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Vorkehren Sie auch schon? — Vogelgrippe in Deutschland

  • Vorkehren Sie auch schon?
  • In Deutschland ist die Vogelgrippe ausgebrochen, in Italien und Österreich ebenfalls, und uns ist auch schon schlecht. So schlugen wir den Tages-Anzeiger am 21.02.06 auf Seite 15 auf und lasen:

    Vogelgrippe: Was Zürich vorkehrt

    Was Zürich vorkehrt
    Jetzt fragen wir uns, was ist hier so merkwürdig? Haben wir vielleicht etwas vorkehrt gelesen? Vor dem „Kehren“ kommt doch nicht etwa das „Vorkehren“? Denn „kehren“ heisst doch „umdrehen“ in der Schweiz, und nicht „fegen“, denn das heisst ja „wischen“, oder war das anders herum, „vorkehrt“ zu sehen?

    Wir suchen um Hilfe beim Duden, dem sprachlichen Tröster in allen Zweifelsfällen, zu „vorkehren“:

    vor|keh|ren (sw. V.; hat):
    1. (ugs.) herauskehren:
    den Vorgesetzten, den Chef vorkehren;
    Er mochte die Moral vorkehren, die Kirche davor stellen …, sie lächelte bei ihrer Antwort (Musil, Mann 1297).
    (Quelle: duden.de)

    Heh, das ist ja ein Zitat von Seite 1.297 aus Robert Musils genialem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“! Der ging schliesslich 1938 nach Zürich ins Exil:

    Der Roman wurde nach seinem Erscheinen Anfang der 1930er Jahre zunächst wenig beachtet. (…) Der Mann ohne Eigenschaften wird als ebenbürtig mit Ulysses von James Joyce und mit A la recherche du temps perdu von Marcel Proust gesehen, und die drei Romane werden oft in einem Atemzug genannt.
    (…)
    1938 emigrierte er mit seiner Frau nach Zürich. In diesem Jahr wurden auch alle seine Bücher verboten. Aus finanziellen Gründen zog das Ehepaar Musil nach Genf um. Sie lebten dort in äußerst desolaten Verhältnissen; die einzige Unterstützung erfuhren sie durch das schweizerische Hilfswerk für deutsche Gelehrte.
    (Quelle: Wiki)

    Ob er in Zürich dieses Wort gelernt hat? Wir halten fest fürs Protokol: Ohne das schweizerische „Hilfswerk für deutsche Gelehrte“ gäbe es heute wahrscheinlich keinen Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“!

    Doch es gibt ja noch eine zweite Ziffer im Duden:

    2. (schweiz.) Vorkehrungen treffen, vorsorglich anordnen:
    geeignete Maßnahmen vorkehren; Was gedenkt der Stadtrat gegen … Versorgungsschwierigkeiten vorzukehren? (NZZ 28. 1. 83, 28); … um rechtzeitig vorkehren. zu können, wenn sich die Geschichte dramatisch entwickeln sollte (Wochenpresse 13, 1984, 18).

    Also üben wir das jetzt mal geschwind alle gemeinsam:
    Ich kehre vor, Du kehrst vor, er/sie/es kehrt vor… klingt für Norddeutsche Ohren verkehrt, aber „verkehren“ ist nun ganz bestimmt nicht das, was wir hier tun sollen. Wie sagen die Deutschen so schön umständlich für schweizerisch „vorkehren“ => Vorkehrungen treffen, vorsorglich anordnen.

    Da haben wir es wieder: Was für ein Wortungetüm ist bei den Deutschen dort notwendig, wo doch so eine schlichte kleine Vokabel wie „vorkehren“ vollkommen ausreichen würde. „Vorkehren“ wir also nun geeignete Massnahmen, dieses hübschen Wörtchen ab sofort in unseren Wortschatz einfliessen zu lassen!

    Schliesslich gibt es bei Google-Schweiz 42.300 Funde!
    und bei Google-Deutschland nur läppische 821 Stellen.
    Hübsch ist auch die substantivierte Form in Schweizer Gesetzestexten:

    Vorkehren bei Nichtbefolgung von Vorschriften oder Verfügungen

    Werden Vorschriften des Gesetzes oder einer Verordnung oder wird eine Verfügung nicht befolgt, so macht die kantonale Behörde, das Eidgenössische Arbeitsinspektorat oder der Arbeitsärztliche Dienst den Fehlbaren darauf aufmerksam und verlangt die Einhaltung der nicht befolgten Vorschrift oder Verfügung.
    (Quelle: admin.ch)

    Man hört richtig bei jedem „V“ ein Zischen in der Luft wie von einem Peitschenschlag!
    Schade, das „Fehlbare“ nicht auch mit „V“ geschrieben werden dürfen… Aber wir wissen ja schon aus der Schulzeit, welches die drei Dinge mit „F“, sind, die ein Mann niemals, auch nicht seinem besten Freund, verleihen darf: Frau, Füllfederhalter und Ferd. Fertig.

    

    18 Responses to “Vorkehren Sie auch schon? — Vogelgrippe in Deutschland”

    1. Dan Says:

      Dem schweizerischen Hilfswerk für deutsche Gelehrte muss man unbedingt ein Denkmal setzen!

      Jens, in der NZZ sind solche Helvetismen sehr rar. Ist der Tagi so besonders ergiebig oder ist das bei allen Zeitung in der Deutschschweiz so? Hat die NZZ dann einen speziellen Redaktor, der mit deinem Archiv in der Hand Artikel ins Bundeshochdeutsch umschreibt?

    2. cornelia Says:

      In meinem Sprachgebrauch ist vorkehren ein trennbares Verb. Du müsstest die Konjugationsübung also anpassen….

    3. Administrator Says:

      @cornelia
      jetzt wird es schwierig: Ich will hier ja nichts Falsches schreiben!

      Du sagst „in meinem Sprachgebrauch“. Hast Du einen Hinweis aus einem Duden, Wahrig oder sonstigem Wörterbuch, dass „vorkehren“ trennbar ist?
      Dann werde ich das gleich korrigieren.
      Gruss, jens

    4. Administrator Says:

      @Dan
      Danke für den Hinweis!
      Am Wochenende ist intensives NZZ Lesen angesagt, da bin ich aber mal gespannt, wie das dort „tönt“, wenn es um die „Traktandenliste“ geht, „für einmal“ und „in dem Fall“.
      Gruss, Jens

    5. Phipu Says:

      Hallo Jens,
      Nach meinem Sprachgefühl hat Cornelia ebenfalls recht. Allerdings habe auch ich keine Beispiele bei Google gefunden.
      Ich kehre vor, du kehrst vor…, ich habe vorgekehrt…, ich kehrte vor…, ich hatte vorgekehrt…, ich werde vorkehren… .
      Wer sich gerne so ausdrückt, tendiert allerdings eher zur Substantivitis: Ich treffe Vorkehrungen. … etc.

    6. Administrator Says:

      @Phipu
      „Ein jeder kehre vor seiner Tür, und rein ist jedes Stadtquartier.“
      Joh. Wolfgang v. Goethe,
      Bürgerpflicht

      Häufiges Motto der Müllabfuhren im Schwäbischen.

      Gruss, Jens

    7. Phipu Says:

      „Kehr schon im voraus genügend zur Sauberkeit vor, dann brauchst du anschliessend nicht vor der Tür zu kehren“. Poesie frei nach Blogwiese

    8. Gufechüssi Says:

      Ich bin ja mal gespannt, lieber Jens, wie lange es dauert, resp. wie manchen Beitrag es noch braucht, bis auch Du zumindest begriffen – ich rede jetzt nicht von Akzeptanz – dass sich der Sprachgebrauch in der Schweiz von demjenigen in Deutschland unterscheidet. Bis es soweit ist, lese ich doch gerne ab und zu hier mit – die Beiträge kommen ja optisch recht ansprechend und sprachlich meist mit Witz daher … sisch all daa, hets Müsli gseit und ids Meer bislet.

    9. Administrator Says:

      @Gufechüssi

      „das sich der Sprachgebrauch in der Schweiz von demjenigen in Deutschland unterscheidet“…

      Aber darum geht es doch gerade auf der Blogwiese! Die Varianten der Sprachen aufzeigen, erklären, kommentieren, begreifen, aneignen, alles was Du willst. Es geht doch nicht um „Wertung“ oder „sich lustig machen“. Lies mal über den Vergleich: „Autobahndreieck vs. Verzweigung“ am Ende von http://www.blogwiese.ch/archives/20

      Die Blogwiese will den Deutschen zeigen, das es noch wesentlich mehr Varianten in der Sprache gibt, als sie bisher kannten, und die Schweizer dafür sensibilisieren (tolles Fremdwort!), wie oft sie Wörter verwenden, die im nördlichen Sprachraum kaum oder selten verstanden werden.

      Meine „Akzeptanz“ hast Du, und oft genug bemerke ich, wie hölzern und umständlich etwas auf Hochdeutsch klingt (Beispiel „Vorkehrungen treffen“) und wie elegant und treffend es auf Schweizerdeutsch gesagt werden kann (einfach „vorkehren“). Bei der Schweizer Redewendung „für eimal“ habe ich mittlerweile echt Mühe, eine passende Ausdrucksform auf Hochdeutsch zu finden, so elegant ist die.

      Wenn jemand keinen Vergnügen daran hat, diese sprachlichen Beobachtungen zu lesen oder zu kommentieren, na dann soll er es eben lassen.
      Ich entdecke sehr gern täglich unsere gemeinsame Sprache neu, in all ihren Varianten (denk mal an die vielen Wörter für „Schluckauf“!) und bin fasziniert, wieviel es da noch zu entdecken gibt. „Wertungen“, was gut oder schlecht ist, halte ich für Sprachen völligen Quatsch. Sprache besteht aus Konventionen, und wenn viele Leute lieber „Mein Bruder sein Auto“ statt „Das Auto meines Bruders“ sagen, dann wird das über kurz oder lang auch im Duden als Regel festgehalten.
      Und ich wette, in 4 Jahren ist das Wort „Konkordanz-Demokratie“ auch in Deutschland ein feststehnder Begriff, wenn Merkel & Co. fertig regiert haben in hübscher Eintracht 🙂

      Gruss, Jens

    10. doofi Says:

      @ Guechüssi
      wer sagt denn, dass Jens oder sonst wer, der hier mitdiskutiert, es nicht „begriffen hat, dass der Sprachgebrauch in CH anders ist als in D“. Aber deshalb kann man sich doch drüber freuen, lachen, weinen, aufregen, belehren, fragen, interessieren, motzen….

      Ausserdem hast du die Spielreglen nicht korrekt befolgt. Zuerst kommt nämlich normalerweise der Satz des (eigentlich pikierten, aber natürlich höflichen) Schweizers, dass Herr Wiese ja schon sehr lustig, witzig und originell ist (um zu beweisen, dass man ja schon recht tolerant ist, sogar den Deutschen gegenüber) und dann erst kommt das aaaaaaaaaaaaaber (und dann wird geschrieben, was man wirklich denkt von diesen eingebildeten egozentrischen Leuten aus D).

    11. Gufechüssi Says:

      1. OK – vielleicht habe ich einfach beim Lesen die falsche Brille aufgesetzt gehabt. Für mein Empfinden schwingt halt bei Deinen Beiträgen (denjenigen, die ich gelesen habe) so ein Unterton mit „ach, was sind DIE (Schweizer) doof, kompliziert, verschroben usw.-“ oder „guckt mal, was ich da wieder ganz besonders Schräges herausgefunden habe“ – das mit der Freude ob der Vielfalt klappt irgendwie nicht so ganz.

      2. Sagen wirklich so viele Leute „mein Bruder sein Auto“? Oder ist Dein deutsches Ohr noch zuwenig auf Schweizerdeutsch „getuned“? Ich höre eher „mim Brueder sis Outo“ = meinem Bruder sein Auto, womit wir uns wohl ganz langsam dem ominösen Killer des Genitivs nähern täten …

    12. Administrator Says:

      @Gufechüssi:
      1.

      „so ein Unterton mit “ach, was sind DIE (Schweizer) doof, kompliziert, verschroben usw.-”

      Da wäre ich Dir sehr dankbar, wenn Du mir die Stelle genauer angeben könntest, denn genau das liegt mir am aller entferntesten, diesen Eindruck aufkommen zu lassen. Nur manchmal habe ich das Gefühl, die Schweizer fühlen sich recht wohl im „beleidigte Leberwurst spielen“.

      “guckt mal, was ich da wieder ganz besonders Schräges herausgefunden habe”

      Das ist doch aber für meine Deutschen Augen oft „schräg“, wenn man in Zürich „vorkehrt“. So wie es für Schweizer merkwürdig ist, wenn in Deutschland alle Eisdielen „Venezia“ heissen (siehe http://heidiswelt.blogspot.com von heute)

      In dem ich es besonders beleuchte und hervorheben, fällt es dann vielleicht auch Schweizern auf, dass es sich bei einer Sprachvariante um was spezifisch Schweizerisches handelt.

      2. „mein Bruder sein Auto“ oder „Meine Oma ihre Wohnung“ sagen die Leute in meiner Heimat, dem Ruhrgebiet. Das habe ich nur so als Beispiel genommen, in der Schweiz kommt das nur in der von dir zititierten Form vor…. Genetiv is sowas von erledigt, würde ich mal sagen.. Ausser auf der Homepage der Berner in Zürich natürlich, siehe http://www.blogwiese.ch/archives/190

      Gruss, Jens

    13. Cornelia Says:

      Trennbarkeit wird im Duden leider nicht direkt angegeben. Eine Google-Belegstelle kann ich auch nicht anführen. Trennbare Verben sind nicht die einfachsten Beweisgegenstände und leider findet man vor allem Belege mit dem Kehren vor Türen….
      Meine Beweisführung ist daher indirekt. Vorkehren ist auf der ersten Silbe betont. Das ist so für die Schweizer Bedeutung im Duden vermerkt. Trennbare Präfixe (wie zum Beispiel auf- in aufstehen) sind betont. Untrennbare nicht. Voilà. Vorkehren (mit betontem Präfix) ist ergo betont.

      Falls ihr mir das mit der Betonung nicht glauben wollt hier ein paar Beispiele:
      Das Verb umfahren gibt es zweimal. 1. trennbar (etwas über den Haufen fahren) und 2. untrennbar (einen Umweg machen).

      1. Ich fahre den Baum um
      2. Ich umfahre den Baum.

      Die beiden Verben unterscheiden sich im Infinitiv aber in der Aussprache. Bei 1 ist das Präfix betont, bei 2 nicht.

    14. Cornelia Says:

      Nachtrag:
      Ich habe inzwischen noch das Variantenwörterbuch bemüht. Der Beispielsatz zu vorkehren lautet: „Ich überlegte mir, was bei seinem Tod vorzukehren wäre.“
      Dank dem eingeschobenen zu ist jetzt klar: vorkehren ist tatsächlich trennbar.

      Mit dem Suchwort „vorzukehren“ findet man bei google jetzt endlich die bis anhin vermissten Treffer in der gewünschten Bedeutung.

      So ist das. Wenn man’s gefunden hat, weiss man meistens auch wo suchen 🙂

    15. Cornelia Says:

      Zum dritten:
      für den Gegenbeweis „zu vorkehren“ finden sich keine Belege. Bei den 16 Treffern handelt es sich immer um zu plus Nomen.
      Überzeugt? 😉

    16. Administrator Says:

      @Cornelia
      Wow, ich sag nix mehr, zieh den Hut
      und verneige mich gaaaanz tief
      vor soviel Beweiskraft Scharfsinn!
      Kehren wir also in Zukunft einfach besser vor!
      (und lassen die Schwäbische „Kehrwoche“ davon unberührt)

      Gruss, Jens

    17. Gizmo Says:

      Hallo Jens, bei dem beleidigte Leberwurst spielen kann ich Dir nur zustimmen. Das erlebe ich jeden Tag beim Autofahren… Aber das ist ein anderes (trauriges) Kapitel….

      Und ich denke jeder liest die Beiträge so wie er sie will. Wenn man sich unbedingt ans Bein gepinkelt fühlen will, dann kann man sich das solange schlecht lesen bis man sich drüber aufregen kann, und das ist ja auch so ne Art Volkssport in der Schweiz so nach dem Motto „ich tret dir mal gepflegt und höflich gegen das schienbein, und wenn du dann aua sagst rege ich mich drüber auf das Du das nicht toll findest…“

    18. pit vo lissabon Says:

      niemand hat es bemerkt, dass die wendung „mein bruder sein auto“ ein erster ansatz zu einer echten reform der deutschen sprache sein könnte. die engländer jedenfalls leben sehr gut ohne den grossteil des uberflüssigen flexions-endungs-ballastes.