Bereits ist es erforscht — Neues von der Vorfeldbesetzung
(reload vom 27.9.06)
Der Titel klingt wie eine militärische Lagebesprechung. Die „Vorfeldbesetzung“ ist dem gemeinen Sprachwissenschaftler eher bekannt unter dem Begriff der „Topikalisierung“. Darunter versteht er die
Plazierung einer satzgliedwertigen Konstituente ohne Satzakzent (= Topik, Thema) an den Satzanfang (ins Vorfeld) vor das finite Verb, wobei im Dt. das Subjekt durch Inversion hinter das finite Verb ins Mittelfeld des Satzes rückt:
Er hat seine Absichten gestern genau erläutert (= unmarkierte (Normal)stellung mit Subjekt im Vorfeld und finitem Verb in Zweitposition)
vs.
Gestern hat er seine Absichten genau erläutert (= T. des Adverbs und Inversion von Subjet und finitem Verb)
(Quelle: Hadumod Buβmann, Lexikon der Sprachwissenschaft, S. 548, Stuttgart 1983, damals schrieb man „Plazierung“ noch ohne „tz“)
Na, ist Sprachwissenschaft nicht doll? Da fühlt man sich doch wie beim Fussball mit Mittelfeld, Vorfeld und Stellung. Dabei geht es einfach nur um das Wörtchen „bereits“ am Satzanfang.
Am 20.09.06 berichteten wir auf der Blogwiese über das Schweizer Phänomen, am Satzanfang das Wörtchen „bereits“ zu verwenden, und dann mit einer finiten Satzkonstruktion ohne zusätzliches Zeitwort fortzufahren. „Bereits ist es so, dass…“ (vgl. Blogwiese).
Nun fanden wir in der Sonntagszeitung vom 24.09.96 einen Artikel von Balz Spörri über eine Forschungsarbeit zum Thema „Schweizerdeutsch“ von Christa Dürscheid, in der exakt dieses Phänomen bestätigt und wissenschaftlich untermauert wird:
In einem Beitrag für den Band «Schweizer Standarddeutsch» konnte die Zürcher Linguistik-Professorin jetzt erstmals empirisch nachweisen, dass sich das Schweizer Hochdeutsch durch eine Reihe von syntaktischen Konstruktionen vom deutschen Standarddeutsch unterscheidet.
Zusammen mit Inga Hefti hat sie speziell die so genannte Vorfeldbesetzung in Aussagesätzen wie «Bereits befürchtet die Polizei soziale Unruhen» untersucht. Diese Satzstellung kommt im Schweizer Standarddeutsch häufig vor, in bundesdeutschen Texten jedoch kaum. Dies ergab eine computergestützte Auswertung deutschsprachiger Printmedien. In vier Jahrgängen des «Mannheimer Morgen» und zwei Jahrgängen des «Spiegels» fand sich eine einzige Satzkonstruktion mit «bereits + finites Verb». Im «St. Galler Tagblatt» dagegen zählte Dürscheid allein in einem Jahr Dutzende Belege.
(Quelle: Sonntagszeitung 24.09.06)
St. Gallen? Ist das nicht die Ecke der Schweiz, in dem das für deutsche Ohren am schwersten zu verstehende Schweizerdeutsch gesprochen wird? Tief im Osten usw.
Am meisten erstaunt uns bei der ganzen Untersuchung die Feststellung, dass „bereits“ überhaupt kein typisches Schweier Dialektwort ist. Der Schweizer sagt „schoo„, also „schon„. Und wenn er schreibt, dann hat er das Gefühl, man können einen Satz nicht mit „schon“ anfangen, sondern müsse „bereits“ nehmen. Uns los geht es mit der Vorfeldbesetzung.
Es war uns doch gleich suspekt, dieses „bereits“ am Satzanfang. Computergestützte Auswertungen konnten wir nicht bieten, jedoch ist Google auch kein schlechtes Hilfsmittel. Es bleibt die Frage offen, ob die wenigen Belege von „bereits“ am Satzanfang in Deutschen Medien nicht im Endeffekt von Schweizer Journalisten geschrieben wurden, die ansonsten sprachlich unerkannt im grossen Kanton eine geheime Schattenexistenz führen? An ihrer Syntax sollt ihr sie erkennen!
Schon fangen wir an, Schweizerisch zu denken. Für einmal wollen wir das glauben. Für die Blogwiese hat berichtet der Jens-Rainer Wiese.
Oktober 19th, 2009 at 10:22
„Scho'“ ist übliche Umgangssprache überall südlich der Donau (für „bereits“).
Genauso wie „halt“ anstatt „eben“, „wie“ anstatt „als“, und so weiter.
Herr Wiese, Sie sind lang beschäftigt wenn Sie sich über jeden dieser Unterschiede zum nordwestdeutschen Sprachgebrauch so den Kopf zerbrechen ^^ Das ist weder Dialekt noch Schweizerdeutsch noch ein Regionalismus sondern auch die deutsche Standardsprache hat halt eine Nord-Süd-Teilung.
Das lernt man ja bereits früh in der Schule. Ich denk da nur an meinen unangenehmen Deutschlehrer in der Volksschule, der hat uns immer versucht abzutrainieren „tut“ zu sagen und die mehrfache Verneinung zu gebrauchen („Will keiner keinen Kuchen net?“). Im Englischen nennt man solche Leute „grammar nazi“ ^^
[Antwort Admin: Es ging um „Bereits“ am Satzanfang, das ist eine grammatikalische Schweizer Spezialität. Ähnlich wie „erst noch“ und „für einmal“ ]