-->

Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 9) — Von „struben“ Wochen und Brisen ohne „r“

  • Kein Strubbel am Montagmorgen
  • Wir lesen in der Sonntagszeitung (27.11.05)

    Vorsicht, die Sterne versprechen einen struben Wochenbeginn

    Wie immer in solchen Fällen, sind wir zunächst ratlos und beginnen zu grübeln. In welcher Sprache ist dieses Blatt geschrieben? Deutsch! Genauer gesagt: Schriftdeutsch. Aus welchem Land kommen wir noch mal ursprünglich? Ach ja: Deutschland. Was spricht man dort und was lernten wir dort von der Mutter? Die Muttersprache, und die war Deutsch. Und warum verstehen wir dann dieses Wort nicht?

    In solch einsamen Momenten der sprachlichen Not greifen wir dann zum Duden, und finden dort glücklich schwarz auf weiss:

    „strub, strüber, strübste (schweiz. mdal. für struppig; schwierig)“

    Dicht gefolgt von „strubbelig“ oder „strubblig“ wie der „Strubbelkopf“ oder „Struwwelkopf“.
    Ein strube struppiger Struwwelkopf

    Wir folgern messerscharf: Die Woche wird wohl windig beginnen, die Haare bringt es durcheinander und wir sollten mal wieder zum Frisör gehen. Das wollen uns die Sterne sagen. Aber warum wir wegen ein bisschen Wind und Strubbelhaaren gleich Vorsicht walten lassen sollen, bleibt ein Rätsel. Ob es einfach verstecktes Sponsoring ist: „Das Horoskop wurde Ihnen präsentiert von: Ihr Coiffeur“? Der heisst in Deutschland „Frisör„, was zwar nicht mehr Französisch aber dennoch hübsch ist, so wie der „Regisseur„, der sich heutzutage in Frankreich „metteur en scène“ nennt.

  • Wie die Norddeutsche Brise das „r“ verloren hat
  • An der norddeutschen Waterkant, dort wo man nicht die Landesgrenze Deutschlands überschreiten kann, ohne sofort nasse Füsse zu bekommen, weht fast ständig eine „steife Brise“. So steif, dass sich auf der Insel Helgoland laut einer Erzählung von James Krüss die Kinder gegen den Wind anlehnen können. (siehe: „Mein Urgrossvater und ich“).

    Brise mit einem „r“, dass je nach Gegend in Deutschland mit der Zungenspitze gerollt oder mit im Rachen gekrächzt wird. Im Ruhrgebiet fällt es ganz raus und wird durch „ia“ ersetzt, aus „Wurst“ wird „Wuast“. Und so ist dann wohl auch bei der Nord-Süd-Überquerung des Ruhrpotts das „r“ der „Brise“ verloren gegangen, denn in der Schweiz heisst der kalte Nordwind nur noch die „Bise“. Wir Ruhrpöttler finden das prima, haben wir es doch sowieso nicht so mit dem „r“ in Gelsenkiaachen.

    Alles falsch, denn die „Bise“ ist ein 100% Schweizer Produkt:

    Bise ist ein kalter und trockener Nord- bis Nordostwind im Schweizer Mitelland. „Bise“ ist also eine Schweizer Erfindung. Sie tritt bei Hochdruckwetterlagen auf. Im Gegensatz zum Föhn überströmt die Bise kein Gebirge. Bise ist darum weniger turbulent. Im Sommer ist die Bise meist mit heiterem Wetter verbunden, während sie im Winter oft zu Hochnebel führt: Sowohl im Winter als auch im Sommer führt die Bise kühle Luft an die Alpen heran, die sich dort staut und einen Kaltluftsee im Mittelland bilden kann. (Quelle)

  • Beim Küssen Wind produzieren: Faire la bise
  • Ganz Schlaue behaupten zwar, dass die „Bise“ ursprünglich aus Frankreich stammt. Aber das stimmt nicht, sonst würden die Franzosen nicht ständig versuchen, eine solche zu machen: „Faire la bise“ hat in Frankreich (und in Teilen der Schweiz) nichts mit Windproduktion zu tun, sondern es geht um die berühmte Küsse links und rechts von der Wange in die Luft:
    (Quelle)

    

    4 Responses to “Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 9) — Von „struben“ Wochen und Brisen ohne „r“”

    1. Phipu Says:

      „La bise“ bedeutet z.B. in Paris tatsächlich nur „de Schmutz/’s Müntschi (BE)“ (der Kuss). Im Genfersee-Gebiet (F/CH) ist dieser Ausdruck aber auch als Wind bekannt.

      http://www.sisl.ch/_java_script/jv_sbarb.html

      Wer testen will, ob jemand französisch sprechendes aus tiefstem Frankreich oder der Schweizer „ Romandie“ (allenfalls angrenzendes Gebiet in F) kommt, frage:
      verstehen Sie diesen Satz: „Il ya de la bise sur le plateau ?“ (es geht eine Bise über die Jura-Hochebene).

      http://64.233.183.104/search?q=cache:0AmudJTphjcJ:www.tsr.ch/tsr/%3FsiteSect%3D200002%26sid%3D6256770%26cKey%3D1132617070000+bise+plateau&hl=fr

      Wer das nicht versteht, hat definitiv noch nie eine Wetter-Sendung im Westschweizer Fernsehen gesehen.

    2. Marischi Says:

      Brise und Bise ist nicht dasselbe, mein Lieber! Eine Brise ist ein Luftzug.Die Bise hingegen ein kalter Nordwind. Brisen gibts auch in der Schweiz. Die Bise gibts nur in der Schweiz.

      Marischi

    3. Sylvie Says:

      ob Müntschi (Küsschen) von Mund abgeleitet wurde? Jedenfalls habe ich mich sehr wundern müssen, als mein Schweizer Zahnarzt mich bat mein Maul zu öffnen!!! 🙂

    4. erika Says:

      Hallo jens, die kalten novembertage haben mich veranlasst, mal ausgiebig in deinem block zu stöbern. ja, die bise und die brise… ich erinnere mich, wie die beiden begriffe fast zu einem krach zwischen schweizer schwiegersohn und deutschem schwiegerpapa geführt haben 🙂 beide beharrten darauf, dass der jeweilig bekannte begriff der richtige sei. zum glück konnte ich als schon einige zeit „eingeschweizerte“ deutsche das missverständnis aufklären. toller blog für die begegnung der kulturen!