Es hat berichtet — In der Schweiz ist immer alles Perfekt
Juli 8th, 2010(reload 20.2.07)
Das Schweizer Fernsehen bietet einen genialen Service an für alle Menschen, die keine Zeit zum regelmässigen TV-Konsum haben und einen bestimmten Beitrag, eine Serie oder eine Dokumentation ein paar Tage bis Monate nach der Erstausstrahlung anschauen möchten. Auf SF-Videos kann man sich zu ca. 44 verschiedene Sendungen als Stream ansehen. Von der Schweizer Tageschau (noch am gleichen Abend verfügbar) über das Schweizer Pendant zum ZDF Heutejournal, der Nachrichtensendung „10 vor 10“ (wird mit 24 Stunden Verzögerung aufgeschaltet) bis hin zu QUER oder „Lüthi und Blanc“, der Schweizer Schokoladen-Soap-Serie bis Mai 2007 mit der zauberhaften Katharina von Bock, die wir im CLUB kennenlernen durften. Den Videostream gibt es je nach Bandbreite wahlweise in 80 kbit/s oder 450 kbit/s Qualität zu sehen. Die Sendungen in diesem Online Archiv sind zum Teil zurück bis ins Jahr 2003 abrufbar.
Berichtet wird stets im Perfekt
Wer sich dort die Mühe macht und ein paar alte „10 vor 10“ Sendungen anschaut, wird feststellen, dass auch in der hochdeutschen Nachrichtensprache dieser Sendung die Vergangenheit stets nur „perfekt“ abgeschlossen ist.
(Quelle Foto: ulrich-tilgner.com)
Wenn wieder einmal der deutsche Journalist Ulrich Tilgner für das Schweizer Fernsehen aus Amman berichtet, folgt als Abschlussatz der Moderatorin „Ulrich Tilgner hat berichtet“.
Niemals „das war aus Amman Ulrich Tilgner“ oder „es berichtete Ulrich Tilgner“. In der Schweiz herrscht das Perfekt, einfach nur immer die abgeschlossen Vergangenheit, niemals die einfache Vergangenheit Präteritum.
Auch bei Schweizern, die nahezu aktzentfrei flüssiges Hochdeutsch sprechen, ist die regelmässige Verwendung des Perfekts die beste Methode, um sie zu entlarven. Es wird in der Regel perfekt und hyperkorrekt eingesetzt, anders als das Präteritum, von dem viele Schweizer hier im Blog geschrieben haben, dass sie sich bei seiner Verwendung unsicher fühlen, einfach weil es diese Zeit im Hoch- und Höchstalemannischen nicht gibt.
Wir lernen bei Wikipedia über die Zeiten im Alemannischen:
Wie in allen süddeutschen Dialekten gibt es auch im Alemannischen kein Präteritum. Stattdessen wird stets das Perfekt verwendet. Zum Ausdruck der Vorvergangenheit dient das doppelte Perfekt, beispielsweise i ha’s gmacht gha ‹ich habe es gemacht gehabt (ich hatte es gemacht)›.
(Quelle: Wikipedia)
Um es ganz deutlich zu sagen: Die Verwendung des Perfekts in einer Sendung wie „10 vor 10“ ist nicht falsch (und wir haben da auch nix dran zu nörgeln, bevor jetzt dieser Einwurf kommt 😉 ), sondern einfach für standarddeutsche Zuschauer oder Zuhörer ungewohnt und auffällig regelmässig. Es ist jedesmal wie ein radikaler Abschluss eines Teils der Sendung. „Er hat berichtet“, danach muss jetzt etwas Neues kommen. Eine künstliche Überleitung ist nun nicht mehr möglich. Die Kunst der fingierten und gesuchten Überleitung von einem Thema zum nächsten ist sowieso nicht jedermanns Sache. Dann doch lieber die radikale Thema-Wechsel-Methode der berühmten Monthy Python Truppe: „And now for something completely different!“
Sie sprechen abwechselnd im Perfekt, Präteritum oder auch ganz dramatisch im „gelebten“ Präsens, je nachdem was am einfachsten für sie ist, gemäss dem Gesetz der „Ökonomie der Sprache“.
„Die Sprache folgt,“ so [Dudenchefs Günther] Drosdowski (…), „dem Gesetz der Ökonomie, indem sie mit einem Minimum von geistigem Aufwand ein Maximum kommunikativer Wirkung erzielt.“
(Quelle: sprach-werner.info )
Häufig wird das zusammengesetzte Perfekt nicht in allen Bestandteilen deutlich betont sondern verschliffen und genuschelt. Aus „das habe ich gesagt“ wird dann „das hab‘ ich gesagt“. Aus „hast Du das verstanden“ wird „hasse das verstanden“ oder „hass‘ das verstanden?“, je nach Herkunft und Dialektregion des hochdeutschen Sprechers.
(zweiter Teil Morgen:
„Sie sprechen jetzt Hochdeutsch, Herr Mörgeli“ — Über die Soziolekte „Oxford English“ und „Hochdeutsch“)