Wenn der Esel am und der Ochs vorm Berg steht — Wie erkennt man einen Schweizer an seinen idiomatischen Wendungen?
Jeder, der sich schon einmal mit dem Lernen von Sprachen beschäftigt hat, weiss, dass es da ausser Grammatik und Vokabular noch eine weitere Ebene gibt, die extrem schwierig zu lernen ist. Man lernt sie automatisch mit der der eigenen Muttersprache, oder lernt sie unbewusst passiv durch ausgiebige Lektüre. Die Rede ist von „idiomatischen Wendungen“, von Sprichwörter und Redensarten. In der Schweiz wird das in der Schule gelehrt und gelernt.
So wurden wir Zeuge, wie Berufschüler in der S-Bahn von Zürich sich morgens gegenseitig die Bedeutungen von „Morgenstund hat Gold im Mund“ (das Leitmotiv der Zahnärzte), „Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht“ und „Die Axt im Haus ersetzt den Ehemann“ abfragten, wie Englisch oder Französisch-Vokabeln. Sie lernten dies für den Deutschunterricht. Eine Prüfung dazu war angekündigt worden. Sie tun gut daran, sich in diesen idiomatischen Wendungen fit zu halten, denn ohne diese Formulierung versteht man heute keine Zeitung und keine Nachrichtensendung.
(Quelle Foto: fraema.it)
Doch Vorsicht: Jedes Land im deutschsprachigen Europa kennt da eigene Varianten. Ochs und Esel zum Beispiel, aus der Weihnachtsgeschichte nach Matthäus allen bekannt, machten sich auf nach Europa, und kamen zu den Alpen, wo sie stehen blieben. Der Ochs stand „vorm Berg„, und der Esel „am Berg„.
Google kennt 88 Belege für „wie der Esel am Berg“. Unser Variantenwörterbuch aus dem DeGruyter Verlag meint zum Stichwort Berg:
*[dastehen] wie der Ochs vorm Berg AD;
*dastehen wie der Esel am Berg CH (salopp) „verdutzt, ratlos [sein]; mit einer Situation überfordert [sein]. Betreten sass der Junge da wie der Ochs vorm Berg (OÖN 3.3.2001, 16;A); Oft stehen wir da wie der Esel am Berg, wenn wir ausländische Gäste etwas über unser Land erzählen müssen (TA 20.8.1006, Internet; CH);
Nun gilt es noch herauszufinden, wieso es zu dieser feinen Differenzierung kam. „Ochs vorm“ ist ein Binnenreim mit doppeltem „O-Laut“. „Esel am Berg“ hingegen, da werden wir nicht schlau draus. Vielleicht spielt da noch die zweite Bedeutung vom „dummen Esel“ mit hinein? Es lässt sich nicht endgültig begründen, warum die eine Formulierung in Österreich und Deutschland, die andere jedoch in der Schweiz üblich ist. Je nachdem, ob sie ihrem Text eine „Standarddeutschefärbung“ oder mehr den helvetischen Grundton geben wollen, sollten sie lieber den „Oxen vorm Berg“ oder den „Esel am Berg“ wählen. Nur sollten sie beide Redewendungen niemals mischen, also keinen „Oxen am Berg“ und keinen „Esel vorm Berg“ platzieren. Das ist Stilbruch, und fast so grausig wie „das schlägt dem Fass den Boden mitten ins Gesicht“ oder „der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum“. Knapp daneben ist eben meistens auch vorbei.
Dann gibt es da noch den berühmten Ausspruch Erich Honeckers vom 6. Oktober 1989, im Palast der Republik anlässlich des vierzigsten Geburtstags der DDR vorgebracht:
„Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf“
(Quelle: FAZ vom 22.12.98, zitiert nach „Die DDR im WWW„)
Der äusserst lesenswerte FAZ-Artikel führt aus, dass dieser Spruch schon 100 Jahre mehr auf dem Buckel hat und aus einer Zeit stammt, als sozialdemokratische und christliche Weihnachten bitter in Konkurrenz zu einander standen.
Seit dieser Zeit müssen Ochs und Esel alles nur erdenkliche Aufhalten: Den Sozialismus, den Kapitalismus, den Kommunismus, aber auch die Globalisierung, und sie schaffen es nicht. 627 Belege finde sich bei Google. Sie stehen also quasi nicht mehr vor oder am Berg, sondern nur noch im Lauf, und halten dennoch nichts auf. Was für eine Wende.
November 6th, 2006 at 8:12
und dann gibts noch;
‚Wes em Esel z’wohl isch,geit er ufs Isch go tanze!‘
Wenn’s dem Esel zu gut geht,geht er tanzen auf dem Eis.
Man kann nicht nur ‚am Berg‘ sondern auch ‚am Hag‘ stehen:)
‚Jitz stah i am Hag’= jetzt weiss ich nicht mehr weiter.
e schöni wuche wünsch i öjch aune!
sylv
November 6th, 2006 at 10:26
Das mit der Axt die den Ehemann ersetzen soll ist wenigstens eine Anreicherung der Varianten, in denen es em Ehe(-probleme) geht.
Ich hoffe doch, dass das ein Witz von Jens war. Den Rest von Schillers Tell nehmen wir hier in der Schule ziemlich wörtlich …
November 6th, 2006 at 20:48
Uno momento. Sind Sie etwa gegen die Sozialismus, also auch gegen die SP!? Alles andere ist nämlich nationalsozialistscher Schwachsinn. Es gibt viele Länder die erfolgriehc Sozialismus betrieben haben, Deutschland, Russland oder Kuba zum Beispiel. *ttssssss*
November 6th, 2006 at 21:08
für ratlos gibt es bei uns noch die Redewendung: „guggen wie a Moggala wenns blidzd“ (für alle nicht Franken) „schauen wie ein Kälbchen wenn es blitzt“
November 7th, 2006 at 11:57
@feustel:
Mein Gott, das ist aber eine herzige Redewendung!!
🙂
November 8th, 2006 at 12:01
Zumindest im ländlichen Nordhessen steht man ja eher „wie der Ochs vorm Scheunentor“. Geht auch viel flüssiger von der Zunge. 😉
November 16th, 2006 at 17:43
Hallo
Falls jemand sich nicht mit Schweizer Deutsch auskennt, habe ich ein nettes Rätsel gefunden mit Helvetismern
Gruß Ute
http://www.badische-seiten.de/spiel/frage1.php?q=helvetismen
November 23rd, 2006 at 11:01
Also ich kenne und gebrauche meistens den Ausdruck „wie dr ochs am Bärg“. Das hat noch nie zu Irritationen geführt, den Ausdruck „der ochs vorem Bärg“ habe ich noch nie gehört.