Als die Schweizer kein Telefonbuch mehr hatten
(reload vom 14.6.06)
Falls Sie neu in die Schweiz gezogen sind, dann wollen Sie sicher bald einen Telefonanschluss haben. Früher konnten Sie da nur zu einem Anbieter gehen, der Swisscom. Sie mussten dann versuchen, den Angestellten dort glaubhaft zu versichern, dass Sie hier wirklich dauerhaft wohnen und leben werden und deswegen unbedingt auch telefonieren möchten. Ein unterzeichneter Mietvertrag oder ein Reisepass mit Einreisevermerk für die Schweiz reichten da bei weitem nicht aus. Sie mussten auch beweisen, dass Sie schuldenfrei sind, in dem Sie eine „Betreibungsauskunft“ vorlegten. Falls Sie zu diesem Zeitpunkt überhaupt schon wussten, was das ist und wo Sie die herbekommen.
Es sollte schon eine B-Bewilligung sein, die Sie dem Swisscom Mitarbeiter vorlegen. Und eine Kaution mussten Sie auch noch hinterlegen, zu mindestens für Ihr erstes Jahr in der Schweiz. Es hätte ja sein können, Sie täuschen Ihren Aufenthalt nur vor, um mal kurz billig Ferngespräche mit einer Sex-Hotline in Timbukutu zu führen und machen sich dann wieder vom Acker. Nee nee, nicht mit der Swisscom. Die hatte dann ihre 500 Fr. Kaution und war fein aus dem Schneider. So war das vor ein paar Jahren jedenfalls üblich.
Heute gibt es in vielen Gemeinden Konkurrenz für die Swisscom. Konkurrenz (Insider Slang hierfür: „Mitbewerber“), die nicht so genau fragt, was Ihr legaler Status in der Schweiz ist, Hauptsache Sie können selbständig ein geliehenes Modem anschliessen und verhökern das nicht gleich bei Ebay oder auf einem polnischen Flohmarkt. Bei der Firma Cablecom kriegt jeder Internet und/oder Telefon, das hier „digital phone“ heisst, egal ob Sie eine Aufenthaltsbewilligung haben oder nicht, ganz ohne Kaution und auf Rechnung obendrein.
Dann irgendwann erhalten Sie diese hübschen weissen Taschenbücher von der etwas dickeren Sorte. Vielleicht benötigen Sie die ja auch gar nicht. Sie lesen diesen Blog gerade online, also könnten Sie auch genauso gut eine Telefonnummer online nachschlagen. Die „Datenquelle“ ist/sind in beiden Fällen die „Directories“:
Eigentlich heisst die Firma „Swisscom Directories AG“ und hat ihren Sitz in Bern. Am Namen ist leicht zu erkennen, dass es sich hier um eine Tochter der Swisscom, dem Schweizer Telefonanbieter und Ex-Monopolisten handelt. Eine Tochter? Oder mehrere Töchter? Denn „Directories“ ist Mehrzahl, und zwar genau genommen die Mehrzahl von „Directory“, und das hat weiss Gott nichts mit der Französischen Revolutionsregierung von 1795-1799 zu tun, die hiess „le directoire“ und wird nur auf Englisch als „French Directory“ bezeichnet. Ein „Directory“ ist ein Verzeichnis:
Ein Verzeichnis (oder Register) ist eine übersichtliche, meist nach bestimmten Strukturen gegliederte, listenmäßige Anordnung von Informationen. Beispiele sind das Inhaltsverzeichnis, das Handelsregister, der Kataster, das Schiffsregister, die Telefonverzeichnisse und andere Arten von alphabetischen Verzeichnissen und Listen.
(Quelle: Wiki)
Früher hatten die Schweizer „Telefonbücher“, so wie die Deutschen auch. In Frankreich werden die Dinger übrigens nicht „livre de téléfon“ sondern „annuaire“ genannt, was eigentlich „Jahrbuch“ bedeutet, weil die Dinger nämlich jährlich herauskommen, oder „bottin“, was der Name eines Telefonbuchverlags ist.
Directories ist seit 1999 einer der führenden Verzeichnishersteller in der Schweiz. Die Adressdatenbank beinhaltet mehr als 6 Mio. Privat- und Geschäftseinträge der Schweiz inkl. Liechtenstein (Angaben aller Fernmeldedienstanbieter). Die Directories Datenbank ist vollständig und aktuell. (…) Je nach Kundenbedürfnis stehen unterschiedliche Verzeichnisse zur Verfügung: das Telefonbuch, die telinfo und Directories CD, online als Directories ETV und im Internet als Die Gelben Seiten und Die Weissen Seiten.
(Quelle: directories.ch)
Den hübschen englischen Namen hat man sich 1999 im Zuge der Liberalisierung des Telefonmarktes ausgedacht:
Die Jointventurefirma Swisscom Directories AG (51% Swisscom AG und 49% PubliGroupe SA) wird gegründet. Der Verkauf und die Akquisition der Werbung sind in der Partnerfirma LTV Gelbe Seiten AG etabliert, die in der PubliGroupe verankert ist.
(Quelle: directories.ch)
Das Schweizer Telefonbuch hat einen englischen Pluralnamen, auch in Genf
Bis 2003 hiess das wichtigste Produkt immer noch „Telefonbuch“ bzw. „annuaire téléphonique“ oder „elenco telefonico“. Sie merken jetzt schon, wieviel Tinte das verbraucht hat, immer alle drei Namen zu schreiben. Dann wurde versucht, auf diese Bezeichnungen zu verzichten und die weissen Nachschlagewerke nur noch als Brand „Directories“ zu vermarkten. Sie wissen doch hoffentlich, was ein „Brand“ ist? Die älteren unter uns denken jetzt an „uns Willy“, die Feuerwehrleute holen den Feuerlöscher von der Wand, und Menschen wie wie Du und ich haben schon wieder Durst, einen richtigen Brand… Gemeint ist hier mit „Brand“ eine Produktmarke bzw. der Markenname. „Directories“ war ein Brand für die Schweizer Telefonbücher. Dies konnte nur bis 2005 durchgehalten werden, der Widerstand und das Unverständnis der Kunden war zu gross.
Immerhin benutzen 70% aller Kunden nach wie vor die Papierausgabe der „Weissen Seiten“, welche einmal jährlich aktualisiert wird. Dabei ist die Online Fassung frischer, denn es fallen täglich 10.000 Mutationen an, von denen wir schon lange wissen, dass sie nichts mit Genveränderungen und Schwimmhäuten zwischen den Zehen zu tun haben (vgl. Blogwiese)
Die 25 Schweizer Telefonbücher werden jeweils den Sprachregionen angepasst herausgegeben, zeitlich versetzt über das Jahr verteilt:
(Quelle: directories.ch)
Für die Gemeinde links und rechts vom oder direkt auf dem Röschtigraben gibt es spezielle zweisprachige Ausgaben, so z. B. für Biel/Bienne und Fribourg/Freiburg. In Graubünden hingegen ist das Telefonbuch auf Deutsch. Keine Extra-Ausgabe für die Räto-Romanie und ihre vielen Varianten. Nur die Werbung darf dort auch mal auf Rumantsch gedruckt erscheinen. Die Probleme mit einer vermischten Sprachzone im Grenzgebiet hat man zwischen Deutschschweiz und dem Tessin nicht. Der Gotthard ist hoch genug, da gibt es keine „zweisprachige“ Zone, und wenn doch, dann ist sie während der Hälfte des Jahres sowieso unter einer dicken Schneedecke begraben.
Juni 16th, 2009 at 14:55
Das mit der Aufenthaltsbewilligung und der Kaution bei Swisscom ist schon längst ein alter Zopf. Heute haben wir mit unseren Deutschen Freunden ja bilaterale Abkommen, sind freizügig mit den einreisenden Personen.