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Wie die Eidgenossen das Hochdeutsche entwickeln halfen

(zweiter Teil des Beitrags von Ingomar König)

  • „Hochdeutsch“ zum zweiten.
  • Ich weiss, Ihr sprecht alemannisches Hochdeutsch und nicht Standardhochdeutsch, aber dennoch hochdeutsch. Und Ihr meint natürlich „Standardhochdeutsch“, wenn Ihr „Hochdeutsch“ sagt. In einer online-Zuschrift an jenes gewisse Zürcher Massenmedium klagt eine junge Frau darüber, sich wegen der vielen Deutschen in ihrem Umfeld „kaum noch mit jemandem auf Schweizerdeutsch unterhalten“ zu können. Die gnädige Frau unterschlägt, dass zu keiner Zeit irgendeine äussere Macht Euch die standardisierte Form des Hochdeutschen aufgezwungen hat; dass im Gegenteil die Berner Patrizier im 17. Jahrhundert den Predigern befohlen haben, „sich des affektierten neuen Deutsch zu müßigen“ (sz-/ss-Ligatur „ß“ im Original). An der Entwicklung zur deutschen Gemeinsprache wart Ihr Eidgenossen führend beteiligt. Zu Beginn des Neuhochdeutschen stellte die „eydgenoßisch Landspraach“ (sz-/ss-Ligatur „ß“ im Original) der Tagsatzung bereits eine überregionale, alemannisch-bairisch-fränkisch gemischte oberdeutsche Standardisierung dar. Basel war ein bedeutender Druckort für Publikationen in „Gemeinem Deutsch“. Nicht nur Ihr, aber auch Ihr, liebe Nachbarn, habt die Standardform des Hochdeutschen bis an Nord- und Ostsee exportiert – und Ihr „empfindet“ sie als Import, als Fremdsprache? Eine klassische Verwechslung von Ursache und Wirkung, Wesen und Erscheinung und ein bedenklicher Fall kollektiven Realitätsverlustes.

  • „Hochdeutsch“ zum dritten
  • Klar, wenn das Standardhochdeutsche im mündlichen Gebrauch aus dem Alltag verschwindet, wenn es nur bei hochoffiziellen Gelegenheiten, abgelesenen Reden oder aus Rücksicht gegenüber den lateinischen Eidgenossen verwandt wird, wenn es zum reinen Schulfach, zur Pflichtübung, zum Anti-Spass-Faktor, zu einer Belästigung in der Freizeit und in den informellen Situationen des Arbeitsalltags wird, wenn es schliesslich zu einer kalt-formalen Sprache erstarrt und Ihr es nicht (mehr) als lebendige, spontane Umgangssprache benutzt, dann ist es kein Wunder, dass Ihr allmählich aus der Übung kommt; dann ist es kein Wunder, dass Ihr Euch im Vergleich zu Deutschen (und Österreichern?) sprachlich langsam und ungelenk vorkommt; dann ist verständlich, dass Euch das geballte Auftreten von Standardhochdeutsch-Sprechern auf die Nerven geht.

  • Halte ich ein Plädoyer gegen Eure alemannische Sprache?
  • Ganz im Gegenteil. Die alemannische Sprache ist ein kulturelles Erbe, das zu bewahren Pflicht jedes Alemannen sein sollte. Sie ist eine von vielen deutschen Sprachen in der Funktion eines Dialekts. Das Standardhochdeutsche ist unser aller gemeinsames Dach zur überregionalen schriftlichen und mündlichen Verständigung. Auf diese Funktion haben auch und besonders Eure eidgenössischen Vorfahren gedrängt. Was für ein Gegensatz zu solch’ geistiger Schlichtheit und provinzieller Ignoranz, die Standardsprache als Import, als Fremdsprache zu „empfinden“; was für ein kleinkariertes „Gefühl“, sie mache „Stress“. Im übrigen bleibt es Eure souveräne Entscheidung, das Verhältnis von Dialekt und Standardsprache so zu bestimmen, wie Ihr es für richtig haltet. Kein germanophoner Nicht-Eidgenosse nimmt sich das Recht heraus, Euch in dieser Frage Vorschriften zu machen.

    Das Alemannische jedoch als speziell schweizer „Identitätsmerkmal“ anzusehen und deshalb das Standardhochdeutsche aus dem Alltag zu verdrängen, es zum blossen „Schriftdeutschen“ verkommen zu lassen, hat zwangsläufig den Verlust einer gewissen Gewandtheit im mündlichen Ausdruck zur Folge. Darüber hinaus entsteht eine Kluft zwischen Intellektuellen, die in beiden Sprachformen zu Hause sind, und den breiten Volksmassen, die nur im Dialekt über vollständige Sprachkompetenz verfügen. Ein wenig mehr gesprochenes „Schriftdeutsch“ im Alltag scheint wohl auch in Eurem Interesse zu liegen, wenn schon der Kandidat für den Zürcher Gemeinderat, Samuel Knopf, sich in diesem Gremium „ein paar Leute“ wünscht, „die Hochdeutsch sprechen können, ohne zu stottern.“ Ihr müsst es ja nicht gleich so übertreiben wie die Romands, die aus freien Stücken ihr frankoprovenzalisches Idiom zugunsten des Französischen so gut wie völlig ausgerottet haben.

    (dritter und letzter Teil morgen)

    

    11 Responses to “Wie die Eidgenossen das Hochdeutsche entwickeln halfen”

    1. neuromat Says:

      Nachschlag zu ersten Teil: Wie viele Deutsche verträgt die Schweiz. Durch intensive Recherche ist es gelungen ein brisantes Dokument ausfindig zu machen, dass ein neues Licht auf die Deutsch Schweizer Beziehungen werfen könnte:

      Geheimbrief Ex Bundeskanzler Gerhard Schröder an Michael Ringier VR-Präsident der Ringier Holding AG

      Lieber Michi,

      den Brief kannste erst lesen, wenn de ihn vor die Kerze hältst, der is mit Geheimtinte geschrieben, die hab ich noch beim BND mitgehen lassen. Ich weiss ja dass ihr Schweizer Abk. liebt und ich muss mich so n bisschen einschleimen, ich hab da nämlich grad nen Problem. Nee, nee ich will schon wieder neu heiraten. Diesmal is richtig die Kacke am Dampfen. Die Merkel hat mich angerufen und gesagt, die Deutschen wandern jetzt alles aus. Die gehen wohl überall da hin wo was mit sch, also mit ess zeh haa anfängt Schweden, Schweiz, Schpanien und Schrilanka. Dabei könne die doch keine Fremdsprache richtig, so wie Ihr. Ich selber beherrsch ja drei Sprachen. Ich kann Deutsch, russische Trinksprüche und Tacheles reden. Und was wollen die Leute auch da? Es fangen doch die meisten schlimmen Dinge mit „sch“ an, wie schlimm, Schwiegermutter, Schicksal, schwul und Schröder, obwohl Schröder iss dann die berühmte Ausnahme, hä, hä.

      Entschuldige, wenn ich so um den Brei rede, aber wir Deutschen sind nun mal so weitschweifig, deswegen sagen wir ja auch nich Guten Tach, weil wir die Zeit zum Reden brauchen. Also, wenn die jetzt alle auswandern, dann können die ganzen Arbeitslosen und die Hatz vier Empfänger ja deren Jobs übernehmen. Jetzt musste nich mit dem Kopf schütteln, weil das ja alles Qualifizierte sind, die dann wechgehen. Das is egal. Ich hatte ja schliesslich auch keine Ausbildung zum Bundeskanzler, wie übrigens die Hälfte von meinem Kabinett, wir hatten ja auch den Joschka als Aussenminister, der zwischen drin bei seiner Diät aussah wie Micky Maus und vorher Polizisten geklatscht hatte, das geht bei uns alles, darum hatten wir auch für alles und jeden einen Berater. Auf jeden Fall steh ich dann da wie der Depp, weil die Merkel und mein ungetreuer Sauerländer Franz alle die Arbeitslosen wechkriegen.

      Stell Dir mal vor wenn jetzt 80 Millionen Deutsche in die Schweiz kommen, wenn die zu Fuss unterwegs sind, wenn die alle einen Meter Platz haben, gibt das eine Schlange zweimal um die Erde, aber die kommen mit dem Auto, das habe ich 89 gesehen. Und in so nem Trabant sassen immer drei Leute drin, und der ist drei Meter lang und die Deutschen können nicht Autofahren. Dass macht aber keinen Unterschied, da wird die Schlange genauso lang, wie wenn die zu Fuss kommen, aber ich bin ja jetzt auch Berater und das nennt man Mathematik. Euer Nationalstrassennetz ist aber nur gerade 2000 km lang. Da können wir beide dann nicht mehr in unserem Ferrari durch die Gegend brettern.

      Weisste, ich hab mir gedacht, Du könntest doch da in deiner Schweizer Bildzeitung ein paar Dinge zur Abschreckung schreiben.

      Da dürfen aber nich sone komplizierte Sachen rein, wie dass ihr zu allem und zu jedem „nebst“ euch selbst eine Hass-Liebe Beziehung habt, nie eindeutig Stellung bezieht, weil ihr ja immer Flagge zeigt. Es tut auch nichts zur Sache, dass ihr so zaudernde Bangbüchsen seid und für Euch das Leben eine sehr ernstzunehmende Angelegenheit und es nix zum Lachen gibt. Das schreckt einen richtigen Deutschen nicht mehr ab, der hat nämlich jetzt den Schröder hinter sich, auch wenn das nicht ganz gereicht hat bis Agenda zwanzig zehn. Das hat mich schon immer geärgert, dass bei Euch die Abendfilme schon um zwanzig Uhr losgehen und ich dann noch ne viertel Stunde auf Rosamunde Pilcher warten musste, zwanzig zehn wär da ein Anfang gewesen.

      Und dann musst Du unbedingt die Ellen ablenken in dieser Zeit. Von der hab ich so Sätze vorgelesen gekriegt wie, „dass die Schweiz die Globalisierung vorwegnimmt: „es gibt nur Menschen, die in unserem Land Arbeit finden, unqualifizierte oder qualifizierte. Und wer Schweizer Boden bearbeitet wird Schweizer. Mit allen Rechten und Pflichten.“ Ich hab mir gedacht, ich schick Dir die Doris vorbei, das ist ja meine neue Journalistin, mit der Blitz-Hillu iss ja schon lange Schluss, sollteste auch mal drüber nachdenken alter Schwede. Die Doris, die macht dann das schon und ich hab mal wieder sturmfreie Bude und Russendisco.

      Dein Gerhard

    2. Romeo Says:

      Höchstalemannisch (Walliser/Walser) ist aber son etwas Identität stiftend. Denn ich fand es sehr interessant das man sich in Bosco-Gurin, Macugnaga oder auch Lech sich mit vor allem älteren Leuten in Wallisertisch unterhalten kann.

      Es zeigte mir jedoch auf wie stark Sprache heutzutage doch grossen Einflüssen und Änderungen unterworfen ist. Denn die jüngeren Leute aus den oben genannten Walser-Kolonnien sprachen kein oder bekundeten mühe Walserdeutsch zu verstehen. Ob wohl dies vom Namenher Walser sein müssten, da diese einen typischen walliser Nachnamen tragen.

      Des weiten würde ich in der Zeit, wo ich in Basel lebte vielfach von Leuten aufgrund mein es Walliserdeutsch angesprochen. Da viele Leute in Basel ihre Ferien im Wallis verbrachten. Als würde ich das Dialekt sprechen schon auch als Identität stiftend ansehen.

      Zumal in der Schweiz zwischen diversen Kantonen gewisse amositäten vorherrschen.

      Aber wie Gesten ausgeführt würde ich niemals das alemannische niemals als „nur“ Schweizerdeutsch ansehen. Ich versteh nur ein Punkt nicht wie so sprechen Deutsche welche aus dem alemannischen Sprachraum stammen, mit uns Schweizeren kein alemannisch wir würden uns sicher besser verstehen.

    3. Lars Says:

      Fantastisch dieser zweite Teil.
      Ich gespannt auf den dritten Teil.

    4. Christian (der eine, nicht der andere) Says:

      Sehr hübsch, nur fragt sich der geneigte Leser, unter welchen Umständen denn Deutschschweizer miteinander in der Standardsprache parlieren sollten. Was brauchte es, um Deutschschweizern das Gefühl zu vermitteln: „Standardsprache ist cool“? Mit Zwangsmaßnahmen à la Welschschweiz kann man heute ja nicht mehr vorgehen. Also müsste die Einwanderung aus dem „Großen Kanton“ von Leuten, die sich hier *nicht* als Gäste fühlen und sprachlich *nicht* assimilieren wollen (gibt’s sowas überhaupt?? ;-), so zunehmen, dass man außer Haus überall über solche Leute stolpert, mit denen man dann Standardsprache reden muss. In Restaurants ist das ja heute schon der Fall, da man (wie ich letzthin mitgelauscht habe) im innerrhodigsten Appenzell nicht mehr verstanden wird, wenn man einen „Pfäffermünztee“ bestellt („Was wolln Se? Münz-Tee??“).

      Und nochwas: Wenn man nicht gleich einen norddeutschen Ingomar König im Netz fände, könnte man ja doch glatt versucht sein, hinter dem Namen ein Pseudonym für einen bekannten deutschen Poster aus dem sympathischen Zürcher Unterland zu vermuten…;-)

    5. neuromat Says:

      Es ist Sonntag und seit gestern regnet es endlich wieder, es beginnt sich auf normale Grade abzukühlen, ich muss ohnehin noch arbeiten und entspanne mich in der Pause durch einen Comment. Um es vorwegzunehmen, ich persönlich finde den Beitrag von Ingomar König nicht gerade gelungen und schon gar nicht ausgezeichnet recherchiert, aber diesen Anspruch hat der König selber gar nicht, bezeichnet er sich doch als einen provokanten, polemischen und bissigen Gelegenheitstouristen, der sich das hehre Ziel gesteckt hat, „den Animositäten „des Schweizers an sich“ gegenüber „dem Deutschen an sich“ auf den Grund zu gehen“. Und für seine Streitsucht (Polemik) und Bissigkeit hat der Aufwiegler (Provokateur) ein besonderes Argument parat: „Dies sollte unter guten Nachbarn erlaubt sein“.

      Nun liesse sich vielleicht sagen, was kümmert es uns, wenn uns dieser bissige Hund anbellt. Maulkorb drüber und im Wiederholungsfall, könnte man das Tier abtun. Nutzen wir doch das Pamphlet, um das zu tun, was uns Teil eins und zwei schuldig blieben, nämlich den Animositäten auf den Grund zu gehen. Nun wird plötzlich noch ein Teil drei angekündigt, was daran liegen kann, dass dem ehemaligen Deutschlehrer auffiel, das noch nicht viel zum tiefgründigen Thema beigetragen wurde.

      Statt dessen geht es um die Sprache, genauer um das Schweizerdeutsch. Und ich kann mich direkt zu Beginn nicht des Gefühls erwehren, das hier einige helvetische Redewendungen, gar nicht so recht in die Nähe des 670 km entfernte Hannover passen wollen. Da „nimmt jemand ernst“, Stammesgenossen „scheinen irritiert“ zu sein, aber das erwähne ich nur am Rande, nur zur Einstimmung, die dicken sprachlichen Ohrfeigen, die kommen schon noch.

      Das mir die gewählte Rhetorik überhaupt nicht zusagt, erwähnte ich schon früher, diese „Ich brauche Euch nicht zu sagen“, „Ich weiss“, „Klar“ und so fort. Fehlende Argumente ersetzt das natürlich nicht. Braucht es aber auch nicht, denn es ist ja eine Streitschrift, die sich der den König offenbar beunruhigenden Frage widmet: „aber warum um alles in der Welt wollt Ihr Euch so unbedingt von den Deutschen unterscheiden???“

      Und diese Frage leitet zum Absatz Dialekt über, der mit der Bemerkung: Es wäre ein Akt der intellektuellen Redlichkeit, wenn Ihr den Begriff „Schweizerdeutsch“ für den Rest der Ewigkeit vergessen würdet, schliesst. Ja wer so redet, der wird noch einstecken müssen können.

      Nur, ganz unaufgeregt, selbst Dr. phil. Christoph Gutknecht, em. Universiätsprofessor für Anglistik zitiert Robert Schläpfer aus dem Jahrbuch 1989 des Instituts für deutsche Sprache: „In einer Darstellung des Verhältnisses zwischen Mundart und Standardsprache in der deutschen Schweiz ist auszugehen vom Tatbestand, dass die Mundart in der deutschen Schweiz die täglich gesprochene Sprache ist.“ Und Gutknecht selber selber: „Das Schwyzertüütsch muss man fast wie eine Fremdsprache erlernen – z.B. mit Hilfe Artur Baurs Praktischer Sprachlehre des Schweizerdeutschen.“

      Zugegeben das ist ja auch nur ein Gutknecht, und was ist ein Gutknecht gegen einen König. Andererseits könnten ja auch die Plattdeutschen ihren Dialekt, ihre Mundart weiter neben der Standardsprache benutzen. Wer es sich anhören möchte, hier ein kleiner Aufsteller für den Regensonntag: http://www.radiobremen.de/online/platt/kurs/lektion16_dialog.html .

      Und wie nennen des Königs Stammesgenossen diese Mundart. Richtig der König hat es ja selbst geschrieben: Plattdeutsch oder Niederdeutsch (nedderdüütsch) Und was meinen die Plattsnacker, von wem die zweite Lautverschiebung stammt: dat weern de Düütschen.

      Jetzt frage ich mich aber, was sind denn dann die Plattsnackers, die Friesen, die Jevertrinker, die fussballdillettierenden Bremer und die ganzen Pinkelesser – wohl auf jeden Fall keine „Deutschen“.

      Aber die Frage blieb unbeantwortet, warum tun sie es nicht, wo blieben sie, das Missingsch, die Geest-Mundart und Marsch Mundart in Hamburg; die Liste wäre lang. Und seit wann tun sie es nicht mehr so richtig und der König beginnt zu ahnen, was da jetzt Uebles auf ihn niederkommt, als ganz einfache Antwort auf seine Frage nach dem Unterscheiden wollen. Warum Ihr Niedersachsen, warum sprecht Ihr kein Niederdeutsch mehr, was ist denn da passiert in Eurer Sprachgeschichte?

      Schliesslich sollen die anderen doch weiter ihren Dialekt bewahren und somit Schweizerdeutsch reden, schreibt König ja: „Die alemannische Sprache ist ein kulturelles Erbe, das zu bewahren Pflicht jedes Alemannen sein sollte“. Und die Niederdeutschen, so ganz kulturlos, so ohne bewahrende Pflicht?

      Die Antwort liegt im zweiten Teil. Man kann sie dort förmlich mit den Händen greifen: „Das Standardhochdeutsche ist unser aller gemeinsames Dach zur überregionalen schriftlichen und mündlichen Verständigung. Auf diese Funktion haben auch und besonders Eure eidgenössischen Vorfahren gedrängt,“ heisst es da, auch wenn es nicht belegt wird, auch wenn mittlerweile sprachlich zwischen Hochdeutsch und Standardhochdeutsch kräftig gemischt wurde.

      Man darf jedoch davon ausgehen, dass niemand der hier genannten, anschliessend darauf drängte im letzten Jahrhundert, noch weitere ganz eigentümliche Standardisierungen vorzunehmen. Diese ganz eigenen Sprachgestalter schufen das, was Victor Klemperer LTI, Lingua Tertii Imperii, nannte. Sie schufen den Superlativismus in „reinster“ Form und liessen sich in „keinster“ Weise (aufmerksame Blogwiese Leser erinnern sich an dieses jüngst diskutierte Sprachprodukt). Sie strapazierten die Vorsilbe „ent“, es gab auf einmal die Entdunkelung nach den Alarmen, die Entrümpelung, um die Fluchtwege frei zu halten, und sie überlebten ausgerechnet oder eben gerade in der Sprache, denn welch Hohn wenn das ganze Bemühen, all diese Flecken wieder los zu werden dann „Entnazifizierung“ genannt wird.

      Manche Eigenheiten der hochdeutschen Standarsprache verschwanden schliesslich ganz. Worte wie „meschugge“, „Tacheles“ und „Massel“, die Oesterreicher kennen ja noch ein Schlamassel, sind einfgach weg. Diese Sprache, von der ich da rede hat viel aus dem Mittelhochdeutschen, dem Slawischen, dem Aramäischen und eben dem Hebräischen in sich vereinigt. Plötzlich waren diese Worte unbekannt geworden, wurden sie nicht mehr gebraucht und heute versteht sie von den „Standarddeutschen“ niemand mehr. Woran lag das, waren die Sprecher dieser Sprache ebenfalls auf einmal verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.

      Darum, darum sprecht Ihr auch kein Niederdeutsch mehr. Das, was damals Gleichschaltung genannt wurde, liess sich ja nur über eine einheitliche Sprache in einem „Lebensraum“ und so weiter und so weiter. Vor diesem Hintergrund ist die Bemerkung „Das Standardhochdeutsche ist unser aller gemeinsames Dach zur überregionalen schriftlichen und mündlichen Verständigung“ mehr als provokativ. Sie ist unendlich naiv.

      Damit sind wir bei einem ganz entscheidenden Manko „Standarddeutscher“ Sprachkompetenz: Das Thema der „Herrschaft durch Sprachhherschaft“ ist bei aller „Aufarbeitung“ in Deutschland ganz einfach ausgeklammert worden. Arbeiten hierzu sind handverlesen (Gerhard Bauer: Sprache und Sprachlosigkeit im „Dritten Reich“. Köln. 1988. 360 Seiten. . W. Bohleber/J. Drews (Hrsg.): Gift, das du unbewußt eintrinkst …“. Der Nationalsozialismus und die deutsche Sprache. Bielefeld. 1991. S. Bork: Mißbrauch der Sprache. Tendenzen nationalsozialistischer Sprachregelung. Bern/München. 1970.) und im Buchhandel meistens nicht (mehr) zu erwerben.
      Da entsteht nun wirklich eine Kluft zwischen Intellektuellen, die in beiden Sprachformen zu Hause sind, und über diese Sprachkompetenz nicht verfügen und den breiten Volksmassen, die zumindest im Dialekt über eine vollständige Sprachkompetenz verfügen.
      Darum, König, darum könnte es sein, dass man Dein Standarddeutsch weder hören noch gebrauchen möchte. Darum möchte man sich nach wie vor von Dir unterscheiden. Natürlich kann ich nicht beweisen, dass es so gekommen ist, aber den Schweizern dann noch eine gewisse Kleingeistigkeit vorzuwerfen … offensichtlich falsche Behauptungen aufzustellen und ganz in der selbstüberzeugten Diktion einer LTI zu empfehlen, „das Schweizerdeutsche für den Rest der Ewigkeit zu vergessen.“, ist alles andere als intellektuell. Bei solcher der jüngsten Geschichte offensichtlich noch nicht ganz enthobener Wortgrosskotzerei würde ich als Deutscher eher anfangen Schweizerdeutsch zu lernen.
      Liebe Schweizer, dieser Text ist keine Entschuldigung dafür, sich nun nicht weiter, um eine Verständigung zu bemühen, auch in der Sprache, die ich jetzt einmal Schriftdeutsch nenne. Es ist auch keine spezielle Veranlassung nun noch „helvetischer“ und immer weniger flüssig zu reden. Er ist auch keine Entschuldigung für eine grundsätzlich unversöhnliche ablehnende Haltungen gegenüber Menschen, die aus dem grossen Kanton stammen. Die meisten hier im Blog wissen das ohnehin.

    6. Fiona Says:

      @ neuromat

      >>Die gehen wohl überall da hin wo was mit sch, also mit ess zeh haa anfängt Schweden, Schweiz, Schpanien und Schrilanka.

    7. Simone Says:

      Es wird immer besser, freue mich schon auf morgen!!!

    8. mare Says:

      @neuromat
      Da habe ich mir einen Nachmittag überlegt, wie ich einen Eintrag schreiben könnte und jetzt ist er da!!! Danke! Ich habe mir schon überlegt, wie man diese Königschen Ergüsse betiteln könnte, und bin auf eine Möglichkeit gestossen: „Handbuch für Oberlehrer – Kapitel ‚Umgang mit störrischen und geistig leicht minderbemittelten Verwandten'“. Aber neuromats Artikel ist um Lichtjahre besser!

    9. Ingo Says:

      @Neuromat:
      Möchte gerne wissen, wie Du darauf kommst, dass Wörter wie „Meschugge“, „Massel“, „Tacheles“ etc. „einfach weg“ sind. Benutze ich und eigentlich alle Leute, die ich kenne, noch regelmässig. Ausdrücke wie „Massel haben“, „Tacheles reden“ sind sicher auch noch jedem Deutschen verständlich. Und es gibt sogar einen Film, der „Meschugge“ heisst, ohne dass die Kinogänger verwirrt waren.
      Mal davon abgesehen, dass zumindest die ersten beiden aus dem Jiddischen kommen und daher eh schlechte Kronzeugen für „Standarddeutsche“ Wörter sind.

      Und ich finde die Aussage „Das Standardhochdeutsche ist unser aller gemeinsames Dach zur überregionalen schriftlichen und mündlichen Verständigung“ alles andere als provokativ oder gar naiv. Selbst allein in der Schweiz gilt das. Ich möchte mal sehen, wie die Schweiz funktionieren würde, wenn wirklich jeder sein Schweizerdeutsch so schreiben würde, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. In der Zeitung, in der Werbung, im öffentlichen Raum. Und auch in der Politik. Das würde nicht funktionieren. Sprachen werden ja gerade dazu standardisiert, um in einem nationalen Rahmen allgemein verständlich zu kommunizieren. Dass es dem einen oder anderen mehr oder weniger schwer fällt, da sein lokaler Dialekt mehr oder weniger vom Standardisierten abweicht, ist da nunmal nicht zu vermeiden. Und die Schweizer haben sich entscheiden, (mit Ausnahmen) das selbe Deutsch als Standard zu verwenden wie die Deutschen und die Österreicher. Würden Sie ihr eigenes Schweizer-Standard-Deutsch entwickeln, dann wäre der Fall klar. Wie in den Niederlanden. Da macht es dann auch nichts, dass Schweizerdeutsch dem Hochdeutschen doch grösstenteils noch näher ist als Niederländisch dem Hochdeutschen. Aber sie haben es nicht gemacht.
      Da kann man jetzt nicht im Nachhinein behaupten, das Standarddeutsche sei nicht das überregionale Dach zur Kommunikation. Eher ist der Gedanke, dass es anders wäre, naiv.

      Wie gesagt, ich habe mich da als Deutscher nicht einzumischen. Wenn Ihr eine Eingabe macht mit einem Standard-Schweizerdeutsch, dass die Schweizer dann in einer Wahl annehmen und von da an als Ihre Schrift- und Standardsprache verwenden – wer bin ich, da etwas gegen zu sagen? Aber solange das Hochdeutsche offiziell als Landessprache festgelegt ist, kann man dessen überregionale Kommunikations-Funktion doch nicht als naiv abstempeln oder gar leugnen!

      Davon mal ganz abgesehen vermischt Du, neuromat, hier wild normale Weiterentwicklungen der Sprache (die man ablehnen kann, wenn man will, aber akzeptieren muss, sobald sie eben im Duden stehen – auch wenn das nur Gewohnheitsrecht ist…) mit Dialekten und bist Dir auch nicht zu schade, Deine Argumentation immer mal wieder durch absolut nichts dazu betragende Wortspiele bezüglich des Namens des Briefschreibers aufzupeppen. Ich ziehe Deinen Namen ja auch nicht für meine Argumentation heran (auch wenn mir da sicher was einfallen würde)…

      PS: Das heisst noch lange nicht, dass ich dem Beitrag von I.König vollumfänglich zustimme. Ich gebe Dir recht, dass auch dort eine Menge zumindest sehr fraglich ist. Schon die Intention ist mir immer noch nicht recht klar, bzw. auf welchem Wege sie erreicht werden soll. Aber Deine Gegenargumentation nimmt leider völlig falsche Aspekte heraus und stellt selber unhaltbare Behauptungen auf…

    10. neuromat Says:

      @ Ingo
      Vor 1933 waren die genannten jüdischen Begriffe in der deutschen Sprache geläufig, das heisst sie wurden weit verbreitet täglich benutzt. Ich kann nicht erkennen, inwiefern das heute noch der Fall sein soll. Massel, Mischpocke. Ich hoffe, Dich da nicht richtig verstanden zu haben, wenn das plötzliche mehr Vorhandensein dieser Begriffe „eine wilde normale Weiterentwicklung der Sprache darstellt“. Meines Wissens wurden sechs Millionen Sprecher dieses Soziolekts auch zum plötzlichen Verschwinden gebracht. Ich halte dass nicht für eine unhaltbare Behauptung. Ich zitiere Prof. Gutknecht: „Wie steht es heute mit dem Jiddischen? In Deutschland ist es mit seinen Sprechern durch die Verbrechen der Nationalsozialisten fast vollständig untergegangen.“ Deine Aesserung, dass das Jidddische, welches vor 1933 sehr wohl eine Rolle in der deutschen Sprachgemeinschaft spielte, „eh schlechte Kronzeugen für das Standarddeutsche ist“ ist ja fast noch schlimmer, als die ja nur zu interpretierende Diktion in besagtem Pamphlet.

      Das Verschwinden bestimmter Dialekte wurde tatsächlich nicht ausführlich untersucht, es fällt aber in einen gleichen historischen Abschnitt. Das bei der ganzen „Aufarbeitung“ zwei meiner Meinung nach entscheidende Faktoren nämlich der nationalsozialistische Missbrauch der Sprache und die Rolle der bürokratischen Organisation nicht ausreichend Berücksichtigung fanden, will ich gar nicht werten, entspricht aber den Tatsachen. Das „Hochdeutsch“ eine überregionale Funktion hat, wird ja nicht bestritten. Es wird nur auf einen Prozess sprachlicher Veränderung hingewiesen, der nun wirklich nicht glücklich war. Und es ist die Frage ob es dann ausreicht, unter grossem Getöse Symbole zu verbieten, die Buchstabenfolgen SA und SS auf Autonummerschildern zu verbieten, was sicherlich alles richtig ist, nur eben nicht ausreichend.

      Was die Rhetorik anbelangt: Wer provoziert und Streit sucht und das mit Ankündigung, der kriegt eben auch die Meinung gesagt. „Das sollte einem ehemaligen Landsmann erlaubt sein“. Mit Bemerkungen wie „bist Du Dir auch nicht zu schade“, begibst Du Dich selbst auf das Gefilde der Beleidigungen. Lass mich Dich zurück beleidigen. Ich glaube, Du hast gar nicht einmal die Hälfte von dem verstanden, was ich geschrieben habe. Es ging darum die ja von König selber gestellte Frage nach der Animosität zu beantworten. Und ich habe die Vermutung geäussert, sie könnte in diesen historischen Zusammenhängen mit begründet liegen.

      Mittlerweile sind ein paar Tage vergangen und ein paar Blogeinträge später finden wir dass Kandier sich Anzeichen anstecken, damit sie nicht mit US-Amerikanern verwechselt werden.

      Wir haben wahrscheinlich beide für diese Geschichte keine persönliche Verantwortung, und es kränkt uns jedesmal wenn wir beim Schüleraustausch in England als Nazis beschimpft werden, wenn alte Griechen vor uns ausspucken und bitter „Yermanikos“ sagen, aber uns bleibt doch die Möglichkeit, zumindest eben nicht wieder los zu ziehen und allen zu erzählen wie durch und durch tiefdeutsch im Grunde die „ganze Welt“ ist.

    11. dewi ratnasari Says:

      was ist der Unterschied zwischen ‚das Deutsch‘ und ‚das Deutsche‘ bzw. ‚das Hochdeutsch‘ und das Hochdeutsche‘?
      Auf Ihre baldige Antwort warte ich sehr.
      schoene Grusse aus Indonesien