Wäre doch wunderbar, wenn es auch ohne Identitätsaufgabe ein politisches und gesellschaftliches Geben und Nehmen geben könnte.

    Aber wehe es lernt bis dahin einer heimlich „Chuchichäschtli“ richtig aussprechen!
    Chuchichäschtli, Chuchichäschtli, Chuchichäschtli, Chuchichäschtli, Chuchichäschtli… es wird langsam.

    

    18 Responses to “Ohne Gedächtnisverlust auf der Suche nach der Chuchichäschtli-Identity — Dialog mit Patrik Etschmayer”

    1. freiheitistunteilbar Says:

      Das „Völkische“ wurde in Deutschland ins historische Museum verbannt. Wer sich nicht belehren lässt oder beherrschen kann, und weiterhin mit völkischen Emblemen herumläuft, muss mit Strafverfolgung rechnen. Da verstehen die Deutschen keinen Spass.

      Damit hat der Alt-68er Gesinnungsterror mit dem der Völkischen – also den Nationalsozialisten – gleichgezogen. Statt sich zu „beherrschen,“ wurden Meinungen und Symbole kriminalisiert. Sowas nennt sich dann Meinungsfreiheit. 🙁

    2. Guggeere Says:

      @ freiheitistunteilbar

      «Damit hat der Alt-68er Gesinnungsterror mit dem der Völkischen – also den Nationalsozialisten – gleichgezogen.»
      Ooooh ja! Wo 68er wüteten, wächst kein Gras mehr, steht kein Stein mehr auf dem anderen, ist die Erde wüst und leer…
      Versuch mal z.B. in einem grossen schweizerischen Massenmedium, ob nun gedruckt, TV, Radio oder online, die SVP oder – noch riskanter – einen ihrer Polit-Hooligans mit der völkischen Bewegung in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts zu vergleichen oder überhaupt dieses Adjektiv in Verbindung mit dieser Rechtspartei zu verwenden. Die zensurieren das praktisch immer, oder der Text wird gar nicht veröffentlicht. Und wenns dennoch mal vorkommt, werden die von der Schweizerischen [Zensur] Partei sehr, sehr böse, und du hast eine Klage am Hals.
      Also wer macht hier «Gesinnungsterror»? Meinst du die zahlreichen rechtsfundamentalistischen Konvertiten unter denen, die du für «Alt-68er» hältst, oder hast du einfach das Thema verfehlt?

    3. Michael Says:

      @ freiheitistunteilbar

      Das Verbot besteht bereits seit 1945, dürfte also mit dem 68ern relativ wenig zu tun haben …

      http://de.wikipedia.org/wiki/Hakenkreuz#Umgang_mit_Hakenkreuzdarstellungen_seit_1945

    4. Bavaroise Says:

      „Hochdeutsch“ klingt halt „hochnäsig“, also nicht das was Norddeutsche so gemeinhin als „Hochdeutsch“ bezeichnen sondern schon die Bezeichnung. Der Ton macht die Musik, wie es so schön heißt. Schriftdeutsch, Standarddeutsch,..alles fein. Aber die Vorsilbe „Hoch-“ hat etwas wertendes an sich.

      Wenn man dann auch noch hört welche näselnde, das „R“ verschluckende, syntaktisch katastrophale und kurios ausgesprochene Alltagssprache da meist als „Hochdeutsch“ bezeichnet wird will einem nun einmal nicht einleuchten dass dies eine erstrebenswerte Sprechweise sei.

      Und schon zu sagen man „kann“ Hochdeutsch, als ob das etwas anspruchsvolles wäre (auch hier wieder der unausgesprochene Umkehrschluss: wer nicht Hochdeutsch spricht dann wohl doch nur weil es nicht „gekonnt“ wird..).

      Es ist schon wahr, die geographisch schwer fassbaren „typischen Deutschen“, je nördlicher man kommt je mehr davon trifft man, haben oft etwas unangenehmes an sich. Eine laute Art. Vorlaut ist vielleicht ein schöner, inzwischen selten gehörter, Begriff hierfür. Und das wird dann mit der Sprache verbunden, was nicht wundern kann denn eine latent agressive und provokante Haltung die man unter Deutschen durchaus oft feststellen kann äußert sich natürlich nicht nur durch hyperaktive Körpersprache sondern vor allem sprachlich. Und der Schweizer, oder Tiroler oder wer auch immer, verbindet mit der ruhigeren und freundlicheren Umgangsweise die er gewohnt ist eben seine Sprechweise, seine Wortwahl.

      Dabei ist das berüchtigte „Ich krich…“ statt „Ich hätte gerne…“ halb so schlimm wenn es nicht im Kommandoton vorgetragen würde, der Deutsche der entsprechend fordert dabei nicht am besten auch noch seinem Gegenüber nicht einmal in die Augen schaut sondern bereits nach dem Geldbeutel kramt und auch noch besonders rasch und undeutlich spricht. Alles signalisiert daran „Ich nehme mich wichtig, bin wichtiger als du und für diese lästige Sache hier habe ich eh keine Zeit und will hier nur schnell wieder weg um meine anderen ganz arg wichtigen DInge zu erledigen“. Die nicht sehr charmante Wortwahl ist darauf nur das Sahneobers und stellt die entsprechende Assoziation her.

      Man kann aber auch mit agressiv-ironischem Unterton wunderbar „höflich“ sein, ohne auch nur den geringsten Zweifel zu lassen dass man sein Gegenüber verachtet (die Briten sind darin wahre Meister, das nennt man dort „passive-agressive“). Teutonen haben halt ein Talent dafür sich auf ganzer Linie ungeschickt zu verhalten, das ist einfach so, das ist wirklich kein Klischee und fällt mir auch als Deutscher extrem unangenehm im Alltag auf wenn ich mir Zugereisten aus nördlicheren Gefilden zu tun habe. Es sind für sich genommen alberne Details, wie dass der Nachbar wortlos an einem vorbeiläuft während man gerade den Postkasten leert oder dass man beim Arzt in’s Wartezimmer kommt und „Grüß Gott“ sagt aber maximal entgleiste Blicke zurück erhält und sonst Schweigen herrscht. Das macht den Umgang einfach unangenehm.

      Ich weiss nicht warum die Norddeutschen und „Preußen“ Höflichkeit immer nur mit einer lästigen Pflicht verbinden, daher wohl auch im Rahmen von „1968“ abgelegt haben und zB seitdem auch brutalstmöglich duzen und nur noch ein gegrunztes „Tach“ hervorbringen. Höflichkeit ist Freundlichkeit, macht den Umgang angenehmer und ist nicht zuletzt eine Respektsbekundung. Es sagt, ich nehme mir die Zeit für die 3-4 zusätzlichen Worte, die zur blanken „Transaktion“ nicht notwendig wären. Ich nehme mir die Zeit das volle „Guten Tag“ auszusprechen. Für solche subtilen Dinge haben die Leute im südlichen deutschsprachigen Raum einfach feinere Antennen, ein andauernder Kulturschock für beide Seiten. Denn eines ist auch klar, die wenigsten Deutschen legen es darauf an sich unbeliebt zu machen. Sie wissen es halt nicht besser.

      [Anmerkung Admin: Ich fahre wohl besser nicht mehr nach „Ober-Bayern“, denn die halten sich was sicher für was Besseres, da in den „hohen“ Bergen. Wann dringt es endlich in das Bewusstsein ein, dass „Hoch“ in „Hochdeutsch“ nix mit Qualität zu tun hat sondern eine geografische Komponente darstellt, im oberen hohen Teil des deutschsprachigen Raums, im Süden also, wurde Hoch-Deutsch zuerst gesprochen, im Gegensatz zu Mittel- und Niederdeutsch. ]

    5. Milena Says:

      Faszinierend, wie man sich solche Dialektprobleme einreden kann. Was ist eigentlich so schwer daran, auf eine Weise zu sprechen, wie es die Situation und der Gesprächspartner bedingen OHNE sich dabei in Hassgefühlen, Vorurteilen und Minderwertigkeitskomplexen zu verlieren? Klar, für „hochdeutsche“ Ohren klingen südliche Dialekte seltsam und teilweise auch drollig. Und klar, mit der gehörten Sprache gehen Assoziationen einher, die teils wahr und teils eingebildet sind, die positiv oder negativ oder sonst was sein können. Aber fünf Minuten miteinander geredet und es fängt an zu vergehen. Verständlich, dass diese nicht vorhandene Problematik auch im umgekehrten geografischen Blick funktioniert.

      Es gibt sooo viele Schweizer, die sich darüber kaum oder keine Gedanken machen und die mit Herrn Mörgelis Komplexen nichts anfangen können. Dieser Herr hat sein Feindbild und seine Minderwertigkeitskomplexe, bestehend aus Deutschen und der hochdeutschen Sprache und offensichtlich braucht er es. Das sollte nicht das Problem der Deutschschweizer oder der Deutschen sein. Also hier in Deutschland entspannen sich die Menschen, wenn sie einen Schweizer hören, denn die Assoziationen zu Mensch und Sprache sind nun mal positiv. Ich habe schon von Schweizern gehört, die sich darüber geärgert haben, weil ihre Sprache von Deutschen als niedlich bezeichnet wurde. Dabei ist das doch etwas viel angenehmeres, als wenn die Sprache als Kasernenton bezeichnet wird.

      Also einfach entspannen und der Situation angemessen sprechen und sich dabei nicht irgendwelchen illusionären Gedanken hingeben. Hauptsache ist doch, man versteht sich. Ob der Gesprächspartner dabei nun einen Dialekt hört oder nicht. Es stellt sich nur die Frage, ob man sich VERSTEHEN WILL oder den Anderen als FEINDBILD BRAUCHT.

    6. AnFra Says:

      @ Bavaroise

      Na, scheinst auch zum „Hoch“-Adel gehören wollen. Dein blindes Einschlagen auf das „Hoch“-Deutsch hat wohl verborgene irrationale Beweggründe.

      Das Hochdeutsch ist (in sehr vereinfachter Form hier dargestellt) sprachgeschichtlich eine Entwicklung aus dem Alemannischen mit natürlich auch schwäbischen, fränkischen und einer kleinen Priese bayrischen Zutaten. Nach der 2. Lautverschiebung hat sich diese Sprachentwicklung über jahrhundertlange etliche Zwischenstationen auch nach Norddeutschland mit den dort heimischen nieder- und plattdeutschen, (niederländischen), ost- und nordfriesischen, jütländisch-anglischen, süddänischen, sächsischen, ostgermanischen, wendischen, sorbischen, polabischen, sonstigen westslawschen, preußisch-puzzischen, kaschubische und baltischen uam. Sprachen, Unterarten und Dialekten ausgebreitet.
      Ab ca. dem 17./18. Jahrhundert ist diese oberdeutsche, etwas fremdartige Sprache die dortige Herrscher-, Religion-, Kirchen- und Umgangssprache geworden. Deswegen kann ein niedersächsischer Landwirt manchmal „besser“ Hochdeutsch sprechen als ein hochdotierter alemannisch-schwäbischer Professor für Linguistik!
      Dat, liewer Bavaroise, hat nichts, rein gar nichts mit der von Dir untergeschobener Überheblichkeit zu tun. Dann diese hochdeutsche Sprache ist die dortig übliche Umgangssprache, neben der oft zusätzlich benutzen plattdeutschen und sonstigen Formen, z. B. beim Ernten, Fluchen, Feiern und Saufen.

      Die Eidgenossen haben sich ab ca. 16. JH und die dt. Alemannen ab ca. 18. JH von dieser zum modernen Hochdeutsch entwickelnden Sprache teilweise freiwillig und selbstverantwortlich abgekuppelt. Man kann doch den etwas schnelleren nicht für den etwas langsameren Menschen verantwortlich machen, wenn man selber von einer Entwicklung abgehängt wird.
      Was sagt der schlaue Baden-Württemberger: Wir können alles, außer „richtig“ Hochdeutsch!

      In Wirklichkeit hat die oberdeutsche Hochsprache mit einer alemannischen Wiege und oberdeutschen Kinderstube die vielen übrigen Sprachen im röm.-dt. Reichsgebiet und dt. Kulturkreis überlagert oder mindestens majorisiert.
      Somit sprechen viele Deutsche eigentlich ein Art von modenistischem „Hoch-Alemannisch! Ha no, da bleibt Dir hoffentlich die Spucke weg. So gesehen sind wir alle etwas Alemannen!

      PS 1:
      Wie soll man als hoch-deutsch sprechender „Nieder“-Deutscher damit leben können, wenn in Süddeutschland „Ober“-Alemannen und in der Schweiz sogar „Hoch“-Alemannen und im zentralen Alpenbereich als Krönung der Frechheit auch noch „Höchst“-Alemannen leben.
      Da müsste man wohl nur noch in Sack und Asche rumlaufen. Jeder zieht sich den Komplex an, den er für nötig hält.

      Es gibt einen schönen mathematischen Ausgleich dafür:
      Langsamkeit x Höhe = Schnelligkeit x Tiefe.

      (empfundene Sprachkadenz = Langsamkeit, Schnelligkeit,
      geografische Höhen- bzw. Tiefenlage = Höhe, Tiefe)

      Das Produkt aus beiden Formeln ist gleich. So kann man sogar diesen sprachlich-emotionellen Quatsch mathematisch-wissenschaftlich beweisen.

      PS 2:
      Bist Du ein illegitimes oder verheimlichtes Kind vom verschollenem Züricher, dem Ochsenknecht? 😉

    7. Marco Says:

      Wenn man als Deutscher tagtäglich mit Schweizern zusammenarbeitet, merkt man irgendwann den sprachlichen Unterschied fast gar ncht mehr.

      Natürlich stolpern wir ab und an über das ein oder andere Wort, das man so im jeweils anderen Land nicht kennt oder überlicherweise nicht benü(/u)tzt. Dann lachen wir uns meistens schlapp und suchen dann nach einer Bezeichnung, die für beide „normal“ klingt (Beispiel: „Geldbeutel“. Ein Schweizer nennt es eher „Portemonnaie“, geeinigt haben wir uns dann auf „Geldbörse“).

      Ich bin in der Schweiz wegen meines süddeutschen Dialekts noch nie schief „angeguckt“ worden, selbst dann nicht, wenn mir statt „Grüezi“ beim Tanken mal das „Hallo“ herausgerutscht ist. Im Gegenteil – ein Schweizer Kollege erzähle mir sogar mal, dass die süddeutschen Dialekte von den meisten Schweizern als sympathisch empfunden werden. Kein Wunder, dass der Bayer Gerhard Polt hier so beliebt ist.

      Also: Wenn man nicht im „Kasernenton“ mit anderen spricht (ein Süddeutscher dürfte mit dem Satz „Ich krieg noch n Bier! Aber zack-zack!“ übrigens ganauso seine Probleme haben, wie ein Schweizer) und Höflichkeit als etwas selbstverständliches ansieht (Erziehungssache), kommt man auch mit „Hallo“, „Geldbeutel“, „Pfifferling“ und „Kraftfahrzeug“ weiter.

    8. pfuss Says:

      Schade ist nur, dass die zugezogenen Deutschen an diesen besseren liberalen und humanen Wert nur teilhaben dürfen, wenn sie zuvor ihre eigene Identität an der Garderobe abgegeben haben und das Schweizer Bürgerrecht beantragen.

      …und dann die besseren Schweizer werden, in dem sie sich den antideutschen Reflex aneignen, wie z.B das frisch eingebürgerte Pärchen aus Kaiseraugst in jenem SF Beitrag. Das empfinde ich als widerliche Anbiederung, besonders dann, wenn die CH Mundart die eigentliche Herkunft unüberhörbar erkennen lässt.

      @Bavaroise

      Die bayrische Höflichkeit konnte man z.B auf dem Viktualienmarkt in München gut studieren. Dort gehörte ein deftiges “ Dann Leckts mam Oasch“ zur „gepflegten“ Verhandlungsbasis. Vom Hofbräuhaus und FJS ganz zu schweigen.
      Also bitte die Weisswurst nicht ganz so weit aus dem Fenster hängen lassen.

      Hochdeutsch ist für mich übrigens auch die Sprache einer guten Radiosendung bspw. im Deutschlandfunk, obwohl man auch da verschiedene Akzente zu hören bekommt,von Schwäbisch-Bayrischen bis zu fremdsprachlichen.

    9. SeL Says:

      Ich bin ein viel in der Schweiz arbeitender Bielefelder, der seinen Dialekt in der Schweiz erst so richtig zu schätzen gerlernt hat und beibehalten will … Aber ich würde mir lieber die Zunge abbeißen, als an Stelle von „ich hätte gerne“ „ich krich“ oder „ich bekomme“ zu sagen. Das ist eine Frage der Höflichkeit und nicht des Dialekts.

    10. Brenno Says:

      Über die Abneigung der Deutschschweizer gegen das sog. Hochdeutsche als gesprochene Sprache wurde und wird soviel geschrieben, dass man meinen sollte, nicht Neues mehr erfahren zu können. Dann versuchen wir es eben mit etwas Altem, in Vergessenheit Geratenem: Die flächendeckende Verwendung der Dialekte in der deutschen Schweiz datiert mitnichten aus der Zeit des Dritten Reiches, obwohl es damals die eine oder andere Initiative in diese Richtung gegeben haben mag. Bis vor ca. 30-40 Jahren gab es eine allgemein praktizierte, wenn auch ungeschriebene „Aufgabenteilung“ für beide Sprachen. In der Schule z. B. wurde während des Unterrichts, mit Ausnahme der Fächer Zeichnen, Turnen, Handfertigkeit und allenfalls noch Singen, auschliesslich Hochdeutsch gesprochen. Auch Predigten wurden in der Sprache Goethes gehalten, usw. Wer weiss noch, dass Sportsendungen am Schweizer Fernsehen bis vor ca. 20 Jahren (?) auschliesslich auf Hochdeutsch moderiert wurden?
      Andererseits irrt Etschmayer, wenn er die Hinwendung zum Dialekt auf die Zeit nach dem 1. Weltkrieg fixiert. Diese begann schon vor 1914. Ein wichtiger Vertreter dieser Bewegung war der Berner Schriftsteller Rudolf v. Tavel, der uns die Sprache des Berner Patriziats überliefert hat. Andere folgten seinem Beispiel.

    11. Guggeere Says:

      @ Admin
      «Wann dringt es endlich in das Bewusstsein ein, dass “Hoch” in “Hochdeutsch” nix mit Qualität zu tun hat, sondern eine geografische Komponente darstellt,…»
      Auf dieses Eindringen kannst du lange warten. Manche Alpenalemannen brauchen eben ein «hohes» Feindbild, sonst wüssten sie nicht mehr, worauf sie mit ihrer Armbrust schiessen sollten, und das Tell-Feeling – unabdingbarer Bestandteil ihres Bewusstseins – käme ihnen abhanden. Denn was wäre z.B. aus Willi Tell geworden, wenn der böse Vogt Gessler einfach nie in der Hohlen Gasse aufgetaucht wäre?

      @ AnFra
      Dein PS 2 hat was…

      @ Brenno
      Rudolf von Tavel war sicher ein Pionier, was Mundartliteratur angeht; und was ich von ihm gelesen habe, finde ich ziemlich gut. Insgesamt ist geschriebene Deutschschweizer Mundart jedoch eine Randerscheinung geblieben. Spürbar Boden verloren hat das gesprochene Standarddeutsche tatsächlich während und nach dem 1. Weltkrieg. Die öffentlichen Sympathien wandten sich während des Krieges auch in der deutschen Schweiz mehr und mehr den Franzosen zu; das war zuvor nicht so eindeutig.

    12. Bavaroise Says:

      @pfuss
      Man redet teils anders miteinander, das ist schon wahr. Aber auch unter jungen Leuten auf dem Land, die wenig mit „feinem Bürgertum“ o.ä. zu tun haben, ist „Hawedere“/“Dere“ (=“Habe die Ehre“ ausgeschrieben) die Standardbegrüßung. Und „Servus“ heißt nichts anderes als „zu Diensten“ (von lat. Servus=Diener), also ein lockerer Alltagsgruß mit größter Respektsbekundung. Und auch in der Mundart bleibt man beim Sie, „gelln’S?“ heißt „Stimmen Sie mir zu?“.

      Freilich gibt’s dann noch den Hundlingshumor. Ein Hundling ist ein Kompliment und ein feiner Kerl dazu. Das ist halt eine Frage vom Temperament. Man nimmt auch nicht alles so schwer. Wenn einer mit dem Auto tödlich an einem Baum verunglückt ist, dann heißt das auf Bayrisch schlicht er hat sich „darennt“. Das hat fast schon philosophische Dimensionen. In Bayrisch-Schwaben alternativ auch „’s hat an Scheppra tan“. Hm. Wie übersetzt man das jetzt bloß.

      Ich wollt ja auch nicht auf einer bestimmten Phrasologie rumreiten sondern bloß klarmachen dass man halt bestimmte Verhaltensweisen/Haltungen mit bestimmten Ausdrucksweisen verknüpft. Das ist ja im Binnenland nicht anders. Jedes Milieu etc. hat so seine eigenen Ausdrucksweisen und je nach Umfeld kommt das Gesagte dann verschieden rüber. Weib und Viech anstatt Frau und Tier sind in Bayern auch ganz normale Begriffe, im restlichen deutschsprachigen Raum wird das als Vulgärsprache empfunden.

      Im Ruhrgebiet hat man, weil man dieses Jahr „Kulturhauptstadt Europas“ ist, auf der hierfür vollgesperrten A40 eine kilometerlang Tische und Bänke aufgestellt und das Motto dieses wortwörtlichen Straßenfestes lautete „A40 – Woanders is‘ auch scheiße“. Ist doch auch ganz apart.

    13. pfuus Says:

      Bei 30′:54“ Das Bekenntnis!

      http://www.youtube.com/watch?v=ii2n0EUfu6E

    14. pfuus Says:

      @Bavaroise

      “darennt” ,“’s hat an Scheppra tan”. Hm. Wie übersetzt man das jetzt bloß?

      Übersetzung:Ein Testosterongetränkter 20 jähriger, mit ottomotomanischem Tunnelblick hat seinen tiefergelegten (auf die monotone Aufzählung der Veränderungen am Fahrzeug verzichte ich) 320 BMW zu Schrott gefahren. Im Wald hat es heftig geknallt.

      Frei nach Goethe: Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürst du einen kalten Hauch.

      Seine Familie wird es kaum leicht nehmen.

      Unterstützend zur sprachlichen Abgrenzung, soll ja jetzt der von M. Somm biographisch exhumierte General Guisan, wenn es nach der SVP geht, zum CH Schulkanon gehören, damit auch der deutsche Überfall auf die CH in die Köpfe der CH Pennäler des 21.Jh kolportiert wird.

    15. Guggeere Says:

      @ pfuus
      Als ziemlich reaktionärer Rechter mit Sympathien für Mussolinis faschistische ständestaatliche Gesellschaftsordnung ist General Guisan ja auch 50 Jahre nach seinem Tod noch SVP-kompatibel und passt somit prima zu Markus Somms «Weltwoche», einem «rechtsradikalen Sektenblatt» (Frank A. Meyer, Chefpublizist des Ringier-Verlags, über die «Weltwoche»).
      Ich schlage deshalb vor, weiterhin nicht ernst zu nehmen, was in jener Ecke geschrieben wird.

    16. freiheitistunteilbar Says:

      @ Michael @Guggere

      Ich meine das Gesetz, nachdem „verfassungsfeindliche“ Symbole verboten sind und den so genannten Volksverhetzungsparagraphen analog der Gesetzgebung im 3. und wilhelminischen Reich.

      Also wer macht hier «Gesinnungsterror»? Meinst du die zahlreichen rechtsfundamentalistischen Konvertiten unter denen, die du für «Alt-68er» hältst, oder hast du einfach das Thema verfehlt?

      Ich meine die selbsternannten Vergangenheitsbewältiger, die das Naziphantom jagen und jagten und sich dabei einigermaßen an den Steuerhonigtöpfen labten und noch immer laben.

      Der Konformismus hat seinen Namen geändert, es ist aber immer noch die Selbe Show. Hakenkreuzschmiererei und NPD-Bekenntnis stellen die Sollbruchstelle der Meinungsfreiheit dar. Klar mischen da auch konvertierte – oder oportunistische(?) – Konservative mit.

    17. Guggeere Says:

      @ freiheitistunteilbar
      Tatsächlich: Thema verfehlt und mein Beispiel zum Meinungsterror noch nicht mal verstanden. Und Tschüss.

    18. Alexander Müller Says:

      Wie ist das eigentlich in Deutschland? Sprechen da alle Schriftsprache oder gibt es da auch Dialekte? Ich könnte mir vorstellen, dass Friesen, Hamburger, Berliner, Kölner, Schwaben, Bayern usw. auch verschiedene Dialekte haben und durchaus Lust verspüren diese Dialekte auch zu benutzen.