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Der Camionneur ist kein LKW-Fahrer — Lerne Schweizerdeutsch mit dem Tages-Anzeiger

  • J´suis qu’un vieux caminonneur
  • Der mittlerweile in die Jahre gekommene französische Kultsänger Francis Lalanne sang einst:

    Coincé dans ma vieille berline, moi je pense à Marilyn.
    J’ai sa photo sur mon coeur et dans le rétroviseur.
    Marie, c’que t’es jolie, tes lèvres couleur cerise collées sur mon pare-brise.

    J’suis qu’un vieux camionneur, j’fais la nique au bonheur.

    Seine “Berline” ist übrigens kein Mädchen aus Berlin, sondern das französische Wort für “Kutsche, Limousine, Grubenwagen”. Es meint seinen LKW damit. Der ist in der Schweiz ein „Camion“, daher sein Fahrer ein „Camionneur“.

    Lalanne Fans füllten in den Achzigern Pariser Konzerthallen und Stadien. Heute tritt er wieder auf kleinen Bühnen auf. Als er vor über 25 Jahren bekannt wurde, gab es noch kein YouTube oder MTV, darum sind alte Videos kaum zu finden. An seinen oben zitierten Song mussten wir denken, als wir diesen Artikel im Tages-Anzeiger entdeckten:

    Camionneure

    Camionneure planen Protestaktionen

    Die Oberzolldirektion hat eine Einsprache des Nutzfahrzeugverbands gegen die Erhöhung der LSVA abgelehnt. Nun bereiten die Camionneure landesweite Protestaktionen vor. Bern. – Die Camionneure akzeptieren die Erhöhung der Leistungsabhängigen Schwer- verkehrsabgabe nicht. Nachdem die Oberzolldirektion eine Einsprache zurückwies, kündigte der Schweizerische Nutzfahrzeugverband (Astag) den Gang vor Bundesverwaltungsgericht an. (…)
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 01.07.08, Seite 5)

  • Die Einsprache oder der Einsprach?
  • Ja, es heisst wirklich „ein Einsprache“, und nicht „der Einsprach“. So richtig konsequent finde ich die Schweizer bei ihrem Schriftdeutsch nicht. Nur beim Bundesverwaltungsgericht, da entfernte der Tagi jegliche Geschlechtsangabe: „den Gang vor Bundesverwaltungsgericht“. Ob „der“, „die“ oder „das“ bleibt offen, kann sich jeder selbst aussuchen.

    Doch eigentlich fiel uns der „Camionneur“ in diesem Artikel auf, denn er heisst in der Schweiz nicht einfach „LKW-Fahrer“ wie in Deutschland. Bei Google-CH finden wir 546 Belegstellen für den „Camionneur“, bei Google-DE sind es nur Lexikoneinträge und Fremdwörterbücher, die das Wort erwähnen. Der „Camionneur“ in der Schweiz ist in erster Linie ein Spediteur und Transportunternehmer. Die Bedeutung „Lastkraftwagenfahrer“ steht erst an zweiter Stelle. In der Bedeutung „Transportunternehmer“ gibt es in der Schweiz noch die hübsche Variante des „Fuhrhalters“, mit 846 Belegen bei Google-CH. Der fuhr halt die Fuhre bis zum Halt und ist so „Fuhrhalter“ wurde. Das Wort war in Deutschland auch üblich, gilt aber, wie so häufig, dort heute als „veraltet“. Der Duden listet es nicht mehr auf, genauso wenig kommt es in Kurt Meyers „Schweizer Wörterbuch“ vor. Wahrscheinlich irrt unser Variantenwörterbuch, wenn es das Wort „Fuhrhalter“ als Helvetismus einstuft.

    

    8 Responses to “Der Camionneur ist kein LKW-Fahrer — Lerne Schweizerdeutsch mit dem Tages-Anzeiger”

    1. Phipu Says:

      Hier findet sich noch ein verwandter Eintrag auf der Blogwiese. Darin, und auch in den Kommentaren, wird erwähnt, dass die Fahrer von Fahrzeugen, die in Deutschland „Lastkraftwagen“ oder „LKW“ genannt werden, hier dem Motor auch ganz schön auf Französisch einheizen.
      http://www.blogwiese.ch/archives/319

      Der Ausdruck „Fuhrwerk“ oder „Fuhre“ ist gewiss mit heute altmodisch erscheinendem Pferdegeruch behaftet. Hingegen wage ich zu behaupten, dass das Wort „Fuhrpark“ nicht einmal in Deutschland veraltet ist.

      Wenn wir uns nun auf den Wortteil „Halter“ konzentrieren, werden wir eine besonders schweizerische Wortschöpfung entdecken. Das ist der „Postautohalter“.
      http://www.postauto.ch/de/index_pag/pag-nat-ueber-uns/pag-nat-geschichte.htm
      http://de.wikipedia.org/wiki/Postauto
      Auch wenn dieser Ausdruck heute offiziell „Postautounternehmer“ genannt wird, rühmt sich jeder Carunternehmer, der auch fahrplanmässige Postautolinien mit von ihm betreuten Postautos betreibt, gerne auch heute noch mit dem Titel „Postautohalter“. Die Post ernennt nämlich nicht einfach jeden dahergelaufenen Büsslifahrer zu ihrem Vertrauensunternehmen. Leider habe ich keine ausführliche Erklärung zu den Bedingungen des Postautohalter-Modells gefunden. Ich vermute, dass auch der vor Jahren noch feststellbare Unterschied an Postautos im Zusammenhang mit der Immatrikulation (Kantons-Autonummern gegenüber der heute aufgehobenen eidgenössischen P-Nummern) mit diesem Betriebssystem zu tun hatte.

      Eigentlich ist eine „berline“ eine präzis definierte Carrosserieform, die sich vom Lastwagen ziemlich unterscheidet. Zu Deutsch ist die Berline etwa eine „Stufenheck-Limousine*“. Nur muss es sich halt im Lied auf Marylin reimen. Hier mehr über den je nach Sprache unterschiedlichen Variantenreichtum der automobilen Aufbauten:
      http://fr.wikipedia.org/wiki/Type_de_carrosserie
      http://www.infovisual.info/05/006_fr.html
      http://de.wikipedia.org/wiki/Karosseriebauform

      Es aber nicht auszuschliessen, dass das Wort „berline“ Assoziationen an die frühere französische Lastwagenmarke „Berliet“ wecken soll.
      http://de.wikipedia.org/wiki/Berliet

      * Limousine schreibt man auch auf Deutsch mit „ou“. Googelt mal nach „Limusine“ oder „Limosine“, alles wurde schon geschrieben, besonders da dies auf Englisch und Deutsch auch als „Limo“ abgekürzt wird. Je nach Zusammenhang muss man dann erahnen, ob es sich um –usine, oder –nade handelt.

      Zum Schluss, Jens, noch zu „die Einsprache“: Bitte nicht verwechseln mit „der Einspruch“. Da es schon diesen Variantenreichtum gibt, können wir gut auf deinen Neologismus „der Einsprach“ verzichten. Du schwelgst womöglich wieder mal in dem Wörtersee, wo sich der helvetische „Unterbruch“ neben der germanodeutschen „Unterbrechung“ tummelt. Merke: Auch dort hört es mit „…ruch“ und nicht mit „…rach“ auf. Die analoge deutsche „Einsprechung“ musst du übrigens auch nicht mehr erfinden, die gibt es schon im christlichen und akustisch-technischen Wortfeld.

    2. AnFra Says:

      @Phipu

      Anbei zur „berline“ eine Quelle.

      http://de.wikipedia.org/wiki/Berline_(Kutsche)

    3. Brun(o)egg Says:

      Es heisst eine, – die Einsprache und der Einspruch. Alles andere ist Redakteuren zu verdanken die kein Deutsch können.

    4. Rainer2401 Says:

      Ein Lkw-Fahrer ist hier ein „Chauffeur“. Das weiss ich genau, ich bin nämlich selber einer. Jeden Tag unterwegs im Auftrag der schweizerischen Post. 😉

    5. Michi Says:

      Francozismen sind keine schweizer Spezialität. Ganz Europa sprach einst auf Französisch und der Preußenkönig Friedrich hat besser Französisch als Deutsch gesprochen, in der Schweiz hat sich dies aus naheliegenden Gründen einfach stärker als anderswo erhalten. Goethe hat seine Gedichte auch nicht in der Postkutsche verfasst sondern in der (Zitat) „Postchaise“.
      Fuhrhalter ist kein Helvetismus, die Begriffe Spedition und Fuhrunternehmen sind für mich komplett austauschbar („Transportunternehmen“ würde ich aber für reines Amtsdeutsch halten, aus der Kategorie von Kopfgeburten wie „Lichtzeichenanlage“ für Ampel oder das oberlehrerhafte „Schraubendreher“ für Schraubenzieher).

      Ich weise an dieser Stelle gerne daraufhin dass das Standarddeutsche nicht das Monopol der „Doitschn“ zwischen Main und Elbe ist und alles andere nur „Dialekte“ sind. Viele ach so altmodischen oder „komischen“ Formen sind in Norddeutschland schlicht verloren. Inzwischen scheint es dort schon schreibwürdig zu sein etwas als „provozierend“ zu bezeichnen anstatt, richtigerweise, als „provokant/provokativ“ – weil eine Provokation zwar provoziert aber dennoch provokant ist. Selbiges gilt für das berühmte Parkieren. Ein einzelner Parkplatz ist Teil einer Parkierung, dies ist der Fachbegriff wie ihn auch Stadtplaner und Architekten schon immer verwenden, und dementsprechend parkiert man auf einer Parkierung – „parken“ scheint mir eher ein Anglizismen von „to park“ zu sein. Diese irregulären Formen sind natürlich etwas ähm bildungsintensiver, ein Blick auf die PISA Ergebnisse von Schülern aus Bremen und Co gibt hier vielleicht eine realpolitische Erklärung für diese Verflachung.

    6. Mare Says:

      @Ein Zuercher: Eine Cuvette war doch die Waschschüssel, die früher zusammen mit dem Wassetkrug auf jedem Waschtisch stand, damit man sich Gesicht und Körper waschen konnte.

    7. roko Says:

      @Ein Zuercher

      Spülbecken
      oder
      Einlegespüle/Einbauspüle für das ganze Teil:
      http://www.siegenthaler-kuechen.ch/images/Suter%20Einlegesp%C3%BCle%20Comfort%20C%20100TL%20mit%20Abtropfbecken.jpg
      (Übrigens eine Schweizer Page)

      Das Lavabo der Schweizer ist das Waschbecken der Deutschen.

    8. Marischi Says:

      Schüttschtei heisst das, früher war es halt aus Stein.