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Hader niemals mit dem Kader — Marxistische Soziologiebegriffe im Schweizer Alltag

(reload vom 9.2.2006)

  • Hader niemals mit dem Kader
  • Ein Deutscher Arbeitsloser, der sich auf dem Schweizer Stellenmarkt umschauen will, stösst bald auf einen Begriff im Anzeigenteil der Zeitungen, mit dem er in Deutschland ganz andere Dinge verbindet als ein Schweizer in der Schweiz:

  • Der Kader
  • Für Deutsche ist dieser Begriff negativ verbunden mit der DDR-Vergangenheit. Dort gab es die „Kader-Schmieden“ im Hochleistungssport. Dort wurde gedoped und gespritzt, was das Zeug hielt und die Pharmaindustrie hergab. Ein Kader, das weckt also Erinnerungen an die DDR, an Besuche bei den lieben Freunden in Moskau, den Parteikadern.

    Der Ausdruck Kader (v. frz. quadre, cadre Geviert, besonderer Bereich, entlehnt aus russ. kadr) bezeichnet ursprünglich eine besondere Gruppe militärischer Vorgesetzter.
    Im sowjetischen Einflussbereich waren Kader ein durch politische und fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten führender Personenkreis im Partei- und Ideologiebereich „Parteikader„, „Führungskader„, „Leitungskader„, „Nachwuchskader„, „Kaderpolitik„). Insbesondere zählten die Funktionäre der Parteien und Massenorganisationen (Leitungskräfte) und die Hoch- und Fachschulabsolventen (Experten) dazu, normale Werktätige aber nicht. „Reisekader“ hatten die Erlaubnis, im „nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ Aufgaben für ihre Betriebe oder Institutionen zu erfüllen.
    (Quelle: Wiki)

    Der Begriff „Kader“ wird in Deutschland heute ausschliesslich im Sportbereich verwendet, und niemals für eine Führungskraft: Google-Deutschland hat 2.930.000 Belege. Anstatt „Kader“ sagt man also ist in Deutschland immer eine „Führungskraft“ (niemals nie ein Führer, denn der ist ja abgeschafft, vgl. Blogwiese ) oder ein „leitender Angestellter“ (nicht zu verwechseln mit dem „leidenden Angestellten“).

  • Kader-Vermittlungen und Kaderstellen
  • Auch die Geschäftsidee der „Kader-Vermittlung“ war uns völlig unbekannt, als wir noch nicht in der Schweiz wohnten. Solche gibt es in Zürich, Basel und Bern in der Innenstadt massenhaft. Ihr Job ist es, Stellenanzeigen von Firmen auszuwerten, dann selbst einen passenden Kandidaten durch Kopfgeldjäger (Neudeutsch „Headhunter“) zu finden, um anschliessend ihre Beutestücke (möglichst lebend) gegen Lösegeld an interessierte Firmen weiterzuverscherbeln.

  • Spezialverband für Kaderkräfte
  • Es gibt sogar eigene Verbände für Kader. Ein Kaderverband wie der „Schweizer Kaderverband“ definiert sich so:

    Der Schweizerische Kaderverband ist ein Interessenverband (keine Gewerkschaft), der bestrebt ist, Selbständigerwerbenden und Kaderpersonen entscheidende Vorteile zu bieten: günstige Angebote, insbesondere durch die Realisierung von Kollektiv-Abschlüssen für die Mitglieder. (…)
    (Quelle:)

    Die flüssige Aussprache „Selbständigerwerbenden“ müssen wir aber noch üben, ich lese da immer „selbständiger werbend“ irgendwie.

  • Kader im Kollektiv
  • So treten die Kader also gleich im Kollektiv auf. Auch dies ist für die meisten Deutsche ein aus der DDR-Vergangenheit bekanntes Wort, gleichfalls politisch vorbesetzt. Es erinnert an „Ernte-Kollektive“ und Brigade. Wiki meint dazu:

    Der Begriff wird in der marxistischen Soziologie den sonst üblicheren wie Gemeinschaft, Gruppe, Organisation vorgezogen und betont dann die bewusste Zielausrichtung eines „Kollektivs„. In der DDR entsprach der Begriff „Kollektiv“ ungefähr dem, was man in der Bundesrepublik Deutschland Team nennt; doch wurden in Verlautbarungen und Agitprop auch große Kollektive zitiert, wie die Arbeiterklasse, die durch das Wort „Team“ nicht mehr erfasst werden. (Eine andere in der DDR für ein Kollektiv verwendete Bezeichnung war Brigade.)
    (Quelle: Wikipedia)

    Kader kann jeder werden in der Schweiz, auch ohne Sport zu treiben. Damit es besser klappt, gibt es jede Menge Schulen für Kader. Google-Schweiz findet 31.000 Belege dafür! Zum Beispiel die Kaderschule Zürich, mit einem eigenen Kaderforum:

    Kaderforum: Kompetenz und Führungsstärke
    Mitarbeiter im Kader stehen unter erheblichem Erfolgs- und Innovationsdruck. Permanentes Lernen ist notwendig, um die professionellen Herausforderungen erfolgreich zu meistern.

    Immerhin wird hier nur „permanentes“ Lernen, und nicht „lifelong learning“ gepflegt, was sich in unseren Ohren immer ein bisschen wie Knast anhört.

  • Motto: Try harder, become a Kader!
  • Zum Abschluss noch eine kleine Stilübung. Wie sagt man den folgenden Satz auf Schwiitzerdütsch?
    „Komm kleiner kräftiger Kerl, kannst kluge Kader kennenlernen!“
    (Vorschläge mit weniger als 5 CHs werden nicht akzeptiert)

    

    3 Responses to “Hader niemals mit dem Kader — Marxistische Soziologiebegriffe im Schweizer Alltag”

    1. solanna Says:

      Chumm chliine chreftige Kärli, chasch gschiidi Cheibe käneleere!

    2. AnFra Says:

      Zu der Beschreibung des Ausdruckes „Kader“, welches sich aus dem russ. „kadr“ entlehn habe, ist folgendes zu sagen.

      Dieser Begriff „kadr“ ist m. E. ursprünglich eine Entlehnung, und zwar aus der französischen Militärnomenklatur „cadre“, welche sich selbst aus der röm. Quelle für Quartier, Stadtteil, Viertel = afrz. „quartier“, dies aus lat. „quartarius“ (Viertelmaß) uam. erschließt.

      Im 17. JH wurde durch Zar Peter den Großen eine entspr. Heeresreform in Russland durchgeführt, bei welcher die französische Armee das Vorbild gewesen ist. Der franz. Einfluss wirkte noch merkbar bis zum 1. WK nach.
      Eine Ursache der Verwirrung beim russ. „kadr“ liegt sicherlich darin, weil in der russ. Sprache öfters die Buchstaben „e“ verschluckt werden, wie z. B. Peter = Piotr (Petr), lt. Caesar = dt. Kaiser = russ. Zar, Alexander = Aleksandr uam. So ergibt sich schon fast von selbst diese Veränderung vom frz. „cadre“ (dt. „Kader“) zum russ. „kadr“!
      Denn über die oström.-byzant. Verbindung, welche bis zum 12.-13. JH wirkte, kann dieser Begriff sicherlich nicht gekommen sein, da danach noch die ca. 3 Jahrhunderte der moskiwitisch-russ. Abhängigkeit vom mongolisch-tartarischen Herrschaft zeitlich und funktionell dazwischenliegen.

      Also kann es nur ein neuer, eventuell im 18. / 19. JH, aus dem westlich-romanischen Sprachbereich ein Zuwanderer sein!
      Der Eintrag in Wikipedia scheint unrichtig aus dem Duden „Herkunftswörterbuch Nr. 11“ übernommen und dann auch noch falsch ausgelegt worden zu sein. Denn in diesem Duden steht:… Kader….wichtige Funktionen in Partei……haben, Mitglied eines solchen Kaders ist“ ist ,Kader, Bedeutungslehnwort von. russ. „kadr“. Dies ist ins Wiki übertragen worden, als wenn der Begriff „Kader“ ursprünglich aus einer russ. Quelle stammen würde.
      Als politischer Begriff „Kader“ ist es sicherlich aus dem polit.-gesellschaft. Umfeld aus der russischen Revolutionsentwicklung von den übrigen Propagandisten übernommen worden, jedoch ist der Begriff für eine erfahrene, substanzielle Kernformation beim Militär, eine eindeutig französischen Ursprungs.

      Möglicherweise kann man in der russ. „Revolution von 1905“ eventuell von Vorformen von „polit. und gesellschaftl. Kadern“ sprechen, jedoch aber mindestens in der „Revolution von 1917“!

      Vermutlich ist der Begriff „Polit-Kader uam“ mit dem W. Lenin 1917 aus Zürich / CH , über Gottmadingen / D nach St.Petersburg / R exportiert worden. Der L. Trotzki hat sein Senf auch noch kräftig dazugegeben.

      Genaueres hierzu könnte uns echte militante Marxisten und Leninisten bieten.

    3. thomas Says:

      Wenn es nicht schon klar war: In Deutschland und Österreich ist der zu Kader gehörende Artikel wohl «der», hierzulande aber «das»! Eine Entsprechung findet sich bei E-Mail: In De wird E-Mail (für mich seltsamerweise) weiblich gemacht, die E-Mail also, in der deutschpachigen Schweiz ist «das» E-Mail korrekt.

      -> solanna
      Kräftig existiert nicht im Schwiizerdüütsch, und auch kennenlernen eigentlich nicht. In den letzten Jahren haben sich leider viele deutsche Begriffe in die Mundart eingeschlichen. Böse Zungen behaupten, schuld seinen die VJs der Privatsender gewesen, welche deutsche Texte unmittelbar vor der Kamera beim Dreh in sogenannte Mundart umformuliert haben. Wie auch immer.
      Übrigens kennen unsere Dialekte auch keine Zukunftsform (Futur). Es wird die Gegenwartsform genannt und umschrieben. Das scheint aber seit ein paar wenigen Jahren niemanden mehr zu kümmern.