Benützt ein Benutzer? Oder benutzt ein Benützer?
Mein erster Schweizer Arbeitgeber gab mir vor etlichen Jahren den Auftrag, ein „Benützerhandbuch“ für eine Softwarelösung zu erstellen. Ich passte nicht richtig auf und schrieb prompt stattdessen ein „Benutzerhandbuch für die Benutzer“. Nach der ersten Korrektur durch eine Schweizer Mitarbeiterin wurden dann wieder „Benützer“ aus den „Benutzern“. So lernte ich meine erste original Schweizer Schriftsprachenvariante. Es sollten noch viele weitere folgen. Sucht man „Benützer“ bei Google-CH, so finden sich 38‘000 Fundstellen, bei Google-DE nur 24‘000. Der Befund ist also eindeutig, wer wo welches Wort benutzt / benützt.
Benutzt ein Benutzer etwas, oder sollte ein Benützer eine Sache benutzen? Der Duden verschafft Klarheit, denn dort heisst es:
Benutzer, (südd., österr. u. schweiz. meist:) Benützer, der; -s, -: jmd., der etwas [leihweise] benutzt.
(Quelle: Duden.de)
Erstaunlich, dass hier die Süddeutschen und Österreicher auch mit von der Partie sind. Die sprachwissenschaftliche Grundfrage hierzu muss lauten, ob die Verben „benutzen“ und „benützen“ tatsächlich absolut 100 % synonym sind, denn das kommt nur sehr selten vor in der Deutschen Sprache. Meist gibt es doch eine kleine Variante und Nuance in der Nebenbedeutung. „Samstag“ und „Sonnabend“ sind nicht 100% synonym. „Tischler“ und „Schreiner“ waren ursprünglich zwei verschiedene Berufe. Wenn ich eine Sache „benutzte“, nutzt sie sich dann stärker ab, als wenn ich sie nur „benütze“?
Wir fanden „Benützer“ auf diesem Hinweisschild in einem Schweizer Bergwald:
(Quelle Privates Foto)
„Als Benützer dieses Weges nehmen Sie Kenntnis von diesen naturgegebenen Tatsachen“.
Ob das Sturzholz nun eher sturzt oder stürzt, war uns auch nicht ganz klar. Soll niemand behaupten, die Schweizer Forstwirtschaft kann sich nicht gewählt ausdrücken. Etwas weiter stand dann noch ein Schild, das einen aufforderte, im Wald nicht stehenzubleiben, wegen der Steinschlaggefahr. Ist die Wahrscheinlichkeit, vom Steinschlag getroffen zu werden, im Laufen höher oder geringer als beim Stehen an einer gefährlichen Stelle, fragten wir uns dann. Kommt ganz auf die Länge der Gefahrenzone an, wahrscheinlich.
Irgendwie erinnerte uns dieser Tipp, im Wald nicht stehenzubleiben, an die Begründung, warum Nordirische Dudelsackspieler beim Spielen in der Öffentlichkeit nie auf der Stelle stehen sondern immer langsam hin und her wandern: Bewegliche Ziele sind schwieriger zu treffen.
P.S.: Wer das Schild genau liest, erkennt leicht, dass die „Benützer“ auf Englisch nicht zu „Users“ wurden, sondern zu „Walkers„. Welcher Brite käme schon auf die Idee, „to use the forest“ zu sagen? Ist doch useless, so ein Forest.
September 2nd, 2008 at 8:03
Die Schweizer lieben diese etwas weicher und sanfter klingenden Umlaute. Mir ist das bei Dürrenmatts „Der Richter und sein Henker“ aufgefallen. Da gibt es den Herrn Kommissär.
September 2nd, 2008 at 8:46
Auch europäische moderne Verantwortungsdelegierer sind es so langsam in nordamerikanischer Weise gewöhnt (oder gewohnt?), dass jede Gefahr signalisiert wird. Hier ist vielleicht die geeignete Stelle, einen Auszug aus dem Theoriebüchlein zur Fahrprüfung anzubringen, der mir besonders hängen geblieben ist, und der vielen Leuten auch wieder mal in Erinnerung gerufen werden dürfte: „Nicht jede Gefahr kann signalisiert werden!“
Ausserdem ist es tatsächlich unmöglich und juristisch klarer, einen allgemeinen Gefahrenhinweis aufzustellen, als vor jedem potentiellen Steinlawinenkegel, Kalkgesteinüberhang und jedem kranken Baum mit höherer Ästefall- und Umsturzgefahr ein Schild aufzustellen. Die Wanderer, die nur „für einmal“ in den Wald gehen, wären wohl am meisten überrascht, wenn sie plötzlich vor lauter Gefahrenschilder den Wald nicht mehr sähen.
Mir fällt eben eine ähnliche aber signalisierte (DE: beschilderte) Gefahr ein, die ich hier mit einer provokativen Frage assoziieren möchte: Wieso ist an den Strassen die quer vor Start- und Landepisten von Flughäfen/ -plätzen verlaufen, immer ein Halteverbot angebracht? Werden bei einem Flugzeugcrash weniger Opfer gefordert, wenn der Strassenverkehr bewegt, als wenn er steht? Da ich nicht Pilot bin, vermute ich bloss, dass auch hier bewegliche Ziele schwieriger zu treffen sind.
Die Nutzer (oder Nützer, oder Nutzniesser, oder Nützniesser?) des Waldes gibt es doch auch. Die brauchen (eng.: to use) den Wald aber für andere Zwecke als „bloss“ zum wandern.
September 2nd, 2008 at 10:15
Das schönste Wort auf dem Hinweisschild ist“naturgegeben“. Das erklärt einfach alles. Ob der Gebrauch von u oder ü bevorzugt wird, hängt von „Standort“ ab.
Ein Naturvolk benützt/benutzt Naturlaute.
Der Gebrauch der Grammatik – ebenfalls naturgegeben. Der Konjunktiv – s.o.
September 2nd, 2008 at 10:20
@ Phipu: Die um sich greifende Manie, alle Gefahren zu signalisieren/beschildern, ist auch für mich ein Graus. Auf unseren abgepackten Käsepackungen (die in Frischhaltefolien eingeschweißten) steht doch allen Ernstes: „Vor dem Verzehr bitte Folie entfernen.“ Bitte??? Vielleicht sollten wir alle auf das Brett vor dem Kopf einen Aufkleber bekommen: „Vorsicht, leben ist gefährlich!“ Kleiner Lesetipp zum Thema unter http://www.wiseguys.de/cgi-bin/gb/public/wg_gb.cgi?P=1&wg=eddi&search=erdn%FCsse.
Übrigens bin ich gerade von einer sehr schönen Fahrradtour durchs Elsass und die Schweiz wiedergekommen. Das Elsass ist ja in den Städtchen sehr romantisch und nett hergerichtet, aber sobald man durch irgendwelche Industriegebiete oder am Rhein entlangfährt, gehört „DANGER!“ und „INTERDIT!“ zu den meistgelesenen Wörtern. Sehr einladend. Und wenn man dann noch die Bunker-Anlagen am Rhein sieht, in erschreckend gutem Zustand…
Aber ich schweife ab: Eigentlich wollte ich doch nur auf den Loriot’schen „Original-Familienbenutzer“ hinweisen, „für den Herrn, für die Dame, für das Kind, gell?“ 🙂
September 2nd, 2008 at 10:28
@Phipu
Halteverbote in Gefahrenzonen machen schon Sinn, denn wer vor einer Landebahn ein Picknick abhält, setzt sich LÄNGER der Gefahr aus, ist also statistisch gesehen höher gefährdet als der Kurzzeitbenutzer.
September 2nd, 2008 at 12:21
@84: Na das mit den Erdnüssen ist schon nicht schlecht. Aber andererseits weiss man ja, dass heutzutage in Erdbeerjoghurt keine Erdbeeren enthalten sind. Muss man dann in Erdnussdosen mit Erdnüssen rechnen? 😉
September 2nd, 2008 at 12:43
An Bobsmile
Gut, habe ich auf meine provokative Frage eine Antwort erhalten. Nächste solche Frage (an alle): Kann man deine Antwort auch auf Gefahren wie Steinschlag oder Fallholz anwenden?
An Vierundachtzig
Habe den weiterführenden Link gelesen, danke – deshalb:
Warnung: Mein Text könnte Spuren von Ironie enthalten und deckt 0.3% des täglichen Denkbedarfs einer erwachsenen Person ab.
September 2nd, 2008 at 16:17
Beim Nutzwald wirds klar. Er bringt Nutzen – materielle Vorteile. Und wenn ich wandern gehe dann benütze ich ihn.
September 2nd, 2008 at 19:06
die Gefahr getroffen zu werden ist sicherlich direkt abhängig von der Zeit, während der man sich der Gefahr aussetzt.
Die Schilderitis geht wohl nicht zuletzt auf diesen Gerichtsfall zurück, in der die Bürgergemeinde, die den Weg in der Twannbachschlucht unterhält, verurteilt wurde. Das markierte einen weiteren Meilenstein der Verblödung der Gesellschaft. Item, es passt zu dem Phänomen, jedwelche Eigenverantwortung zunehmend abzulehnen und immer nach dem Staat, bzw. einem Schuldigen zu rufen. In 5 Jahren muss an Regentropfen stehen: „Vorsicht, kann zu Spritzwasserschäden führen“. Oder bin ich zu pessimistisch?
September 2nd, 2008 at 19:09
Korrigenda: Taubenlochschlucht war’s
September 2nd, 2008 at 22:23
Wissenschaftsbarockes Juristendeutsch erheitert oefters helvetische und andere Gemueter. Juristenfranzoesisch scheint aber kein Deut besser: «vous prenez acte de ce fait d’ordre naturel». Erinnert mich an das schulgelernte «De nos sentiments les meilleurs», wohl nur anwendbar, wenn man sich im franzoesischen Hofadel suhlt. Ich haette mich als Schildverantwortlicher fuer ein knappes, international verstaendliches «Capisce?» entschieden.
September 2nd, 2008 at 22:49
Wenn unsere Benützer in schönstem Amtsdeutsch einen Bergwanderweg begehen, auf Englisch aber ganz banale «Walkers» sind, lohnt sich doch ein Blick auf die französische Version auf der abgebildeten Tafel: «Vous empruntez un sentier de montagne» ist gutes, normales Französisch, auf Deutsch heisst das aber streng wörtlich: «Sie leihen sich einen Bergweg.»
Ich finde, wir sollten das auch einführen, und das sähe dann etwa so aus: «Jetzt geh endlich los zum Bahnhof, in fünf Minuten fährt dein Zug.» – «Nur keine Panik, ich leih mir die Abkürzung.»
September 3rd, 2008 at 18:00
Interessant finde ich ja auch noch, dass die Deutsch- und die Französischschprechenden Benützer/Wanderer die Gefahr lediglich zur Kenntnis nehmen sollen, während von den Englischsprechenden stattdessen verlangt wird, dass sie beim wandern Vorsicht walten lassen sollen. Also Englisch aktiv vorsichtig sein, Deutsch/Französisch passiv sich der Gefahr bewusst sein? Very amusing…
September 13th, 2008 at 0:21
Geht auch umgekehrt,
bei uns in Bayern sagt man „Er frägt“ und nicht „Er fragt“ – und zwar auch wenn es Hochdeutsch zugeht (Mundart wäre eher „Äa frrokt“). Man stelle sich meine Überraschung vor, da denkt man sein ganzes Leben man kann Deutsch und dann das 😉
September 25th, 2008 at 15:21
an Michi
Mir fiel eben wieder ein, dass ich auch schon ähnliche Wortspiele gehört habe, bei denen es um „sagen“ und „sägen“ ging. In den meisten Deutschschweizer Dialekten ist es nämlich gerade umgekehrt zum Hochdeutschen. „Wenn i öppis säge“ dann „sage ich etwas“ und „wenn i öppis versaage“ dann „zersäge ich etwas“.
Wenn ich es richtig im Ohr habe, führt das aber gerade im Basler Dialekt zu Missverständnissen, da es dort eben wieder hochdeutschähnlich ist. Können mir das indemische Basler bestätigen?
Juni 28th, 2011 at 18:08
Die Bedeutungsnuance zwischen benützen und benutzen liegt nach meinen deutschschweizer Ohren darin, dass die Benützer etwas nur anwenden oder gebrauchen – z.B. einen Waldweg -, während mit der Benutzung oft ein Verbrauch (Holzschlag) oder gar ein Missbrauch (Menschen oder Worte werden benutzt) verbunden ist. Hoffe, das nützt dem einen oder der anderen, um das richtige Wort zu finden.