Wenn es in der Schweiz zu eng wird — Warum geht ein Schweizer fort?
(reload vom 30.6.09)
Die Schweiz ist momentan ein Einwanderungsland. Die wachsende Zahl von gut ausgebildeten Facharbeiten und Hochschulabsolventen, die zur Zeit aus Deutschland in die Schweiz strömt und für länger zu bleiben gedenkt, verstärkt diesen Eindruck. Die Vorzüge der Schweiz dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht für alle Schweizer dieses Land das Land ihrer Träume ist. Uns erzählten wiederholt Schweizerinnen und Schweizer, die wir schon in Deutschland kennen gelernt hatten, dass es ihnen irgendwann zu eng und zu „bünzlig“ wurde in ihrer Heimat. Wenn jeder im Dorf dich kennt, wenn jeder deiner Schritt überwacht wird, wenn Du das Gefühl hast, stets Rechenschaft über dein Tun ablegen zu müssen, dann wird es Zeit, sich im Norden umzusehen.
So erzählte uns Susann aus dem Aargau, die seit mehr als 20 Jahren in Deutschland lebt und mit einem Deutschen verheiratet ist, dass sie es einfach nicht mehr aushielt unter dem Anforderungsdruck der Schweizer Umgebung. Sie fühle sich in Deutschland freier, weniger beobachtet, auch durch die grössere Anonymität, die sie als positiv empfindet. Sie ging nach Stuttgart, denn dort sieht es immer noch ein bisschen hügelig aus wie im Aargau, und der schwäbische Dialekt ist auch nicht so weit entfernt vom Hochalemannisch. Heute spricht sie nur noch Hochdeutsch, obwohl sie in Süddeutschland lebt, und hat sich geistig völlig abgenabelt von ihrer Schweizer Vergangenheit.
Oder Cornelia, von der wir erst kurz vor dem Umzug in die Schweiz erfuhren, dass sie eine waschechte Schweizerin ist und seit 15 Jahren in Deutschland lebt. Sprachlich perfekt getarnt, von einer Deutschen nicht mehr zu unterscheiden. Nie hat sie erlebt, dass man sie als „Kuhschweizerin“ belächelte.
Erst ist es ein Urlaub in Deutschland, dann ein Studium, schliesslich die Liebe oder die grösseren Chancen auf freie Selbstverwirklichung, die diese Auslandschweizer in Scharen nach Deutschland treibt.
Die offizielle Zahl von 71.115 Schweizern in Deutschland muss in Relation gesehen werden zu den nur 5.6 Millionen Schweizern in der Schweiz. Die andern 1.8 Millionen Einwohner kommen aus der ganzen Welt in die Schweiz, und sie leben weiss Gott nicht isoliert in irgendwelchen eigenen Vierteln sondern sind eng verzahnt mit der Schweizer Gesellschaft, verheiratet mit Schweizerinnen und Schweizer:
Die Hälfte aller in der Schweiz geschlossenen Ehen sind binational!
Die Erhebungen des Bundesamtes für Statistik zeigen: Im Jahr 2003 waren annähernd die Hälfte (49%) der in der Schweiz geschlossenen Ehen binational. Im Ausland geschlossene Ehen sind nicht mitberücksichtigt. Binationale Partnerschaften sind ein wichtiger gesellschaftlicher Faktor geworden und mit der zunehmenden Globalisierung wird ihre Zahl weiter ansteigen.Die 49% binationale Eheschliessungen unterteilen sich wie folgt:
Schweizer heiratet Ausländerin = 20%
Schweizerin heiratet Ausländer = 16%
Ausländerin heiratet Ausländer = 13%
(Quelle: binational.ch)
Schweizer Männer heiraten laut Statistik (2003) vorwiegend Frauen aus Thailand, Deutschland, Brasilien, Italien und Frankreich. Schweizer Frauen dagegen heiraten am häufigsten Männer aus Italien, Deutschland, Türkei, Serbien/Montenegro und Frankreich.
(Quelle: binationale.ch)
Dann gibt es die temporären Auslandsschweizer, für die Gottfried Kellers „Grüner Heinrich“ der Urahne in der Literatur darstellt. Fortgehen um wiederzukehren und zu wissen, was sie hier schätzen. Der Churer Schriftsteller Silvio Huonder machte einen solchen Schweizer zur Hauptperson seines wundervollen Heimkehrerromans „Adalina“, der uns erzählt, wie der Protagonist eines Nachts mit dem Zug aus Berlin in seinem Heimatort in den Bergen ankommt und dort seiner Jugendliebe begegnet.
Wir trafen häufig Schweizer, die es ebenfalls irgendwann fortgezogen hat aus der Heimat, häufig nach Südamerika, den USA oder sogar Australien. Die dort ein paar Monate oder länger blieben, sich verliebten und mit ihrem späteren Partner oder Partnerin in die Schweiz zurückkehrten.
Wir vermuten, dass die kleine Schweiz für Heranwachsende nicht immer den glücklichsten Ort auf Erden repräsentiert, und dass diese Denke hier ausgeprägter vorhanden ist als in Deutschland. Diejenigen Schweizer, die dann Heimweh kriegen in Oldenburg oder Hamburg, schauen mit Hilfe des von der Schweizer Botschaft erhaltenen Decoderschlüssels einfach eine Weile Schweizer Fernsehen, das verschlüsselt über Satellit ausgestrahlt wird, damit nicht zu viele Deutsche den Geheimcode Schweizerdeutsch verstehen lernen. Dann legt sich das mit der Sehnsucht nach der Heimat gleich wieder, sagte uns eine Auslandsschweizerin.
Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass „Heimweh“ als Schweizer Entdeckung gilt:
Heimweh:
Das Krankheitsbild der „Nostalgia“ (griechisch: νόστος: Rückkehr und άλγος: Traurigkeit, Schmerz, Leiden) wurde unter diesem Namen im Jahre 1688 von einem Arzt Johannes Hofer in Basel zuerst beschrieben. Man kennt es daher auch heute noch unter der Bezeichnung Schweizer Krankheit. Es handelte sich bereits damals um eine durch unbefriedigte Sehnsucht nach der Heimat begründete Melancholie oder Monomanie, welche eine bedeutende Zerrüttung der körperlichen Gesundheit, Entkräftung, Abzehrung, Fieber und gar den Tod zur Folge hat. In Frankreich war es bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus bei Todesstrafe verboten, den sogenannten „Kuhreihen“, eine bekannte Hirtenmusik („Chue-Reyen“, „Renz des Vaches“) zu singen oder zu pfeifen, weil die schweizerischen Soldaten durch das Hören desselben haufenweise in Heimweh verfielen, desertierten oder starben.
(Quelle: Wikipedia)
Spannender Hintergrundartikel zum Thema „Die Schweizerkrankheit“ hier.
Der Begriff schaffte es auch in die Sendung „Genial Daneben“ bei SAT1, und konnte dort nicht erraten werden. Was lernen wir daraus? Falls Sie im Ausland leben, nicht Schweizer sind, und Ihnen der Kuhglocken schwingende Arbeitskollege
(Foto: shoppingland.ch)
im roten T-Shirt mit weissem Kreuz drauf gerade gehörig auf den Geist geht, einfach diese Hirtenmusik pfeifen, und schon desertiert er oder stirbt.
Und wenn Sie sich gefragt haben, warum nach dem traurigen Ausscheiden der Schweiz aus der Fifa-WM immer noch überall die Flaggen und T-Shirts zu sehen sind, dann schauen Sie einfach mal auf den Kalender. Bald ist Weihnachten der 1. August! Solange wird jetzt kein T-Shirt gewaschen und keine Flagge eingeholt, wäre ja wohl gelacht.
Juli 7th, 2009 at 21:38
Tja, was die gelebte Unsympathie bewirkt hat man ja in München gesehen. Es sind die geistigen Brandstifter, die hier mitschuldig sind….
Juli 8th, 2009 at 11:45
@ Zürcher
Ist das so?
Juli 8th, 2009 at 16:25
Auswanderung war in der Schweiz immer ein Thema. Die Gründe waren nicht immer nur wirtschaftlicher Art. Dem Schwyzer Söldnerführer Ital Reding (1410–1466), Spross einer durch den Handel mit Söldnern und durch den Kriegsdienst reich gewordenen Familie, wird der Ausspruch «Der Schweizer muss ein Loch han» zugeschrieben. Das lässt vermuten, dass es den jungen Männern, die bei ausländischen Kriegsherren anheuerten, schon vor 500 Jahren noch um etwas anderes ging: Ein Loch bietet auch eine Chance, zu entkommen und etwas zu erleben.
(Ich kenne nur den Spruch mit diesem Wortlaut und eine quellenlose Angabe, er stamme von Ital Reding. Weiss jemand mehr?)
Juli 8th, 2009 at 20:59
@Guggere
Anbei ne Möglichkeit, über den Literatur-Anhang weiter zu kommen. Hätte ansonsten gemacht, aber die Zeit fehlt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Ital_Reding
@Kein Züricher
Bei dir muss man mit allen faulen und üblen Taschenspielertricks rechnen. Auch hier bei deiner 10 % – Aussage, welche als unwahr zu betrachten ist! Laut der unteren Quelle sind es ca. 18,1 %.
Das ca. 10 % Schweizer das Heimatland Schweiz verlassen haben, kannst du dir sicher als ein gehöriger Verdienst deiner Flappe anrechnen!
Ich würde auch gehen.
Wenn du kein Feigling sein würdest, könntest du sagen, in welcher Generation DU denn so „ein Schweizer“ bist.
Vermutlich bist du wohl so ein „Papierschweizerli“ der 1. bzw. 2. Generation mit „Großdeutschem Hintergrund“. Vermutlich aus der preußischen Provinz Schlesien.
Halt so ein „Papiertigerli“ oder ein niedlicher „Schweizerbettvorlegerli“ der Sonderklasse!
http://de.wikipedia.org/wiki/Auslandsschweizer
Juli 9th, 2009 at 21:53
@ Troll
Plonk!