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Haben Sie auch eine Scheibe? — Neue Schweizer Redewendungen

(reload vom 30.7.06)

  • Auf was man alles schiessen kann
  • Die Schweizer sind ein schiessfreudiges Völkchen. Schon mehrfach berichteten wir vom „Schiesspurgatoriumobligatorium“, der Pflicht des wehrhaften Schweizers, seine international geführten Fähigkeiten als „Sniper“ zu trainieren und auszuüben. Geschossen wir mit den Hochpräzisionsgewehren über 300 Meter auf Scheiben, nicht auf Pappkameraden wie bei der Deutschen Bundeswehr.
    Unternehmen Pappkamerad
    (Foto: Filmplakat „Unternehmen Pappkamerad„, Quelle: murnau-stiftung.de)

    Das Schiessen auf solch einen „Pappkameraden“ war für manchen Wehrdienstleistenden in der Bundeswehr Grund genug, sofort und unmittelbar den „Kriegsdienst mit der Waffe“ zu verweigern, wie es seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland von den Vätern der Verfassung in Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes vorgesehen ist:

    „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“.
    (Quelle: datenschutz-berlin.de)

    Wer den Kriegsdienst in Deutschland verweigern will, sollte diesen Satz nebst Quelle auswendig können, denn nichts ist peinlicher, als bei einer Verhandlung danach gefragt zu werden, und gar nicht zu wissen, auf welchen Artikel man sich da beruft.

    Interessant ist der nachfolgende Satz im Grundgesetz: „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz“, denn da öffneten sich dann etliche Möglichkeiten, die von Jahr zu Jahr angepasst wurden.

  • Eine Scheibe haben — auf eine Scheibe schiessen
  • Die Schweizer schiessen also auf Scheiben, wenn sie nicht gerade selbst „eine Scheibe haben“. Nein, sie malen sich dazu nicht runde Kreise auf die Stirn, im Sinn eines Kamikaze-Kämpfers als „bewegliches Ziel“ für die anderen. Es ist kein angenehmes Gefühl für einen Schweizer, wenn er „eine Scheibe hat“. Es ist ihm dann schummrig, schlecht, er ist wackelig auf den Beinen, wie nach einer durchzechten Nacht ohne Schlaf, oder nach dem Genuss diverser Chemikalien.

    In Deutschland wäre man in dieser Situation wahrscheinlich „neben der Kappe“ oder man hätte eine „Mattscheibe“, wie ein Fernseher, der nur weisses Rauschen anzeigt. „Neben der Kappe“ sein findet sich bei Google-De immerhin 11.900 mal, während die Schweizer „Schiibe han“ nur wenig geschriebene Belege hat. Wem so schlecht ist, der schreibt das selten auf. Wahlweise ist es dann eine „hammer Schiibe“, eine „mega Schiibe“ oder eine „fette Schiibe“ die jemand hat: Vgl. Google.

    Mit dem Ausdruck lässt natürlich wunderbar wortspielen, zum Beispiel in einem Beitrag über die Plattenindustrie:

    Der König bin ich und nicht die Herren und Damen der Industrie, die mittlerweile vor lauter Prozessen, An- und Wehklagen eine ziemliche Scheibe haben dürften.
    (Quelle pctipp.ch)

    Das bemerkenswerte Züri-Slangikon führt diese Redewendung als eine von vielen Varianten für „müde, erschöpft“ sein:

    chasch mi schüüfele (ich bin todmüde), d Luft isch dusse, d Schlüüch sind leer, dure, duuch, fertig sii mit de Wält, fix und foxi, flade, fläde, flocho, gschlisse, gschluuchet, halb-läbig, i de Brüch, i de Seil hange, ich han e Schiibe, im Arsch sii, lulo (lustlos), proche (gebrochen), putt (Abk. von kaputt), säcke, schläbe, Schrott, sugo, teig, tilt, uf de Felge, uf de Schnäuz, uf de Schnure, uf de Stümpe, uf em Hund, uf em Zahfleisch laufe, uf Resärve, uusbrännt, uusglutschet, voll am Arsch, Wind i de Wüeschti haa, zur Sou
    (Quelle: Slängikon)

    Ob es auf Züridütsch genauso viele Ausdrücke für „ich habe Lust zu arbeiten“ gibt?

  • Eine Scheibe abschneiden und Scheibenkleister
  • Im Hochdeutschen können wir uns davon ruhig „eine Scheibe abschneiden“, den dass wäre die einzige Redewendung, die wir zum Thema beitragen können. Abgesehen von der Anmerkung, dass das Wort „Scheibe“ oder „Scheibenkleister“ gern als harmloser Ausweichbegriff für gleichbeginnende Worte der Fäkalsprache verwendet werden. Womit sich durch den Ausruf „Es schiist mich an“ der Reigen wieder schliesst.

  • Die Wahrheit über „es schiist mich an“
  • Einst haben wir behauptet, dass die Schweizer diesen Fluch nur äussern wenn daheim das Sturmgewehr beim Putzen im Kleiderschrank umfiel und sich ein Schuss von allein in Richtung Putzfrau löste (vgl. Blogwiese) . Nachdem wir über diesen Irrtum in der Zwischenzweit an die 20 Mal aufgeklärt wurden, halten wir heute fest fürs Protokoll: Ja, wir wissen was „es schiist mich an“ bedeutet, wobei wir bei der Vorstellung von reflexiver Stuhlgang immer noch etwas unter mangelndem Vorstellungsvermögen leiden. Wie soll das denn funktionieren? Will man uns hier etwa verscheissern?

    

    2 Responses to “Haben Sie auch eine Scheibe? — Neue Schweizer Redewendungen”

    1. Milosz Says:

      Schyybe w. 1.Scheibe, Fensterscheibe. Alter Heischespruch: D Mäass lytted yy, wäär mer nyt groomt, däm schloon i d Schyyben yy. 2. Glasbild. E Schyybe stifte, ein Glasbild schenken. 3. Begriffststutzigkeit, geistige Verwirrung, Betrunkenheit (Schülersprache, 1970er Jahre). Er hèt e Schyybe.
      Schyybi Schybo wäm söll d Schyybe goo. Bauernfasnachtsspruch im Südalemannischen Raum Deutschlands. Dort tut man Scheibenschlagen, also Holzscheiben mit einem Loch über dem Feuer zum glühen bringen und dann über den Berg schiessen oder halt schmeissen mit einem Stock.

    2. Brun(o)egg Says:

      Eine Scheibe haben hat sicher nichts mit müde oder erschöpft zu tun. Höchstens für Zürcher, die ihren eigenen Slang nicht nicht kennen.
      Eine Scheibe haben kommt direkt von der Mattscheibe, auch Tilt gennant, nicht ganz gebacken, Durchblick fehlt.
      Müde und erschöpft? In Basel: Uff de Wegge, uffem Zahnfleisch, uff der Schnurre, Kaporis, uff de Stümpe, etc.