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Nicht gähnen bitte — Wenn alles „so gäh“ ist

  • Steil ist wichtig
  • Bei manchen Ausdrücken im gesprochenen Schweizerdeutsch sind die Gene des ehemaligen Bergvolkes noch deutlich zu spüren. Ein Bergvolk plagte sich dereinst ab an steilen Berghängen und Wiesen. Während im deutschen Flachland ein „steiler Zahn“ unter den Jugendlichen „Halbstarken“ in den Fünfzigern noch ein beliebter Ausdruck für ein hübsches Mädchen war, pflegen die Schweizer heutzutage in Erinnerung an die „steilen Lagen“ noch ein paar andere Ausdrücke für „steil“ zu verwenden:

  • So gäh = so steil
  • So gäh“ hörten wir in einem Gespräch zwischen jungen Zürchern in der S-Bahn, „so gäh“ sei eine Sache gewesen. Nein, sie sprachen gewiss nicht von der letzten Wanderung auf den Pilatus, dem Hausberg von Luzern.
    Die Erklärung für diese Wort fand sich dann glücklich im Slangikon

    So gäh
    (Quelle: Slangikon)

    es gaht zümftig abe, gäch, högerig, schtotzig, schtötzlig, spitzig, zünftig

    Nun, bei „zümftig“ und „zünftig“ sind natürlich die alten Zünfte mit im Spiel, die sich althochdeutsch noch mit „m“ schrieben als „Zumft“ (vgl. Wikipedia).
    Hingegen „schtotzig“, „schtötzlig“ müssen eindeutig von besagten unbequemen Bergpfaden hergeleitet worden sein. Selbst unser Duden spricht dieses Wort den Alemannen zu:

    stọtzig [alemann. stotzig = steil, zu: Stotz[e] = Hügel, Abhang] (bes. südwestd., schweiz.): steil: der Weg war stozig
    (Quelle: duden.de)

    Doch etwas fehlt in der Erklärung des Dudens, denn nicht der Weg allein war schtozig, schtotzlig oder stozig, sondern auch das letzte Event in Zürich, zumindest im Gespräch meiner S-Bahn Nachbarn. Oder sprachen die eventuell doch vom letzten Kletterwochenende?

  • Gäh ist alt
  • Aber gäh? Es erinnert uns an „gähnen“, dem plötzlichen Maulaufreissen, was wir kaum unterdrücken können, am Ende einer durchtanzten Nacht. Dabei hat dieses Wörtchen, bevor es im Zürcher Slangikon der Jugendsprache auftauchte, schon gewaltige Karriere im Deutschen gemacht, wie ein Auszug aus Grimms Wörterbuch belegt:

    1) rasch, von höchster schnelligkeit oder eile, mhd. die vorherschende bed., ahd. z. b. gâheჳ waჳჳer (…)
    a) von stürzenden dingen, wie eben ahd.: platzregen oder geher regen (…)
    der dick beschäumte flusz dringt durch der felsen ritzen
    und schieszt mit gäher kraft weit über ihren wall. (…)
    b) von menschen, thieren in bewegung, von allerlei thun überhaupt: ein gächs wenden im lauf, (…), man beachte den starken lat. ausdruck; darfst (brauchst) du nit ze eilen, so ist mir auch nit gäch. (…)
    c) meistens und vielleicht ursprünglich rasch mit ungestüm, ‚überstürzung‘: preceps … ein geher, gar gech, der sich übergrift. (…)
    e) auch als a d v . (wofür besser gach, s. d.): hoch kompt man nit gäh. (…)
    2) steil abfallend.
    a) mhd. zwar noch nicht belegt, aber sicher durch ahd. ‚gâhi abrupta‘ GRAFF 4, 129 und durch ein swinde gæhe, steile bergwand:
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

    Wir können nicht genug bekommen von diesen vielen Belegen in den unterschiedlichsten Schreibweisen. Die Verwandschaft von „gäh“ zu „jäh“, noch erhalten in „jähzorning“ wird deutlich.

    jähzornig [spätmhd. gæchzornig] : zu Jähzorn neigend; sich in einer Anwandlung von Jähzorn befindend: ein -er Charakter; j. fuhr er auf.
    (Quelle: Duden.de)

    Und nun wird klar, dass wir mit diesem vermeintlich neuem Schweizerdeutschen Wort einfach ein sehr altes Deutsches Wort in der S-Bahn gehört und im Zürcher Slangikon wiederentdeckten hatten. Nebenbei bemerkt: Auch im Ruhrgebiet wird ein „jetzt“ zu „getzt“ verhärtet. Und getzt ist Feierabend.

    

    8 Responses to “Nicht gähnen bitte — Wenn alles „so gäh“ ist”

    1. sylv Says:

      Im berndeutschen Sprachgenrauch kann ‚gäi/gäj‘ auch schnell,wild ( im Sinne von sich balgen) oder abrupt heissen 🙂 schöne Sunntig!

    2. Schnägge Says:

      Schön, dass das Kommentieren wieder geht! (Bitte merken Sie sich, was Sie sagen wollten, wir sind in 3 Tagen wieder für Sie da… 🙂 )
      Danke für den Link zum Slangikon! Das ist wirklich eine herrliche Fundgrube kreativer neuer Schweizer Wortbildungen, die man zum großen Teil in D gar nicht kennt. Ich hab mich gar nicht mehr ein gekriegt vor Lachen!

    3. myl Says:

      Was ich hier schreiben wollte:

      Ist es möglich, dass die beiden Zürcher gar nicht „gääch“ gemeint haben (ich wäre der Meinung, man hätte dann nämlich das „chch“ deutlich hören müssen), sondern vielleicht „gay“ (warm, schwul)?

      Ein echter Stadtzürcher sagt natürlich nicht „Zunft“ sonder „Zo-uft“, genausowenig wie „Münster“, sondern „Möischter“…

      Und das mit dem Stotzlig gibt es in der Ostschweiz als „Stutz“: „mer sind en Stutz druufgfahre“ (es ging sehr steil hinauf).

    4. Christian (der Andere) Says:

      Die Züricher sind schon derbe in ihrer Ausdrucksweise. Alimente nennt man u.a. Schlitz-Pfand; Schwangerschaft u.a. sinngemäß: Einen Braten in die Röhre schieben.

      [Anmerkung Admin: Die Redewendung „Einen Braten in der Röhre haben/schieben“ für schwängern bzw. schwanger sein ist Gemeindeutsch und sicher so alt wie die Erfindung des Backofens]

    5. Nessi Says:

      gäh?? was das wohl für ein dialekt ist?
      aus züri kenne ich nur „gäch“ kann für einen steilen weg sein oder ein ereignis „das findi zimmli gäch“ (das finde ich ziemlich „gäch“) im sinne von krass, extrem.

    6. neuromat Says:

      Wahrscheinlich, oder was heisst wahrscheinlich, ganz sicher hat sylv Recht mit ihrer gay Vermutung. Vielleicht waren es aber auch Ausserirdische und ganz vielleicht war es nur ein Ausserirdischer und Jens Rainer hatte ein paar Dortmunder Bierchen zu viel auf. Oder es waren Bayern, ah gäh, Bayern foahn doch im Troam nicht in Zürich mit der Troam. Möglicherweise waren es auch gar keine Jugendliche, vielleicht auch ganz, ganz alte, senile Zürcher, dement bis zum totalen Sprachzerfall, aber noch Geld genug für die Faltenbehandlung mit Botox. Nein, es müssen doch Ausserirdische gewesen sein. Als Kind habe ich mal einen Film gesehen, da kamen Ausserirdische aus einer Raumkapsel, die sahen aus wie Zürcher und die konnten auch nicht richtig sprechen und ich glaube so im Nachhinein, die waren auch homosexuell, denn in dem Film spielten gar keine Frauen mit. Und dann sind die in San Francisco mit der Tram gefahren und da ist es richtig steil. Kann sein, die haben sich auch nur verstellt, wie die beiden bei der Kreuzausgabe im Film das Leben des Brian, die können dann und wann ja auch ganz normal reden. Es könnte sich aber auch um Hunde gehandelt haben, die lediglich eigenartig gebellt haben; oder um Kängurus, wer weiss schon wie Kängurus miteinander kommunizieren, vermutlich etwa so ähnlich wie schwule Basler, die in Zürich nicht auffallen wollen, könnte doch sein.

    7. Schnägge Says:

      @Christian: Braten ist ja noch harmlos, „Metaschtaase uusbilde“ und „abferkle“ find ich hart. 🙂 Oder für Baby: „en singende Fleischchäs“.

      Was mir auffällt sind die vielen Wörter aus dem Militärbereich und eingeschweizerte englische und französische Wörter, die man in D nicht kennt.

    8. Guggeere Says:

      Das aktuellste Duden-Bedeutungswörterbuch nennt sowohl das jähe (ganz schnelle) Ende als auch den jähen (nahezu senkrecht abfallenden) Abgrund.

      Für mich war „jäh“ schon immer das hochdeutsche Pendant zu unserem Dialektwort „gääch“. Wurde mir in der Schule auch so beigebracht. Eine zeitliche Bedeutung (wie „jäh“) besitzt „gääch“ (wird mit langem ä und dem berühmten ch ausgesprochen) in meinem Dialekt allerdings nicht.

      Die Laute g und j sind nun mal nahe verwandt; das kann jeder mit Zunge und Gaumen selbst ausprobieren. Und so machen denn die einen aus „jetzt“ „getzt“, die anderen aus „jäh“ „gääch“, umgekehrt aus „Georg“ „Jürg“, aus „gut“ „jut“ …

      Übrigens, auch wenn er veraltet ist: Den Ausdruck „steiler Zahn“ finde ich gääch, wenn nicht gar nasegääch. Sollte man unbedingt wieder einführen!