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Schweizer Lieblingstätigkeiten (Teil 1) — Vom schnellen Warten und langsamen Pressieren

  • Praktische neue Fähigkeiten
  • Seit wir in der Schweiz leben, haben wir eine ganze Menge praktischer Fähigkeiten dazu gelernt. Wir können zum Beispiel ganz besonders gut „schnell warten“. Ich breche alle Rekorde beim „schnellen Warten“. „Wart schnell“ sagt ein Schweizer zu mir, und schon geht es los. Wie der Blitz fang ich an zu warten, und wenn ich mich richtig anstrenge, kann ich sogar noch schneller warten. „Soll ich noch schneller warten?“ frage ich dann nach ein paar Minuten, wenn es mir zu langweilig wird, um die Zeit ein wenig abzukürzen.

    Manchmal reicht das „schnelle Warten“ allein nicht, denn dann „pressiert es langsam“. Das mit dem „langsam pressieren“ ist so eine Sache, denn eigentlich muss alles ganz schnell gehen, mit ordentlich „Druck“ dahinter = Englisch „pressure“.
    Se presser“ sagen die Franzosen, wenn sie sich selbst unter Druck setzen, und damit nicht „sich drücken“ meinen, denn das ist „s’embrasser“ (Küsschen links, Küsschen rechts). Das Wort „küssen“ mit „baiser“ zu übersetzen, wie es vor Jahren noch im Langenscheidt zu finden war, würde heute in Frankreich unweigerlich zu peinlichen Situationen führen. Denn „baiser“ ist eine sehr höfliche Umschreibung für den Austausch von Körperflüssigkeiten.

    Doch zurück zu den Schweizern, denn denen „pressiert es langsam“. Das haben sie übrigens „für einmal“ mit den Schwaben gemeinsam, auch die stehen ständig unter Druck.

  • Wenn die Italiener den Fred haben
  • Kommen wir zur dritten Lieblingsbeschäftigung: Wenn der Druck abnimmt, dann „haben wir kalt“ in der Schweiz. „Ich habe Schnupfen, ich habe Fieber, ich habe kalt“, eine logische Abfolge, vorexerziert von den Franzosen „j’ai froid“ und Italienern „ho freddo“, und nicht „caldo“, denn das heisst „warm“, ist doch logisch.

  • Nichts für „ume“ gibt es, wenn Du „ume“ bist
  • Die letzte Lieblingsbeschäftigung als Deutscher in der Schweiz ist das fleissige „ume“ sein. „Isch dä Jens au ume“ wird das Kind am Telefon gefragt, wobei es nun nicht darum geht, ob es hier irgend etwas für „ume“ gibt, was in Deutschland flapsig-salopp für „umsonst“ gebraucht wird, sondern poetisch ausgesprochen: „Um den Weg“ bedeutet, also erreichbar, in der Nähe.
    Alles noch mal im Zusammenhang zum Nachsprechen: „Ich warte schnell, denn es pressiert langsam, weil ich kalt habe, und kein Doktor ume ist“. Alles klar? Sind alle raus gekommen? Und wer blieb drin?

    

    18 Responses to “Schweizer Lieblingstätigkeiten (Teil 1) — Vom schnellen Warten und langsamen Pressieren”

    1. another anonymous Says:

      Hüt morge hani übrigens au chalt gha 😉

    2. räulfi Says:

      und bi üs schneits langsam immer schneller:-))

    3. Daniel Says:

      hallo! massimo rocchi, ein aus italien nach bern eingewanderter komiker/kaberettist hat dieses thema in seinem programm „äuä“ hervorragend dargestellt. dies gibt es auf dvd und ist wirklich wärmstens zu empfehlen. gruss daniel

    4. Administrator Says:

      Hallo Daniel
      lies mal
      http://www.blogwiese.ch/archives/21
      da habe ich den empfohlen.
      Der ist echt genial.
      Gruss, Jens

    5. Spooky Says:

      Ich hab erst mal meinen Kaffee, in diesem Sinne.

      Gruß,

    6. Jean-Paul Says:

      Lieber Jens

      „no dis no chum ich jetzt langsam druus wieso diä usem groose Kanton über üs schmunzlet.“

      Ich finde deine Beiträge zur Völkerverständigung genial.

      Bis bald wieder
      Schampi

    7. Phipu Says:

      Heute musste ich wieder mal so richtig lachen! Ich musste die Abschnitte zu Ende lesen und auf Dialekt übersetzen um „noche z‘cho“ (nachzukommen) „z‘stiige“ (zu steigen) oder „‘s z’checke“- alles Ausdrücke für „drus-cho“ (begreifen, verstanden haben).
      „Jetz mümmer so langsam pressiere!“ „Wart gschnäll!“ sage ich so natürlich und sicher fast täglich, ohne dass ich es je im Hochdeutsch anwenden würde. Dies ist jetzt eben Schweizerdeutsch und nicht etwa ein Helvetismus. Letzterer kann (und soll: z.B. „Zürcher“) im Schriftdeutsch vorkommen.

      Zu „ume“
      Natürlich gibt’s „umsonst“ auch und es beginnt erst noch mir „ume“. Nur heisst es eigentlich „umesusch(t)“. „um den Weg“ wird – in der obigen Rubrik nicht erwähnt – kann auch in der wörtlichen Übersetzung ausgesprochen werden: „Isch de/d‘ … au umewäg?“ Vermutlich ist die gesuchte Person ja tatsächlich zu hause am „umehange“ (herumhängen).

      u.a. an Daniel
      Massimo Rocchi hat’s nach Bern verschlagen. Sollte es euch auch so gehen, und habt ihr die Warnung http://www.blogwiese.ch/archives/21 in den Wind geschlagen, braucht ihr jetzt noch Zusatzlektionen:

      Nicht immer bedeutet „ume“ etwas mit „um“. Im Raum Bern will man oft etwas „ume hurti(g)“ erledigen. Dies bedeutet allerdings „NUR rasch“. Und sollte es dann doch länger dauern, „han i z’letschtemänd no müesse jufle“ (musste ich mich zu guter Letzt noch beeilen). Daraus lernen wir, dass „jufle“ ein noch kürzeres Wort ist als „pressiere“. Entsprechend dem gängigen Klischee für Berner geht jedoch „hurtig“ und „jufle“ dennoch etwas langsamer als sonst irgendwo. Achtung, „ume“ kann auch (wieder in Bern-nahen Dialekten) „wieder“ bedeuten. „Bisch scho ume zrügg vum poschte?“ (Bist du schon wieder vom einkaufen zurück?), oder „Jtz muess i ume ees ga gugge“ (jetzt muss ich nochmals (oder eben „wieder“) nachschauen gehen)
      „chömet dir jetz drus“ oder ist endlich alles klar?

      Als Kind musste ich auch mühsam lernen, dass „caldo“ nicht „kalt“ heisst. Später lernte ich dass Friedrich (Fritz, Fridu, Fredédéric) auf italienisch „Federico“ (ohne „R“ an 2. Stelle) heisst. Im Gegensatz zu Alfred (Fredy), der „Alfredo“ mit „R“ geschrieben wird. Ausserdem wurde es mir im Italienisch-Unterricht so richtig „heimelig“ (wohliges- oder Heimat-Gefühl), als ich Formeln lernte wie „vai a casa, adesso?“ = „gahsch jetz häi?“ = „gehst DU jetzt heim?“, so richtig Dialekt-like, ganz ohne „Du“ bzw. „tu“.

      An Spooky:
      „Einen Kaffee haben“ („avere un caffè“ – „avoir un café“ ?) Ich und die lateinischen Sprachen gehe eher einen Kaffee „nehmen“. D: „einen heben“ sagen wir übrigens auch nicht, dies müsste CH: „eine lüpfe“ heissen. Wo bin ich da nicht „drausgekommen“?

    8. Hydra Says:

      Hallo Jens
      Mal wieder ein genialer Artikel, mach weiter so.
      Gruss aus Bern

    9. Dings Says:

      Nunja, also es heisst ja auch im Deutschen „Warte mal kurz“ …. also so weit hergeholt ist das „Wart Schnell“ nicht… 😉

      Trotzdem astreiner Artikel. Danke für deine täglichen Beiträge!!

    10. Sorielle Says:

      Hihi super, Deine Artikel sind echt witzig. Merci!
      Für „ume“ gibt’s noch mehr Anwengungen, in denen das Wort aber ganz andere Bedeutung erhält: „ume gäh“ kann z.B. zurück geben heissen aber auch erwiedern (meist eine Antwort auf blöde Sprüche) oder aber zurück schlagen (wobei das ja auch eine Antwort auf einen blöden Spruch sein kann:-).

    11. Tina Says:

      Erstmal: Sehr schöner Artikel.
      Ich komme aus Franken und da sagt man auch „Ward amol schnell“ und „Etz bressierts mer aba scho“ 😉

    12. yäni Says:

      :D:D ein wahres meisterwerk der haarspalterei! noch ein kleiner denkanstoss:
      „d’zyt geit langsam immer schneuer ume“ *g*

    13. Luise Says:

      Hm, vielleicht höre ich mittlerweile „zu oft“ Schweizerdeutsch, aber wenn ich mich nicht ganz irre, sagt man in meiner Heimat Nordhessen auch gerne mal „Wart mal schnell“ und „Jetzt müssen wir uns aber langsam mal beeilen“. Wahrscheinlich sind wir einfach schon zu weit südlich… 😉

    14. MattCH Says:

      jaja es schiffed langsam los

    15. mare Says:

      lieber phipu
      In bern sagt man eigentlich nicht „ga poschte“, sondern wenn schon: „ga kommissione mache“ oder auch „ga ychoufe“

    16. Oliver Korpilla Says:

      Hallo, Jens!

      Mir als Bayer kommt das auch nicht wirklich fremd vor:

      Kimm a moi uma = Komm doch mal herüber („ume/uma“ eher von „herum“)
      Woat moi schnei = Warte mal schnell 😉
      Mia pressiads = Ich habe es eilig ;)))

      Völlig geläufige Ausdrücke hier. Neulich war Bayern noch in Deutschland, trotz CSU und Stoiber… 😉

    17. Chris Urs-o Says:

      7. April 2008
      lustig der blogwiese.ch Beitrag im Schweiz Aktuell aber…
      Die Schweiz ist nicht Deutschland im erweiterten Sinn…
      Sachsen und Angelsachsen sind eine Sache…
      Hinterrrhein, Vorderrhein, Wallis, Normandie, Baskenland, Cataluña, Valência, Portugal, Galicia, Irland, Walles, Scottland sind Kelten, im erweiterten Sinn… meiner Meinung nach… 😉 ;p 😀

    18. Xavier Says:

      „Schnell warten“ und „langsam pressieren“ können eigentlich nur als paradox und damit missverstanden werden, wenn sie nicht richtig ins Hochdeutsche übersetzt werden, wie dies hier leider geschehen ist.

      „Schnell warten“ bedeutet „kurz warten“. „Schnell“ bedeutet auf Schweizerdeutsch auch „kurz“, das „Schnell“ bezieht sich also nicht direkt auf „warten“, sondern auf die zu erwartende kurze Dauer des Wartens. Deshalb macht „schneller warten“ auch überhaupt keinen Sinn.

      Ganz ähnlich verhält es sich mit „langsam pressieren“. „Langsam“ bezieht sich nicht direkt auf „pressieren“ und bedeutet nicht „gemächlich“. Das „langsam“ ist als „langsam aber sicher“ oder „bald“ zu verstehen, das heisst, dass der Zeitpunkt, ab dem pressiert werden muss, zeitlich immer näher rückt. Man könnte für „es pressiert langsam“ auch sagen „bald müssen wir Gas geben“.