-->

Wenn alles herzig ist — Variationen im Ausdruck der Schweizer

(aktualisierter reload vom 3.11.05)

  • Der Hund ist herzig

  • Wir hatten einen Hund, der war klein und schnuckelig, der war süss, sehr verschmust uns gegenüber, aber sehr knurrig und reserviert gegenüber Fremden. Für die Schweizer war er vor allem eins: herzig.

    Am Anfang haben wir noch gedacht, unsere Schweizer Nachbarn haben wirklich ein Herz für kleine Hund, denn ständig riefen sie aus „jööö, was ist der herzig!„. Dann wurde es irgendwann zur Manie für uns: Wo wir hinkamen, das erste was wir hörten war: „Ist der herzig„. Nein, es war nicht „harzig“ oder „herzlich„, es war „herzig, herzig, herzig„.

    Herzig“ scheint das einzige Adjektiv zu sein, dass die Schweizer für kleine Hunde kennen. So sind kleine Hunde nun mal. Gesteigert noch mit „jööö, soo herzig!„, oder „megaaa herzig!„.

  • Der Killerschnauzer war nicht herzig

  • Ich habe dann versucht, die Situation etwas aufzulockern, in dem ich die Warnung: „Vorsicht, gefährlicher Killerschnauzer im Anmarsch“ rief. Keine Chance, unser Hund konnte knurren was das Zeug hielt, er konnte schnappen, böse drein blicken, oder einfach das Weite suche. Er war immer noch „herzig„.

    Die Wortfolge „so herzig“ findet sich bei Google-Schweiz ca. 34.000 Mal (Beleg)

  • Kleiner Google-Schweiz Vergleich

  • „So süss“ gibt es immerhin noch 30.000 Mal, „so niedlich“nur 2.400 Mal. „so schnuckelig“ nur 13 Mal, „so fein“ nur 9.560 Mal und „so lieb“ 14.000 Mal. Was ich damit sagen will? Die Schweizer finden offensichtlich kleine, süsse, liebe und schnuckelige Hunde vor allem „herzig“, es besteht hier ein erheblicher Mangel an Ausdrucksvariationen.

    Ob wir unseren Hund doch „Horst“ oder „Karl-Heinz“ hätten nennen sollen, damit er ernst genommen wurde? Er hiess übrigens Anton, kam aber nicht aus Tirol, sondern aus einem alten Fernfahrergeschlecht aus Ungarn und ass am liebsten Paprika (auf Deutsch) / Peperoni (auf Schwizerdütsch). Er starb im Mai 2007 an den Folgern einer unheilbaren Infektion, die er sich wahrscheinlich durch einen Zeckenbiss zugezogen hatte. Er hatte ein sehr glückliches Leben und war ein prima Kumpel. Wir vermissen ihn sehr.

    Gefährlicher Killerschnauzer
    (In Memoriam Anton)

    Dabei gibt es noch so schöne andere Adjektive in der Schweiz.

  • Zum Beispiel „gäbig“

  • In einem Artikel des Tages-Anzeigers über das Schweizer Schulwesen heisst es: „Den Blockunterricht finden die Eltern ‚gäbig’.“ Immerhin wird das Wort „gäbig“ durch Anführungszeichen als „nicht-schriftfähig“ gekennzeichnet. Solche Vorsicht beim Umgang mit geschriebenen Dialektwörter findet sich nicht oft. Bei „gäbig“ war sie unnötig, denn das Wort ist im Deutschen Rechtswörterbuch verzeichnet mit den Bedeutungen „brauchbar, tauglich, freigebig, tauglich“ (Quelle).

  • Oder „rässer“

  • Einen „rässer“ Typen gibt es nicht, es sei denn, er hat Stinkefüsse (Hochdeutsch „Käsemauken„).
    Rässer“ ist die Steigerung von „räss„, also mehr als räss. Und „räss“ bedeutet soviel wie pfiffig, interessant, würzig. Das gilt nicht nur für Käse, sondern auch für Alpenschwinger.

    Etwas so Leckeres und Würziges wie Käse wird mit der Zeit nicht schlecht sondern höchstens „rässer„. Nur leider passt das nicht für unseren Hund, den der duftet angenehm „hundisch“, nur wenn er sich mal wieder in einer Jauchepfütze gesuhlt hat, zur Tarnung, damit ihn die Wildschweine nicht wittern können, dann riecht auch er ziemlich „räss„.

    

    13 Responses to “Wenn alles herzig ist — Variationen im Ausdruck der Schweizer”

    1. Psalmist Says:

      “so schnuckelig” gibts auch, aber in einer helvetisierten Version: „so schnüsig“. Das Wort klingt aber etwas altmodisch und wird drum zu „schnüge“, „schnüggig“ etc. variiert, was großstadttauglicher scheint. Mal abgesehen davon glaube ich, die Schweizer haben hier so wenig Variationsmöglichkeiten, weil sie eine „niedlich“-Aussage eher durch Kosenamen (s. z.B. hier: http://zuri.net/default.asp?action=slang&slangID=20) präzisieren als durch zusätzliche Adjektive – oder wie war das mit Huhn und Ei…? Das Vakuum im semantischen Feld um das Wort „herzig“ herum wird manchmal auch mit einem adjektivierten „dä (z.B. hund) isch so jöö“ gefüllt. „jöö“ kann aber als „Adjektiv“ nur prädikativ, nicht attributiv verwendet werden (also nicht: „das isch en jööe hund“).

    2. Barbarella Says:

      Oooh, ich finde, dass in der Schweiz auch sehr, sehr viel einfach „lässig“ ist … und bei uns? Hm .. ist es ziemlich unverbreitet was „lässig“ zu finden… außer vielleicht die Klassenarbeit, wenn man den totalen Durchblick hat ;o)

    3. Tschampina Says:

      Mhh, aber der deutsche Ausdruck „das find ich klasse“ find ich auch nicht gerade lässig.

    4. Tellerrand Says:

      Man spricht sogar vom Jöö-Effekt. Blonde Zwillinge im Kleinkindalter haben ihn, Hunde unterhalb einer kritischen Grösse und sonstiges Erfüller eines Wahrnehmungs-Schemas, das Harmlosigkeit und Schutzbedürfnis signalisiert. Ich besitze zwar keinen untergrossen Hund, dafür gehört eine Teil unserer Familie in eine andere der oben aufgeführten Gruppen und ich kann – ganz ehrlich – das „Jöö, wie herzig“ langsam nicht mehr hören. Die Variantenarmut der verbalen Reaktion hat etwas Mechanisches und stereotypen Verhaltensweisen geht irgendwie die „Herzlichkeit“ ab, (emp-)finde ich.

      @ Tschampina

      „Das find ich klasse“ kann je nach Situation eine ziemlich treffende Aussage sein. Wenn es jeder Deutsche in jeder Situation sagen würde, stellte das den Deutschen ein Spracharmutszeugnis aus. Da „das find ich klasse“ jedoch eher selten zu hören ist, ist es bestenfalls Geschmackssache, ob man den Ausdruck mag oder nicht.

      Wäre mal ein lustiger Test, zu überprüfen, was Du (und andere Schweizer) empfinden, wenn mein „Jöö, wie herziger“ Sohn plötzlich sagen würde: „das schmeckt primaklasselecker, Papi“. Das sagt mein Sohn nämlich tatsächlich zuweilen und ich bin sicher, das – schwupps – die verbreitete Aversion gegen Hochdeutsch ins Wahrnehmungsschema schwappt und der Jöö-Effekt dramatisch zusammenschmilzt.

      Deswegen gibt’s jetzt auch immer häufiger Werbung im Schweizer Fernsehen, die ursprüglich hochdeutsch aufgenommen, später meilenweit von der Lippensynchronität entfernt Schweizerdeutsch remixed wird. In der Werbewirkung beim schweizer Kunden ist das vermutlich immer noch besser als wenn das blonde Kind in lupenreinem Hochdeutsch „Mutti, er hat gar nicht gebohrt“ sagen würde.

      Das finde ich nicht gerade lässig.

    5. Sam Says:

      Ja, der Herr Tellerrand, wohl mit dem linken Bein zuerst aufgestanden?

      Wie äussert Dich denn Deine Aversion? Rümpfst Du die Nase, wenn jemand zu Deinem Sohn „so herzig“ sagt oder beginnst Du sogar mürrisch zu knurren? Teile doch den Leuten in Deiner unnachahmlichen Art mit, dass Du das nicht mehr hören magst und geniesse dann den Blick und das nach unten schnellende Kinn Deines Gegenübers…

      Danach geht es Dir wieder besser und Du darfst Dich danach eloquent und auf hochdeutsch mit Deinesgleichen weiter unterhalten, viel Gfreuts…

    6. oscillatus Says:

      Kleine Beckmesserei:

      Um die genaue Wortfolge „so herzig“ zu googeln muss man den Suchbegriff mit Anführungszeichen eingeben und siehe da: „nur“ noch 519 Einträge werden angezeigt 😉

      Gruss

    7. Phipu Says:

      Hier ein paar mögliche Gründe für die „Spracharmut“.
      Im Register „härzig“ würde ich als hochdeutsches Wort ausschliesslich „niedlich“ gleichsetzen. Die Variante „süss“ hört man nicht, weil auf Dialekt der Kussmund-Effekt, wie beim üblichen langgezogenen deutschen Aussprechen, nicht mehr gegeben ist (das gäbe „süüüöööäääss“, sprecht euch das mal vor dem Spiegel vor, das ist alles andere als „härzig“). Oder „schnuckelich“, das muss man einfach zu „schnüsig“ oder „schnüggig“ machen (krachende ck und ch würden das wehrlose, verängstigte Streichelobjekt erschrecken).

      Zur Wortgruppe „lässig, mega, kuul“ etc. (wird nur in den Kommentaren behandelt oder in anderen Blogwiesen-Einträgen angeschnitten): Sagt heute in Deutschland noch jemand „klasse“, „dufte“ und „spitze“? Über solche und mehr Ausdrücke habe ich mich im Kindes- und Jugendlichenalter immer amüsiert, weil man es so ganz und gar nicht auf Dialekt übersetzen kann. (Merke: die „Aversion“ kann durchaus auch belustigt und nicht nur mit sprachlichen Preussenhelmen und Hellebarden ausgetragen werden.) Die von Barbarella erwähnte „Klassenarbeit“ (CH „Prüfung, Test, Erfolgskontrolle, Lernkontrolle“ oder andere pädagogisch korrekte Wörter) liess mir eben gerade das Wort „klasse“ paradox erscheinen, da die Kinder meist lieber „aus dem Schulsystem raus“ wollen: „klasse, heute kann die ganze Klasse zuhause bleiben!“. An „erstklassig“ für Komfort im Zug oder Flugzeug dachte ich damals nicht. „Dufte“ ist ein Wort, das künstlich klingt. Objekte „schmöcke“ (riechen) oder „stinke“ normalerweise nur. Dann noch „die Spitze“, die hat einen sinngemässen Nebengeschmack. Im Dialekt ist das nämlich „der Spitz“. Wenn jemand aber „spitz“ ist, heisst das, dass er/sie seinen Paarungstrieb ausleben möchte.

      Wie Tellerrand erwähnt, für die Werbefachleute, die Werbungen aus Dialekt auf Deutsch der umgekehrt übersetzen, wird es nach wie vor genug zu tun geben.

    8. neuromat Says:

      ist das nicht herzig?

      http://www.amazon.de/gp/product/images/B000MM5FD8/sr=8-38/qid=1190883726/ref=dp_image_0/302-1599443-8902408?ie=UTF8&n=10931001&s=home-garden&qid=1190883726&sr=8-38

    9. Tschampina Says:

      Zur schweizerdeutschen Übersetzung der Werbung: Bekomme regelmässig eine grusel Gänsehaut. Furchtbar. Schlimmer noch wenn man das original kennt. „hüt gits Pasta-Gratin-Bolognese“. Kreisch!

      Ich denke der Schweizer an sich (gut nicht nur der Schweizer) versucht in manchen Dingen, fehlendes Schweizer Vokabular durch englische Wörter zu ersetzen. Unser Beispiel „So herzig“ wird dann zu “ so sweet“, „so nice“ etc.

    10. solanna Says:

      @neuromat

      Nein, das ist vielleicht witzig oder hintersinnig, aber nicht herzig.

      „Herzig“ spricht immer die Sinne an, rührt quasi ans Herz. So kann etwas oder auch jemand sehr schön sein, ohne aber gleichzeitig auch herzig zu sein. „Herzig“ ist eher lieblich/liebreizend – oder eben „Jööö!“

      Wenn ein Pressefotograf den Auftrag erhält: „Mach dort einfach ein Jööö-Bild“, wird er sich auf blonde Zwillinge, Kinder mit Tieren, Kinder mit vor Staunen offenen Mündern, Tiere mit grossen Augen und treuherzigem (!) Blick stürzen. Bei „Jööö“- ist ohne weitere Umschreibungen klar, was gemeint ist.

      Herzig oder jööö wird es nie bei einer Blume oder einem Baum, nie bei einer modernen Villa heissen. Ein „Hüüsli“ kann hingegen herzig sein, weil dann zur Vorstellung automatisch die Familienidylle in den eigenen vier Wänden mitten im Gärtli gesellt.

      Herzig enthält auch nicht nur etwas optisch Anrührendes. Auch die Art einer Person (kaum bei einem 2-Meter-Koloss, aber vielleicht bei einem „Finöggeli“ von Mann, weit eher aber das ganze Verhalten und die Herzlichkeit eines Jugendlichen, eines Mädchens, einer Frau – auch hier so lange sie nicht massig ist) kann herzig sein.

      Herzig wird selten bei etwas verwendet, das zugleich respekteinflössend ist. Da kann dieses/e/er noch so herzlich sein.

      In Standardsprache übersetze ich herzig mit niedlich. Auf Mundart würde ich niedlich aber gewiss nie in den Mund nehmen. Das ist so verpönt wie lecker.

    11. Tellerrand Says:

      @ Sam

      Ich wollte nur mal auf die Wiese stellen, dass es durchaus möglich ist, dass einem die immer wieder gleichen, wohlgemeinte Plattitüden irgendwann mächtig auf den Zeiger gehen können. Noch eine gefällig? Fast genauso oft, wie „jöö, wie herzig“, mussten meine Frau und ich hören, dass die Zwillinge sicher Arbeit machen. Wie originell!

      Ganz, ganz ehrlich: ich bin es einfach Leid, mir anhören oder lesen zu müssen, Hochdeutsch klinge nicht lässig und Mundart sei egal welches Adjektiv, aber auf jeden Fall besser. Kommt es wirklich darauf an, wie man etwas sagt? Ich finde wichtig, was man sagt und – noch wichtiger – ob, man überhaupt etwas zu sagen hat. Keine Aussage ist wahrer, ehrlicher, herzlicher oder was auch immer, nur weil sie in Mundart gemacht wird.

    12. Schnägge Says:

      Mein Variantenfinder schlägt vor: Süß, lieb, niedlich, possierlich, putzig, goldig, drollig, knuffig, schnuckelig, hübsch, adrett, nett und freundlich.

      @Phipu: Für den Bereich „lässig“ schlägt meine Quelle unter anderem vor: toll, klasse, mega, krass, fett, korrekt, hammer, derbe, geil, dope, top, hip, genial, fantastisch, großartig, spitze, prima, super, wunderbar und schau (sagt man das noch?).

    13. Andreas77 Says:

      Warum hat eigentlich bei uns in der Schweiz „lässig“ so eine andere Bedeutung bekommen wie im Hochdeutschen? Da bedeutet es doch so etwas wie nonchalant, überheblich etc.