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Was die Geiss nicht alles so wegschleckt — Als Urs Meier Deutschland sprachlich bereicherte

(reload vom 3.7.06)

  • Eine Geiss ist eine Ziege
  • Sie kennen alle noch unseren Freund „Geissenpeter“ aus Hamburg? In Deutschland müsste er sich „Ziegenpeter“ nennen, denn das Wort „Geiss“ bedeutet in der Schweiz „Ziege“, während es im Standarddeutschen nur als „weibliches Tier bei Gams-, Stein- und Rehwild“ vorkommt. (Quelle: DeGruyter Variantenwörterbuch, S. 384). Doch „Ziegenpeter“ ist eine ziemlich blöde Kinderkrankheit, auch als „Mumps“ bekannt und wer will schon heissen wie eine Krankheit, drum nennt er sich halt „Geissenpeter. In der japanischen Trickfilmversion von Johanna Spyris Heidi wurde tatsächlich der Name übersetzt zu „Ziegenpeter“.
    Die Geiss ist eine Ziege
    (Quelle Foto: tierwelt.ch)

  • Das schleckt keine Geiss weg
  • Google-Schweiz weisst 1’370 Funde auf. Ohne diese hübsche Redewendung sind Sie absolut aufgeschmissen in der Schweiz, denn sie findet sich sehr häufig, auch in der ehrwürdigen Neuen Zürcher Zeitung:

    Obwohl die Finanzhilfen für die Substanzerhaltung im Infrastrukturbereich (200 Mio. Fr.) angeblich einen hohen Technologiegehalt zulassen, schleckt keine Geiss weg, dass das Bauhauptgewerbe im Visier der Massnahmen steht.
    (Quelle: www.rueggerverlag.ch)

    Oder beim Kantonsrat St. Gallen, auch dort sind Geissen unterwegs :

    Es ist eine Tatsache und es schleckt keine Geiss weg, der Unterhalt ist seit Jahren verschlampt worden (…)
    (Quelle: ratsinfo.sg.zh)

    In Deutschland hingegen gab es nur 261 Stellen mit dieser Formulierung. Das war vor Urs Meier, jetzt sind es 10 Stellen mehr, wegen Urs Meier.

  • Als Urs Meier den Deutschen etwas beibrachte
  • Aber dann war da dieser denkwürdige Abend im ZDF-Studio, als der Schweizer Ex-Schiedsrichter Urs Meier gefragt wurde, ob es sich bei einer umstrittenen Szene in der ersten Spielhälfte Argentinien gegen Mexiko tatsächlich um ein Abseits gehandelt habe: „Dass es kein Offside war, das schleckt keine Geiss weg.“

    Was dann folgte, beschreibt der Tages-Anzeiger vor dem Spiel der Schweizer gegen die Ukraine, wie folgt:

    Konsternation erst und dann, nach der Klärung dieses Steilpasses, lautes Lachen im deutschen WM-Studio und auf allen Grossbildschirmen der Grossnation. Mit solchen unverständlichen Kommentaren macht Urs Meier unmissverständlich klar, dass die Schweiz einen ernst zu nehmenden Gegner für Deutschland darstellt. Auch das schleckt keine Geiss weg.
    (Quelle: Guido Kalberer im Tages-Anzeiger vom 26.06.06, S. 43)

    Urs Meier sagte diese Redewendung, Johannes B. Kerner schaute verdutzt, fragte zurück „Was hast Du da gerade gesagt“? Urs Meier wiederholte seinen Satz, Johannes B. Kerner versucht noch zu übersetzten „Das leckt keine Ziege auf“, aber es war schon zu spät.

    Und wieder erleben wir live im Fernsehen, wie fatal die Unwissenheit der Deutschen in Bezug auf Schweizerdeutsche Gegenwartssprache ist. Wenn doch Schweizer Fernsehen auch nach Deutschland ausgestrahlt würde, wenn der „Geheimcode Schwiitzerdütsch“ täglich von 80 Millionen Zuschauern empfangen werden könnte, dann würde niemand auch nur mit der Wimper zucken bei einem solchen Satz. Es ist doch eine klasse Redewendung, mit einem wunderbaren inhärenten Binnenreim „schleck-weg“. Was hat das Standarddeutsche da schon Vergleichbares zu bieten?
    „Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche“
    oder
    „Da kannst Du Gift drauf nehmen“
    oder
    „Da führt kein Weg dran vorbei“
    Langweilig, wir fangen gleich an zu gähnen.

  • Hat Urs Meier sich oder die Schweizer im ZDF blamiert?
  • Aber nein, wir sehen das ganz locker. Er hat auf wunderbare Weise den Deutschen eine neue Redewendung geschenkt, wenn die bei den Süddeutschen nicht sowieso schon lange bekannt und im Gebrauch ist, denn so eine praktische sprachliche Formulierung macht an Landesgrenzen nicht halt.

  • Schleckstängel und Schleckwaren
  • In der Schweiz ist der Schleckstängel das übliche Wort für den deutschen „Lutscher“, „Dauerlutscher“ oder „Lolli“. Schleckwaren sind daher „Süssigkeiten zum Schlecken“. In Deutschland ist „Schlecker“ eine erfolgreiche Drogeriekette, sozusagen der Aldi der Drogeriebranche, in fast jedem Land Europas vertreten, nur (noch) nicht in der Schweiz.

  • Was alles kein Schleck ist
  • Nur in der Schweiz können sie sagen. „Das ist kein Schleck“ um auszudrücken, dass etwas kein Vergnügen, sondern eine schwierige Angelegenheit ist. Die Redewendung kommt wahrscheinlich vom „Honigschlecken“ oder „Zuckerschlecken“. Diese Varianten des Schlecks sind auch in Deutschland bekannt. Den „Schleck“ ohne alles haben die Schweizer für sich reserviert.

    

    9 Responses to “Was die Geiss nicht alles so wegschleckt — Als Urs Meier Deutschland sprachlich bereicherte”

    1. Martin Lüdicke Says:

      In Norddeutschland gibt’s dazu noch, etwa mit der gleichen Bedeutung: „Da beißt die Maus keinen Faden ab.“

    2. Buyer Says:

      Geiß ist im gesamten Alpenraum und Voralpenland das Standardwort für „Ziege“.
      In Bayern, in Österreich, in Südtirol, in der Schweiz.
      Dazu gibt es sogar ein Schibboleth (einen „Sprachtest“ also).
      Wenn einer bei einer Unterhaltung über’s „Goas Schnoizn“ redet und ein Anwesender verwirrt schaut dann weiss man es ist kein Bayer. Es heißt auf Hochdeutsch „mit der Geißel Schnalzen“, also mit der Peitsche umeinander knallen (ein alter Brauch, nur weniger bekannt als das Schuhplatt’ln). Und da in manchen Gegenden die eigentliche Geiss („Ziege“) tatsächlich als „Goas“ ausgesprochen wird (ein Ziegenhirte ist z.B. ein „Goasbuar“) ist dass dann schon manchmal verwirrend.

      Dass Mumps auch als „Ziegenpeter“ bezeichnet wird ist mir allerdings neu.
      Es scheint in Ihrer Heimat, Herr Wiese, beliebt zu sein Begriffe mit „-peter“ zu bilden. Ich habe erst neulich von „Hackepeter“ gehört, das soll ein umgangssprachlicher Begriff für faschiertes Fleisch sein.

      [Anmerkung Admin: Es gibt auch noch den „Miesepeter“ und den „Schwarzen Peter“]

    3. Guggeere Says:

      @ Buyer/Admin
      Da habt ihr etwas ausgelöst. Mir kam noch der Wackelpeter in den Sinn. Gemäss Wikipedia ist das ein anderes Wort für das als Götterspeise bekannte Dessert. Und eine Begründung wird auch gleich geliefert:
      «Der Name Wackelpeter stammt aus dem 19. Jahrhundert, als man den Namen Peter gerne als Zusatz benutzte, wenn man etwas scherzhaft umschreiben wollte (siehe auch Hackepeter).»
      Bekanntlich sind die diversen xyz-Peter in der Schweiz nicht heimisch oder bestenfalls als Eindringlinge aus der Schriftsprache. Es beruhigt mich ungemein, dass auch Deutsche völlig veraltete sprachliche Phänomene seit anno Tubak weiterpflegen (wird sonst stereotyp uns Alpenalemannen nachgesagt). 😉

      In meiner Ostschweizer Mundart (und von anderen Deutschschweizer Dialekten her) kenne ich den Ziegenpeter übrigens nur als Mumpf (nicht Mumps). Und gemäss dem DTV-Atlas zur deutschen Sprache heisst bzw. hiess die Ziege mundartlich im gesamten süddeutschen Sprachraum Geiss/Goass/Gaass etc. (auch im Rhein-Main-Mosel-Gebiet bis nach Holland hinunter). «Geiss» für «Ziege» mag zwar nicht standarddeutsch sein, ist aber alles andere als ein exotischer Helvetismus.

    4. Phipu Says:

      Zu der Geiss fällt mir noch ein Spruch ein, dessen Ursprung im 19. Jahrhundert (mit aufkommendem Tourismus in bisher ausschliesslich landwirtschaftlichen Bergregionen) angesiedelt sein muss: „Marie, lah d’Geessleni usen, d’Engländer wee Gemscheni gschoue.“ (Marie, lass die Ziegen raus, die Engländer wollen Gemsen* sehen).

      * = Für diesem Berner Oberländer und viele andere Schweizer Dialekte stimmt es mit dem Sprachbild absolut nicht überein, nach neuer Rechtschreibung „Gämse“ schreiben zu müssen. Aber die norddeutschen Grammatikentscheider kennen den Unterschied zwischen einem richtigen Schweizer-Mittelland-ä mit aufgesperrtem Mund und einem e halt nicht (auch Guggeres Dialekt nicht!). Im Mittelland müsste ich übrigens auch „Ängländer“ schreiben, nicht so im Berner Oberland.

      An Buyer

      „mit der Peitsche knallen“ heisst in der Deutschschweiz je nach Dialekt „Mit der Geissle chlöpfe“ oder „… chlepfe“. Phonetisch müsste man eigentlich sogar „Geisle“ schreiben. Es gibt nämlich akustisch keinen Unterschied zwischen dem Wort „die Geissel“ (Peitsche) und „die Geisel“ (Verbrechensopfer). Im Gegensatz zu deinem bairischen Beispiel hört man hingegen deutlich die einfachen oder doppelten s in „Geiss“ versus „Geisle“.

      Zum Wort „chlepfe, chlöpfe“ steht hier mehr, auch in den Kommentaren.
      http://www.blogwiese.ch/archives/363

    5. Martin Says:

      Im Rheinland kennt man die Bemerkung „Die Jeiss will ene lange Stetts han“ (Die Ziege will einen langen Schwanz haben) als generelles Machtwort gegenüber Kindern, die dauernd „Ich will aber… “ sagen.

    6. Bense Says:

      Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob es dem Fass den Boden ausschlägt, oder den Kohl nicht fett macht…

    7. AnFra Says:

      @Kein Züricher

      Heil mein Großhelvetischer Gauführer im Zürichgau!

      Hast du beim Großhelvetischen Gruß etwa die zweite Hälfte der Grußformel „Heil“ vergessen?

      Dein Barfussarzt AnFra

    8. Guggeere Says:

      @ phipu
      Nur keine voreiligen Schlüsse. Von der Guggeere «obenabe» sieht und hört man vieles.
      Deinen Verweis auf Gämse/Gemse muss ich ergänzen. Mundartlich verpasse auch ich dieser Bergziege ein echtes «e» ohne jede Spur von Umlaut. Dass dies in der Schriftsprache nicht (mehr) der Fall ist, stört mich hingegen nicht. Es schreibt ja auch niemand «Rännwäg» oder «Bällvü», nur weil es die meisten Zürcher so aussprechen.
      Mit dem schwach ausgebildeten «ä» in meinem Dialekt hast du Recht. In meinem ersten Englischlehrbuch in der Kantonsschule wurde der ä-Laut in englischen Wörtern wie «bad» oder «man» mit dem berndeutschen «ä» in «Bärn» illustriert. Auf der korrekten Aussprache dieses Vokals ritt der Englischlehrer – very british! – ohne jede Gnade herum. In dieser Hinsicht sind jene, die «breytärschigsten Bärner Dialekt»* sprechen, eindeutig im Vorteil…
      * Das Zitat stammt vom Schriftsteller Niklaus Meienberg. (Obs exakt so stimmt, weiss ich zwar nicht.)

    9. Fischkopp Says:

      @zürcher:

      Ich begrüße dein Vorschlag nur kommt er exact 76 Jahre zu spät!