Die Katastrophensprache Hochdeutsch wird ausgeblendet — Neues aus dem Zürcher Tramalltag
Der Klang von Hochdeutsch hat für für Schweizer Hörer immer einen „offiziellen“ Charakter, für Ankündigungen auf dem SBB-Bahnsteig der sonst ein Perron ist, oder für Staumeldungen auf der Autobahn in Richtung Gotthard und Tessin. Wenn der Spreche ins Hochdeutsche wechselt, dann wird eine Warnung ausgesprochen, oder dezent auf eine Katastrophe hingewiesen, die auch etwas kleiner sein kann, wenn es sich um die technischen Probleme einer Strassenbahn handelt.
Im Tages-Anzeiger vom 8.9.08 fanden wir diese kurze Notiz zum Thema „hochdeutsches Höverständnis“, aus der man viel lernen kann über die Wahrnehmung der „Katastrophensprache Hochdeutsch“
Zürich. – Kürzlich im Zweier-Tram vom Bellevue Richtung Stauffacher. Eine Durchsage in gepflegtem Hochdeutsch weist die Passagiere höflich darauf hin, dass dieses Fahrzeug technische Probleme habe und zurück ins Depot müsse. Die Fahrgäste seien gebeten, das Tram am Paradeplatz zu verlassen und in eine nachfolgende Komposition zu wechseln. Die Angesprochenen nehmens ohne sichtliche Reaktion zur Kenntnis – oder auch nicht. Kurz vor dem Paradeplatz dann eine knappe Ansage aus dem Führerstand, die alle weckt und Wirkung zeigt: «Bitte alles uusstiige, das Tram isch kaputt.»
(Quelle: Tages-Anzeiger vom 8.9.08 Seite 15)
(Zürcher Tram am Knabenschiessen)
Dass ein Tram zurück ins „Depot“ muss, versteht ein Zuhörer aus Deutschland, denn er kennt sehr wohl das lange Wort „Strassenbahndepot“. (33 000 Funde bei Google-DE), während dieser Ort in der kleinen Schweiz als „Tramdepot“ (17 000 Fundstellen) bevorzugt bezeichnet wird.
Die „Kompositionen“ erinnern dann eher an moderne Musik, aber quietschende Räder eines Trams könnten ja auch dahin gehend aufgefasst und interpretiert werden. Eindrücklich an dieser Geschichte ist der geschilderte Mechanismus der „aperzeptiven Filterung“ des Gehörten. Hochdeutsche Durchsagen sind nicht wichtig, gelangen folglich nicht ins Gemüt oder ins Handlungszentrum des Zuhörenden. Das hochdeutsche Hörverständnis muss eingeschaltet sein, genau wie ein Deutscher sich beim Hören von Schweizerdeutsch darauf einlassen muss. Wenn man in der falschen Sprache zuhört, versteht man nichts, oder es kommt zu Missverständnissen, denn unser Gehirn versucht fleissig, zur vermeintlich gehörten Lautfolge einen passenden Sinn zu finden.
Die hochdeutsche Ansage in der Strassenbahn, unter Verwendung von Passiv „sind/werden gebeten“ und Fremdwörtern „Kompositionen“, wird einfach ausgeblendet. Wird schon stimmen, was diese offizielle Stimme sagt. Berührt mich nicht. Nach dem Motto. „Wenn ich was Hochdeutsches höre, denke ich einfach nicht hin“ .
September 22nd, 2008 at 7:32
1. auf dem Bild ist aber nicht die 2 sondern die 13 abgebildet.
2. das gibt es nur in Zürich. Obwohl ein Zuercher ja offensichtlich Hochdeutsches Fernsehen sieht, aber offensichtlich ohne es zu verstehen – jetzt wird viels klar 🙂
3. das „Hochdeutsch“ der Katastrophenankündigung dient ist so nicht zutreffend. Das bezieht sich nur auf „Schweizer Hochdeutsch“.
4. wie sollen die armen Zürcher Trambenutzer auch etwas mitkriegen, wenn sie beim Ertönen der „hochdeutschen“ Sprache erst einmal unter die Sitzbänke flüchten und dort auf das Weltende warten?
5. „knappe Ansage aus dem Führerstand“ – besonders ein Zuercher wird eben eine solche mit Begeisterung befolgen. Leider nur aus dem -stand, nicht aus anderen „Gebäuden“. 😉
6. erinnert doch an die „Devisen“. Klare Ansage: „Britische Pfund“ – und die Probleme sind gelöst. Also sind
7. „die Schweizer“ (die es ja eben nicht gibt) offensichtlich direkt … war Heidi also doch Schweizerin
September 22nd, 2008 at 9:18
Ich weiss nur, wenn schweizer Kinder im Kindergarten oder in der Schule,die Bösen & Kriminellen aus dem Vortags-TV-Programm nachspielen…immer hochdeutsch sprechen, während die andere Szenen, die im Originaltitel auch in Hochdeutsch waren teilwiese ins schwyzerdütsche übersetzt werden.
September 22nd, 2008 at 10:30
Servus… hochdeutsch wird ausgeblendet, weil es ja jetzt Standardsprache heisst 😉 und ausserdem… einen Zürcher versteht man eh nicht. Das bezeichnet schon der Name der VBZ (verrecksch bim zueluege) 😀
September 22nd, 2008 at 11:49
Wie kann man denn in der falschen Sprache zuhören?
September 22nd, 2008 at 13:44
@ Simone: Das ist mir tatsächlich schon passiert! Wenn man in der Schweiz im Kino sitzt und den Ami Film kuckt, die Untertitel in Deutsch mitliest und mit halbem Ohr die Englische Sprache mithört, dann plötzlich, kommt ne Szene mit bösen Nazis, die sprechen dann Deutsch und die Untertitel wechseln in Englisch. Bis das Hirn Umgeschaltet hat, ist die Szene vorbei, und Du hast in der falschen Sprache mitgehört.
September 22nd, 2008 at 16:15
Danke, Marroni!
In Schweden habe ich ab und zu auf Schwedisch geträumt. Heute träume ich höchstens noch von Schweden. So vergeht die Zeit!
September 23rd, 2008 at 1:06
Der Schweizer hört halt bei „reichsdeutschen“ Ansagen nicht hin *g*
September 23rd, 2008 at 9:18
„Das Tram“ assoziiere ich immer mit „das Trampeltier“ – weiß auch nicht warum…:)
September 23rd, 2008 at 10:33
Was mir auch aufgefallen ist, im Intercity der Deutschen Bahn schweigen alle wenn eine Lautsprecherdurchsage erfolgt, im Intercity der SBB wird munter weitergeschwatzt. Offenbar weisen die Deutschen mit ihrem ausgeprägteren Hierarchieverständnis einer eine Durchsage von höherer Stelle mehr Wert zu als der freiheitsliebende Schweizer. Fazit: Deutschland, mehr Mitgefühl für Lautsprecherstimmen 🙂
September 23rd, 2008 at 17:46
das jemand sich mit sowas beschäftigt zeigt genau das problem dass ich mit deutschen mitarbeitern habe: sie sind zum teil seit 5 jahren+ in zürich, haben nur deutsche freunde, wissen nix über unsere geschichte und kultur, und irgendwann fängt man sogar an zu motzen….
September 24th, 2008 at 8:51
@dude: Was Du beschreibst, ist nicht zwingend eine Frage der Nationalität. Ich kenne viele Walliser, die irgendwann mal nach Zürich gezogen sind, sich dort gar nicht darum bemüht haben, irgendwelche „Üsserschwizer“ Freunde zu suchen, irgendwann fanden Sie dann, Zürich sei doch „en Säich“, und sind wieder zurück.
Das muss an der Engstirnigkeit des Menschen an sich liegen, die scheint überall auf diesem Planeten ein wenig herumzugeistern.
Klar, eigentlich ist es schade, aber ich denke mir immer, am meisten eigentlich für die, die es selber gar nicht merken, was Sie alles verpassen.
September 25th, 2008 at 18:10
@Adrian
Dass deutsche bei Durchsagen im Zug still werden und zuhören, hat nichts mit Autoritätsgläubigkeit zu tun, sondern mit der Seltenheit des Geschehens. Die DB ist äusserst zurückhaltend mit informationen – egal ob der Zug liegengeblieben ist oder Verspätung hat: Der Grund bleibt unbekannt. Da muss man schon sofort zuhören, wenn es dann doch mal eine Durchsage gibt („losse wie’d Schwii im Föö“ – zuhören wie die Schweine im Föhn – wie der Glarner sagen würde). Hingegen ist die SBB sehr mitteilsam: Da kann man ruhig weiterplaudern, die informieren schion nochmal…