Harmoniesüchtige Schweiz und ihre Identifikationsobjekte
(Reload vom 5.10.05)
Die Schweiz ist und bleibt eine absolut harmoniesüchtige Nation. Wer seit 1959 mit Hilfe der Zauberformel regiert wird, in der alle bürgerlichen Parteien vertreten sind, und keinen echten Wechsel zwischen Regierung und Opposition je erlebt hat, der stumpft ab und verliert unweigerlich sein Interesse an Politik. Oder er bekommt das Gefühl: „So ist es schon immer gewesen, so war es gut, so soll es bleiben„. Ohne Streitkultur geht es ruhiger zu, aber es herrscht auch weniger Verschleiss.
Das Prinzip der „Konkordanzdemokratie„, in der sich alle immer harmonisch einigen müssen, ist für Deutsche schwer verständlich. Einfach ausgedrückt: Wir hauen uns lieber gegenseitig die Köppe ein anstatt uns harmonisch zu einigen. Mit der grossen Koalition und Kanzlerin Merkel ist Deutschland zur Zeit ebenfalls dabei, sich in „Konkordanzdemokratie“ zu üben. Ob dieses Modell auch in Deutschland eine Dauerlösung wird?
Gibt es wirklich mal eine oppositionelle Kraft, eine Stimme, die anders spricht, wie z. B. der SVP Vorsitzenden Christoph Blocher, dann wird diese Stimme nach gewonnener Wahl einfach „wegharmonisiert„, sprich in den heilige Kreis der Sieben des Bundesrats mittels einer „Zauberformel“ hineingezaubert und schon hat sie Kreide gefressen und darf nicht mehr so sprechen wie sie will, denn jetzt herrscht der Zwang zum Konsens, genannt „Kollegialitätsprinzip„. Weil bei diesem Zaubertrick die Zauberformel leider kaputt ging, spricht man flugs von der „neuen Zauberformel“.
Wieviel „Bewegung“ im Schweizer Bundesrat steckt, belegt die Tatsache, dass ein Bundesrat praktisch auf Lebenszeit gewählt wird, ähnlich wie der Papst. Das ist so, wie wenn Helmut Kohl nicht für 16 Jahre regiert hätte, sondern für immer, bis zu seinem Ableben. Die längstdienenden Bundesräte im 20. Jahrhundert waren Giuseppe Motta von 1911 bis 1940 (= 29 Jahre) und Philipp Etter von 1934 bis 1959 (=25 Jahre), da könnte Helmut Kohl mit seinen 16 Jahren Kanzleramt doch einpacken.
Nachtrag: Bundesräte können zwar nicht abgewählt werden, jedoch müssen sie wieder gewählt werden. In der Geschichte der Schweiz ist es erst drei Mal passiert, dass ein Bundesrat oder eine Bundesrätin nicht wieder gewählt wurde. Im Schnitt legen die meisten Bundesräte nach 10 Jahren ihr Amt freiwillig nieder, weil sie dann oft ausgepowert sind.
Allein der viel zitierte Begriff von der Schweiz als „Willensnation“ spricht Bände. Die Schweizer wollen eine Nation sein (sind sie denn in Wirklichkeit keine?), und müssen sich ständig daran erinnern, damit das Land nicht auseinander bricht und in Westschweiz und Ostschweiz und Innerschweiz zerfällt, um dann in der Folge in 26 Kantone zu zerfallen, und als nächstes in knapp 3.000 Gemeinden zu zerbröseln.
Meine persönliche Lieblingserklärung für die Beobachtung, dass die Schweizer stets so höflich und zuvorkommend miteinander umgehen, ist: Sie wissen wie schnell zwischen ihnen Mord und Totschlag herrschen würden, hielten sie nicht stets ihre Höflichkeit und den Wunsch nach Konkordanz und Harmonie mit aller Gewalt am Leben.
Damit das nicht passiert, wird eisern an den gemeinsamen Identifikationsobjekten festgehalten, die da sind:
Die Kuhglocke (wichtiges Utensil beim Begrüssen von heimkehrenden Helden der Schweiz am Flughafen in Kloten, leider sind das nicht allzu viele)
Das Alphorn (das tönt auch gut in den Häuserschluchten von Manhattan)
Der Schweizerkäse (echter Emmentaler aus Holland ist der Renner, wenn sie übrigens nicht wissen, ob es „Schweizer Käse“ oder „Schweizerkäse“ heisst, einfach im Zweifelsfall immer zusammenschreiben, es gibt schon die „Schweizergrenze“, das „Schweizerkreuz“ und den „Schweizerpass“, also in Zukunft einfach alles so helvetisieren)
Roger Federer (grosser Schweizer Meister im Federer-Ballspiel)
Toblerone-Schoki (wurde früher auf deutschem Gebiet in Weil am Rhein hergestellt bei Kraft-Jakobs-Suchard, doch mittlerweile ist das wieder ein 100 % Schweizer Produkt)
Das Schweizerkreuz (in jeder nur erdenklicher Ausprägung)
und natürlich die absolut identifikationsschaffende „einheitliche“
Schweizerdeutsche Umgangssprache, die mehr und mehr als „Oltener Bahnhofsbüffet Dialekt“ Einzug in die Medien hält. Für Sprachpuristen: Büffet wird in er Schweiz mit zwei f und einem t geschrieben, in Deutschland mit zwei t und einem ff, siehe Duden. Ich mag die Schweizer Version lieber.
August 7th, 2007 at 10:01
Nur kurz zum Begriff „Willensnation“: Im 19. Jahrhundert waren die meisten Menschen der Meinung, dass eine Nation identisch mit einer einzigen Sprache sein müsse: Frankreich, Italien, das unsägliche ‚Gschtürm‘ um Klein- bzw. Grossdeutschland, Tschechien etc., ja auch in den USA war die Frage akut. Die Schweiz kann nun einfach nicht damit dienen, nur eine einzige Sprache zu haben, sie führte ihre Existenz deshalb darauf zurück, dass sie entstanden sei, nicht aus zufälligen Sprachabgrenzungen heraus, sondern weil die Schweizer sich zusammenschliessen wollten.
August 7th, 2007 at 10:21
Bezüglich Willensnation, die auch von Herrn BR Leuenberger gerne angeführt wird ( http://moritzleuenberger.blueblog.ch/gesellschaft-demokratie-verantwortung/palagnedrarapport.html ):
Die Idee der Willensnation beruht ja wohl darauf, dass eben der Wille die Grundlage der Nation ist und nicht die gemeinsame Abstammung oder Sprache. Das spiegelt sich ja auch in dem auf diesem Blog gerne angeführten Föderalismus wieder, denn die Schweiz ist ein Zusammenschluss von Kantonen, die einen Teil ihrer Souveränität an den Bund abgetreten haben.
„Wir WOLLEN sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr …“ haben die Eidgenossen auf dem Rütli geschworen, wie es ja auch Friedrich Schiller niedergeschrieben hat. Bei unseren Nachbarn im Norden ging dies ja anders vonstatten: Nachdem Fürst von Bismarck es geschafft hatte das Deutsche Reich zu begründen, musste erst noch bestimmt werden wer zum Deutschen Volke dazugehört, was 1913 per ius sanguinis erledigt wurde.
Anregungen von: http://de.wikipedia.org/wiki/Willensnation, …Kulturnation, …Otto_von_Bismarck
PS: heute ist das mit dem Willen natürlich eine ganz andere Sache. Sagen Sie mal dem eidgenössischen Einwanderungsbeamten, dass Sie Schweizer werden WOLLEN…
August 7th, 2007 at 11:26
Bei den Identifikationsobjekten könnte man Rivella auch noch hinzufügen 😉
August 7th, 2007 at 18:04
bei dem Text stellt sich mir einfach die Frage: ist es schlecht, höflich, freundlich und zuvorkommend zu sein?
und wann wurde die Schoggi in Dland hergestellt? Die Fabrik war ja in der Länggass in Bern, dort wo heute die Phil 1er studieren..
[Antwort Admin: Nein, es ist wunderbar, höflich, freundlich und zuvorkommend zu sein, aber es ist etwas, was einem als Deutscher frisch in der Schweiz sofort mächtig auffällt. Ich machte 1998 eine Führung bei Kraft Jakob Suchard in Lörrach mit. Damals wurde dort die Toblerone produziert, und noch eine Reihe weiterer Spezialitäten mehr. KJS gehörte zu Philipp Morris, doch das hat sich in der Zwischenzeit geändert. Auch die Suchard-Produktion ist verlagert worden. ]
August 7th, 2007 at 22:04
… Soso. Soviel zu Stereotypen. Wenn die Schweiz tatsächlich so „angestrengt“ wäre dann wäre sie alles, nur kein „stolzes“ Land. Sondern ein zutiefst verunsichertes und von Selbstzweifeln geplagtes, das sich ständig selbst Bestätigen muss wie toll etc. es doch ist damit man es irgendwie glaubt. Selbstgenügsam und in-sich-ruhend ist was anderes. Dazu passen auch die Schrillen teils regelrecht aggressiven Kommentare von Schweizern die man hier so liest teils.
Wie kann man da nur leben wollen *tztz*
August 8th, 2007 at 13:35
@Stefan:
Da könnte man noch einige nennen. Es gibt auch Studien über die Top-Marken in der Schweiz, von denen einige tatsächlich auch Identifikationsobjekte darstellen, so etwa Ovomaltine, Ricola, Sugus, diverse Käsemarken, M-Budget… Swatch ist offenbar wieder aus der Liste draussen, was zeigt, daß nicht mal die Schweizer Identifikationsobjekte ewig Bestand haben 😉 – vgl. http://www.tilsiter.ch/de/pdf/cheibe/5818603.pdf.
August 9th, 2007 at 0:50
Büffet oder Buffet?
Wie es in der Westschweiz geschrieben wird, darüber braucht man sicherlich nicht diskutieren. Aber wie sieht es denn in der Deutschschweiz aus? Ich hätte jetzt eher auch auf die Schreibweise mit „u“ getippt.
Oder täuscht mich mein Gedächtnis zu so später Stund?
August 9th, 2007 at 9:21
Bitte nicht „Schoki“ schreiben!
August 12th, 2007 at 22:57
@Flaneur: Buffet, mit ü hab ichs noch nie gesehen. Tut ja auch weh, etwa wie die Spagetti…