Veloland Schweiz — Abenteuer beim Fahren und Parkieren
(reload vom 14.9.06)
Fahrradfahren in der Schweiz macht Spass. Nur sollte man sich dazu ganz schnell das Wort „Fahrrad“ ab- und das Wort „Velo“ angewöhnen. Sie dürfen den „accent aigu“ in der Deutschschweiz ruhig weglassen, sollten es lieber tun, denn sonst wird das alsbald korrigiert. Ähnlich wie sich Deutsche Touristen in einer Basler Strassenbahn über die Schilder „Fehlbare werden verzeigt — Busse 100 Franken“ amüsieren, geht es dem Privatdetektiv „Köbi Krododil“ aus der Feder des Zürcher Kriminalautoren Stephan Pörtner. Der ist nämlich oft mit seinem Velo in Zürich unterwegs und sinniert plötzlich über die standarddeutsche Bezeichnung:
„Velo — die Deutschen sagen ‚Fahrrad’ dazu, als ob man damit was anderes machen könnte als fahren“.
Ein typisches Beispiel für deutsche Eindeutschungswut also? Sei’s drum, wir fahren Velo in der Schweiz und lernten dank Stefan Pförtner, dass man sich die Schweizer auch über Teutonismen amüsieren können.
Fahren ist leicht, wenn auch nicht ganz ungefährlich. Anders als in den Fahrrad-Metropolen in den Niederlanden, im westfälischen Münster, in Freiburg im Breisgau oder im fränkischen Erlangen, ist es in Zürich noch ein echtes Abenteuer, sich durch den dichten Autoverkehr zu quälen. Es gibt zwar oft eigene Radstreifen oder auch ein paar verkehrsberuhigte Nebenstrassen mit Freigabe für die Velos, der Rest bleibt „Nahkampf“. Die Stadt Zürich hat das Problem erkannt und lancierte eine Aufklärungskampagne:
(Quelle Foto: stadt-zuerich.ch)
Stellen Sie sich mal um 16:00 Uhr an eine verkehrsreiche Kreuzungen von Zürich und beobachten die lebensmüden Alltagsradler beim riskanten Durchmarsch während einer roten Welle. Heerscharen von Schutzengel geben sich hier ein Stelldichein. Manchmal geht es schief, wie diese offizielle Statistik zu den Velounfällen zeigt:
(Quelle Statistik: stadt-zuerich.ch)
Die IG Velo in Zürich meint zu dieser Situation:
Die Situation für den Veloverkehr in der Zürcher Innenstadt ist gelinde gesagt unbefriedigend: von einem durchgehenden, sicheren Routennetz keine Spur. Das Sicherheitsmanko auf der Strasse ist der Hauptgrund für das verbreitete illegale Ausweichen aufs Trottoir, wo (zu) viele Velofahrende zudem Rücksichtslosigkeit gegenüber den Fussgängerinnen und Fussgängern an den Tag legen. Die Stadtpolizei reagiert repressiv, ohne den Hebel auch bei den Ursachen anzusetzen.
(…)
Mit dem Velo durch Zürichs Innenstadt zu fahren braucht entweder gute Ortskenntnisse oder viel Zeit. Auf jeden Fall aber auch Durchsetzungsvermögen.
(Quelle: igvelozuerich.ch)
Durchsetzungsvermögen ist sehr höflich ausgedrückt. Eine gewisse Dreistigkeit sollten Sie schon mitbringen, und nicht allzuviel am Leben hängen. Vielleicht wäre auch eine gute Risikolebensversicherung keine schlechte Idee. Sie wissen ja wahrscheinlich, dass es in der Schweiz eine obligatorische Pflicht zur Velo-Haftpflichtversicherung gibt, in der bei Personenschäden unbegrenzt gehaftet wird.
Das schönste Velogebiet ist die luxuriös breite Fussgängerzone entlang der Bahnhofstrasse, doch dort ist Velofahren grundsätzlich völlig illegal und verboten, und man kann es nur in der Nacht oder morgens vor 8:00 Uhr riskieren, ohne sich selbst schwere Bussen aufzuerlegen.
Hat man diese „zone de combat“ lebendig überstanden, kommt das Parkplatzproblem als nächste Herausforderung. „Wildes Parkieren“ ist hier gar nicht gern gesehen, und wer sein Rad am nächsten Haltverbotsschild mit einem guten Schloss anschliesst, riskiert diesen Aufkleber:
Da ist der Zettel, den Sie ans Rad Velo geklebt bekommen, wenn Sie dies an ein Strassenverkehrsschild angeschlossen haben sollten. Übrigens ein ganz fetter Rechtschreibfehler in der Titelzeile: „Velo-Parking“ ist falsch. „Velo-Parkieren“ wäre richtig. Aber wir sind ja international in Zürich. „Domestic trains“ und so.
Also quetschen wir den Drahtesel zwischen die Massen von bereits abgestellten Rädern.
Was wäre auf diesem Gehsteig noch viel wunderbarer Platz zum Velos abstellen! In Städten wie Münster oder Amsterdam würden Sie hier vor lauter Velos den Boden nicht mehr sehen. Aber hier hütet man sich davor, sein Bike in mitten auf dem Gehsteig Trottoir zu parken parkieren, denn sonst droht die „Umplatzierung“:
Wir beobachten übrigens morgens die Saubermänner der Stadt Zürich, die stets auf der Suche sind nach alten, kaputten und stehen gelassenen Velos, um sie zu entsorgen. Da wird die Luft in den Reifen geprüft und die Vollständigkeit der Laufräder. Schrott wird entfernt, und das ist gut so, denn sonst wären diese Unterstände noch verstopfter als sie eh schon sind.
Oktober 6th, 2009 at 2:11
Ich weiß ja nicht, aber ich würde das „Gängelung“ nennen. Was man so oft in D-Land bemängelt. Manche würden dem sogar „Park-Faschismus“ sagen.
Oktober 6th, 2009 at 2:15
Ganz vergessen: Aber vorbildliche und total abstruse Geschlechtergerechtigkeit: „Velofahrende“ anstatt „Radfahrer“ 😀
Oktober 6th, 2009 at 14:33
Ja, auch ich amüsiere mich, wie Stefan Pörtner, über Fahrräder und andere Teutonismen. Und zwar seit je. Das fing an, als ich in der ersten Klasse der Primarschule mit viel Freude und Neugier lesen lernte.
Ich muss vorausschicken, dass ich das Standarddeutsche bis zur Einschulung kaum kannte, obwohl ich schon als kleiner Bub im Alltag recht oft Deutschen begegnete (was normal war, wenn man am Bodensee aufwuchs).
Die nette Lehrerin wollte uns z.B. beibringen, auf «Schriftdeutsch» heisse es «die Butter»*. Dabei wussten doch ringsum alle, seit sie sprechen konnten, dass man «de Putter» (also mit männlichem Artikel) sagt. Deutsch, so kam es mir anfangs vor, war ähnlich wie meine eigene Sprache, nur halt mit vielen seltsamen Fehlern.
Und dann mussten wir unbekanntes Zeug lernen wie den Ausdruck «zu Hause». Zuerst dachte ich – kindliche Logik funktioniert nun mal so – an das mundartliche «i haus etz» (ich hau jetzt ab). Zwar kapierte ich es bald, denn auch diesseits des Bodensees wohnte jeder in einem «Huus». Trotzdem empfand ich es vorerst als falsch; ich kannte ja nur «dehei» (daheim).
Wirklich den Kopf schütteln musste ich später beim Ausdruck «Fahrrad». Dieses Wort widersprach jeder Kinderlogik:
1. hatten Velos** in der Schweiz nicht nur ein Fahr-Rad, sondern zwei.
2. sah ich mal während eines Ausflugs nach Konstanz in einem Schaufenster ein entsprechend angeschriebenes «Fahrrad mit Stützrädern». Gemäss meinen Sprach- und Rechenfähigkeiten hätten das insgesamt drei Räder sein müssen, aber im Schaufenster sah man deren vier…
3. Wenn es die Deutschen beim Räderzählen nicht so genau nahmen: Warum, so dachte ich, bezeichneten sie dann eine Kutsche, ein Auto oder eine Lokomotive nicht ebenso als Fahrrad? Die hatten doch auch Räder zum Fahren, oder?
*Das Mundartwort «Anke» (für Butter) ist in der Ostschweiz zwar nicht unbekannt, wird aber so gut wie nie verwendet.
**«Velo» ist nicht nur Dialekt, sondern echtes Schweizer Standarddeutsch (mündlich und schriftlich). Bitte, liebe Deutsche in der Schweiz, werft also eure Fahrräder weg und steigt aufs Velo!
Oktober 9th, 2009 at 10:52
Also bitte..in Basel heisst es „Drämmli“ oder „Tram“ aber sicher nicht Strassenbahn…wenn schon, denn schon 😉